Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins



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Transkript:

Berlin, im Mai 2002 Stellungnahme Nr. 28 / 2002 Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Strafrechtsausschuss zum Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (KOM [2001] 715 endgültig; vom 11.12.2001) Mitglieder des Ausschusses: Rechtsanwalt und Notar Eberhard Kempf, Frankfurt a.m.(vorsitz) Rechtsanwalt Prof. Dr. Rainer Hamm, Frankfurt a.m. (Berichterstatter) Rechtsanwalt und Notar Günter Bandisch, Bremen Rechtsanwalt Rüdiger Deckers, Düsseldorf Rechtsanwalt Rainer Endriß, Freiburg Rechtsanwältin Gabriele Jansen, Köln Rechtsanwalt Dr. Stefan König, Berlin Rechtsanwalt Georg Prasser, Stuttgart Rechtsanwalt Michael Rosenthal, Karlsruhe Rechtsanwalt Prof. Dr. Franz Salditt, Neuwied Rechtsanwältin Dr. Heide Sandkuhl, Potsdam Rechtsanwalt Dr. Rainer Spatscheck, München Zuständige DAV-Geschäftsführerin: Rechtsanwältin Tanja Albert, Berlin

2 Verteiler: EU-Gremien über das DAV Büro Brüssel Bundesministerium des Innern Bundesministerium der Justiz Rechtsausschuss und Innenausschuss des Deutschen Bundestages Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Prof. Dr. R. Scholz Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, Ute Vogt Landesjustizverwaltungen Bundesgerichtshof Generalbundesanwaltschaft Vorstand des Deutschen Anwaltvereins Landesverbände des Deutschen Anwaltvereins Vorsitzende der Gesetzgebungsausschüsse des Deutschen Anwaltvereins Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins Geschäftsführender Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer Vorsitzende des Strafrechtsausschusses des KAV, BAV Vorsitzende des Forums Junge Anwaltschaft des DAV Deutscher Strafverteidiger e.v., Frau Regina Michalke Regionale Strafverteidigervereinigungen Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen und -initiativen Arbeitskreise Recht der im Bundestag vertretenen Parteien Deutscher Richterbund Strafverteidiger-Forum (StraFo) Neue Zeitschrift für Strafrecht, NStZ Strafverteidiger Prof. Dr. Jürgen Wolter, Universität Mannheim ÖTV, Abteilung Richterinnen und Richter Deutscher Juristentag (Präsident und Sekretär) Prof. Dr. Schöch, LMU München

3 I. Zu Chronologie und dem Diskussionsumfeld der derzeit dem Deutschen Anwaltverein vorliegenden Gesetzentwürfe bzw. Diskussionspapiere: Folgende zeitlich eng beieinander liegende, aber zum größten Teil auf ein ein halbes Jahrzehnt alten europäischen Vorgaben beruhende Anlässe zur Stellungnahme durch den DAV stehen in einem engen, teils benannten, teils unbenannten sachlichen Zusammenhang: 1. Schreiben des BMJ vom 26. Februar 2002 mit der Gelegenheit zur Stellungnahme der Verbände bis 18. März 2002 zu einem "Entwurf eines Vertragsgesetzes zum Übereinkommen vom 26. Mai 1997 über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind." 2. Schreiben des BMJ vom 26. Februar 2002 mit der Gelegenheit zur Stellungnahme der Verbände bis zum 18. März 2002 zu einem "Entwurf eines Vertragsgesetzes zum zweiten Protokoll vom 19. Juni 1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der ausländischen Gemeinschaften." 3. Schreiben des BMJ vom 1. März 2002 mit der Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 18. März 2002 (2 ½ Wochen!) zu einem "Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung strafrechtlicher Rechtsinstrumente der Europäischen Union. " Der diesem Schreiben anhängende Gesetzentwurf sieht Änderungen des Strafgesetzbuchs, des Ordnungswidrigkeitengesetzes, des Hypothekenbankgesetzes, des Schiffsbankgesetzes, des Kreditwesengesetzes (durch Einführung von Geldbußen gegen Unternehmen) und des EU-Bestechungsgesetzes vor (durch Ausdehnung seines Anwendungsbereiches auf den Straftatbestand der Geldwäsche gem. 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 Buchst. a. StGB). 4. Schließlich das außerordentlich umfangreiche Grünbuch der Kommission vom 11. Dezember 2002 (an den Strafrechtsausschuss des DAV übersandt durch Schreiben des DAV Büros Brüssel vom 6.3.2002 mit Frist zum 1. Mai 2002 - inzwischen verlängert bis 1.Juni 2001). II. Wesentlicher Inhalt der entworfenen Umsetzungsgesetze (o. Ziff. 1 bis 3) und des Grünbuchs: Die unter Ziff. 1 bis 3 genannten Gesetzesvorhaben beziehen sich jeweils auf Europäische Vorgaben für eine noch in dieser Legislaturperiode geplante nationale Umsetzung von Vertragswerken und "Protokollen". Im Gegensatz dazu ist das Grünbuch auf eine Änderung des Amsterdamer Vertrages gerichtet.

4 Der innere Zusammenhang zwischen den Regelwerken, Übereinkommen, Gesetzentwürfen und Diskussionspapieren besteht darin, dass sie sich vorwiegend auf die Verfolgung der Finanzinteressen der Europäischen Gemeinschaft beziehen und gleichzeitig unter Überwindung bisheriger formeller Hürden (Rechtshilfeverfahren) mehr Effizienz durch eine reibungslose Zusammenarbeit der in den Mitgliedsstaaten für die Verfolgung von organisierter Kriminalität und grenzüberschreitenden Straftaten zuständigen Dienststellen erreichen wollen. Allen Papieren und Entwürfen ist aber auch gemeinsam, dass sie im Rahmen des 3. Pfeilers des rechtlichen Gebäudes der Europäischen Gemeinschaft auf völkerrechtlichen Vereinbarungen beruhen (bzw. darauf abzielen), aber durchaus den Anspruch erheben bzw. darauf angelegt sind, die Rechtssetzungs- und Rechtsdurchsetzungsstrategien der Institutionen des ersten Pfeilers für sich nutzbar zu machen. Ein erheblicher Unterschied zwischen dem Gesetzesvorhaben (o. Ziff. 1 bis 3) und dem Grünbuch besteht darin, dass letzteres darauf angelegt ist, eine neue justizielle zentrale Behörde für die gesamte Gemeinschaft zu schaffen, was ohne Änderungen des Amsterdamer Vertrages nicht möglich wäre. Deshalb soll nach der Vorstellung der Kommission bzw. der Autoren des Grünbuchs im Anschluss an Art. 280 des Vertrages ein neuer Art. 280a eingefügt werden, der folgenden Wortlaut hätte: 1. Um einen Beitrag zur Verwirklichung der Ziele des Art. 280 Abs. 1 zu leisten, ernennt der Rat, der auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments beschließt, für eine nicht verlängerbare Amtszeit von sechs Jahren einen Europäischen Staatsanwalt. Der Europäische Staatsanwalt hat die Aufgabe, gegen Täter von Straftaten und Teilnehmer an Straftaten, die sich gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft errichten, zu ermitteln, sie strafrechtlich zu verfolgen und wegen dieser Straftaten vor den zuständigen Gerichten der Mitgliedsstaaten öffentliche Anklage gemäß den in Abs. 3 genannten Vorschriften zu erheben. 2. der Europäische Staatsanwalt wird unter Persönlichkeiten ausgewählt, die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten und in ihrem Staat die für die Ausübung höchster richterlicher Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen. Er darf bei der Erfüllung seiner Pflichten Anweisungen weder anfordern noch entgegennehmen. Er kann auf Antrag des Parlaments, des Rates oder der Kommission vom Gerichtshof seines Amtes enthoben werden, wenn er die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amtes nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat. Der Rat legt das Statut des europäischen Staatsanwalts nach dem Verfahren des Art. 251 fest. 3. der Rat legt nach dem Verfahren des Art. 251 die Bedingungen für die Ausübung des Amtes des Europäischen Staatsanwalts fest und erlässt insbesondere

5 a) Vorschriften zur Festlegung der Tatbestandsmerkmale von Betrug und jeder anderen rechtswidrigen Handlung, die gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft gerichtet ist, sowie der Strafen für alle Straftatbestände; b) Verfahrensvorschriften über die Tätigkeiten des Europäischen Staatsanwalts sowie Vorschriften für die Zulässigkeit von Beweismitteln; c) Vorschriften über die richterliche Kontrolle der vom Europäischen Staatsanwalt in Ausübung seines Amtes vorgenommenen Verfahrenshandlungen. Die konzentrierteste Zusammenfassung der Intentionen des Grünbuches findet sich im Manuskript einer Rede der Kommissarin Michaele Schreyer, am 11. Dezember 2001 im Europäischen Parlament zur Vorstellung des Grünbuches. Danach war Ausgangspunkt der Überlegung zur Einführung einer Europäischen Staatsanwaltschaft die Erfahrungen mit der operativ-administrativen Zusammenarbeit von OLAF mit den Mitgliedstaaten. Dabei bestünden aber bei der Betrugsbekämpfung noch erhebliche Defizite, weil ein "wirksames Instrument, um die administrativen Untersuchungen durch OLAF und die nationalen Ermittlungen in Strafverfolgung münden zu lassen, statt an den Grenzen zu scheitern", fehle. Mit der Gründung der Europäischen Staatsanwaltschaft solle dieser Mangel ausgeglichen werden, wobei mit jenem "Finanzstaatsanwalt... etwas qualitativ völlig neues" geschaffen werde. Es werde deshalb vorgeschlagen, auf europäischer Ebene nur das unabdingbar Notwendige zu regeln, und im Übrigen soweit wie möglich, auf das nationale Recht und die nationalen Systeme zurückzugreifen. Den mit dieser "dezentralen Struktur der Europäischen Staatsanwaltschaft" verbundenen Vorzug beschreibt Frau Schreyer wie folgt: "Was das Verfahren angeht, soll der Europäische Staatsanwalt auf die breite Palette der nationalen Ermittlungsinstrumente zurückgreifen können. Die Staatsanwälte sollen also die Hilfe der nationalen oder regionalen Strafverfolgungsbehörden, wie z. B. der Kriminalpolizei, in Anspruch nehmen. Dabei soll die Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung dazu führen, dass diese Ermittlungshandlungen im gesamten Gebiet der Gemeinschaft automatisch gültig sind." Als Zweck des Grünbuches benannte Frau Schreyer, "eine breite und unvoreingenommene Diskussion über die Schaffung eines Europäischen Finanzstaatsanwalts und seine Funktionsweise mit allen beteiligten Kreisen" einzuleiten und insbesondere auch mit den Praktikern, den Richtern, den Staatsanwälten in den Mitgliedstaaten. Die Berufsgruppe der Rechtsanwälte / Strafverteidiger bleibt dabei unerwähnt. Den zur Verfügung stehenden Zeitrahmen spricht Frau Schreyer nur mittelbar an, indem sie hervorhebt, dass die im September

6 2000 in Nizza geplante Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft ein zu wichtiges Thema sei, um in der Schublade zu verschwinden. Deshalb solle "Die Zeit bis zur nächsten Reform der Verträge... bestens genutzt werden, um auf die Fragen und auch Skepsis in den Mitgliedstaaten zu antworten, die immer wieder nach der konkreten Ausgestaltung des Systems gefragt haben." III. Bisherige Stellungnahmen: Angesichts der Komplexität in der Thematik, der weit reichenden Wirkungen und Eingriffe der vorgesehenen Maßnahmen in die verschiedenen nationalen Rechtsordnungen, namentlich auch des deutschen Verständnisses von begrenzender und schützender Funktion des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts sind die vor den europäischen Gremien und insbesondere auch von dem Deutschen Justizministerium gesetzten Fristen einer gründlichen Befassung und fundierten Stellungnahme im Wege. Dies wird auch der Grundtenor einer derzeit in Arbeit befindlichen vorläufigen Stellungnahme einer größeren Gruppe von Strafrechtslehrern sein, die noch innerhalb der von der Kommission zum Grünbuch gesetzten Frist bis zum 31. Mai 2002 abgegeben werden soll. Der Schwerpunkt der Kritik der Strafrechtslehrer bezieht sich auf das wenig durchdachte Beweiskonzept des Grünbuchs (Abschnitt 6.3.4), dessen naheliegende, womöglich intendierte Konsequenzen zu einer inakzeptablen Zerstörung derjenigen Garantien für die Wahrheitsfindung in der Hauptverhandlung führen würden, die nach deutscher Traditionen zu dem unverfügbaren im Strafprozess gehören: das im Grünbuch vorgesehene "Prinzip der gegenseitigen Zulassung", welches auf die weit gehende Substitution des Zeugenbeweises durch den Urkundenbeweis und damit die Preisgabe des Unmittelbarkeitsprinzips sowie die Ausfüllung des Beweisantragsrecht der Verteidigung hinauslaufen würde. Deutliche Kritik an dem Konzept des Grünbuchs hat nach Presseberichten (FAZ vom 11.5.2002) auch die Konferenz der deutschen Generalstaatsanwälte geübt: Die Bedenken der Generalstaatsanwälte richten sich zum einen dagegen, dass die Voraussetzungen für Grundrechtseingriffe ebenso wie die Rechtsmittel dagegen in den verschiedenen europäischen Staaten sehr unterschiedlich geregelt sind, sodass zu befürchten sei, "dass sich der Europäische Staatsanwalt seine Haftbefehle in dem Mitgliedsland besorge, in dem dieses am leichtesten möglich sei". Es sei auch nicht hinnehmbar, dass der Europäische Staatsanwalt Straftaten verfolge, die es nach dem Deutschen materiellen Strafrecht überhaupt nicht gibt, z. B. den fahrlässigen Betrug. Eine weitere kritische Stellungnahme hat der Justizminister des Landes Nordrhein- Westfalen, Jochen Dieckmann, in einer Rede anlässlich einer Diskussionsveranstaltung der

7 Europäischen Kommission zum Thema "die Schaffung einer EU-Finanzstaatsanwaltschaft" am 4. März 2002 in Berlin abgegebenen (www.pressesevice.nrw.de/pub/docs/reden/20020304_1.html). Er kritisierte unter anderem die vorgesehene völlige Unabhängigkeit des Europäischen Staatsanwalts, die seine Tätigkeit letztlich jeglicher administrativen und parlamentarischen Kontrolle entziehe. Nach deutschem Rechtsverständnis sei die Staatsanwaltschaft zwar der Rechtspflege zugeordnet, aber auch Teil der Exekutive. An der Spitze des hierarchischen Aufbaus der Staatsanwaltschaft stehe das Justizministerium, das mit Aufsichts- und Leitungsrechten ausgestaltet, aber auch dem Parlament gegenüber verantwortlich ist. Indem die Kommission einen Europäischen Staatsanwaltschaft vorschlage, der in gleichem Maße Unabhängigkeit genieße wie die Gerichte, entstünden Kontrolledefizite, die nicht allein dadurch ausgeglichen werden könnten, dass die Amtszeit von sechs Jahren nicht verlängerbar sein soll. Als weiteren Kritikpunkt benennt Dieckmann den Vorschlag des Grünbuchs, dem Europäischen Staatsanwalt einerseits gemeinschaftliche Verfahrensregeln zu geben, auf deren Grundlage seine Ermittlungsmaßnahmen unionsweit Geltung beanspruchen können, andererseits jedoch erhebliche Teile des Strafverfahrens dem nationalen Recht der Mitgliedsstaaten zu überlassen. Die europäische Staatsanwaltschaft soll nämlich strafprozessuale Zwangsmaßnahmen sowohl durch den nationalen Richter für dessen (nationalen) Zuständigkeitsbereich anordnen lassen können, als auch durch den nationalen Richter eines Mitgliedsstaates mit Geltung für das gesamte Unionsgebiet, wenn es sich um mehrere Ermittlungshandlungen handelt. Damit sei zwar der Rechtsgedanke des 162 Abs. 1 Satz 2 StPO auf Europa projiziert, jedoch besteht der gravierender Unterschied, dass alle Staatsanwaltschaften Deutschlands der gleichen StPO unterlägen, sodass dem Betroffenen gegen eine entsprechende richterliche Entscheidung das nach der StPO zulässige Rechtsmittel überall zur Verfügung stehe. Dieckmann schließt daran die rhetorischen Fragen an: "Was indessen macht der portugiesische Beschuldigte, dessen Wohnung auf Grund der richterlichen Anordnung eines dänischen Richters durchsucht wird? Legt er ein Rechtsmitteln nach portugiesischem Recht bei seinem nationalen Gericht ein, das den Beschluss nicht erlassen hat? Oder wendet er sich an das dänische Gericht? Weiß er, welche Rechte ihm nach dänischem Recht zustehen und an welches Gericht er sich jeweils zu wenden hat? Kennt er die Anforderungen, die dänische Richter und die dänische Rechtsprechung an ein entsprechendes Rechtsmittel stellen?" Eine außerordentlich umfangreiche und gründliche Analyse des Grünbuches hat als Abschluss einer Studie das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg im April 2002 vorgelegt. Die vier Autorinnen (Bieler, Gleß, Parra, Zeitler) nehmen keinen prinzipiellen Anstoß an dem Plan, eine Europäische Staatsanwaltschaft einzuführen, sprechen sich auch für die von der Kommission vorgesehene Unabhängigkeit die-

8 ser Institution aus. Sie beanstanden jedoch mit deutlichen Worten die dieser Behörde zugedachten Befugnisse im Zusammenhang mit Ermittlungsmaßnahmen in den einzelnen Mitgliedstaat. Die Gefahr eines "Forumshopping" mit der damit verbundenen Einschränkung der Rechtschutzmöglichkeiten der Betroffenen wird von den Gutachterinnen ebenso beanstandet, wie der Kommissionsvorschlag, soweit er die Kontrolle der Ermittlungsmaßnahmen der Europäischen Staatsanwaltschaften ausschließlich durch nationale Richter vorsieht. Anhand von anschaulichen Modellbeispielen weist die Studie des MPI weiterhin nach, dass das von ihnen sogenannte "Konzept des freizügigen Beweises" in seinen Auswirkungen weder akzeptabel noch auch nur geeignet sei, die viel beklagten Hindernisse im bisherigen Beweismitteltransfer zu überwinden. Schließlich beanstandet das MPI, dass der Vorschlag der Kommission, wonach der Europäische Staatsanwalt unter Wahrung des in Art. 6 des EU- Vertrages, der EMRK und der Grundrechtscharta gewährleisteten Rechte tätig werden soll, keinen ausreichenden Schutz der Grund- und Verfahrensrechte des Einzelnen sicherstellt. IV. Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins: Der Deutsche Anwaltverein (DAV) ist der Berufsverband der deutschen Rechtsanwälte und repräsentiert die Mehrheit der 113.000 zugelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Deutschland. Er vertritt die Interessen der deutschen Anwaltschaft auf nationaler, Europäischer und internationaler Ebene. Der DAV schließt sich - soweit die Befassung mit der komplexen Thematik in den nicht nachvollziehbar kurzen Fristen möglich war - der Kritik an dem Konzept einer ebenso unabhängigen wie weitgehend unkontrollierten zentral eingerichteten aber dezentral rechtlich gestützten Behörde an. Als völlig unakzeptabel muss das von der Kommission vorgeschlagene System der Freizügigkeit von Beweismitteln unter wechselseitiger Anerkennung und Verwertungsbefugnis abgelehnt werden. Die 18 Fragen des Grünbuches werden im Folgenden skizzenhaft beantwortet: Frage 1: Was halten Sie von der vorgeschlagenen Struktur und Organisation der europäischen Staatsanwaltschaft? Sollten die Abgeordneten Europäischen Staatsanwälte ausschließlich ihr europäisches Mandat wahrnehmen oder kann dieses Mandat mit dem innerstaatlichen Amt kumuliert werden? Zur Rechtstellung und Struktur wird unter Ziff. 4.1.1 der Grundsatz der Unabhängigkeit vorgesehen, wobei darunter offenkundig eine der richterlichen Unabhängigkeit vergleichbare Selbständigkeit und Autonomie "sowohl gegenüber den Prozessparteien im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens als auch

9 gegenüber den Mitgliedsstaaten und Organen, Einrichtungen sowie Ämtern und Agenturen der Gemeinschaften" verstanden werden soll. Der DAV weist darauf hin, dass eine solche Rechtstellung auf das völlig unkontrollierte Wirken einer Strafverfolgungsbehörde hinauslaufen würde. Schon dies wäre mit dem deutschen Verfassungsverständnis nicht vereinbar, so dass es eines Eingehens auf die sonstigen Merkmale und auf die sekundäre Frage nach der Aufgabenverteilung nicht mehr ankommt. Frage 2: Frage 3: Für welche Straftatbestände sollte der Europäische Staatsanwalt zuständig sein? Sind die auf der Ebene der Europäischen Union festgelegten Definitionen der Straftatbestände ergänzungsbedürftig? Schon der Grundansatz des Grünbuches, eine eigene Strafverfolgungsbehörde auf europäischer Ebene zu installieren und ihre Zuständigkeit auf einen Teilbereich der Kriminalitätsverfolgung ("Finanzstaatsanwaltschaft") zu beschränken, begegnet jedenfalls solange durchgreifenden Bedenken, als es an einem harmonisierten oder gar einheitlichen Europäischen Strafrecht fehlt. Auch wenn es zutrifft, dass sich die Mitgliedsstaaten in ihrem Brüsseler Übereinkommen vom 26. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und seiner Zusatzprotokolle im Rahmen des dritten Pfeilers bereits auf einen Richtlinienvorschlag (also: eines Normsetzungsverfahrens des ersten Pfeilers) geeinigt haben, ist doch z. Bsp. das deutsche Strafrecht noch weit davon entfernt, etwa den Betrug als Gefährdungsdelikt und auch als Fahrlässigkeitsdelikt auszugestalten, was im Grünbuch (unter Ziff. 5.2.1.1, letzter Absatz) erwogen wird. Mag es derartiges in anderen Mitgliedsstaaten oder anderen auch prozessualen Rahmenbedingungen bereits geben, so zeigt das Beispiel doch, welche großen Aufgaben der Rechtsvereinheitlichung gerade auf dem Gebiet des Vermögensstrafrecht noch bestehen. Der Schaffung eines einheitlichen Europäischen Strafrechtes könnte und sollte die Gründung einer zentralen, gerichtlich kontrollierten Strafverfolgungsbehörde folgen. Es macht aber wenig Sinn, umgekehrt zu verfahren und einer zentralen Behörde die Verfolgung von Straftaten nach disparaten Voraussetzungen und Regeln zuzuweisen. Sollten parallel zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft gemeinsame ergänzende Regelungen erlassen werden, auf dem Gebiet - der Sanktionen - der strafrechtlichen Verantwortlichkeit - der Verjährung - oder auf anderen Gebieten? Wenn ja, in welchem Umfang?

10 Frage 4: Hier wird verwiesen auf unsere Antwort zu Frage 2: Eine Rechtsvereinheitlichung auf allen der in der Frage genannten Gebieten sollte der Gründung einer zentralen Europäischen Staatsanwaltschaft vorausgehen. Wann und von wem sollte der Europäische Staatsanwalt zwingend befasst werden? Nach dem Vorschlag der Kommission wäre die Frage, wer (d.h. welche nationale Strafverfolgungsbehörde) den Europäischen Staatsanwalt befassen und informieren sollte bzw. müsste, als Sekundärregelungen nach der Einrichtung im Verfahren nach Art. 251 (d.h. in Mitentscheidung mit dem Europäischen Parlament) geregelt werden. Auch hier wird die richtige Reihenfolge vertauscht: Da die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft im Wege der völkerrechtlichen Vereinbarung (Änderung des Amsterdamer Vertrages) im Rahmen des dritten Pfeilers stattfinden soll, soll im Rahmen des ersten Pfeilers das zugehörigen Verfahren geregelt werden, ohne dass bisher aufgrund der europäischen Vertragslage Justiz und damit Strafverfolgung zu den Aufgaben des ersten Pfeilers gehören würde. Der DAV spricht sich dafür aus, die europarechtlichen Voraussetzungen für die Schaffung europäischer justizieller Institutionen (Europäische Staatsanwaltschaft) und Ausweitung der Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofes auf die Kontrolle derselben durch das Europäische Parlament zu schaffen und erst auf dieser demokratisch gesicherten Rechtsgrundlage die zugehörigen Institutionen zu gründen. Frage 6: Frage 7: Wie sollte angesichts der Überlegungen in diesem Grünbuch die Zuständigkeit zwischen dem Europäischen Staatsanwalt und den nationalen Strafverfolgungsbehörden insbesondere in gemischten Fällen aufgeteilt werden? Gerade auch die Aussicht, dass es nach dem Konzept des Grünbuchs gemischte Fälle geben wird (Fälle, in denen die vorgeworfenen Straftaten sowohl die Vermögensinteressen der Gemeinschaft als auch nationale Interessen betreffen), spricht dafür, eine Strafverfolgungsbehörde für Europa erst dann einzurichten, wenn deren Befugnisse und Kontrolle gesetzlich geregelt und von den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaates klar abgrenzbar sind. Reicht die Liste der für den Europäischen Staatsanwalt vorgesehenen Ermittlungsmaßnahmen ihrer Ansicht nach aus, um insbesondere die Zersplitterung des europäischen Rechtsraums in Strafsachen zu überwin-

11 den? Welche Regelungen (anzuwendendes Recht, Kontrolle...) sollte für solche Ermittlungsmaßnahmen getroffen werden? Zum Europäischen Haftbefehl nimmt der Deutsche Anwaltsverein gesondert Stellung. Zu sonstigen Ermittlungsmaßnahmen, die mit Grundrechtseingriffen verbunden sind, muss in jedem Falle sichergestellt werden, dass klare und einheitliche Regeln gelten und durch ein transparentes und leicht zugängliches Rechtsmittelsystem sichergestellt werden. Frage 8: Welche Lösungen sollten getroffen werden, um die Durchführung der vom Europäischen Staatsanwalt veranlassten Ermittlungshandlungen sicherzustellen? Hier gilt das Gleiche, wie bei Frage 7. Frage 9: Frage 10: Unter welchen Bedingungen sollte der Europäische Staatsanwaltschaft eine Entscheidung zur Verfahrenseinstellung treffen oder Anklage erheben? Unter den Bedingungen eines zuvor zuschaffenden einheitlichen Europäischen Strafverfahrensrechts. Anhand welcher Kriterien sollte der Mitgliedsstaat oder sollten die Mitgliedsstaaten für die Anklageerhebung ausgewählt werden? Sollte die Wahl des Gerichtsstandes durch den Europäischen Staatsanwalt kontrolliert werden? Wem sollte diese Kontrolle in diesem Falle übertragen werden? Mit der Frage in welchem Mitgliedsstaat durch den Europäischen Staatsanwalt jeweils Anklage zu erheben sei, d. h. die Hauptverhandlung stattzufinden habe, setzt voraus, dass insoweit dem Europäischen Staatsanwalt ein Ermessensspielraum verbleiben soll (so ausdrücklich unter Ziff. 6.3.1) und lediglich bestimmte Kriterien für die Wahl des Gerichtsstandes vorgegeben werden sollen. Dabei werden drei Modelle erwogen: 1. Weitgehende Alleinverantwortlichkeit des Europäischen Staatsanwaltes auf der Grundlage der gemeinschaftsweiten gegenseitigen Anerkennung und des Grundsatze ne bis in idem.

12 2. Einführung einer richterlichen Kontrolle durch ein nationales Gericht, wobei in erster Linie an das Gericht, zu dem die Anklage erhoben wird, gedacht ist. 3. Einrichtung eines eigenen Gerichtes auf der Gemeinschaftsebene, das wohl nur die Aufgabe haben sollte, nachzuprüfen, "ob die Wahl des Mitgliedstaates für die Anklageerhebung durch den Europäischen Staatsanwalt dem Vorschlag der Kommission entspricht". Während gegen die erste Möglichkeit wiederum die Einwende geltend gemacht werden müssen, die gegen eine allzu große Unabhängigkeit und Unkontrolliertheit des Europäischen Staatsanwalts bestehen (siehe oben) würden die zweite und die dritte Möglichkeit wiederum aus verfassungsrechtlicher Sicht (gesetzlicher Richter) der vorherigen Schaffung einer soliden Legitimationsbasis innerhalb des ersten Pfeilers der Europäischen Gemeinschaften voraussetzen, die derzeit nicht zu erkennen ist. Frage 11: Frage 13: Ist der Grundsatz, nach dem in einem Mitgliedstaat rechtmäßig erhobene Beweise vor den Gerichten der anderen Mitgliedstaaten zugelassen werden sollten, Ihrer Ansicht nach geeignet, in Bezug auf die Europäische Staatsanwaltschaft die Hindernisse aufgrund der unterschiedlichen Regeln der Mitgliedstaaten über die Zulässigkeit von Beweisen zu überwinden? Der Deutsche Anwaltverein warnt hier ebenso wie die Deutschen Strafrechtslehrer dringend vor einer Tendenz zur Entformalisierung des Prozesses der Wahrheitsfindung. Die rechtstaatlich-liberalen Errungenschaften wie Unmittelbarkeits- und Mündlichkeitsprinzip dürfen nicht durch schriftliche Verfahren und Verzicht auf oder Egalisierung der Beweiserhebungsverbote und Verwertungsverbote ersetzt werden, zumal zu befürchten wäre, dass die Angleichung nur auf dem untersten Niveau stattfände. Wem sollte die Kontrolle der Anklageerhebung übertragen werden? Hierzu gilt das Gleiche wie bei Frage 10. Frage 14: Sind Sie der Ansicht, dass die Grundrechte des Einzelnen im Zuge des für den Europäischen Staatsanwalt vorgeschlagenen Verfahrens ausreichend geschützt werden? Wird insbesondere das Recht, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt zu werden, hinreichend garantiert?

13 Bei der Antwort auf dieser Frage ist zu unterscheiden zwischen dem Aspekt des ausreichenden Grundrechtsschutzes auf der Ebene der Gemeinschaft (wobei wohl sinnvoller weise wegen der vorgesehenen wechselseitigen Anerkennung und des der Europäischen Staatsanwaltschaft vom Grünbuch zugedachten Wahlrechts bei der Begründung örtlicher Zuständigkeiten das Land mit dem niedrigsten Grundrechtsschutzesniveau als Maßstab heranzuziehen wäre) und andererseits der Unterfrage, ob das vorhandene bzw. das geplante materielle Verfahrensrecht auf europäischer Ebene genügend Garantien zur Verfügung stellt, um in jedem Falle einen Rechtsweg zur Verfügung zu stellen. Dies wird zum einen von der endgültigen Fassung und der Auslegung der Europäischen Grundrechtscharta, aber auch von den sonstigen auf Gemeinschaftsebene zu schaffenden Verfahrensregeln abhängen. Frage 15: Welche Regeln sind vorzusehen, damit sich die Beziehung zwischen der Europäischen Staatsanwaltschaft und den Akteuren der Zusammenarbeit in Strafsachen im Rahmen der EU reibungslos gestalten? Der Deutsche Anwaltverein empfiehlt, in diesem Zusammenhang nicht nur nach der "Reibungslosigkeit", sondern auch nach Mindeststandards eines liberalen und rechtsstaatlich formalisierten Verfahrens zu fragen. Reibungslosigkeit kann nämlich durchaus auch durch informelle Verfahrensmuster begünstigt werden. Damit kann aber gerade ein Verlust an Rechtsstaatlichkeit verbunden sein - dann nämlich, wenn durch den Verzicht auf "schützende Formen" auch Transparenz und Kontrolle verloren gehen. So ist beispielsweise der Hinweis auf die angeblich guten Erfahrungen, die bisher schon mit Europol, Eurojus und dem Europäischen Justiziellen Netz (EJN) gemacht worden sein sollen, allenfalls ein Beleg dafür, dass das Wegräumen unbequemer Formalismen Verfahren beschleunigen und erleichtern können, ohne dass damit auch bereits etwas über dem Gewinn an Rechtsstaatsverträglichkeit der betreffenden Verfahrensweisen ausgesagt wäre. Frage 16: Was ist, mit Blick auf die von der Kommission vorzunehmende Bewertung der Stellung des OLAF, hinsichtlich der Verknüpfungspunkte zwischen der Europäischen Staatsanwaltschaft und dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) zu beachten? Das Grünbuch macht in den Ausführungen unter Ziff. 7.3.2 nicht hinreichend deutlich, weshalb es der Einrichtung des europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) noch bedürfen soll, sobald die europäische Staatsanwalt-

14 schaft die ihr im Grünbuch zugedachten Befugnissen und Aufgaben wahrnehmen kann. Bisher hat OLAF eine Doppelfunktion: einerseits als Gremium zur Leistung von Rechtssetzungsvorarbeiten, andererseits unabhängige Untersuchungseinrichtung. Das Grünbuch erinnert daran, dass ohnehin geplant sei, OLAF zu reformieren und empfiehlt, die Präzisierung des Verhältnisses zum Europäischen Staatsanwalt bis dahin zurückzustellen. Eine Leitungs- oder Kontrollfunktion des Staatsanwaltschaft gegenüber OLAF sieht das Grünbuch ebenso wenig vor wie eine Bestimmung des künftigen Verhältnisses der Ermittlungsfunktionen. Sollte geplant sein, OLAF mit operativen Polizeiaufgaben zu versehen, müsste die Rolle der Staatsanwaltschaften (einschließlich gfls. der Europäischen Staatsanwaltschaft) klar bestimmt werden. Frage 17: Wie sollten sich die Beziehungen des Europäischen Staatsanwalts zu Drittländern, insbesondere den Beitrittsländern, mit Blick auf eine bessere Bekämpfung von Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaft gestalten? Hier gilt dasselbe wie zur Frage 16. Frage 18: Welche Rechtsmittel/Rechtsbehelfe sollten gegen Handlungen zulässig sein, die der Europäische Staatsanwalt in Ausübung seines Amtes vornimmt und die unter seiner Leitung durchgeführt werden? Bei der in Grünbuch abschließend unter Ziff. 8.2 noch einmal (vgl. o. zur Frage der Kontrolle zu Frage 7) aufgeworfenen Frage nach den Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen gegen die justiziellen Akte im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft fällt auf, dass sich die Kommission ausdrücklich auf den Regelungsbereich des Vorverfahrens beschränken will, andererseits aber durchaus auch interessante Überlegungen zu einer möglichen Harmonisierung des Rechtsmittelsystems gegen Entscheidungen im Hauptverfahren anstellt. So wird erwogen, die Mitgliedsstaaten zu verpflichten, die Möglichkeit einer Berufung gegen jedes erstinstanzliche Urteil vorzusehen oder wenigstens gemeinschaftsweit eine Verschlechterungsverbot für die Fälle der Berufung des Verurteilten vorzuschreiben. Es ist enttäuschend, dass solche im Sinne eines rechtsstaatlichen Verständnisses positiven Ansätze dann jedoch sofort wieder verlassen werden unter Hinweis darauf, dass eine solche Harmonisierung des Rechtsmittelsystems "für das reibungslose Funktionieren der Europäischen Staatsanwaltschaft... nicht unbedingt erforderlich" sei.

15 Für Rückfragen steht Ihnen gerne zur Verfügung: Deutscher Anwaltverein (DAV) Rechtsanwältin Tanja Albert Littenstraße 11, D-10179 Berlin Tel. 030 / 72 61 52-122 (direkt) Fax: 030 / 72 61 52-196 (Fax direkt) albert@anwaltverein.de Deutscher Anwaltverein, Büro Brüssel Rechtsanwalt Thomas Zerdick, LL.M. 1, Avenue de la Joyeuse Entrée / Blijde Inkomstlaan 1 B-1040 Bruxelles / Brussel Tel.: 0032-2-280.28.12 Fax: 0032-2-280 28 13 bruessel@anwaltverein.de