Vom Text zum Film - Ein kurze Einführung in die Filmanalyse Ein erfolgreicher Kinofilm adaptiert häufig eine Romanvorlage oder ein Theaterstück. Beispiele hierfür sind mannigfaltig. Dass generell jedem Kino- oder Fernsehfilm ein Text als Ausgangsform, ein Drehbuch, zugrunde liegt ist dabei nicht gemeint. Ein Drehbuch jedoch ist eine besondere Textform, die sich von adaptierten Vorlagen, wie beispielsweise Romane oder Theaterstücke, vor allem dadurch unterscheiden, dass Romane verfasst wurden, um sie zu lesen und Theaterstücke, um sie in einer Theatervorführung zu genießen. Das Drehbuch zielt aber immer auf eine filmische Umsetzung. Die nachfolgenden Ausführungen untersuchen nun die Beziehung zwischen Texten und dem darstellenden Medium Film. Dabei sollen im Folgenden einige Techniken und Strukturen der Filmanalyse vorgestellt werden, um somit später einen Vergleich zwischen literarischer Vorlage und filmischer Umsetzung anstellen zu können. Narrativer Aspekt der Filmanalyse Obwohl ein visuelles Medium, so hat auch der Film ein narratives Potential. So bescheinigt James Monaco dem Film eine engere Verbindung mit dem Roman, als etwa zu dem ebenfalls darstellenden Medium Theater: Film und Roman erzählen beide lange Geschichten mit einer Fülle von Details, und sie tun dies aus der Perspektive des Erzählers, der oft eine gewisse Ironie zwischen Geschichte und Betrachter schiebt. i Betrachtet man die Handlungsstruktur des Films, so ist durchaus erkennbar, dass,,[m]any film plots inherit their structure from classical dramas that focused on a dramatic conflict between characters or between a character and society or other larger forces." ii Nichtsdestoweniger gibt es neben dem Hauptunterschied visueller versus sprachlicher Erzählweise noch weitere Unterschiede. So läuft z. B. der Film in so genannter Echtzeit ab, was zur Folge hat, dass er die vorhandene Erzählung mit all ihren Nebenerzählungen auf das wesentliche kürzen muss. Der eindeutige Vorteil des Films gegenüber der Literatur liegt in seinen scheinbar unbegrenzten visuellen Möglichkeiten. iii Sowohl Film als auch Literatur erzählen Geschichten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Analyse eines Films sich ähnlicher Fragestellungen bedient wie Juni 2009 1
die Literaturanalyse. iv Die Filmhandlung wird, genau wie die Handlung eines Romans, durch verschiedene Charaktere vorangetrieben und kann aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden. Die Erzählperspektive ist ein zentrales Element in der Filmanalyse und spielt eine wichtige Rolle für das Verständnis how narrative Information is conveyed to the film spectator". v Wie in der Literaturwissenschaft, so unterscheidet man auch bei Filmen zwischen einem Ich-Erzähler, einem auktorialen Erzähler und einem eingeschränkten Erzähler. Der auktoriale Erzähler wechselt die Erzählperspektive immer wieder zwischen den einzelnen Protagonisten, wobei die Handlung aus einer übergeordneten Perspektive erzählt wird. Dies hat, ähnlich wie in der Literatur, die Folge, dass der Zuschauer mehr Informationen erhält, als die Protagonisten, was creative scenes of dramatic suspense" vi erzeugt. In der Form des eingeschränkten Erzählers wird die Handlung aus der Perspektive zumeist einer, in einigen Fällen auch aus der Perspektive zweier Personen, erzählt, wobei aber the point of view is objectively outside that of the characters". vii Dadurch wird der Zuschauer eher mit einem so präsentierten Protagonisten sympathisieren, als mit einem in der auktorialen Erzählweise dargestellten Protagonisten. Der Erzähler im Film ist jedoch nicht so wirkungsvoll, wie in der Literatur. So sind z.b. Filme aus der Perspektive des Ich-Erzählers äußerst selten und vermittelten eine verkrampfte, klaustrophobische Erfahrung." viii Alles, was der Zuschauer sieht, sieht er mit den Augen des Erzählers, der wiederum nur in Reflexionen, z.b. Spiegel, zu sehen ist. ix (Ein bekanntes Beispiel ist Robert Montgomerys Lady in the Lake von 1946.) Es ist ein jedoch ein weiterer wesentlicher Unterschied in der Erzählstruktur zu beachten. Das Medium Film stellt neue Standard conventions of plots" x auf. Ein solcher Standard ist die sogenannte cause-effect narrative", xi xii die zur Folge hat, dass jede Handlung ein kausales Ereignis hervorruft. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Wirft ein Mann in einer beliebigen Szene einen Stein aus dem Filmbild und in der darauffolgenden Juni 2009 2
Szene zerspringt eine Schaufensterscheibe, dann lässt dies nur einen Schluss zu. Der Mann aus der ersten Szene hat die Scheibe der zweiten Szene eingeworfen. Da beide Szenen unmittelbar aufeinander folgen, sieht der Zuschauer einen Kausalzusammenhang zwischen dem Steinwurf und der eingeschlagenen Scheibe. Würde man nun die beiden Szenen in umgekehrter Reihenfolge editieren, so wäre eine solche Interpretation nicht möglich. Eine bloße Verkettung von Ereignissen macht jedoch noch keinen Film. Die Motivation hinter einer solchen Kausalverkettung liegt in den Protagonisten selbst begründet. Ihre Bedürfnisse und Wünsche sind Ursache für die hervorgerufenen Ereignisse und Handlungen, wobei die Handlungen keineswegs eine lineare Struktur aufweisen, sondern durchaus auch kreisförmig verlaufen können. xiii Filme bestehen jedoch auch aus Szenen, die lediglich deskriptiven Charakter haben, d.h. durch das Umkehren der Reihenfolge ergibt sich kein neuer Bedeutungszusammenhang. Hier findet die beschriebene Erzählweise der Ursache und Wirkungsbeziehung keine Anwendung. Zeichen und Syntax: Die Filmsprache Neben dem angesprochenen narrativen Aspekt besitzt Film vor allem einen sprachlichen und einen visuellen Aspekt. Aufgabe dieses Teils soll es sein, einen Überblick über die gewissermaßen,visualisierte Sprache' des Films zu geben. Film ist keine Sprache im herkömmlichen Sinn. Vielmehr handelt es sich um ein Zeichensystem. Vor dem Hintergrund der Arbeit des Strukturalisten Ferdinand de Saussures lässt sich feststellen, dass Film in gewisser Weise eine Sprache sein" xiv kann. Die Filmtheorie fußt auf diesem traditionellen Verständnis, näherte sich aber im Verlauf ihrer Entwicklung dem Post-Strukturalismus, ohne allerdings den Terminus in ihren Sprachgebrauch aufzunehmen. xv Systeme zur Bestimmung sprachlicher Kommunikation können von der Literaturwissenschaft, da sie hier am weitesten entwickelt wurden, übernommen werden. Juni 2009 3
Die sprachlichen Systeme Grammatik, Poetik und Rhetorik werden auf die drei semiotischen Aspekte Syntaktik, Semantik und Pragmatik bezogen. xvi Im weiteren Verlauf soll der semiotische Aspekt ausführlicher untersucht werden. Drei Aspekte lassen sich wie folgt weiter ausdifferenzieren: Der syntaktische Aspekt geht der Frage nach, welche Zeichen sich untereinander verknüpfen. Das Verhältnis zwischen dem Zeichen und dem Signifikat fällt in den Bereich des semantischen Aspekts, während der pragmatische Aspekt das Verhältnis zwischen Zeichen und Benutzer hinterfragt. xvii Von besonderem Interesse ist die semantische Ebene, auf der Jacques Derridas Bemerkungen zur Signifikantenkette wirksam werden. Eine klare Unterscheidung zwischen Signifikant und Signifikat ist im Medium Film kaum mehr möglich, da beide fast identisch" xviii sind: Das Zeichen im Film ist ein Kurzschluss-Zeichen." xix Im Falle des Kurzschluss-Zeichens spricht man von einem Icon. xx Es lassen sich aber noch zwei weitere filmische Zeichen unterscheiden. So entsteht ein Index, wenn eine kausale Verbindung zwischen Signifikant und Signifikat besteht. Das Symbol, das letzte Filmzeichen, basiert auf sozialen Normen und Konventionen. Ein Filmzeichen ist jedoch selten einer einzigen Kategorie zugehörig. Vielmehr sind bis zu einem gewissen Grad Elemente aller drei Arten in einem Filmzeichen enthalten. xxi Ein so entstandenes Filmzeichen besitzt die Fähigkeit to (mis)represent the material and social world" durch seine Eigenschaft to blur the boundaries of space and time, reproduction and simulation, reality and fantasy." xxii Somit bildet das Filmzeichen nicht nur Eigenschaften des bestehenden kulturellen Systems ab, sondern beteiligt sich gewissermaßen an der Produktion dieses Systems. Durch die unklare Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat beeinflussen die Signifikanten den Zuschauer dergestalt, dass sie ascribe to their own sight that what is presented on screen has a resemblance to the real world." xxiii Aber genau das ist nicht der Fall, denn film does not reflect reality but images." xxiv Filmzeichen haben lediglich eine ikonische, indexikalische und/oder symbolische Beziehung zu dem jeweilig Bezeichneten. xxv Wenn die angesprochene Nähe zwischen Signifikant und Signifikat so klein wird, dass das Filmzeichen nicht mehr eindeutig als Icon zu identifizieren ist, ist Derridas Juni 2009 4
Signifikantenkette unterbrochen und das Zeichen ist selbstreferentiel. Baudrillards Hyperrealismus ist das Resultat dieser Bilderflut. Die Filmbilder sind keine Reproduktionen des Realen, sondern Kopien, für die es keine Originale gibt. Dadurch wird deutlich, dass Filme sich nicht notwendigerweise auf eine Wirklichkeit beziehen müssen, die über ihre eigene, künstlich geschaffene Realität hinausgeht. xxvi Das Medium Film ist die geeignete Ausdrucksform des Hyperrealen. Es zeigt sich, dass Film, anders als die geschriebene oder gesprochene Sprache, nicht aus Einheiten als solchen zusammengesetzt ist, sondern daß er eher ein Bedeutungskontinuum ist. Eine Einstellung enthält so viele Informationen, wie wir darin lesen wollen, und welche Einheiten auch immer wir innerhalb der Einstellung definieren, sie sind willkürlich gesetzt. xxvii Dies kann als Beleg für die starke Intertextualität von Film gelten. Jeder Zuschauer liest den Film auf eine andere Weise. Es kommt zu unterschiedlichen Interpretationen, die auf ganz verschiedenen sozialen und kulturellen Prägungen basieren. Es ist diese Intertextualität, die es Filmen ermöglicht, gleichermaßen Bedeutung zu produzieren und zu vermitteln. xxviii Juni 2009 5
i James Monaco, Film verstehen, trans. Brigitte Westermeier und Robert Wohlleben (Hamburg: Rowohlt, 1995) 45. ii Timothy Corrigan, Film and Literature: An Introduction and Reader (New Jersey: Prentice-Hall, 1999) 83. iii Vgl. Monaco 45ff. iv Vgl. Corrigan 83f. v Warren Buckland, Film Studies. Teach Yourself (London: Hodder Headline, 1998) 45. vi Ibid. vii Corrigan 82. viii Monaco 47. ix Vgl. Buckland 40f. x Corrigan 83. xi Buckland 28. xii Es sei darauf hingewiesen, dass der von Timothy Corrigan verwendete Ausdruck narrative causality" (Corrigan 83), synonym verwendet werden kann, im Folgenden aber Warren Bucklands Begriff Verwendung findet. xiii Vgl. Buckland 31 und Corrigan 83. xiv Monaco 58. xv Vgl. Monaco 153ff. In der Filmsemiotik findet der Begriff Strukturalismus Verwendung, nicht jedoch der Begriff Poststrukturalismus, obgleich die Filmsemiotik mit dem Begriff Kurzschluss-Zeichen, ein klar poststrukturalistisches Verständnis aufweist. Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit, wird die Filmsemiotik in einem poststrukturalistischen Verständnis angewandt. xvi Vgl. Helmut Schanze, Medienkunde für Literaturwissenschaftler, Uni Taschenbücher (München: W. Fink, 1974) 44ff. xvii Vgl. Schanze 40. xviii Monaco 158. xix Ibid. xx Vgl. Jeff Hopkins, A Mapping of Cinematic Places: Icons, Ideology, and the Power of (Mis)representation", Place, Power, Situation, and Spectacle, eds. Stuart C. Aitken und Leo E. Zonn, (Lanham: Rowman & Littlefield Publishers, 1994) 53. xxi Vgl. ibid. und Monaco 165. xxii Hopkins 48. xxiii Ibid. 59. xxiv Ibid. xxv Vgl. Hopkins 60. xxvi Vgl. Aitkin und Zonn 8. xxvii Monaco 161. xxviii Vgl. Aitkin und Zonn 8. Juni 2009 6