Experten schlagen Stärkung des Regulators im Eisenbahnbereich und Holdingmodell für SBB und BLS vor

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Transkript:

Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft Experten schlagen Stärkung des Regulators im Eisenbahnbereich und Holdingmodell für SBB und BLS vor Bern, 02.05.2013 - Die Expertengruppe Organisation Bahninfrastruktur (EOBI) hat ihren Schlussbericht verabschiedet und verschiedene Empfehlungen erarbeitet. So sollen der Regulator im Bahnbereich gestärkt, die Trassenvergabestelle in Bundesbesitz überführt und mittelfristig die SBB AG und die BLS AG als Holdings organisiert werden. Der Leiter der Expertengruppe, Paul Blumenthal, übergab den Bericht heute dem Direktor des Bundesamtes für Verkehr (BAV), Peter Füglistaler. Die Empfehlungen gehen nun in Konsultation. Danach wird sich der Bundesrat mit der künftigen Organisation der Bahninfrastruktur befassen. Heute sind die Bahnunternehmen in der Schweiz fast durchwegs als sogenannte integrierte Bahnen organisiert. Das heisst, dass die Infrastruktursparten zwar rechnerisch und organisatorisch vom Verkehr und den übrigen Sparten getrennt sind, aber in die Bahnunternehmen eingebunden bleiben und dem Einfluss der Konzern-Geschäftsleitung unterliegen. Die Schweiz hat mit integriert geführten Bahnen gute Erfahrungen gemacht. Die EU hat jedoch verschiedene, zum Teil weiterführende Vorgaben zur Trennung wesentlicher Funktionen der Infrastruktur von den Verkehrssparten beschlossen. Diese sind aus ihrer Sicht für einen gerechten und nichtdiskriminierenden Zugang zur Infrastruktur ausschlaggebend. Diese Regelungen hat die Schweiz bisher nicht übernommen. Im Oktober 2010 hat der damalige Departementsvorsteher des UVEK eine Expertengruppe beauftragt, zu klären, ob und welcher Handlungsbedarf bezüglich der Ausgestaltung des Bahnsystems allenfalls besteht. Zudem sollte die Expertengruppe aufzeigen, wie das Bahnsystem auf künftige Entwicklungen ausgerichtet werden soll und wie die hohe Qualität des Schweizer Bahnsystems und der effiziente Einsatz der Mittel sichergestellt werden können. Rasche Anpassungen bei Regulator und Trassenvergabestelle In ihrem nun veröffentlichten Bericht kommt die Expertengruppe zum Schluss, dass das Modell der vertikalen Trennung von Infrastruktur und Verkehr, wie es von der EU-Kommission angestrebt wird, für das Bahnsystem der Schweiz aufgrund der vielen Risiken zur Zeit nicht umgesetzt werden sollte. Die Expertengruppe sieht in der integrierten Führung von Verkehr und Infrastruktur vielmehr Vorteile: Sie ermöglicht beispielsweise ein hochstehendes Angebot, eine bessere Bewältigung von Störungen und eine optimalere Netznutzung. Eine integrierte Bahn hat zudem ein grosses Interesse daran, das System als Ganzes zu verbessern und so Innovationen zu fördern. Angesichts der weitgehend vollzogenen Marktöffnung im Güterverkehr und um für die Zukunft gut gerüstet zu sein, schlagen die Experten vor, kurzfristig folgende zwei Massnahmen für einen erweiterten und präzisierten regulatorischen Rahmen umzusetzen: Regulator: Die Schiedskommission im Eisenbahnverkehr (SKE) soll gestärkt und zu einer RailCom ausgebaut werden. Diese sorgt dafür, dass der Netzzugang und die Zuteilung der beschränkten Netzkapazitäten ohne Diskriminierungen erfolgen. Sie überwacht die Prozesse und kann Sanktionen erlassen. Trassenvergabe: Die bereits existierende und bisher ohne gesetzlichen Auftrag agierende Trassenvergabestelle Trasse Schweiz AG soll an den Bund überführt werden vorzugsweise als AG. Heute ist sie im Eigentum der drei Bahnen SBB, BLS, SOB sowie des Verbandes öffentlicher Verkehr (VöV). Durch die Ansiedlung beim Bund kann nach Ansicht der Expertengruppe sichergestellt werden, dass die Trassenvergabestelle bei der Trassenbestellung

und -zuteilung eine neutrale Koordinationsfunktion wahrnimmt und diese Prozesse von den Bahnen unabhängig und transparent durchführt. Die dem Bund übertragene Trassenvergabestelle soll für das gesamte Normalspurnetz zuständig sowie auf der Basis eines gesetzlichen Auftrags legitimiert sein. Mit diesen Massnahmen wird ein regulatorischer Rahmen geschaffen, welcher mit der heutigen Rechtslage in der EU und dem Landverkehrsabkommen Schweiz-EU vereinbar ist. Holdingstruktur für SBB und BLS vorgeschlagen Die EU-Kommission hat mehrere Mitgliedstaaten wegen der Struktur ihres Bahnsystems verklagt unter anderem Deutschland und Österreich, deren Staatsbahnen gestützt auf ein Holding- Modell als integrierte Bahnen geführt werden. Der Europäische Gerichtshof hat im Februar 2013 allerdings entschieden, dass deren Holding-Modelle gesetzeskonform sind. Mittelfristig ist somit das Holding-Modell aufgrund dieses Urteils als einziges integriertes Unternehmensmodell von der EU rechtlich akzeptiert. Im Interesse des auch für die Schweiz wichtigen internationalen Netzzugangs und der Entwicklungsfähigkeit des Bahnsystems Schweiz empfiehlt die Expertengruppe darum, die beiden international und im Netzzugang tätigen integrierten Bahnunternehmungen SBB und BLS in eine Holding-Struktur zu überführen. Die übrigen im Netzzugang tätigen Normalspurbahnen sollen die Infrastruktur organisatorisch und institutionell von den anderen Sparten abgrenzen. Die Expertengruppe beurteilt ein Holding-Modell als Chance, die funktional integriert geführten Unternehmen als tragende Säulen des Schweizer Bahnsystems aufrecht zu erhalten. Sie erachtet die Überführung von SBB und BLS in eine Holdingstruktur als strategisch wichtigen Schritt für die weitere Entwicklung. Damit ist eine auch für Kunden nachteilige vertikale Trennung auf absehbare Zeit vermeidbar. Vernehmlassung im Frühling 2014 BAV-Direktor Peter Füglistaler nahm den Schlussbericht als Vertreter des Bundes entgegen. In seiner Würdigung kam er zum Schluss, dass die Expertengruppe ihren Auftrag erfüllt hat. Die Schlussfolgerungen der Expertengruppe werden nun in den politischen Prozess eingespeist. Nach einer Anhörung und einem runden Tisch zu den Schlussfolgerungen wird der Bundesrat darüber entscheiden, welche der Empfehlungen er weiter verfolgen will. Dies ist bis Ende Jahr vorgesehen. Für Frühling 2014 ist eine Vernehmlassung zur künftigen Organisation der Bahninfrastruktur geplant, bis Ende 2014 soll eine Botschaft ans Parlament vorliegen. Die Expertengruppe setzte sich wie folgt zusammen: Paul Blumenthal (Leitung), ehem. SBB, Leiter Personenverkehr Hans Jürg Spillmann, ehem. SBB, COO Infrastruktur Erwin Rutishauser, bis Ende 2010 Direktor RhB Hans Flury, ehem. BLS, Leiter Finanzen Prof. Dr. Dr. Matthias P. Finger, EPF Lausanne Franz Kagerbauer, Direktor Züricher Verkehrsverbund (ZVV) Franz Steinegger, Präsident des Verbands der verladenenden Wirtschaft VAP Herbert Kasser, Generalsekretär BMVIT (Verkehrsministerium) Österreich Prof. Dr. Ulrich Weidmann, ETH Zürich, ehem. SBB Andreas Herczog, Leiter Schiedskommission im Eisenbahnverkehr (bis Ende 2012) Petra Breuer, Leiterin Geschäftsstelle, Abteilungschefin Politik im BAV (bis April 2013) Adresse für Rückfragen: Paul Blumenthal, 079 302 07 64 Herausgeber: Bundesamt für Verkehr Internet: http://www.bav.admin.ch Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft Kontakt Rechtliche Grundlagen

Management Summary Seit über 20 Jahren befasst sich die Europäische Union mit der Frage, wie im Bahnsektor Wettbewerb eingeführt und dazu der Zugang zur Infrastruktur der Eisenbahnen diskriminierungsfrei organisiert werden kann. Hierfür hat die EU mit den Eisenbahnpaketen mehrere Richtlinien und Verordnungen erlassen. Diese haben über das Landverkehrsabkommen Auswirkungen auf die Schweiz, insbesondere im internationalen Netzzugang. Hierzulande wurde mit der Revision des Eisenbahngesetzes 1996 und den Bahnreformen eine schrittweise Umgestaltung und Annäherung des bestehenden Systems vorgenommen. Offen blieb bis heute die Frage, in welche Richtung sich die Organisation der Bahninfrastruktur in der Schweiz weiterentwickeln soll. Umstritten ist dabei insbesondere die Frage der institutionellen Trennung von Verkehr und Infrastruktur versus die integrierte Führung in den Bahnunternehmungen. Im Oktober 2010 hat der Departementsvorsteher des UVEK eine Expertengruppe, zusammengesetzt aus elf Spezialistinnen und Spezialisten des öffentlichen Verkehrs, beauftragt, Antworten auf die Frage zu finden, ob und welcher Handlungsbedarf diesbezüglich in der Schweiz besteht. Zudem sollte die Expertengruppe aufzeigen, wie das System auf künftige Entwicklungen ausgerichtet werden könnte. Die Experten sollten Vorschläge machen für ein Modell, das die anerkannt gute Qualität des Schweizer Bahnsystems und den effizienten Einsatz der Mittel sicherstellt. Gleichzeitig sollen die Anforderungen an einen diskriminierungsfreien Netzzugang erfüllt werden. Die Expertengruppe hat zwischen Herbst 2011 und Frühjahr 2012 insgesamt 29 nationale und fünf internationale Hearings durchgeführt, Erfahrungen anderer europäischer Bahnen und Netzwerkbranchen eingeholt sowie diverse Studien in Auftrag gegeben bzw. konsultiert. Bis Ende 2012 haben die Experten in Arbeitsgruppen Analysen und Lösungsvorschläge zur Modellentwicklung, zum Regulator und zur Trassenvergabestelle erarbeitet. Danach folgte die Synthese all dieser Arbeiten. Die Expertengruppe gelangt zum Schluss, dass die Modellwahl in Abhängigkeit zur Entwicklung der Marktöffnung sowie der Ausrichtung der Bahnlandschaft Schweiz steht. Angesichts der bereits weit fortgeschrittenen Marktöffnung im Güterverkehr empfiehlt die Expertengruppe bereits im heutigen System folgende Massnahmen für einen erweiterten und präzisierten regulatorischen Rahmen: - Einerseits ist der Regulator (RailCom) zu stärken. Er sorgt dafür, dass der Netzzugang und die Zuteilung der beschränkten Netzkapazitäten ohne Diskriminierungen erfolgen. Er überwacht diese Prozesse pro- und reaktiv und kann bei Zuwiderhandlungen Sanktionen erlassen. Im weiteren überwacht der Regulator die diskriminierungsfreie Umsetzung der Netzentwicklung durch die vom BAV beauftragen Infrastrukturbetreiberinnen, die diskriminierungsfreie Planung von Unterhalt und Erneuerung, die diskriminierungsfreie Betriebsführung sowie die diskriminierungsfreie Anwendung der vom BAV festgelegten Regeln zum Trassenpreis. - Anderseits soll die bereits existierende und ohne gesetzlichen Auftrag agierende Trassenvergabestelle Trasse.ch AG an den Bund überführt werden vorzugsweise als AG. Heute ist diese im Eigentum der drei Bahnen SBB, BLS, SOB sowie des VöV. Durch die Ansiedlung beim Bund kann die wichtige neutrale Koordinationsfunktion der Trassenvergabestelle bei der Trassenbestellung und -zuteilung von den Bahnen unabhängig und transparent gestaltet werden. Die Trassenvergabestelle sollte für das gesamte Normalspurnetz zuständig sowie auf der Basis eines gesetzlichen Auftrags legitimiert sein. Dieser Auftrag legt die Zuständigkeiten und die Rollen der einzelnen Akteure ebenso fest wie die Finanzierung sowie die Informations- und Auskunftspflicht der Infrastrukturbetreiberinnen. Der Verwaltungsrat der Trasse AG CH sollte nach definierten Anforderungsprofilen durch den Bund bestimmt werden. 10

Mit diesen Massnahmen dürfte der Status quo zumindest den regulatorischen Rahmen gemäss aktueller Rechtslage der EU mit dem Landverkehrsabkommen erfüllen. Die heutige Bahnlandschaft SBB+X basiert auf integriert geführten Unternehmungen. Sollten politisch weitere Marktöffnungsschritte im Personenverkehr beschlossen oder angestrebt werden, sieht die Expertengruppe in den aktuellen, sehr heterogen gestalteten Organisationsmodellen der Unternehmen keine Perspektiven für die Weiterentwicklung des öv-systems Schweiz. Das Modell der vertikalen Trennung Infrastruktur und Verkehr, wie es von der EU-Kommission angestrebt wird, birgt jedoch für das hochgradig vernetzte und stark ausgelastete Bahnsystem der Schweiz nach Meinung der Expertengruppe so viele Risiken, dass es bei heutiger Wettbewerbsintensität nicht umgesetzt werden sollte. Vielmehr ermöglicht die integrierte Führung von Verkehr und Infrastruktur Vorteile, die in einem desintegrierten Umfeld nur noch eingeschränkt möglich wären, beispielsweise: Besser bewältigbare Planabweichungen und Störungen (inkl. Kundeninformation) im täglichen Betrieb Optimalere Netznutzung bzw. Netzauslastung Weniger Ineffizienzen bei Führungs- und Supportprozessen (d.h. einfacher Abstimmungsbedarf und weniger Formalismen) geringere Transaktionskosten bei Innovationen im System Bahn bessere Endkundennähe der Infrastruktur Die vertikale Trennung würde zudem zu Effizienzverlusten führen, insbesondere wegen der unabdingbaren Ausgliederung der Infrastruktur auch bei kleineren Bahnen. Mit seinem Urteil vom Februar 2013 hat der Europäische Gerichtshof die Rechtmässigkeit der Holdingmodelle der DB und ÖBB bestätigt. Mittelfristig ist das Holdingmodell aufgrund dieses Urteils als einziges integriertes Unternehmensmodell von der EU rechtlich akzeptiert. Im Interesse des auch für die Schweiz wichtigen internationalen Netzzugangs und der Entwicklungsfähigkeit des Bahnsystems Schweiz empfiehlt die Expertengruppe, die beiden international und im Netzzugang tätigen integrierten Bahnunternehmungen SBB und BLS in eine Holding-Struktur zu überführen. Die übrigen im Netzzugang tätigen Normalspurbahnen sollten zumindest die Infrastruktur organisatorisch und institutionell abgrenzen. Damit könnten die jeweiligen unternehmerischen Anforderungen derart berücksichtigt werden, dass die Vorteile des heutigen Schweizer Bahnsystems auch in einem Governance-Modell aufrecht erhalten bleiben, das den absolut notwendigen Regeln zur Diskriminierungsfreiheit des Netzzugangs gerecht wird. Die Expertengruppe geht dabei von einer führungsmässigen Entflechtung - d.h. keine Beherrschung der Infrastruktur durch Verkehrsbereiche - sowie wirtschaftlich sinnvollen und den Unternehmensgrössen angepassten Strukturen aus. Diese sollten die jeweiligen Unternehmungen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben definieren und umsetzen. Mit der Realisierung eines einheitlichen Governance-Modells könnten die heute sehr heterogenen Unternehmensmodelle vereinheitlicht werden. Dies bringt Vorteile für die Weiterentwicklung des Schweizer öv-systems wie: verbesserte Transparenz und Vertrauen, wirksamerer finanzieller Mitteleinsatz, Eingrenzung von marktbeherrschendem Verhalten, verstärkte Kooperationen zwischen den Infrastrukturunternehmen und verbesserter Diskriminierungsschutz von Mitbewerbern im Verkehr. Die Expertengruppe hat sich auch mit der Frage befasst, ob allfällige Effizienzgewinne durch die Zusammenführung aller Normalspurinfrastrukturen und damit durch eine Abkehr von der heutigen Bahnlandschaft SBB+X sowohl auf Verkehrs- wie auch auf Infrastrukturebene realisierbar wären. Sie kommt zum Schluss, dass aufgrund von Grösseneffekten noch Effizienzsteigerungspotentiale bestehen, diese aber bereits heute ohne eigentumsrechtliche Zusammenführungen weitgehend umgesetzt werden könnten. Dies wäre durch verstärkte Kooperationen der Infrastrukturunternehmen möglich. Dafür sollten insbesondere die Systemführerschaften inhaltlich und formal besser geklärt werden. Auch sollten Effizienzpotentiale der grossen Infrastrukturbetreiberinnen mittels Kooperationen den 11

kleineren Infrastrukturbetreiberinnen zugänglich gemacht werden (z.b. Skaleneffekte im Einkauf, Methoden-Knowhow im Infrastruktur-Management, Projektplanung und -ausführung u.a.m.). Diese Kooperationen müssten unabhängig davon sein, ob einzelne Bahnen in Verkehrsbereichen in Konkurrenz zueinander stehen. Zusammenfassend kommt die Expertengruppe zum Schluss, dass es heute nicht möglich ist, DAS ideale, sämtliche Ansprüche erfüllende Governance-Modell für alle denkbaren Szenarien zu etablieren. Die Modellwahl wird langfristig abhängen von politischen Entscheiden bezüglich der Marktöffnung im Personenverkehr, von den Strukturen der Bahnlandschaft Schweiz sowie von den Entwicklungen innerhalb der EU. Die Expertengruppe beurteilt ein Holdingmodell als Chance, die funktional integriert geführten Unternehmungen als tragende Säulen des Schweizer Bahnsystems aufrecht zu erhalten. Damit ist eine auch für Kunden nachteilige vertikale Trennung auf absehbare Zeit vermeidbar. Es ist aus Sicht der Expertengruppe auch sehr zu empfehlen, vor einer allfälligen Marktöffnung das System zweckmässig aufzustellen, statt mit einem nicht optimal aufgestellten System in eine Marktöffnung zu gehen. Die praktikable Ausgestaltung des Holdingmodells sollte nach Ansicht der Expertengruppe innert nützlicher Frist und solange diesbezüglich noch Handlungsspielräume bestehen zusammen mit den betroffenen Bahnen erarbeitet werden. 12