Umschau Zur Sache, Schatz Claude Baumann



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Transkript:

Umschau Zur Sache, Schatz Claude Baumann Zuerst die schlechte Nachricht: Die Goldreserven der Schweiz werden zu einem fast lächerlichen Preis verkauft. Und nun die noch schlechtere: 300 Tonnen sollen nicht mehr dort sein, wo sie sein müssten. Würde man alles Gold zusammenschmelzen, das je gefördert wurde und in Tempeln und Tresoren, in Museen und auf dem Meeresboden liegt, entstünde ein Würfel mit einer Kantenlänge von gerade mal zwanzig Metern. Man könnte ihn in einem Öltanker versorgen oder unter den Eiffelturm schieben, wie die Deutsche Bank errechnet hat. So dicht und so knapp ist Gold. Der Würfel hätte ein Gewicht von 150000 Tonnen und wäre zu aktuellen Preisen etwa 3750 Milliarden Franken wert. Einen kleinen Teil davon besitzt die Schweiz: 1290 Tonnen. Dieses Gold im Wert von derzeit rund 32 Milliarden Franken gehört zu den Währungsreserven der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und gibt aktuell wieder Anlass für heftigste Kontroversen. Denn in den vergangenen fünf Jahren hat sich der Goldpreis fast verdreifacht. Während dieser Zeit verkaufte die SNB die Hälfte ihrer Goldreserven und löste dafür zwanzig Milliarden Franken. Damit wollte sie allfälligen Klumpenrisiken in ihrer Bilanz vorbeugen. Eine fragwürdige Spekulation, wie sich herausgestellt hat, denn inzwischen wäre dieses Gold gut dreissig Milliarden Franken wert. Ungeachtet dessen erschallen bereits neue Forderungen, die Goldreserven zu beschneiden. Unlängst sprach die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats davon, eine weitere Tranche dieses Staatsschatzes zu veräussern. Letzte Woche plädierte der Lausanner Wirtschaftsprofessor Thomas von Ungern-Sternberg einmal mehr dafür, das gesamte Gold der Eidgenossenschaft zu verkaufen und den Erlös in lukrativere Anlagen zu investieren. Und im nächsten September kommt eine Volksinitiative (Kosa) zur Abstimmung, die einen Teil der Nationalbank-Gewinne und damit auch des Goldes in die Kassen der AHV überweisen will. Das alles ist paradox, denn die meisten Auguren gehen davon aus, dass der Goldpreis in den nächsten Jahren noch erheblich steiler ansteigen wird. Den Schatz in der Heimat hüten Viele Schweizerinnen und Schweizer gehen davon aus, dass unser Gold noch immer im amerikanischen Fort Knox im Bundesstaat Kentucky gelagert sei, wo während des Zweiten Weltkriegs zahlreiche europäische Staaten ihre Goldvorräte in Sicherheit brachten. Andere Vermutungen gehen dahin, dass das Gold in einem unterirdischen Bunker in New York liegt. Doch die Nationalbank, so haben Recherchen der Weltwoche ergeben, baute in den letzten Jahren ihre Goldbestände in jenen Ländern ab, wo der Schutz von Staatsguthaben nicht mehr gesichert ist. Dazu zählen auch die USA. Das dortige Rechtsverständnis wird wegen seiner Unwägbarkeiten als Risikofaktor betrachtet «weil es eine Realität des amerikanischen Systems ist, dass ein Richter einfach kommen und aufgrund einer Klage irgendwelche Vermögenswerte konfiszieren kann», sagt ein hoher Mitarbeiter der SNB. Mehrheitlich repatriierten die Notenbanker das Gold, wie inoffiziell eingeräumt wird: «Der grosse Teil unseres Goldvolumens lagert nun an verschiedenen Orten in der Schweiz.» Und: «Von den informierten Kreisen geht niemand mehr davon aus, dass Schweizer Gold in den USA liegt.» Den kleinen Teil, der sich noch im Ausland befindet, hat die SNB in sogenannte Triple-A-Länder transferiert. Gemeint sind damit Länder, in denen ein historisch gewachsenes Rechtsverständnis existiert, das Staatsguthaben zuverlässig schützt. Dazu zählen vor allem Kanada und

Grossbritannien, wie es bei der SNB intern heisst. Das ist ein Paradigmenwechsel: Über Jahrzehnte hinweg verliess sich die Schweiz auf die Dienste der USA. Heute, in einer Welt mit veränderten geopolitischen Akzenten, ist das nicht länger der Fall. «Wenn irgendwo auf der Welt etwas passiert, das unsere Goldbestände tangiert, rufen wir die Vorräte ab, schicken sie anderswohin oder bringen sie heim», lautet nun die Devise der SNB. Oder mit anderen Worten: Die Schweiz will ihren Goldschatz nicht länger dem latenten Zugriffsrisiko amerikanischer Richter aussetzen. Offiziell macht die SNB dazu keine Angaben «aus Sicherheitsgründen», wie Nationalbank-Sprecher Werner Abegg anfügt. Ein Staatsgeheimnis? Selbst dem eher besonnenen früheren Bundesrat Kaspar Villiger platzte einmal im Nationalrat deswegen der Kragen. Entnervt erklärte er: «Wo diese Goldbarren nun genau liegen, kann ich Ihnen leider nicht sagen, weil ich es auch nicht weiss, es nicht wissen muss und es nicht wissen will.» Wie gross der Schweizer Goldschatz nun tatsächlich ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Offiziell besitzt die Schweiz 1290 Tonnen. Mit einem Wert von rund dreissig Milliarden Franken machen sie einen Drittel der SNB-Aktiven aus. Ob das Gold aber auch physisch vorhanden ist, bleibt umstritten. «Zwischen den ausgewiesenen und den tatsächlich vorhandenen Goldbeständen besteht keine Differenz», sagt Werner Abegg. Manche bezweifeln dies. In der Vergangenheit waren das vor allem die sogenannten Goldbugs. Jene Leute also, die das gelbe Edelmetall seit Jahr und Tag vergöttern, viele Goldbarren in ihren Tresoren horten und sich an die Zeiten erinnern, als die Welt noch in Ordnung war, weil alle wichtigen Währungen mit Gold gedeckt sein mussten und die Notenbanken nur so viel Papiergeld drucken konnten, wie sie dafür Gold zur Deckung hatten. Heute ist das passé; selbst die Schweiz hob mit einem Parlamentsbeschluss von 1999 die Goldbindung des Frankens auf. Der im vergangenen Jahr verstorbene Zürcher Privatbankier Ferdinand Lips zählte bis zu seinem Tod zu den Verfechtern des Goldstandards, weil er davon ausging, dass das Papiergeld dereinst wertlos werden würde. Umso wichtiger seien daher hohe und gesicherte Goldbestände. Lips Publikationen gelten heute als Offenbarung für viele Goldbugs, die davon besessen sind, dass ein Grossteil der Reserven der Zentralbanken gar nicht mehr vorhanden ist. Abnehmende Bestände Anfang Jahr nun erhielten sie überraschend Sukkurs vom französischen Finanzkonzern Crédit Agricole, der mit einer 56-seitigen Studie für Aufsehen sorgte: Darin heisst es, dass die westlichen Zentralbanken und damit auch die schweizerische heute nachweislich 10000 bis 15000 Tonnen Gold weniger besitzen als die offiziell gemeldeten 31000 Tonnen. Autor der Studie ist der britische Metall- und Minenexperte Paul Mylchreest von Cheuvreux, einem Brokerhaus, das zum Crédit Agricole gehört. Für seine Berechnungen stützte er sich auf historische Daten, er untersuchte die Aktivitäten mit Derivaten aus den Berichten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), und er besorgte sich Ein- und Ausfuhrzahlen von Goldtransfers von und nach Grossbritannien, einer der wichtigsten Drehscheiben für das gelbe Metall. Tiefere Goldbestände hätten die Zentralbanken deshalb, weil sie einen Teil davon fahrlässig ausgeliehen haben, sagt Mylchreest. Als der Goldpreis zwischen 1980 und 1999 von 850 auf 250 Dollar pro Unze absackte, hätten zahlreiche westliche Notenbanken einen Teil ihrer Reserven gegen eine bescheidene Kommission (rund ein Prozent) an grosse Geschäftsbanken wie JP Morgan, UBS, Goldman Sachs oder die Deutsche Bank ausgeliehen. So liesse sich das Gold rentabler bewirtschaften, als wenn es in den Tresoren lag, argumentierten die Zentralbanker. Die Geschäftsbanken verkauften das Gold weiter an andere Finanzinstitute oder an Schmuckhersteller und legten den Erlös in besser rentierende Staatsanleihen zu etwa vier Prozent an. Das war leicht verdientes Geld, solange der Goldpreis tief blieb oder sank. Sobald die Finanzinstitute ihren

Verbindlichkeiten gegenüber den Zentralbanken nachkommen mussten, beschafften sie sich das benötigte Gold zu tieferen Preisen am Markt. So funktionierte der Gold-Carry-Trade, wie Experten diese Transaktion nennen. Nach dem Börsenkrach von 2001 und 2002 veränderte sich die Ausgangslage jedoch drastisch, da der Goldpreis nachhaltig zu steigen begann. Viele Investoren entdeckten im Gold eine Anlagealternative zu den Aktien. Gleichzeitig begannen asiatische Zentralbanken, Edelmetall zu kaufen, um ihre Währungsreserven aus der Abhängigkeit des Dollars zu befreien. Für die im Gold-Carry-Trade involvierten Banken hatte das ungeahnte Folgen. Sie konnten sich nicht mehr am Markt zu günstigeren Preisen mit dem benötigten Gold eindecken. Und das effektiv ausgeliehene Gold hatten die Schmuckhersteller längst zu Ringen und Halsketten verarbeitet, oder es lagerte in den Tresoren der Käufer. Mit dem weiteren Anstieg des Goldpreises in den letzten drei Jahren hat sich die Situation so zugespitzt, dass die Geschäftsbanken den Zentralbanken bis zu 15 000 Tonnen Gold schulden. Zu viel, als dass sie es jemals physisch wieder zurückbezahlen könnten, resümiert Paul Mylchreest. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt auch der Zürcher Publizist und Finanzexperte Walter Hirt in Bezug auf die Schweizerische Nationalbank. Er geht davon aus, dass die physischen Goldreserven der SNB nicht 1290 Tonnen betragen, sondern bis zu 300 Tonnen tiefer sein könnten was immerhin einer Differenz von aktuell 7,5 Milliarden Franken entspräche. Walter Hirt stützt seine Annahmen auf Hinweise in den Geschäftsberichten der SNB, wonach mehrere hundert Tonnen Gold ausgeliehen seien. Selbst heute, nachdem die Gold-Carry-Trades aller Zentralbanken aufgrund des gestiegenen Goldpreises massiv rückläufig sind, weist die SNB per Ende 2005 immer noch 135 Tonnen Gold aus, das physisch an in- und ausländische Finanzinstitute ausgeliehen ist. Ein Risiko? Als Sicherheit habe die SNB dafür «Effekten» gemeint sind erstklassige Obligationen erhalten, sagt Nationalbank-Sprecher Werner Abegg. Tiefere Reserven, explodierende Preise Walter Hirt, der bereits 2002 mit einer Petition das Parlament in Bern auch dazu aufrief, die Goldverkäufe der SNB einzustellen, weist indessen darauf hin, dass sowohl die deutsche wie auch die britische Zentralbank als Folge von Carry-Trades in den letzten Jahren die Höhe ihres ausgeliehenen Goldes nachträglich korrigieren mussten. Das ist brisant. «Wenn sich die Erkenntnis weiter durchsetzt, dass die Goldreserven westlicher Zentralbanken tatsächlich tiefer sind, wird der Preis explodieren», sagt Marc Gugerli. Der vierzigjährige Zürcher zählt in der Schweiz zu den profundesten Kennern der Materie. Mit seinem Knowhow berät er so renommierte Finanzhäuser wie die Bank Julius Bär, die Zürcher Kantonalbank oder Lombard Odier Darier Hentsch. Daneben betreibt er mit einigen Partnern einen eigenen Goldfonds. Insgesamt verwaltet er eine Milliarde Franken, die in physisches Gold (Barren) und in Goldminenaktien investiert ist. Als sich Marc Gugerli vor bald zehn Jahren «aus einem Bauchgefühl heraus» für das Edelmetall zu interessieren begann, kostete die Unze 250 Dollar. In den Neunzigern habe sich niemand für Gold interessiert, erinnert er sich. Die Welt stand im Bann der New Economy und des Aktienbooms. Er fand aber, dass eine Anlageklasse wie Gold, die jahrhundertelang als Gegenwert für Papiergeld gedient hatte, nicht einfach verschwinden konnte. Darum machte sich der UBS-Banker selbständig. Inzwischen ist Gugerli überzeugt, dass der Preis für eine Unze Gold in den nächsten Jahren «auf 1000, 2000, möglicherweise sogar auf 5000 Dollar» steigen wird. Wenn er das sagt, wirkt er so gelassen, dass seinen Projektionen etwas Selbstverständliches anmutet. Derzeit kostet die Unze Gold knapp 600 Dollar, umgerechnet etwa 750 Franken. «Gold ist extrem knapp», sagt Gugerli. «Der globalen Nachfrage von jährlich knapp 4000 Tonnen steht ein Angebot von 2500 Tonnen gegenüber. Bisher konnte die Lücke durch die Ausleihungen und Verkäufe der

Zentralbanken grösstenteils ausgeglichen werden. Doch je stärker die Nachfrage zunimmt, desto weniger wird das möglich sein.» Von der Angebotsseite ist auch nicht viel zu erwarten, da viele Explorationsfirmen es versäumten, neue Vorkommen zu fördern. Aufgrund des tiefen Preises lohnte sich das gar nicht mehr. «Das Fehlen neuer grösserer Goldfunde wird darum auch künftig den Preis stark beeinflussen», bestätigt SNB- Direktor Philipp Hildebrand. Gold, lange verschmäht, avanciert damit vom Rohstoff zum hochlukrativen Investment. An der Börse hat sich das noch kaum niedergeschlagen. Die existierenden Reserven, inklusive offizieller Bestände der Zentralbanken (31000 Tonnen), machen heute 1,4 Prozent der globalen Marktkapitalisierung aller Finanzprodukte aus. Zum Vergleich: Im Jahr 1934 machte das Gold gut 20 Prozent der weltweiten Börsenkapitalisierung aus, 1982 waren es sogar 25 Prozent. Auch der Wert aller Goldminenfirmen ist mit rund 200 Milliarden Dollar ein Klacks. Er entspricht gerade einmal jenem eines Blue-Chip-Unternehmens wie Shell oder Toyota. Gold als heisseste Anlage der Zukunft? Selbst wenn die Volatilität wie bei allen anderen Rohstoffen überdurchschnittlich hoch ist und es dadurch auch immer wieder zu Kurseinbrüchen kommt, zweifeln die Experten kaum am langfristigen Kurspotenzial des Edelmetalls. Der Amerikaner Jim Rogers, der in den siebziger Jahren als Finanzpartner von Investor George Soros ein Vermögen machte, geht davon aus, dass sich die Welt erst am Anfang einer fünfzehn- bis zwanzigjährigen Rohstoffhausse befindet. Einmal mit dem Motorrad und später mit einem umgebauten Mercedes reiste er um die Welt und verschaffte sich einen Eindruck vom riesigen Rohstoffbedarf in den Schwellenländern. Weil der Aufbau neuer Förderanlagen noch Jahre in Anspruch nehme, dauere der Rohstoffboom länger als jede andere Hausse, betont Rogers. «Dass sich der Ölpreis wieder abschwächt, erwartet ja auch niemand.» Der Amerikaner John C. Hathaway von der Firma Tocqueville Asset Management zählt zu jenen Menschen, die als Fondsmanager täglich grösste Mengen Gold bewegen. Auch er geht von einem Unzenpreis in vierstelliger Höhe aus. Seine Gründe für den Anstieg: «Im globalen Finanzsystem mit seinen vielen Derivaten stecken mittlerweile enorme Risiken. Auch die Höhe der Verschuldung amerikanischer Haushalte und die Blase im Immobiliensektor beunruhigt», sagt Hathaway. Als weiteren Unsicherheitsfaktor wertet er die Tatsache, dass mehr als vierzig Prozent der amerikanischen Staatsanleihen von ausländischen Schuldnern, darunter zahlreiche asiatische Zentralbanken, gehalten werden. Besinnen sich nur wenige Notenbanker darauf, dieses Dollar-Engagement zu reduzieren und stattdessen in Gold zu investieren, wie das in den vergangenen Jahren der Fall war, steigt der Unzenpreis weiter. Als das Gold im vergangenen Mai auf 730 Dollar kletterte, verglichen zahlreiche Auguren diese Entwicklung mit dem Höchststand von 1980, als es bis auf 850 Dollar gestiegen war auch damals in einer Zeit, die von Inflationsängsten, politischen Konflikten und einem hohen Ölpreis geprägt war. Was allerdings viele Marktbeobachter vor Monatsfrist nicht berücksichtigten: Relativ gesehen entsprächen die 850 Dollar von damals einem heutigen Wert von 1700 Dollar. So besehen hat der Goldpreis noch viel Potenzial. Darum erstaunt es kaum, wenn Analyst Paul Mylchreest seinem Goldreport den Titel gab: «Start Hoarding!» (Fangt an zu horten!) Angesichts steigender Preise hat auch die Finanzwelt in den letzten Jahren reagiert und eine Unmenge von Produkten und Indizes lanciert. Weit verbreitet sind sogenannte Exchange-Traded-Funds (ETF). Dabei werden mehrere Goldminenaktien zusammengefasst und gemäss einem Börsenindex angelegt. Bezogen sich solche ETF Ende 2003 noch auf rund zwanzig Tonnen Gold, haben sie heute die Grenze von fünfhundert Tonnen überschritten. Das belegt, welcher Nachfrage sich das Edelmetall bei Anlegern bereits erfreut.

Verkaufen? Reines Wunschdenken Nachdem die Schweizerische Nationalbank die Hälfte ihres Goldes verkauft hat, kommt den verbliebenen Reserven eine umso grössere Bedeutung zu. Schliesslich geht es bei den Goldreserven um eine Art Notgroschen unseres Landes, selbst wenn der Schweizer Franken heute nicht mehr durch das Edelmetall gedeckt sein muss. Die 1290 Tonnen entsprechen einem Anteil am Bruttoinlandprodukt von 12,5 Prozent. Im internationalen Vergleich liegt die Schweiz damit im Mittelfeld, gemeinsam mit Dänemark etwa. Allerdings besitzt der skandinavische Staat keinen bedeutenden Finanzplatz wie die Schweiz. «Deshalb entbehrt die Auffassung jeglicher Grundlage, wir verfügten noch über überschüssige Währungsreserven», sagt Hansueli Raggenbass, Präsident des Bankrats der SNB. Umso unverständlicher ist es, wenn Politiker von SP bis SVP weitere Goldverkäufe suggerieren. Der Bundesrat und die SNB haben sich davon distanziert. «Weitere Verkäufe sind reines Wunschdenken», sagt SNB-Direktor Philipp Hildebrand. Mehr Sorge bereitet den Währungshütern die im September zur Abstimmung gelangende Kosa- Volksinitiative. Sie fordert, dass Gewinne der Nationalbank der AHV zugeführt werden. Allerdings gehen die Initianten von einem gleichbleibenden Gewinn der SNB aus, der in den letzten Jahren gerade dank der Goldverkäufe überdurchschnittlich hoch ausfiel. Um solch einen weiterhin zu garantieren, müsste die SNB ihre Aktiven riskanter bewirtschaften. Damit verlöre sie aber ihre Unabhängigkeit und würde zum Spielball politischer Begehrlichkeiten. In einer Zeit, in der sich geopolitische Akzente verschieben und sich manche Staaten veranlasst sehen könnten, Restriktionen beim Goldbesitz zu erlassen, weil kein anderer Rohstoff in der Menschheitsgeschichte eine längere Beständigkeit besitzt, kann sich die SNB das nicht leisten. Wie haushälterisch man mittlerweile mit dem Gold umgeht, beweist die Zürcher Kantonalbank (ZKB). Vor kurzem lancierte sie einen ETF, der sich darauf beschränkt, in physisches Gold zu investieren. Mit anderen Worten: Jede Einzahlung in den Fonds wird mit Goldbarren unterlegt, so dass der Investor sein Investment jederzeit in Bargeld oder auch in physischem Gold zurückfordern kann. Damit hat der Anleger die Gewähr, dass er seine Einlage, selbst wenn es weltweit zu einschneidenden Restriktionen im Goldhandel käme, zurückfordern kann. Für die ZKB setzt das voraus, dass sie für den finanziellen Gegenwert des Fonds laufend neues Gold am Markt, namentlich in Zürich, London und New York, beschaffen muss. Darum fährt auch regelmässig ein gepanzerter Lieferwagen am Hauptsitz der ZKB an der Zürcher Bahnhofstrasse vor und liefert neue Barren ein. So stapelt sich das Gold in den Tresoranlagen der Zürcher Staatsbank. Bleibt zu hoffen, dass dafür nicht bei der Schweizerischen Nationalbank auf der anderen Strassenseite einige Tonnen im Tresor fehlen. Literatur: Peter L. Bernstein: Die Macht des Goldes. Finanzbuch, 2005. 454 S., Fr. 69.40 Ferdinand Lips: Die Gold-Verschwörung. Kopp, 2003. 382 S., Fr. 33.60 Robert Nef, Walter Hirt: EigenStändig. Die Schweiz ein Sonderfall. Moderne Industrie, 2002. 362 S., Fr. 45.60 Jim Rogers: Investment Biker. Börsenmedien, 1998. 497 S., Fr. 74.50 Petition gegen Goldverkäufe: www.walterhirt.ch/gold_snb.html Gold-Studie von Cheuvreu im Internet: www.gata.org/cheuvreuxgoldreport.pdf

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