Wo die Versöhnung anfängt Predigt zu 2. Korinther 5,19-21 (Karfreitag 2016) Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Liebe Gemeinde, der Predigttext für den Karfreitag 2016 steht im 2. Korintherbrief, Kapitel 5, die Verse 19-21. Der Apostel Paulus schreibt: 19 Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. 20 So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! 21 Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. (Gebet) Liebe Gemeinde, drei Verse Versöhnungsbotschaft, so könnte man diesen kurzen Abschnitt zusammenfassen. Ausgerechnet Versöhnung. In einer Zeit, in der nichts so unrealistisch erscheint wie Versöhnung. Die Attentate in Brüssel am vergangenen 1
Dienstag haben uns schon wieder auf schlimme Weise vor Augen geführt, zu was Menschen in der Lage sind. Voller Hass andere umzubringen, die sie nicht kennen. Ängste schüren. Und die entsprechenden Gegenreaktionen bleiben nicht aus. Alle Terroristen sind Muslime, schreibt ein Politiker auf facebook, Abgeordneter im Europaparlament. Das klingt nach AfD, aber es war kein Mitglied der AfD. Dieser Kommentar ist nicht nur falsch. In München läuft seit Jahren ein Prozess gegen die Terroristen des NSU ganz bestimmt keine Muslime. Solch ein Kommentar zementiert die Unversöhnlichkeit. Versöhnung scheint weit weg. In Brüssel, in Paris, in Syrien, in der Türkei. Die Annäherung zwischen Kuba und den USA in dieser Woche ist nur ein schwacher Hoffnungsschimmer. Im Vorfeld der amerikanischen Präsidentschaftswahlen stehen sich die politischen Lager unversöhnlich gegenüber. Anscheinend werden auch bei uns zur Zeit eher diejenigen gewählt, die zur Unversöhnlichkeit aufrufen, andere abwerten und beschimpfen. Wo man hinschaut überall verlaufen die Fronten. Überall wird verbissen und hartnäckig gekämpft. Und dann hören wir an Karfreitag eine Botschaft der Versöhnung. Ausgerechnet an Karfreitag. Als ein Unschuldi- 2
ger am Kreuz hängt und dem Spott der Masse ausgeliefert ist. Ist das ein Hoffnungszeichen für Versöhnung? Wie soll sie aussehen, die Versöhnung, die vom Kreuz ausgeht? Zunächst einmal ist klar: Wer zur Versöhnung aufruft, weiß um den Streit und die Konflikte in dieser Welt. Wäre die Welt ein Ort des ewigen Friedens, müsste niemand zur Versöhnung aufrufen. Paulus macht sich keine Illusionen. Die Welt ist ein Ort des Unfriedens. Auch damals schon. Nicht nur zwischen den Völkern, nicht nur zwischen gesellschaftlichen Gruppen, nicht nur in den Familien herrscht Streit. In uns selbst tobt der Konflikt. Die Unsicherheit, wie der nächste Schritt aussehen soll. Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen, der eigenen Figur, dem eigenen Lebensentwurf. Die Zerrissenheit zwischen den Ansprüchen, die ich an mich selbst stelle und die andere an mich stellen. Der Unfriede beginnt im Leben eines jeden Einzelnen. Und dieser Unfriede hat einen Namen: Sünde. Sünde bedeutet: Die Beziehung des Menschen zu Gott ist gestört. Und diese Störung wirkt sich aus auf die Beziehung des Menschen zu seinen Mitmenschen. 3
Der Grundkonflikt ist nicht der Streit zwischen den Völkern Europäer gegen Araber, Türken gegen Kurden. Der Grundkonflikt ist auch nicht der Streit zwischen den sozialen Gruppen Stadtbewohner gegen Landbevölkerung, Zugezogene gegen Alteingesessene, Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer, Reiche gegen Arme, Frauen gegen Männer, Alte gegen Junge. Der Grundkonflikt ist auch nicht das manchmal schwierige Nebeneinander der Religionen Christen gegen Muslime, Atheisten gegen Gläubige. Sicher, das sind zum Teil schwierige Situationen und manchmal ein unversöhnliches Gegeneinander. Und man muss sie ernst nehmen, diese Konflikte, muss Ungerechtigkeit beim Namen nennen und versuchen abzubauen, Vorurteile bekämpfen, Brücken bauen. Das sind wir als Christen gefragt. Aber dennoch, der Grundkonflikt ist ein anderer. Der Grundkonflikt entsteht aus der Beziehungskrise zwischen Gott und den Menschen, zwischen Schöpfer und Geschöpf. Sünde hat darin ihren Ursprung, dass der Mensch die Beziehung zu seinem Schöpfer leugnet. Die Botschaft der Versöhnung, die vom Karfreitag ausgeht, heißt deshalb nicht: Versöhnt euch mit euren Nach- 4
barn oder Versöhnt euch mit eurem Chef oder Versöhnt euch mit euren Familienangehörigen. Die Botschaft der Versöhnung, die vom Karfreitag ausgeht, lautet: Lasst euch versöhnen mit Gott! Und da müssen wir genau hinhören. Es heißt nicht: Versöhnt euch mit Gott! So als könnte das von uns ausgehen. Nein, die Botschaft lautet: Lasst euch versöhnen Der Anstoß zur Versöhnung liegt nicht in unserer Macht. Die Versöhnung geht von Gott aus: Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich. Gott hat den Anstoß gegeben, und viel mehr noch: Er hat die Versöhnung vollbracht. Nicht nur den ersten Schritt, sondern ganz und gar. Am Kreuz von Golgatha hat er das getan. Paulus sagt das so: Gott hat den, der von keiner Sünde wusste nämlich seinen Sohn Jesus, für uns zur Sünde gemacht. Unsere Sünde, unser Grundkonflikt ist auf Jesus abgeschoben. Die Sünde steht nicht mehr bei uns im Stammbuch, sondern bei ihm. Da passiert ein unfassbarer Tausch, ein Wechsel. Das ist der Weg, den Gott zur Versöhnung gewählt hat und den Jesus gegangen ist. In einem Lied heißt es: Wie wunderbarlich ist doch diese Strafe, der gute Hirte leidet für die Schafe, die Schuld bezahlt der Herre, der Gerechte, für seine Knechte. 5
Aber wozu eigentlich? War das wirklich nötig? Offensichtlich ja. Wie schwerwiegend der Grundkonflikt der Sünde ist, erkennen wir daran, welchen Leidensweg Jesus gehen musste. Und wenn wir ehrlich sind, erkennen wir es auch daran, wie ichbezogen und selbstverliebt unser Denken und Handeln immer wieder ist. So dass eben aus dem Grundkonflikt der Sünde die vielen Konflikte erwachsen, die unser Miteinander oft so kompliziert machen. Lasst euch versöhnen mit Gott! Das ist die Botschaft, die Paulus weitergibt. Das ist die Botschaft, die Jesus seinen Jüngern mitgegeben hat. Es ist die Einladung zu empfangen. Passiv und aktiv zugleich. Passiv, weil nicht wir die Versöhnung vollbracht haben, sondern Jesus. Wir empfangen die Versöhnung. Aus Gnade. Aktiv aber, weil wir dazu aufgerufen sind zu empfangen. Dankbar Hände und Herzen auszustrecken, die Botschaft hören und gelten zu lassen in unserem Leben, uns von ihr mitreißen zu lassen und die Versöhnung im eigenen Leben zu erleben. Es sind ja nicht nur leere Worte, hohes Gerede mit schönen Worten: Friede und Versöhnung. Klingt super, hat aber nichts mit der harten Realität zu tun. Oder? 6
Doch, diese Botschaft hat die Kraft zur Veränderung. Zur Versöhnung. Und viele Christen können bezeugen, welche Veränderung es in ihrem Leben bewirkt hat, durch Jesus Christus Versöhnung mit Gott zu erleben und von dieser Versöhnung aus Veränderung in ihrem Leben. Dass Mauern zwischen Menschen wieder übersprungen werden können, auch die Mauern des Schweigens. Dass Ängste überwunden werden, Vorbehalte weichen. Zwei Verse zuvor schreibt Paulus: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Das ist wahre Lebensveränderung. Nicht unbedingt so, dass mit einem Schlag alle Probleme gelöst sind. Die Kennzeichen der unversöhnten Welt bekommen wir nach wie vor zu spüren. Und auch an uns nagt die Sünde immer wieder. Deshalb ist es wichtig, die Botschaft von der Versöhnung immer wieder neu zu hören und gelten zu lassen. Das Abendmahl ist immer wieder die Einladung dazu. Versöhnung, die erfahrbar wird: Schmecket und sehet die Freundlichkeit Gottes! Einladung, ihm wieder neu zu vertrauen. In den Sorgen und Fragen, die mich jetzt gerade, Ende März 2016 plagen und beschäftigen. 7
Weiß ich, was morgen kommen wird? Nein, ich weiß es nicht. Weiß ich, in welcher Welt sich meine Kinder einmal zurechtfinden müssen? Nein, ich weiß es nicht. Kenne ich die Lösung für die Konflikte in dieser Welt? Nein, ich kenne sie nicht. Kann ich meinem Freund Trost geben, der um seine kleine Tochter trauert? Nein, das kann ich nicht. Und es lässt mich ratlos und friedlos zurück. Bis ich aufs Neue höre und in Anspruch nehme: Jesus hat die Versöhnung geschaffen, er hat die Sünde und auch den Tod überwunden. Ihm darf ich es anvertrauen. Und so komme ich an seinen Tisch, auf seine Einladung hin und weiß, wenn ich aufs Kreuz schaue: So groß die Not auch sein mag. Seine Liebe ist größer. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. G: Amen. 8