5. Komplexbildungsgleichgewichte, Chelateffekt und Stabilität von Metallkomplexen
5.1 Komplexbildungsgleichgewichte Die Bildung und der Zerfall von Komplexverbindungen sind Gleichgewichtsreaktionen, auf die sich das MWG anwenden lässt: [MX 6 ] + Y [MX 5 Y] + X [MX 5 Y] + Y [MX 4 Y 2 ] + X [MX 4 Y 2 ] + Y [MX 3 Y 3 ] + X [MX 3 Y 3 ] + Y [MX 2 Y 4 ] + X [MX 2 Y 4 ] + Y [MXY 5 ] + X [MXY 5 ] + Y [MY 6 ] + X [MX 6 ] + 6Y [MY 6 ] + 6X K 1 = c[mx 5Y]. c(x) c[mx 6 ]. c(y) Stufenstabilitätskonstante K 6 = c[my 6]. c(x) c[mxy 5 ]. c(y) c[my 6 ]. c 6 (X) β = c[mx 6 ]. c 6 (Y).. K 1 K 2... K 6 = β Bruttostabilitätskonstante
Experiment: CuSO 4 -Lösung (blau) + HBr (farblos) [Cu(H 2 O) 6 ] 2+ + Br - [CuBr(H 2 O) 5 ] + + H 2 O grün K 1 [CuBr(H 2 O) 5 ] + + Br - [CuBr 2 (H 2 O) 4 ] 0 + H 2 O braun K 2 [CuBr 2 (H 2 O) 4 ] 0 + Br - [CuBr 3 (H 2 O) 3 ] - + H 2 O kirschrot K 3 [CuBr 3 (H 2 O) 4 ] - + Br - [CuBr 4 (H 2 O) 2 ] 2- + H 2 O rot K 4 [Cu(H 2 O) 6 ] 2+ + 4Br - [CuBr 4 (H 2 O) 2 ] 2- + 4H 2 O β 4 β 2 = K. 1 K 2 = c[cubr(h 2 O) 5 ] +. c(cubr 2 (H 2 O) 4 ) c[cu(h 2 O) 6 ] 2+. c(br - ). c[cubr(h 2 O) 5 ] +. c(br - ) β 2 = c(cubr 2 (H 2 O) 4 ) c[cu(h 2 O) 6 ] 2+. c 2 (Br - ) β 4 = K. 1 K. 2 K. 3 K 4 β 4 = c(cubr 4 (H 2 O) 2 ) 2- c[cu(h 2 O) 6 ] 2+. c 4 (Br - )
Gleichgewichtsdiagramm für die Reihe [OsBr n I 6-n ] 2- (n = 0-6)
5.2 Der Chelateffekt Chelatkomplexe sind stabiler als Komplexe des gleichen Zentralions mit einzähnigen Liganden. Ni 2+ (aq) + 6NH 3 [Ni(NH 3 ) 6 ] 2+ β = 10 9 Ni 2+ (aq) + 3en [Ni(en) 3 ] 2+ β = 10 18 Folglich reagiert [Ni(NH 3 ) 6 ] 2+ mit en: [Ni(NH 3 ) 6 ] 2+ + 3en [Ni(en) 3 ] 2+ + 6NH 3
Deutung des Chelateffektes: a) thermodynamischer Effekt; Erhöhung der Teilchenzahl, Entropiezunahme b) Wahrscheinlichkeit der Trennung beider M L- Bindungen vom Zentralatom M zum Liganden L ist gering, deshalb ist der Austausch von L L gegen L unwahrscheinlich.
a) Thermodynamische Erklärung [Ni(NH 3 ) 6 ] 2+ + 3en [Ni(en) 3 ] 2+ + 6NH 3 Da die Bindungsstärken der N-Donoratome von Ammoniak und Ethylendiamin zum Nickel(II)-Zentrum ähnlich sind, müsste ΔH für diese Reaktion fast 0 sein. Aus der Betrachtung des Gleichgewichtes kann man sagen, dass die Entropieänderung in erster Näherung proportional der Differenz der Zahl der Teilchen ist, die zu Beginn bzw. am Ende der Reaktion vorhanden sind. Läuft die Reaktion nach rechts ab, vergrößert sich die Zahl der Teilchen, damit ist durch die Entropie die Entstehung des Chelat-Komplexes begünstigt.
6 6 β 6 = 10 8,7 Entropiezunahme (-RT lnk = ΔH TΔS) 3 6 β 3 = 10 18,7
Thermodynamische Komponenten des Chelateffektes bei Komplexen des Nickel(II) und Kupfer(II):
Der Ersatz von einzähnigen durch Chelatliganden bewirkt in der Lösung ein Anwachsen der Entropie von ΔH = 33,4n JK -1 mol -1 (n: Anzahl der Chelatringe, von denen jeder 10 kjmol -1 zur freien Energie des Komplexes bei 300 K beiträgt). 121.4. 300 K = 36,420 kj/mol
b) Statistisches Entropieproblem (Schwarzenbach) Mechanismus der Ligandenanlagerung:
Mechanismus der Ligandenanlagerung: Ist das erste Ligatoratom des mehrzähnigen Liganden an das Metall geknüpft, kann der Rest des Liganden sich relativ rasch so orientieren, dass weitere Ligatoratome anknüpfen. Die Reaktionswahrscheinlichkeit ist also wesentlich höher als für einen weiteren einzähnigen Liganden. Umgekehrt gilt das auch für den Zerfall. Solange noch ein Arm angeknüpft ist, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass weitere Arme wieder anknüpfen. Konkurrieren ein einzähniger und ein mehrzähniger Ligand bei gleichen Donoratomen in möglichst identischer Umgebung miteinander um ein Metallzentrum, wird der mehrzähnige Ligand die entsprechende Zahl an einzähnigen Liganden ersetzen.
Ein vom Zentralatom abgespaltenes Ammoniakmolekül wird schnell in die Lösung weggeschwemmt, die Wahrscheinlichkeit für dessen Rückkehr an seinen früheren Platz ist sehr gering. Eine vom Zentralatom abgespaltene Aminogruppe des Ethylendiamins wird dadurch festgehalten, dass das andere Ende des Liganden noch an das Metallatom gebunden ist. Das Stickstoffatom hat nur einen geringen Bewegungsspielraum von wenigen Picometern und kann dadurch zurückschwingen und sich wieder an das Zentralatom anlagern. Die Wahrscheinlichkeit für die Dissoziation des Ethylendiaminkomplexes ist geringer, somit ist er in Hinblick auf eine Dissoziation beständiger.
Der Chelat-Effekt wird entscheidend durch das Verhältnis der Ringgröße des Chelatringes zum Ionenradius des Zentralmetalls beeinflusst. Fünfgliedrige Chelatringe führen zu Komplexen hoher Stabilität, das ist eine Folge geringer sterischer Spannung in den Fünfringen: Bei kleineren Ringen wird der Effekt durch die auftretende Ringspannung wieder vernichtet. Bei steigender Ringgröße lässt der Effekt naturgemäß nach.
Darstellung der idealen geometrischen Bedingungen für einen fünf- und sechsgliedrigen Chelatring bei dem sich das Metallzentrum im Schnittpunkt der beiden freien Elektronenpaare der Diamin-Liganden befindet, der gleichzeitig im Zustand geringster Spannungsenergie vorliegt. In dem Sechsring passen dabei Metalle mit kurzer M-N-Bindungslänge, während für den Fünfring lange M-N- Bindungen besser sind.
Kommerziell verwendete Chelatliganden
5.3 Stabilität von Metallkomplexen Thermodynamische und kinetische Komplexstabilität Die thermodynamische Stabilität wird durch die Stabilitätskonstante K n bzw. β n charakterisiert. Komplexe mit großer Komplexbildungskonstante sind thermodynamisch stabil, solche mit kleiner Komplexbildungskonstante sind instabil. Freie Reaktionsenthalpie ΔG = -RTlnß n
5.3 Stabilität von Metallkomplexen Thermodynamische und kinetische Komplexstabilität Die kinetische Stabilität wird durch die Reaktionsgeschwindigkeit des Ligandenaustausches charakterisiert. Komplexe, die leicht ihre Liganden abspalten, nennt man kinetisch labil, solche, deren Liganden nur mit hoher Aktivierungsenergie abgelöst werden können, nennt man kinetisch inert.
Energie-Reaktions-Diagramme zur Erläuterung des Unterschiedes von thermodynamischer und kinetischer Stabilität/Instabilität In den beiden Diagrammen ist A thermodynamisch instabil gegenüber B. In (a) ist der Stoff A inert betreffs der Reaktion zum stabileren Produkt B, da die Reaktionsbarriere (Aktivierungsenergie ΔG ) hoch ist. In (b) ist A labil bezüglich der Reaktion zu B, da die Aktivierungsenergie nur klein ist.
Beispiel: [Cr(CN) 6 ] 3- > [Mn(CN) 6 ] 3- > [Ni(CN) 4 ] 2- Innerhalb dieser Reihe nimmt die kinetische Stabilität ab, dennoch besitzen alle Komplexe hohe Komplexbildungskonstanten und sind thermodynamisch sehr stabil. [Ni(H 2 O) 6 ] 2+ + 4CN - [Ni(CN) 4 ] 2- + 6H 2 O ß = 7,1 10 21 l 3 /mol 3 ΔG = -124,7 kj Das Gleichgewicht liegt fast vollständig auf der rechten Seite, d.h. der Komplex ist thermodynamisch stabil. β wurde für eine Lösung, die als Ausgangskonzentration 0.01 mol/l Ni 2+ und 1 mol/l NaCN enthielt bestimmt. Im Gleichgewicht liegt somit weniger als ein freies Nickelion pro Liter Lösung vor.
Versuch: Reaktionsgeschwindigkeiten des Ligandenaustausches mit 14 C-markiertem, radioaktivem CN - : [Ni(CN) 4 ] 2- + 4 14 CN [Ni( 14 CN) 4 ] 2- + 4CN - τ 1/2 = 30 s [Mn(CN) 6 ] 2- + 6 14 CN [Mn( 14 CN) 6 ] 2- + 6CN - τ 1/2 = 1 h [Cr(CN) 6 ] 2- + 6 14 CN [Cr( 14 CN) 6 ] 2- + 6CN - τ 1/2 = 24 h
Betrachtet man die kinetische Stabilität, so verhalten sich die Komplexe sehr verschieden: [Ni(CN) 4 ] 2- τ 1/2 = 30 s labil [Mn(CN) 6 ] 3- τ 1/2 = 1 h inert [Cr(CN) 6 ] 3- τ 1/2 = 24 h inert Als labil gelten alle Komplexe, die bei 25 C innerhalb von einer Minute vollständig reagieren (H. Taube, 1952).
Beispiel: kinetisch inert, aber thermodynamisch instabil [Co(NH 3 ) 6 ] 3+ in saurer Lösung [Co(NH 3 ) 6 ] 3+ + 6H 3 O + [Co(H 2 O) 6 ] 3+ + 6NH 4 + β = 10 25 Für diese Reaktion werden bei Raumtemperatur mehrere Tage benötigt. Der inerte Charakter der Verbindung erklärt sich aus dem Fehlen eines günstigen energieniedrigen Reaktionsweges für die Acidolyse.
5.3.1. Trends für die thermodynamische Stabilität Irving Williams Reihe: Ba 2+ < Sr 2+ < Ca 2+ < Mg 2+ < Mn 2+ < Fe 2+ < Co 2+ < Ni 2+ < Cu 2+ > Zn 2+ korreliert mit abnehmenden Kationenradius bzw. mit steigender Ionenladungsdichte und weitgehend der Zunahme der Ligandenfeld-Stabilisierungsenergie (LFSE) Stabilitätsmaximum bei Cu 2+, zusätzlicher Energiegewinn durch tetragonale Verzerrung der oktaedrischen Konfiguration (Jahn-Teller-Effekt)
NH 2 CH 2 CH 2 S - Jahn Teller Effekt ox NH 2 CH 2 CO 2 - en LFSE
5.3.1. Trends für die thermodynamische Stabilität Hard and Soft Acids and Bases HSAB Konzept (R.G. Pearson, 1963) Zentralatom = Lewis-Säure (Elektronenakzeptor) Ligand = Lewis-Base (Elektronendonator) Hohe Stabilität: Weiche Zentralatome - Weiche Liganden Harte Zentralatome - Harte Liganden Niedrige Stabilität:Weiche Zentralatome - Harte Liganden Harte Zentralatome - Weiche Liganden
Lewis-Säure (Zentralatom) Hart: klein schwer polarisierbar hohe Ladungskonzentration wenig Valenzelektronen Weich: groß leicht polarisierbar; Elektronenwolke verformbar niedrige Oxidationsstufen große Zahl an Valenzelektronen
Lewis-Base (Ligand) Hart: klein schwer polarisierbar Weich: groß leicht polarisierbar
Säuren Harte H +, Li +, Na +, K +, Ba 2+, Mg 2+, Ca 2+, Sr 2+, Ti 4+, Zr 4+, VO 3+, Cr 3+, Cr 6+, Mn 2+, Mn 4+, Mn 7+, Fe 3+, Co 3+, Al 3+, Ga 3+, In 3+ Basen NH 3, R-NH 2, N 2 H 4, H 2 O, OH -, O 2-, R-OH, RO -, R 2 O, CO 3 2-, R- COO -, NO 3-, PO 4 3-, SO 4 2-, ClO 4-, F -, Cl - Grenzfälle Fe 2+, Co 2+, Ni 2+, Cu 2+, Zn 2+, Rh 3+, Ir 3+, Ru 3+, Sn 2+, Pb 2+ N 3-, N 2, Ph-NH 2, NO 2-, Br -, C 5 H 5 N, SO 3 2- Weiche Pd 2+, Pt 2+, Cu +, Ag +, Hg +, Hg 2+, Tl +, Me 0 H -, R -, CN -, CO, SCN -, R 3 P, R 2 S, RS -, S 2 O 3-, I -
Ungefähre Zuordnung der Metallionen zu den harten oder weichen Säuren und den Grenzfällen nach dem HSAB-Konzept von Pearson
Eine anschauliche Begründung für das HSAB-Konzept kann auch über die MO-Theorie gegeben werden: Harte Säuren und Basen zeichnen sich energetisch durch ein höher liegendes LUMO bzw. ein tieferes HONO aus, als weiche Säuren und Basen. Dementsprechend laufen die elektrostatischen, d. h. ionischen Reaktionen harter Säuren mit harten Basen ladungskontrolliert ab, während eine kovalente weich-weich Wechselwirkung orbitalkontrolliert ist.