Versuch & Rücktritt (II)

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Versuch & Rücktritt (II) Fall 6: Die Passauer Giftfalle, vgl. BGHSt 43, 177 (=NStZ 98, 243) Tipp: klausur- & examensrelevante Entscheidung!!! Unbekannte waren in das Einfamilienhaus des T eingedrungen, hatten sich in der im Erdgeschoß gelegenen Küche warme Speisen zubereitet und auch dort vorhandene Flaschen mit verschiedenen Getränken ausgetrunken. Weiter waren Geräte der Unterhaltungselektronik in das Dachgeschoß des Hauses verbracht worden. Die von T verständigte Polizei ging deshalb davon aus, die Täter könnten an den folgenden Tagen noch einmal zurückkehren, um die zum Abtransport bereitgestellte Diebesbeute abzuholen. In der folgenden Nacht hielten sich deshalb vier Polizeibeamte in dem Haus auf, um dort mögliche Einbrecher ergreifen zu können. Zugleich hatte sich T, ein Apotheker, schon am Nachmittag aus Verärgerung über den vorangegangenen Einbruch dazu entschlossen, im Flur des Erdgeschosses eine handelsübliche Steingutflasche mit der Aufschrift Echter Hiekes Bayerwaldbärwurz aufzustellen, die er mit 178 ml eines hochgiftigen Stoffes und 66 ml Wasser füllte und wieder verschloss. Im Wissen darum, daß bereits der Konsum geringster Mengen der genannten Mischung rasch zum Tode führen könne, nahm T es beim Aufstellen dieser Flasche jedenfalls in Kauf, dass möglicherweise erneut Einbrecher im Haus erscheinen, aus der Flasche trinken und tödliche Vergiftungen erleiden könnten. Später kamen dem Angekl. Bedenken, da er die observierenden Polizeibeamten nicht eingeweiht hatte und er nunmehr erkannte, daß auch ihnen von der Giftflasche Gefahr drohte. Er wies die Beamten, die die Flasche nicht angerührt hatten, auf deren giftigen Inhalt hin. Letztlich sind die Einbrecher aber nicht erneut wieder gekehrt. Hat sich T wegen versuchten Totschlags gem. 212, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht? Fall 7 (alter Fall 24 d. AG Strafrecht I WS 2008 mit Fortführung) T und O sind ein Ehepaar und seit langem in höchstem Maß zerstritten. Als O eines Tages abends von der Arbeit nach Hause kommt, betritt der das Schlafzimmer und wird direkt mit einer Schrottflinte von der T erschossen, die beschlossen hat ein neues Leben ohne den O zu beginnen. Doch was die T nicht wusste ist, dass auch O sie töten wollte, und in dem Moment, als er das Zimmer betrat, gerade seinerseits ein Messer mit dem Plan bei sich trug, die T im nächsten Moment zu erstechen. Strafbarkeit der T? Fall 8 T will seinem Rivalen R an den Kragen. Deshalb schleicht er sich nachts zu dessen Haus, um den R mit einem Kleinkalibergewehr im Schlaf zu erschießen. T geht davon aus, dass R in seinem Bett liegt und schläft. In Wirklichkeit ist R auf einer Party und amüsiert sich. T hatte die unordentlich aufeinander liegenden Bettdecken angesichts der schlechten nächtlichen Lichtverhältnisse, für die Umrisse des Körpers des schlafenden R gehalten. T gibt durch das Fenster 5 Schüsse ab und verlässt den Tatort im Glauben sein Ziel erreicht zu haben. Strafbarkeit des T? 1

Fall 9 Der Jurastudent N ist Zeuge eines Kaufhausdiebstahls. Den Dieb D, der einige DVDs hat mitgehen lassen, kennt N noch aus Schulzeiten. Beide konnten sich noch nie leiden. D wird samt den entwendeten DVDs vom Kaufhausdetektiv K beim Verlassen des Kaufhauses festgenommen. Bei der polizeilichen Vernehmung beschwört N mehrmals bewusst wahrheitswidrig, dass er gesehen habe, dass der D bei der Tat ein Messer mit sich geführt habe. Dieses habe er, so die bewusst unwahre Behauptung des N, kurz vor der Festnahme einem unbekannten Komplizen übergeben. N geht zwar davon aus, dass er sich wegen Meineides strafbar gemacht hat, aber das ist ihm die Sache wert. Hat sich N gem. 154 StGB strafbar gemacht? Fall 10 T will den O töten, weil dieser die F, die Freundin des T, begrapscht hat. Als er sich von hinten an den O angeschlichen hat, um diesen mit einem Hammer zu erschlagen und bereits zum Schlag auf den Schädel ausgeholt hat, überkommen den T Bedenken. Falls er sich am O rächt, befürchtet er, dass er die F im Zeitraum seines anschließenden mehrjährigen Gefängnisaufenthaltes überhaupt nicht mehr beschützen könne. Daher packt T den Hammer wieder ein und schleicht sich von dannen. Strafbarkeit des T? Fall 11 T will immer noch seinen Rivalen R beseitigen. Deshalb lauert T, bewaffnet mit Gewehr und Jagdmesser, dem R bei seiner abendlichen Jogging-Runde im Stadtpark auf. T versteckt sich unter einem Busch und gibt aus einer Distanz von 50 Metern zwei Schüsse auf den sich nährenden R ab. Der erste Schuss verfehlt den R, während der zweite ihn an der Schulter trifft. Die Wucht der Kugel wirft den R um, der zunächst regungslos am Boden liegen bleibt. T meint, R sei tot. Als sich T jedoch dem R nähert muss er feststellen, dass der blutende und bewusstlos am Boden liegende R noch atmet. Plötzlich bekommt T Mitleid und beschließt, dass der R für heute seine Lektion gelernt habe. R wird wenig später vom Spaziergänger S gefunden, der den Krankenwagen herbeiruft, so dass R im letzten Moment vor dem sicheren Verbluteten gerettet werden kann. T ging irrtümlich davon aus, dass R nicht lebensgefährlich verletzt worden sei und sich aus eigener Kraft helfen könne. Strafbarkeit des T gem. 211, 212? Fall 12 (Achtung: schwierig) T überfällt seinen Rivalen R diesmal bei dessen wöchentlichen Sonntagsspaziergang im Wald. Mit seinem Jagdmesser sticht er dem ahnungslosen R von hinten in den Rücken. Dieser wird, wie T erkennt, lebensgefährlich verletzt. Befriedigt verlässt T den Tatort und lässt den R auf dem Spazierpfad liegen. Auf dem Rückweg trifft T zufällig seine Freundin F. Als T ihr mit stolz geschwellter Brust von der Tat berichtet, ist die F entsetzt und macht dem T heftige Vorwürfe. Um nicht schon wieder einen Streit mit F zu riskieren und um mit ihr noch einen entspannten Abend verbringen zu können, gibt T dem Drängen der F nach und ruft von einer Telefonzelle aus (anonym) den Notarzt an. Dabei erklärt T detailliert und präzise den Fundort und den Zustand des R. Als der Notarzt am Tatort eintrifft, ist R aber bereits außer Lebensgefahr. Der Chirurg C, der gerade einen Radausflug unternahm, hatte den R wenige Minuten nach der Tat zufällig gefunden. Aufgrund seiner medizinischen Qualifikation konnte C die lebensbedrohenden Blutungen des R vorläufig stillen. Ohne das Eingreifen des C wäre der R sicher verblutet. Strafbarkeit des T gem. 211, 212? 2

Fall 6 Passauer Giftfalle - Lösung A. Strafbarkeit des T I. T könnte sich wegen versuchten Totschlages gem. 212, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er in die Schnapsflasche Gift füllte und dieses in der Erwartung bereit stellte, dass die Einbrecher dies bei ihrer Rückkehr trinken würden. 1. Vorprüfung a. Nichtvollendung Diese ist hier evident. b. Versuchsstrafbarkeit gem. 212, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB 2. Tatbestandsmäßigkeit a. Tatentschluss T hat zumindest billigend in Kauf genommen, dass die Einbrecher, wenn sie wiederkehren, aus der vergifteten Flasche trinken (Hier: Tatentschluss auf bewusst unsicherer Tatsachengrundlage, nämlich dem Erscheinen der Einbrecher und dem Trinken aus der vergifteten Flasche). b. Unmittelbares Ansetzen Definition: Der Täter setzt isd 22 StGB unmittelbar an, wenn er subjektiv die Schwelle zum Jetzt-geht-es-los überschritten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung angesetzt hat. Ausreichend sind auch Handlungen, die selbst nicht tatbestandsmäßig sind, aber nach der Vorstellung des Täters so eng mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung verknüpft sind, dass sie unmittelbar, d.h. ohne räumlich-zeitliche Zäsur, in deren Verwirklichung einmünden. 1 Hier liegt die eigentliche Problematik des Falles, die eine intensive Erörterung mit dem unmittelbaren Ansetzen erforderlich macht. Problem 1: Das Opfer soll nach den Vorstellungen des Täters die letztlich schädigende Handlung selbst vornehmen (Opfer = sog. Tatmittler). Die Parallele dieses Falles zur mittelbaren Täterschaft wird im weiteren Verlauf der AG erörtert werden. Problem 2: Der Täter hat aus seiner Sicht bereits alle notwendigen Beiträge zur Tatbestandsverwirklichung geleistet. Ist dies ausreichend, um das unmittelbare Ansetzen gem. 22 StGB zu bejahen? 1 Vgl. Kühl AT 15 Rn. 38 ff.; Wessels/Beulke AT Rn. 599 ff. 3

Aus den Entscheidungsgründen BGH, NStZ 98, 241, 242: Die für Fälle mittelbarer Täterschaft entwickelten Grundsätze gelten auch, wenn - wie hier - dem Opfer eine Falle gestellt wird, in die es erst durch eigenes Zutun geraten soll..auch hier liegt ein Versuch erst vor, wenn nach dem Tatplan eine konkrete, unmittelbare Gefährdung des geschützten Rechtsguts eintritt. Zwar setzt der Täter bereits zur Tat an, wenn er seine Falle aufstellt, doch wirkt dieser Angriff auf das geschützte Rechtsgut erst dann unmittelbar, wenn sich das Opfer in den Wirkungskreis des vorbereiteten Tatmittels begibt. Ob das der Fall ist, richtet sich nach dem Tatplan. Steht für den Täter fest, das Opfer werde erscheinen und sein für den Taterfolg eingeplantes Verhalten bewirken, so liegt eine unmittelbare Gefährdung (nach dem Tatplan) bereits mit Abschluss der Tathandlung vor..hält der Täter - wie hier - ein Erscheinen des Opfers im Wirkungskreis des Tatmittels hingegen für lediglich möglich, aber noch ungewiss oder gar für wenig wahrscheinlich (etwa beim Wegwerfen einer mit Gift gefüllten Schnapsflasche im Wald), so tritt eine unmittelbare Rechtsgutgefährdung nach dem Tatplan erst dann ein, wenn das Opfer tatsächlich erscheint, dabei Anstalten trifft, die erwartete selbstschädigende Handlung vorzunehmen und sich deshalb die Gefahr für das Opfer verdichtet. Zwar ist - wie die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs zeigt - eine objektive Gefährdung nicht erforderlich, doch muss danach gefragt werden, wann sich die Tathandlung nach dem Tatplan dem gefährdeten Rechtsgut ausreichend nähert, um die Strafbarkeit des Täters zu begründen. Bezieht der Täter ein selbstschädigendes Opferverhalten in seinen Tatplan ein und gibt er damit das Gelingen seines Plans teilweise aus der Hand, so spricht rechtlich nichts dagegen, auf dieses Opferverhalten für die Frage der Unmittelbarkeit des Angriffs abzustellen. Diese Zurechnung des Opferverhaltens hat ihren rechtlichen Grund vielmehr in der bereits dargelegten Nähe solcher Selbstschädigungsfälle zu Fällen mittelbarer Täterschaft und der dabei gebotenen Zurechnung des Tatmittlerverhaltens über 25 I StGB. 4

Also: Selbst dann, wenn der Täter glaubt alles zur Erfolgsverwirklichung notwendige getan zu haben, liegt zwangsläufig noch kein unmittelbares Ansetzen gem. 22 StGB vor. T hat zwar angesetzt es fehlt aber an der Unmittelbarkeit. 3. Ergebnis T hat sich nicht wegen versuchten Totschlags gem. 212, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem er Gift in eine Schnapsflasche füllte und dieses in der Erwartung bereit stellte, dass die Einbrecher dies bei ihrer Rückkehr trinken würden. Empfehlung zur Nacharbeit: Roxin AT II 29 Rn. 212; Anmerkung Otto, NStZ 98, 243; Kühl AT 15 Rn. 85a ff. 5

Fall 7 (alter Fall 24 aus AG I WS 08) - Lösung A. Strafbarkeit der T I. T könnte sich wegen Mord gem. 211, 212 StGB strafbar gemacht haben, indem sie den O mit einer Schrottflinte erschoss. 1. Grundtatbestand a. Erfolg: O ist tot. b. Handlung (+) c. Kausalität und objektive Zurechnung (+) d. Vorsatz (+) Der T kam es gerade auf den Tod des O als (notwendiges Zwischenziel) an, um ein neues Leben ohne den O zu beginnen. 2. Mordqualifikation a. Heimtückemord (objektives Mordmerkmal der 2. Gruppe) Heimtückisch handelt der Täter, wenn er bewusst die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers in feindlicher Willensrichtung zur Tötung des Opfers ausnutzt (Wessels/Hettinger BT- 1 Rn. 107). Andere verlangen zusätzlich das Vorliegen eines verwerflichen Vertrauensbruchs str. Arglos ist, wer sich im Zeitpunkt der Tat keines tätlichen Angriffs auf seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben versieht, wofür Voraussetzung die Fähigkeit zum Argwohn ist (Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 110). Zum Zeitpunkt des Angriffsbeginns versah sich der O keines Angriffs auf sein Leben und war folglich arglos. Dass er selbst beabsichtigte, die T anzugreifen, ändert an seiner Arglosigkeit nichts! Wehrlos ist, wer infolge seiner Arglosigkeit zur Verteidigung außer Stande oder in seiner Verteidigung stark eingeschränkt ist (Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 112). Hierauf beruhte auch die Minderung seiner Verteidigungsmöglichkeiten und somit war auch wehrlos. Dass O seinerseits ein Messer bei sich führte, ändert nichts an der Feststellung der Wehrlosigkeit im vorgenannten Sinn. Maßgeblich bleibt hier die auf der Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit in Form der Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten (Überraschungsmoment). b. Vorsatz Die T handelte in Kenntnis aller Tatumstände, die das Merkmal der Heimtücke begründen und somit vorsätzlich. 3.Rechtswidrigkeit Das Verhalten der T könnte jedoch durch Notwehr gem. 32 StGB gerechtfertigt sein. 6

aa. Notwehrlage (1)Angriff Angriff ist jede drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen (des Verteidigers oder eines anderen) durch menschliches Verhalten. O hatte bereits seinerseits zur Ermordung der T unmittelbar isd 22 StGB angesetzt, mithin liegt ein Angriff auf das (höchste Rechtsgut) Leben der T vor. (2)Gegenwärtigkeit Gegenwärtig ist ein Angriff, wenn er unmittelbar bevorsteht, begonnen hat oder noch fortdauert. Der Angriff war gegenwärtig, denn O hatte bereits unmittelbar zur Ermordung der T isd 22 StGB angesetzt und damit das Versuchsstadium erreicht. (3)Rechtswidrigkeit Der Angriff müsste rechtswidrig sein. Rechtswidrig ist derjenige Angriff, der im Widerspruch zur Rechtsordnung steht bzw. den der Betroffene nicht zu dulden braucht. Der Angriff des O war auch rechtswidrig. O kann sich seinerseits nicht auf die Notwehr gem. 32 StGB berufen. Zwar bestand eine Notwehrlage (rechtswidriger, gegenwärtiger Angriff durch die T), doch er handelte ohne den erforderlichen Verteidigungswillen, da ihm nicht bewusst war, dass eine Notwehrlage zu seinen Gunsten bestand. bb. Notwehrhandlung (1)Erforderlichkeit Eine Notwehrlage ist mithin gegeben. Erforderlich ist diejenige Verteidigungshandlung, die sich gegen den Angreifer richtet und objektiv geeignet ist, den Angriff endgültig zu beenden (= optimal) oder seine Durchführung zumindest zu erschweren (= nicht optimal). Die T hätte dem O auch drohen können bzw. einen Warnschuss abgegeben können. Angesichts des Umstandes, dass O aber seinerseits mit einer Schusswaffe bewaffnet war, wäre dieses Vorgehen für die T aber zu risikoreich gewesen. Die Verteidigungshandlung der T, das direkte Erschießen des O, war somit erforderlich. cc. Subjektives Rechtfertigungselement Hieran fehlt es der T, denn sie war sich über das Vorhaben des O, sie zu ermorden nicht bewusst (Nach einer Ansicht fehlt es bereits an einer Verteidigung isd. 32 StGB). Vielmehr wurde hier Vorhaben allein von dem Motiv bestimmt den O los zu werden und ohne ihn ein neues Leben anzufangen. 7

Es ist umstritten, wie die Konstellation des fehlenden subjektiven Rechtfertigungselements (also: objektiv gerechtfertigtes aber subjektiv rechtswidriges Verhalten) zu behandeln ist: 2 Vollendungslösung Ein Teil der Literatur geht davon aus, dass angesichts des Ausschlusses der Notwehrein normales vollendetes Begehungsdelikt, sprich ein vollendeter Mord gem. 211, 212 StGB vorliegt. Argument: Ein Rechtfertigungsgrund erzeugt nur dann Wirkung, wenn er voll verwirklicht wurde. Versuchslösung (hm) Liegt nur ein Handlungsunrecht des Täters vor und wird der eingetretene Erfolg (= Erfolgsunrecht) gleichzeitig von der Rechtsordnung gebilligt, so ist ein typischer Fall des Versuchs gegeben (aus Rechtsgründen ein untauglicher Versuch). M.a.W. hat der Täter objektiv kein Unrecht verwirklicht, sondern (subjektiv) versucht ein Unrecht zu begehen. Daher ist der Täter wegen Versuchs zu bestrafen. 1. Endergebnis Die besseren Gründe sprechen hier für die Versuchslösung. Damit steht fest, dass T im Ergebnis nicht wegen vollendeten, sondern wegen versuchten Mord gem. 211, 212, 22, 23 StGB zu bestrafen ist. 2 mwn: Wessels/Beulke AT Rn. 278 f; Kühl, AT 6 Rn. 14 ff. 8

II. T könnte sich wegen versuchten Mordes gem. 211, 212, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem sie den O erschoss. 1. Vorprüfung a. Nichtvollendung Zwar hat die T den O vorsätzlich und zurechenbar getötet, doch hier ist nach hm ein untauglicher Versuch aus Rechtsgründen anzunehmen (s.o.), der zur Versuchsstrafbarkeit führt ( Versuchslösung ). b. Versuchsstrafbarkeit 2. Tatbestandsmäßigkeit a. Tatentschluss T hatte die Absicht den O zu erschießen. Hierbei stellte sie sich unter Verkennung der wahren Sachlage vor, dass der O sich eines Angriffs auf seine körperliche Integrität nicht versah, mit anderen Worten, dass er arg-, und hierauf beruhend auch wehrlos, war. T hatte Tatentschluss zur Begehung eines Heimtückemords. b. Unmittelbares Ansetzen gem. 22 StGB Definition: Der Täter setzt isd 22 StGB unmittelbar an, wenn er subjektiv die Schwelle zum Jetzt-geht-es-los überschritten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung angesetzt hat. Ausreichend sind auch Handlungen, die selbst nicht tatbestandsmäßig sind, aber nach der Vorstellung des Täters so eng mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung verknüpft sind, dass sie unmittelbar, d.h. ohne räumlich-zeitliche Zäsur, in deren Verwirklichung einmünden. 3 Das unmittelbare Ansetzen ist unproblematisch zu bejahen, denn die T hat bereits alles zur Tatbestandserfüllung notwendige getan (und den Erfolgseintritt bereits herbeigeführt). 3. Rechtswidrigkeit 4. Schuld 5. Ergebnis T hat sich wegen versuchten Mordes gem. 212, 211, 22, 23 Abs. 1, 22, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. 3 Vgl. Kühl AT 15 Rn. 38 ff.; Wessels/Beulke AT Rn. 599 ff. 9

Fall 8 Lösung: A. Strafbarkeit des T I. T könnte sich wegen versuchten Heimtückemords gem. 211, 212, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er (vermeintlich) auf den R schoss. 1. Vorprüfung a. Versuchsstrafbarkeit (+) Sie folgt aus 211, 212, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB. Problem: Ist der untaugliche Versuch strafbar? Antwort: Ja, Umkehrschluss aus 23 Abs. 3 StGB (vgl. Ausführungen zum untauglichen Versuch). Man kann den untauglichen Versuch auch im Tatentschluss kurz problematisieren! b. Nichtvollendung (+) 2. Tatbestand a. Tatentschluss (+) aa. T hatte Vorsatz hinsichtlich der Tötung des R. bb. Heimtückemord Heimtückisch handelt, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnützt (Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 107). Andere verlangen zusätzlich das Vorliegen eines verwerflichen Vertrauensbruchs str. Arglos ist, wer sich im Zeitpunkt der Tat keines tätlichen Angriffs auf seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben versieht, wofür Voraussetzung die Fähigkeit zum Argwohn ist (Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 110). Problem: Arglosigkeit von Schlafenden. Diese nehmen nach hm ihre Arglosigkeit mit in den Schlaf, anders jedoch bei Bewusstlosen (vgl. Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 120). Wehrlos ist, wer infolge seiner Arglosigkeit zur Verteidigung außer Stande oder in seiner Verteidigung stark eingeschränkt ist (Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 112). T hatte Tatentschluss hinsichtlich der Verwirklichung eines Heimtückemords. (Nach a.a. scheidet hier der Heimtückemord aus, weil es an einem verwerflichen Vertrauensbruch fehle). Niedrige Beweggründe (-) 10

b. Unmittelbares Ansetzen (+) Definition: Der Täter setzt isd 22 StGB unmittelbar an, wenn er subjektiv die Schwelle zum Jetzt-geht-es-los überschritten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung angesetzt hat. Ausreichend sind auch Handlungen, die selbst nicht tatbestandsmäßig sind, aber nach der Vorstellung des Täters so eng mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung verknüpft sind, dass sie unmittelbar, d.h. ohne räumlich-zeitliche Zäsur, in deren Verwirklichung einmünden. 4 Hier: Liegt das unmittelbare Ansetzen unzweifelhaft vor. 3. Rechtswidrigkeit (+) 4. Schuld (+) 5. Strafaufhebungsgrund: Rücktritt gem. 24 Abs. 1 StGB (-) 6. Ergebnis: T ist wegen versuchten Mordes gem. 211, 212, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs.1 StGB strafbar. 4 Vgl. Kühl AT 15 Rn. 38 ff.; Wessels/Beulke AT, Rn. 599 ff. 11

Der untaugliche Versuch Als untauglich wird ein Versuch bezeichnet, wenn die Ausführung des Tatentschlusses entgegen der Vorstellung des Täters aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen überhaupt nicht (d.h. unter keinen Umständen) zu deren vollständiger Verwirklichung führen kann. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs folgt aus 23 Abs. 3 StGB (= grob unverständige Versuch). Die Untauglichkeit des Versuchs kann sich ergeben aus: dem Tatobjekt ( Art des Gegenstandes ) Beispiel: T schießt auf eine Leiche in der Annahme es handele sich um seinen (lebenden) Rivalen R. dem Tatmittel ( Art des Mittels ) Beispiel: Versuch einer Abtreibung mit Kamillentee. dem Subjekt (sehr str.!) Umstritten ist die Abgrenzung Wahndelikt/untauglicher Versuch (Eingehend: Kühl AT 15 Rn. 86 ff.). Prüfungsstandort: In der Klausur kann der untaugliche Versuch im Tatentschluss oder nach dem unmittelbaren Ansetzen ( 22 StGB) angesprochen werden, mit der Feststellung, dass dieser strafbar ist. 12

Fall 9- Lösung A. Strafbarkeit des N I. N könnte sich wegen Meineides gem. 154 StGB strafbar gemacht haben, indem er bei seiner polizeilichen Vernehmung wahrheitswidrig erklärte, dass der D beim Diebstahl ein Messer bei sich geführt habe und er dies beschwörte. I. Tatbestand 1. Die Polizei müsste eine zur Abnahme eines Eides zuständige Stelle sein. 161a StPO: Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft (1) Zeugen und Sachverständige sind verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen oder ihr Gutachten zu erstatten. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften des sechsten und siebenten Abschnitts des ersten Buches über Zeugen und Sachverständige entsprechend. Die eidliche Vernehmung bleibt dem Richter vorbehalten. Die Polizei ist also zur Abnahme von Eiden nicht befugt, wie aus 161a StPO folgt. 2. Außerdem ist das formlose Beschwören auch kein Eid i.s.d. Norm, da dieser gewisse Förmlichkeiten erfordert (vgl. Fischer, StGB 154 Rn. 4). 3. Ergebnis: Der objektive Tatbestand ist nicht erfüllt und N ist nicht wegen vollendeten Meineides gem. 154 StGB strafbar. 13

II. N könnte sich aber wegen versuchten Meineides gem. 154, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er bei seiner polizeilichen Vernehmung wahrheitswidrig erklärte, dass der D beim Diebstahl ein Messer bei sich geführt habe. 1. Vorprüfung a. Nichtvollendung der Tat s.o. b. Strafbarkeit des Versuchs: 154 StGB ist Verbrechen 23 Abs. 1, 12 Abs. 1. 2. Tatbestand a. Tatentschluss N müsste Tatentschluss hinsichtlich des falschen Schwörens vor einer zur Eidesabnahme zuständigen Stelle gehabt haben. Dies ist deshalb ein Problem, weil H irrig davon ausging, dass sie sich wegen Meineides strafbar macht und damit die Polizei eine zuständige Stelle ist. Zur Abgrenzung des strafbaren untauglichen Versuchs vom straflosen Wahndelikt Beim untauglichen Versuch = ein Tatsachenirrtum. Hier stellt sich der Täter eine Sachlage vor, bei deren wirklichem Vorliegen sein Handeln den gesetzlichen Tatbestand erfüllen würde (daher auch umgekehrter Tatbestandsirrtum). Das Wahndelikt = Rechtsirrtum. Hier nimmt der Täter irrig an, sein in tatsächlicher Hinsicht richtig erkanntes Verhalten unterfalle einer Verbotsnorm, die nur in seiner Einbildung existiert oder die er infolge falscher Auslegung zu seinen Ungunsten überdehnt (= umgekehrter Verbots-, Subsumtions- oder Strafbarkeitsirrtum). Aber auch: Der Täter geht davon aus, dass sein objektiv gerechtfertigtes Verhalten rechtswidrig ist, weil er sich zu seinen Ungunsten über den Umfang eines Rechtfertigungsgrundes irrt. Merke Prüfungsstandort: Beim Wahndelikt fehlt es daher an einem strafrechtlich relevanten Tatentschluss. Hier: N kannte alle relevanten Tatsachen, d.h. er irrte nicht über die tatsächlichen Umstände (er wusste er ist bei der Polizei), sondern er bewertete das zutreffend erkannte Verhalten in rechtlicher Hinsicht (fehlerhaft) als strafbar, Damit überdehnt er den strafbaren Bereich von 154 StGB zu seinen Ungunsten und mithin liegt ein umgekehrter Subsumtionsirrtum vor. Dieser Irrtum stellt aber ein strafloses Wahndelikt dar und keinen untauglichen Versuch. 3.Ergebnis: Mangels relevanten Tatentschluss hat sich N nicht wegen versuchten Meineides gem. 154, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. 14

Das Wahndelikt Die Figur des Wahndelikts beschreibt einen Fall des Rechtsirrtums. Der Täter hält sein objektiv zutreffend erfasstes Handeln irrig für strafbar, weil: Er (zu seinen eigenen Ungunsten) von einer nicht existierenden Strafnorm ausgeht (Strafbarkeitsirrtum). Beispiel: T meint, Ehebruch oder homosexuelle Betätigungen seien strafbar. Er (zu seinen eigenen Ungunsten) eine Norm falsch auslegt (umgekehrter Subsumtionsirrtum) oder Er (zu seinen eigenen Ungunsten) über die Reichweite des Rechtfertigungsgrundes der Nothilfe irrt (= umgekehrter Erlaubnisirrtum). Beispiel: T schlägt den Dieb D nieder, der gerade das Auto der U stehlen will. T glaubt, dass Notwehr nie zugunsten Dritter möglich ist oder T glaubt, dass man für die Rettung von Sachwerten nie in die körperliche Integrität des Täters eingreifen darf. Merke: Ein Wahndelikt führt nie zur Strafbarkeit!!!! Zu weiteren Beispielsfälle siehe Wessels/Beulke AT Rn.621-623; eingehend: Kühl AT 15, Rn. 96 ff. 15

Fall 10 - Lösung A. Strafbarkeit des T I. T könnte sich wegen versuchten Mordes gem. 211, 212, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er den O mit einem Hammer erschlagen wollte und bereits zum Schlag ausgeholt hatte. 1. Vorprüfung a. Nichtvollendung (+) b. Versuchsstrafbarkeit (+) 2. Tatbestand a. Tatentschluss (+) b. Unmittelbares Ansetzen (+) 3 Rechtswidrigkeit (+) 4. Schuld (+) 5. Persönlicher Strafaufhebungsgrund des Rücktritts gem. 24 Abs. 1 S. 1 StGB a. Kein fehlgeschlagener Versuch (-) Definition: Ein fehlgeschlagener Versuch liegt vor, wenn der Täter erkennt, dass er mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln den tatbestandlichen Erfolg entweder gar nicht mehr oder zumindest nicht ohne zeitlich relevante Zäsur herbeiführen kann. Sowohl die Gesamtbetrachtungslehre als auch die Einzelaktstheorie kommen hier zu demselben Ergebnis. Eine Streitentscheidung ist daher überflüssig. b. Unbeendeter Versuch Definition: Ein unbeendeter Versuch gem. 24 Abs. 1, S. 1, 1. Alt. StGB liegt vor, wenn der Täter glaubt noch nicht alles zur Tatbestandserfüllung notwendige getan zu haben. Hier hat der T zwar zum Schlag ausgeholt aber den O noch nicht verletzt. Deshalb liegt hier ein unbeendeter Versuch vor. c. Aufgabe der Tat (=Rücktrittshandlung) Beim unbeendeten Versuch genügt die bloße Aufgabe der weiteren Tatausführung (= Nichtstun ). d. Freiwilligkeit Nach hm (empirisch-psychologischer Ansatz) ist der Rücktritt freiwillig, wenn er aufgrund autonomer (selbstgesetzter) Motiven erfolgt, also der Täter noch als Herr seiner Entschlüsse angesehen werden kann. 6. Ergebnis: T ist nicht wegen versuchten Mordes gem. 212, 211, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar, da er mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist. 16

Zum Rücktritt gem. 24 Abs. 1 StGB (Teil 1) A. Was ist der Rücktritt gem. 24? Er ist ein persönlicher Strafaufhebungsgrund, d.h. die bereits eingetretene Versuchsstrafbarkeit entfällt! Die Tat bleibt aber rechtswidrig und schuldhaft. Daher erst nach der Schuld prüfen!!! Nach einer Mindermeinung ist 24 StGB demgegnüber Entschuldigungsgrund. Achtung: Diese Strafaufhebung bezieht sich nur auf die konkrete versuchte Tat, von der der Täter zurück getreten ist. Die Strafbarkeit wegen bereits vollendeter Delikte bleibt bestehen! Ein Rücktritt führt deshalb nicht immer zur vollständigen Straflosigkeit des Täters. B. Aus welchen Gründen gewährt das Gesetz dem zurücktretenden Täter Straffreiheit? Hierüber gibt es verschiedene Ansichten: I. Nach einer Auffassung will das Gesetz dem Täter eine goldene Brücke zum Rückzug in die Legalität bauen (sog. kriminalpolitische Theorie). Straffreiheit als Anreiz. II. III. Eine anderer Auffassung betont, dass der Täter sich durch den Rücktritt die Strafbefreiung verdient habe (sog. Verdienstlichkeitstheorie). Straffreiheit als Belohnung. Häufig wird die Straffreiheit des Rücktritts auf den materiellen Strafgrund des Versuchs gestützt (sog. Strafzwecktheorie). Dieser habe sich erledigt, wenn der Täter zurücktrete, denn es fehle dann sowohl unter spezial- als auch unter generalpräventiven Gesichtspunkten das Strafbedürfnis des Versuchs (vgl. die sog. Eindruckstheorie). Der Täter beseitige durch den Rücktritt die rechtserschütternde Wirkung des Versuchs. Straffreiheit weil Strafzweck sich erledigt hat. Ausführlich hierzu Roxin AT II 30 Rn. 1 ff.; Joecks 24 Rn. 1 ff. und Wessels/Beulke AT Rn. 625 ff. 17

Der Rücktritt vom unbeendeten Versuch gem. 24 Abs. 1, S. 1, 1. Alt. StGB Voraussetzungen: kein fehlgeschlagener Versuch Unbeendeter Versuch Aufgabe der Tat (Anforderungen an endgültige Aufgabe Freiwilligkeit Der Rücktritt vom beendeten Versuch gem. 24 Abs. 1, S. 1, 2. Alt. StGB Voraussetzungen: kein fehlgeschlagener Versuch beendeter Versuch kausale (Conditio-sine-qua-non) Verhinderung des Erfolgseintritts!!! Freiwilligkeit 18