Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten



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Transkript:

Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten 4.1 Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten von Dieter Euler (Universität St. Gallen) Selbstgesteuertes Lernen Didaktische Potenziale (von E-Learning) Lehrsoftware Teletutoring Computer-supported cooperative learning (CSCL) Implementation von E-Learning Schlagworte Der Beitrag stellt die aktuellen Ansprüche und Realisationsansätze des selbstgesteuerten Lernens mit Multimedia und Telekommunikation in das Spannungsfeld von ökonomischen Erwartungen und pädagogischen Qualitätsansprüchen. Es wird ausgeführt, dass die Weiterentwicklung didaktischer Innovationen von der Definition und Gestaltung dieses Spannungsfeldes abhängt. Dabei wird deutlich, dass durchaus bemerkenswerte Potenziale in der Nutzung der neuen technologischen Optionen existieren. Im Einzelnen wird herausgearbeitet, welche mikro- und makrodidaktischen Gestaltungsfelder zu bearbeiten, welche kritischen Variablen zu beachten und welche Faktoren bei der Implementation zu gestalten sind. Zusammenfassung 1 Verheißungen und ihre Hintergründe 2 2 Skepsis und ihre Folgen 4 3 Die Suche nach dem didaktischen Mehrwert 5 4 Realisationskonzepte des selbstgesteuerten Lernens mit Multimedia und Telekommunikation 5 4.1 Technische Grundlagen 6 4.2 Reichweite möglicher Innovationen 6 4.3 Einordnung des selbstgesteuerten Lernens 7 4.4 Selbstgesteuertes Lernen mit Präsentationsmedien 8 4.5 Selbstgesteuertes Lernen mit Interaktionsmedien 9 4.6 Selbstgesteuertes Lernen im Rahmen von Teletutoring und telekommunikativem Austausch 10 4.7 Selbstgesteuertes Lernen im Rahmen von telekooperativen Problemlösungsprozessen 12 5 Zwischenfazit: Antworten auf die Frage nach dem didaktischen Mehrwert von Formen des selbstgesteuerten Lernens mit Multimedia und Telekommunikation 13 6 Von der potenziellen zur realen Verbesserung Hinweise zur Implementation von E-Learning-Konzepten 14 7 Abschluss 18 Literaturhinweise Handbuch E-Learning Grundwerk Dezember 2001 1

4.1 Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten Man weiß nie, was daraus wird, wenn die Dinge verändert werden. Aber weiß man denn, was daraus wird, wenn die Dinge nicht verändert werden? Elias Canetti 1 Verheißungen und ihre Hintergründe Lernen ist ursprünglich selbstgesteuert Leerzeiten als Lehrzeiten? Die ökonomischen Kräfte von E-Learning Großunternehmen Selbstgesteuertes Lernen ist eigentlich alles andere als spektakulär. Schließlich kennzeichnet es die Form des Lernens, mit denen sich Kinder die Welt erschließen und die daher in wesentlichen Phasen des Lebens unsere Entwicklung bestimmen. Erst die Formen der institutionalisierten Bildung in Schule, Betrieb oder Universität umrahmen das Lernen mit Anleitung, Anweisung oder Anordnung kurz: sie intensivieren Elemente eines fremdgesteuerten Lernens. Damit wird ein wesentlicher Kontext für das hier zu erörternde Thema konturiert. Aktuell verbindet sich eine Kritik an der vermeintlich zu starken Ausprägung eines fremdgesteuerten Lernens mit der Verheißung, insbesondere durch den Einsatz der neuen Medien ließe sich dieses Problem lösen. Die These erscheint zunächst so klar wie ein gescheuerter Fußboden: In der Wissensgesellschaft sei es erforderlich, in immer kürzeren Intervallen die individuellen Kompetenzen zu aktualisieren, so dass sich das»lebenslange Lernen«notwendigerweise im Rahmen eines kontinuierlichen Selbstlernens vollziehen müsse. Die Schule müsse zu den Lernenden kommen, nicht umgekehrt! In dieser Perspektive wird nicht nur die Arbeit, sondern auch das Lernen einem Beschleunigungsdenken unterworfen. Der Hochgeschwindigkeitsmensch ist ständig auf der Überholspur, er lernt nicht mehr auf Vorrat, sondern erwirbt sein Wissen im Rahmen einer»just-in-time-qualifizierung«dann, wenn er es braucht. Leerzeiten werden zu Lehrzeiten, aber da diese zumeist plötzlich und ungeahnt auftreten, muss die Abhängigkeit von fixierten Terminen für die Lehrveranstaltungen beseitigt und durch flexible Formen ersetzt werden. Die Verheißung verbindet sich derzeit mit unterschiedlichen Begriffen: E-Learning, Online-Lernen, Telelernen oder auch multimediales und telekommunikatives Lernen sind die verbreitetsten. Die Beschreibungen deuten an, dass es sich bei diesen Überlegungen nur bedingt um eine pädagogische Perspektive handelt. Für die Diskussion und didaktische Beurteilung des selbstgesteuerten Lernens mit Multimedia und Telekommunikation erscheint es vielmehr bedeutsam, zumindest skizzenhaft die treibenden ökonomischen Kräfte zu erfassen. E-Learning wird in der öffentlichen Darstellung häufig nicht als ein pädagogisches Konzept, sondern als ein neues Geschäftsfeld (Edu-Commerce) diskutiert. Mit den Möglichkeiten der Telekommunikation können Bildungsinhalte schnell über den Globus transportiert werden, es entsteht ein globaler Bildungsmarkt. Die Vertriebslinien werden derzeit von drei Akteuren bestimmt: n Insbesondere Großunternehmen entwickeln Lern- und Beratungsangebote und stellen es (z. T. wiederum weltweit) den Mitarbeitern oder auch Kunden zur Verfügung. Einige Unternehmen gründen beispielsweise eine»corporate University«für eine unternehmensspezifische Führungskräfteausbildung und führen sogar eigene Studienabschlüsse (z. B. MBA) ein, Beratungsfirmen wie etwa Accenture oder Ernst&Young gründen eine E-Learning-Consulting und bieten ihren Kunden Beratungswissen an 2 Grundwerk Dezember 2001 Handbuch E-Learning

Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten 4.1 und viele Unternehmen erhoffen sich durch eine Intensivierung von E-Learning wesentliche Reduzierungen ihrer Aus- und Weiterbildungskosten. n Einige Universitäten insbesondere aus dem angelsächsischen Raum stellen Studieninhalte zu spezifischen Themen oder auch im Hinblick auf einen kompletten Studienabschluss (z. B. Master) bereit. So verfolgt beispielsweise die Fuqua School of Business (Duke University) die Strategie, in Europa ein Angebot zu installieren, über das in 21 Monaten berufsbegleitend im Wechsel von Selbststudium und Präsenzveranstaltungen ein US-MBA erworben werden kann. Dazu wurde u. a. in Frankfurt ein Tochterunternehmen gegründet (Hutschenreuter/Enders 2000, S. 18 f.) Ein anderes Modell ist die University of Phoenix, die als kommerzielle E-University agiert und ihre Angebote ausschließlich online bereitstellt (Spiewak 2001). n Bildungsbroker treten als Kooperationspartner von Universitäten und Unternehmen auf, um die Inhalte technisch (und gelegentlich auch didaktisch) aufzubereiten und/oder zu vertreiben. Richtungsweisend ist in diesem Zusammenhang UNext (www.unext.com), die 1998 mit der Zielsetzung gegründet wurde, Managementweiterbildungsprogramme über das Internet zu vermarkten. Für die Erstellung der Inhalte kooperiert UNext mit renommierten Universitäten (z. B. Columbia, Stanford, Carnegie-Mellon, LSE).Die Palette der Angebote reicht von Standardkursen bis zu»customized programs«. Auch traditionelle Verlage drängen auf diesen Markt; sie werden zum Vertriebspartner von Unternehmen und Universitäten oder verlegen und vertreiben elektronische Medien (z. B. Lernsoftware, E-Books). So werden etwa Lernprogramme der Firma Bosch über eine Tochtergesellschaft von McGraw Hill vertrieben (Schenkel 2000, S. 14). Korrespondierend zu der Absatzseite formiert sich ein Markt für die Produktion der Bildungsangebote. Auf der technischen Seite wird eine wachsende Zahl von Lernplattformen angeboten, auf der personellen Seite existieren mittlerweile spezifische Bildungsgänge zur Vorbereitung auf das Management und die tutorielle Unterstützung von E-Learning-Kursen (z. B. TeleCoach). Hinweis: In einer aktuellen Untersuchung werden ca. 70 Plattformen verglichen: www.brandon-hall.com. Universitäten Bildungsbroker Wachsende Zahl von Lernplattformen c! Gleichwohl gibt es auch einige Moll-Töne in dem lauten Chor der E-Learning-Propagandisten. So kündigte das MIT an, in Anlehnung an die Open- Source-Idee zukünftig im Rahmen einer OpenCourseWare sämtliche Lehrmaterialien kostenlos ins Netz zu stellen; offensichtlich sieht man den entscheidenden Qualitätsfaktor nicht in den Medien, sondern in der Qualität der personalen Lehrunterstützung im Klassenzimmer oder Labor (New York Times v. 4. 4. 2001). Der englische Economist berichtet, dass sich bislang die Erwartungen in die Profitibilität des E-Learning-Marktes nicht erfüllt hätten; einen wesentlichen Grund dafür sehen die Autoren in der unzulänglichen didaktischen Ausrichtung der Produkte (v. 17. 2. 2001, S. 85). Die ökonomischen Erwartungen haben E-Learning zu einem verheißungsvollen Markt der New Economy gemacht. Doch wie stehen die Pädagogen diesen Entwicklungen gegenüber? Nehmen sie sie als einen Windstoß des Schicksals, oder versuchen sie, die Entwicklungen als Katalysator für die Verfolgung eigener Ambitionen und Innovationsvorstellungen zu nutzen? Handbuch E-Learning Grundwerk Dezember 2001 3

4.1 Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten 2 Skepsis und ihre Folgen Ökonomisch profitabel, didaktisch anspruchslos Falsche Vorstellungen Ein Teufelskreis Technik und Ökonomie gelten traditionell nicht als ein Stoff, der die Pädagogik adeln könnte. Pädagogen besitzen häufig eine gehobene Skepsis gegenüber den euphorisch vorgetragenen Verheißungen der Marktstrategen, denen häufig unterstellt wird, dass sie entweder nicht sagen, was sie meinen, oder aber nicht meinen, was sie sagen. Dem unterlegten Menschenbild des E-Learners, der ruhelos einer immer schneller verfallenden Brauchbarkeit hinterher rennt, begegnet man mit Kopfschütteln. Im Verständnis der Pädagogik entziehen sich Lernen und Erkennen dem Beschleunigungsdenken. Erkenntnisse entstehen häufig überraschend, nach Phasen der Muße und Ruhe. Für viele Pädagogen ist E-Learning daher auch kein pädagogischer Problemlöser, sondern stellt selbst ein Problem dar. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass sich so manche Versprechungen der IT-Profis im Nachhinein als Versprecher erwiesen hätten. Und in der Tat erscheint dieses Argument empirisch gut gestützt: Ob die programmierte Unterweisung der 60 er und 70 er Jahre, das computerunterstützte Lernen der 80 er Jahre oder die bisherigen Erfahrungen des multimedialen und telekommunikativen Lernens in den 90 er Jahren aufgenommen werden immer wurden didaktische Potenziale beschworen, realisiert wurden jedoch zumeist die ökonomisch günstigen, didaktisch aber anspruchslosen Lösungen. So ist es derzeit offen, ob wir eine Neuauflage dieser Erfahrung auf einem höheren technischen Niveau erleben, oder ob sich die Fehlentwicklungen der Vergangenheit wiederholen werden. Dazu kommt, dass die Legitimation der Neuen Medien teilweise in einer Rhetorik verfolgt wird, die sich im Hinblick auf eine rationale Diskussion als gegenproduktiv erweist. So wird beispielsweise gelegentlich das Argument in die Diskussion eingebracht, eine multimediale Lernsoftware oder Formen des Telelernens seien als Ersatz für Lehrpersonen zu betrachten (»Tutorial als besserer menschlicher Tutor«), da durch sie der Lernerfolg nicht nur effektiver, sondern auch kostengünstiger erreicht werden könne (z. B. Pichler 2000). Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, wenn die Neuen Medien von den Pädagogen gelegentlich als Konkurrent, nicht als Ergänzung bzw. Verstärkung des menschlichen Lehrhandelns wahrgenommen werden und verstärkt Skepsis und Widerstand auslösen. Das Bild, das sich mit E-Learning verbindet, ist allerdings häufig nicht sehr präzise und realitätsgerecht. So findet man Vorstellungen, die E-Learning auf alte behavioristische Konzepte reduzieren, in denen die Lernenden an einem elektronischen Nasenring durch ein starr strukturiertes Programm gezogen werden. Oder es wird gleichgestellt mit einem»nomadisierenden Lernen«, bei dem keine sorgfältige Wissensverankerung erfolgt, sondern ein flüchtiges Aufnehmen von zusammenhanglosen Informationsfragmenten. Andere befürchten, dass ein Thema wie E-Learning die begrenzte Innovationskraft von Pädagogen abzieht, obwohl diese für andere pädagogische Herausforderungen viel dringlicher benötigt wird. In der Folge kommt es zu einer weit verbreiteten Skepsis und Ignoranz, bestenfalls zu einem unpersönlichen Interesse auf Seiten derjenigen, die eigentlich für die Qualität der neuen Medien sorgen könnten. Es besteht die Gefahr, dass sich ein Teufelskreis schließt: Die Pädagogen lehnen die neuen Medien ab, weil sie didaktisch nicht überzeugen die neuen Medien bleiben didaktisch anspruchslos, weil sie ohne pädagogische Expertise und Professionalität entwickelt werden. 4 Grundwerk Dezember 2001 Handbuch E-Learning

Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten 4.1 3 Die Suche nach dem didaktischen Mehrwert Welche Konsequenzen sind vor dem Hintergrund der skizzierten Einstellungen und Interessen denkbar? In einem Bild ließen sich die Optionen wie folgt zeichnen: Wenn der Wind der technischen Innovationen weht, dann kann man versuchen, das eigene Terrain mit einer Mauer zu schützen; oder man baut Windmühlen, um den Wind zu nutzen. Inwieweit die Nutzung erfolgreich ist, wäre zu klären. An dieser Stelle soll nunmehr der didaktische Diskurs einsetzen, wobei mit Blick auf das Rahmenthema zwei Kernfragen aufgenommen werden: Kernfragen im didaktischen Diskurs n Wo liegen die Potenziale von Multimedia und Telekommunikation für neue Formen des selbstgesteuerten Lernens? n Was wäre erforderlich, um diese Potenziale zu realisieren? In der Abwägung von ökonomischen und pädagogischen Potenzialen können beim Einsatz eines spezifischen E-Learning-Konzepts prinzipiell vier Konstellationen auftreten: 1 2 3 4 Ökonomische Bilanz + + Pädagogische Bilanz + + Abb. 1: Ökonomische und pädagogische Bilanz Konstellationen beim E-Learning Die folgenden Überlegungen gehen von der Prämisse aus, dass die neuen Medien nur dort eingesetzt werden sollen, wo sie einen didaktischen Mehrwert gegenüber bekannten Konzepten des Lehrens und Lernens begründen (d. h. in den Varianten 2 und 3). Ein Grenzfall der Beurteilung liegt vor, wenn andere Kriterien eine Anwendung begründen, beispielsweise wenn in einem Flächenland universitäre Lehrangebote für solche Zielgruppen zugänglich werden, die ansonsten faktisch keine Möglichkeit zu dem Besuch von Präsenzveranstaltungen besitzen. Didaktischer Mehrwert 4 Realisationskonzepte des selbstgesteuerten Lernens mit Multimedia und Telekommunikation Im Folgenden werden zunächst der technische Rahmenbedingungen und die Reichweite möglicher Innovationen skizziert, bevor die Gestaltungskomponenten des selbstgesteuerten Lernens mit Multimedia und Telekommunikation dargestellt werden. Aus Gründen der Veranschaulichung werden vier idealtypisch abgegrenzte Reinformen aufgenommen, die in der Praxis miteinander auch in Verbindung mit personalen Lehrformen verknüpft werden können. Als solche repräsentieren sie das Portfolio, aus dem die konkreten Realisationsformen eines selbstgesteuerten Lernens mit Multimedia und Telekommunikation entwickelt werden können. Handbuch E-Learning Grundwerk Dezember 2001 5

4.1 Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten 4.1 Technische Grundlagen Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation bedeutet zunächst, dass sich der Lernende zur Unterstützung seines Lernens der technischen Hilfsmittel einer multimedialen Lern- und Informationssoftware sowie von Telekommunikationsnetzen bedienen kann. Als klassische Varianten einer Lernsoftware sind Tutorials, Drill-and-Practice- sowie Simulationsprogramme zu nennen. Informationssoftware stellt elektronisch gespeicherte Informationen zur Verfügung, die i. d. R. zwar nicht originär für das Lehren und Lernen generiert wurden, gleichwohl aber sinnvoll in Lehr-Lernprozesse integriert werden können. Hierzu zählen im Wesentlichen kommerziell betriebene oder frei zugängliche Hypermedia-Software bzw. Informationsbanken sowie elektronische Bücher oder Zeitschriften. Telekommunikationsnetze ermöglichen zum einen den schnellen Zugriff auf räumlich entfernt liegende Lehr- und Informationssoftware. Zum anderen schaffen sie die Grundlage, um sich mit anderen Personen beispielsweise via E-Mail, Chat- und Newsgroups im Kontext des Lehrens und Lernens auszutauschen. Telekommunikationsnetze können so konzipiert werden, dass sie für alle interessierten Anwender offen zugänglich sind; sie können aber auch als so genanntes»intranet«auf einen definierten Benutzerkreis, z. B. innerhalb einer Universität, einer Schule oder einer Unternehmung, begrenzt werden. 4.2 Reichweite möglicher Innovationen Lern- und Informationssoftware Telekommunikationsnetze Entwicklungsrichtungen von Innovationen Ausgehend von diesem technischen Rahmen können sich praktische Innovationen in unterschiedlicher Reichweite vollziehen, wobei idealtypisch drei Entwicklungsrichtungen unterschieden werden können: Entwicklungsrichtungen Neue Medien als Addition zu bestehenden Komponenten des Lehr-Lernprozesses Neue Medien als Auslöser für die Entwicklung neuer Lernumgebungen Neue Medien als Auslöser für die Gestaltung der kulturellen und organisatorischinstitutionellen Rahmenbedingungen des Lehrens und Lernens Gestaltungsschwerpunkte Lernsoftware Lernumgebungen Kulturen/Strukturen Abb. 2: Angestrebte Reichweite von Innovationen beim Einsatz der Neuen Medien Neue Lernsoftware Neue Medien als Addition zu bestehenden Komponenten des Lehr-Lernprozesses: In diesem Kontext soll der bestehende Rahmen des Lehrens und Lernens in einer Organisation unverändert bleiben und lediglich durch zusätzliche Lern- und Informationssoftware angereichert werden. Prototypisch für diesen Ansatz wäre etwa die Aufbereitung von Lerninhalten über eine Lernsoftware oder der Zugriff auf Informationsressourcen des Internets an Stelle von Printmedien. 6 Grundwerk Dezember 2001 Handbuch E-Learning

Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten 4.1 Neue Medien als Auslöser für die Entwicklung neuer Lernumgebungen, teilweise mit neuen Zielbezügen: In diesem Rahmen entstehen neue didaktische Konzepte und Lernumgebungen, mit denen angestrebte Lernziele vermeintlich besser erreicht werden können als über konventionelle Lehr-/Lernarrangements. Neue Medien als Auslöser für die Gestaltung der kulturellen und organisatorisch-institutionellen Rahmenbedingungen des Lehrens und Lernens: In diesem Kontext werden die Konzepte des multimedialen und telekommunikativen Lernens aufgenommen, um Lehren und Lernen in neue Kulturen und Strukturen einzupassen. In kultureller Hinsicht wird beispielsweise über die Verstärkung von Formen des selbstgesteuerten Lernens versucht, die Bildungsverantwortung verstärkt auf die Mitarbeiter zu verlagern, oder in den Unternehmensbereichen eine Kultur des eigenverantwortlichen Lernens aufzubauen, die von den Führungskräften unterstützt wird. In organisatorischer Hinsicht werden beispielsweise auf Unternehmens- oder regionaler Ebene Selbstlernzentren und Lernplattformen aufgebaut, die den Mitarbeitern ein eigenverantwortliches und bedarfsgerechtes Lernen ermöglichen. In beiden Fällen werden die Neuen Medien zu einem Instrument des Bildungsmanagements. Neue Lernumgebung Neue Strukturen/ Organisationsentwicklung Über die drei Stufen weiten sich die Innovationsringe zunehmend aus und erhöhen die Reichweite der Veränderung. 4.3 Einordnung des selbstgesteuerten Lernens Bevor im Folgenden die Potenziale eines selbstgesteuerten Lernens mit Multimedia und Telekommunikation herausgearbeitet werden, ist zur Vorbeugung gegenüber Missverständnissen das hier vertretene Verständnis von selbstgesteuertem Lernen zu klären. Eine (zu) vereinfachte Formel könnte lauten: Fremdgesteuertes Lernen ist Zuhören (im Vortrag) oder Diskutieren (im Lehrgespräch), selbstgesteuertes Lernen ist Lesen (von Printmedien). Das didaktische Repertoire ist demgegenüber vielfältiger mit der Konsequenz, dass die Abgrenzungen schwerer fallen. Lernen vollzieht sich auf dem Kontinuum unterschiedlicher Lernumgebungen, wobei sich die Anteile an Fremd- bzw. Selbststeuerung in der Planung und Durchführung des Lernens unterschiedlich gewichten: Unterschiedliche Lernumgebungen Selbstgesteuerte Lernprozesse Fremdgesteuerte Lernprozesse Vortrag Lehrgespräch (Betreutes) Lernen im sozialen Austausch mit anderen Lernenden (Betreutes) E-Learning (individualistisch/ kooperativ) (Betreutes) Lernen mit Printmedien Abb. 3: Kontinuum von Lernumgebungen nach dem Grad von Fremd- und Selbststeuerung Handbuch E-Learning Grundwerk Dezember 2001 7

4.1 Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten Die Abbildung soll zum einen verdeutlichen, dass ein Minimum an Selbststeuerung immer vorhanden sein muss, um überhaupt etwas zu lernen ohne die Bereitschaft und Fähigkeit zum Lernen werden die intensivsten Bemühungen des besten Dozenten ins Leere laufen. Zum anderen gibt es zwischen den Extrempolen eines weitgehend fremd- bzw. selbstgesteuerten Lernens zahlreiche Lernumgebungen, die (zumindest in ihrer Idealtypik) als Varianten eines mehr fremd- oder selbstgesteuerten Lernens definiert werden. Die in der Abbildung genannten Beispiele dienen der Illustration, nicht der Erfassung und eindeutigen Abgrenzung aller denkbaren Formen. Selbstgesteuertes Lernen Definition Als selbstgesteuertes Lernen werden all jene Lernprozesse verstanden, die durch die Lernenden selbstständig geplant und gestaltet werden und bei denen sich die Rolle der Lehrenden weitgehend auf die Bereitstellung von Medien, die Unterstützung bei auftretenden Fragen und die Moderation von erarbeiteten Lernergebnissen begrenzt. Das selbstgesteuerte Lernen kann sich aus Sicht des Lernenden entweder individualistisch oder kooperativ vollziehen. Im ersten Fall dominiert die Sozialform des Einzellernens, im zweiten Fall besteht eine kooperative Verbindung zu Lernpartnern in einer Dyade oder einer Lerngruppe. Die Selbststeuerung kann sich prinzipiell auf unterschiedliche Faktoren des Lernens beziehen, so beispielsweise auf die Ziele/Inhalte, den methodischen Ablauf oder auf die Rahmenbedingungen von Ort und Zeit. Das selbstgesteuerte Lernen verlagert die Verantwortung für den Lernerfolg vom Lehrenden auf den Lernenden, macht aber den Lehrenden nicht überflüssig, sondern weist ihm neue Aufgaben zu. Er kann verstärkt von den Lernenden mit Fragen und Inhalten konfrontiert werden, die ihm unbekannt sind. Seine neue Rolle besteht weniger in der Vermittlung von Inhalten, sondern mehr in der Organisation und Moderation von Lernprozessen. Auch E-Learning ist ein sozialer Prozess, der sich nicht zwangsläufig und selbstverständlich entwickelt, sondern der gestaltet werden muss (Schenkel 2000, S. 31 f.). 4.4 Selbstgesteuertes Lernen mit Präsentationsmedien Präsentationsmedien dienen der anschaulichen und verständlichen Darbietung von Lehrinhalten. Das Spektrum reicht von klassischen Printmedien (Lehrbuch, Skript u. ä.) bis zu audio-visuellen Medien, die über technische Unterstützungen bereitgestellt werden. Im Kontext von E-Learning stehen solche Medien im Vordergrund, die über Printmedien hinausgehen und weitergehende Möglichkeiten zur Veranschaulichung von Lerninhalten bieten. Im Einzelnen: Filmisch-authentische Darstellung Lehrclips n Filmisch-authentische Darbietung einer Fallsituation (z. B. Aufriss einer Problemsituation in einer Unternehmung, spielerische Darbietung einer juristisch relevanten Fallsituation) bzw. von Fallbeispielen zur Illustration abstrakter Zusammenhänge (z. B. Unternehmenskultur). n Lehrclips i. S. der audio-visuellen Aufzeichnung einer Lehrsequenz (z. B. Erläuterung/Zusammenfassung von zentralen Problemstellungen und Kernaussagen zu einem Lehrgebiet in einem Kurzvortrag, einer Diskussionseinheit; Problematisierung von vermeintlich klaren Aussagen durch Einbringung einer anderen Perspektive auf den Inhalt; Erschließung von Schlüsselkonzepten im Interview;»dumme Fragen«, die sich niemand zu 8 Grundwerk Dezember 2001 Handbuch E-Learning

Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten 4.1 stellen traut...). Als Beispiel sei auf die Entwicklungen an der London School of Economics verwiesen, wo über eine Produktionsgesellschaft (»Enterprise LSE«) u. a.»multimedia articles«in Form von»lectures«,»discussions«,»interviews«und»animated text articles«produziert werden (vgl. www.fathcom.com). n Präsentationsfolien mit Animationselementen (z. B. PowerPoint-Sequenz mit schrittweiser Darbietung des sachlogischen Aufbaus einer Strukturgrafik, eines Argumentationsgangs, eines Rechenverfahrens u. a.). n Hypertext als Einstieg oder Zusammenfassung einer Lehreinheit mit Verweisen auf Vertiefungen, visuelle Veranschaulichungen, Übungen u. a. n Hinweise auf aktuelle wissenschaftliche Fachinformationen, insbesondere im Rahmen von Bibliothekskatalogen, Bibliografien, elektronischen Büchern und Fachzeitschriften sowie Volltextdatenbanken. Das innovative Plus gegenüber den bekannten Formen der Präsentation von Lehrinhalten besteht insbesondere darin, dass auf Grund der Verknüpfung unterschiedlicher Darstellungsformen in einem Medium (insbesondere Text, Bild, Ton) spezifische Potenziale der Veranschaulichung von abstrakten Theorien nutzbar sind. Damit verbunden ist die Möglichkeit, Praxissituationen mit einer höheren Authentizität für das Lernen aufzubereiten. Eine spezifische Verknüpfung erhielten diese Medien beispielsweise als Hypermedia- Lehrbuch, das Lehrtexte mit audio-visuellen Erweiterungen, Prüfungsaufgaben und optional abrufbaren Vertiefungsinformationen verbindet (vgl. für den Bereich der Ökonomie Sosin/Becker 2000, S. 4). Präsentationsfolien Hypertexte Datenbanken Medien-Mix als innovatives Plus 4.5 Selbstgesteuertes Lernen mit Interaktionsmedien Interaktionsmedien dienen der Aufforderung zur selbstgesteuerten Erschließung, Festigung, Anwendung und kritischen Reflexion von Lehrinhalten. Der Begriff der»interaktivität«bedarf insbesondere im Kontext von Multimedia und Telekommunikation einer Präzisierung, da er häufig missverstanden wird. Interaktivität liegt nicht schon dann vor, wenn per Knopfdruck eine Information abgerufen werden kann hier handelt es sich vielmehr um die Selektion aus bestehenden Informationsbeständen. Wirkliche Interaktivität erfordert, dass sich zumindest partiell dynamische, ergebnisoffene Austauschprozesse entwickeln und nicht vorweg definierte, mechanistisch ablaufende Lernprozesse ausgelöst werden. Im Kern kann die Aufforderung zur Selbststeuerung über die folgenden Komponenten (sog.»assignments«) gestaltet werden: Begriff Interaktivität Interaktions- Assignments n Fragestellungen zielen auf die Reproduktion von Wissen und verlangen den Studierenden eine Erinnerungsleistung ab. n Aufgabenstellungen zielen auf die Anwendung von Wissen, d. h. sie geben den Studierenden die Möglichkeit, abstrakte Fachinhalte auf konkrete Situationen anzuwenden. n Problemstellungen zielen auf die Einbringung kreativer Elemente zur Lösung von Problemen; es werden konvergente oder divergente Ideen zur Lösung verlangt, da die Kenntnis von Wissen allein zur Lösung des Problems nicht ausreicht. Handbuch E-Learning Grundwerk Dezember 2001 9

4.1 Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten Mediale Verpackung Lernsoftware Arbeitsanaloge Lernaufgaben Fallaufgaben WebQuests FAQ Das Konzept des Teletutoring verbindet das selbstgesteuerte Lernen mit der Möglichkeit, bei Bedarf auf die Unterstützung durch einen telekommunikativ erreichbaren, personalen Tutor oder durch andere Lernende im Rahmen einer»virtuellen Lerngemeinschaft«via Diskussionsforum/Chat u. a. zurückgreifen zu können. Das Netz wird sozusagen zum medialen Notausgang bei einem auftretenden Kommunikationsbedarf. Bei den Lernenden könnte auf diese Weise auch die Fähigkeit gefördert werden, gezielt Fragen zu stellen. Die Telekommunikation zwischen den Lernenden und dem Teletutor erfolgt dabei synchron oder asynchron. Neben der technischen Grundlage (Text- Navigations- Hypertext Die Frage-, Aufgaben- und Problemstellungen können in unterschiedliche mediale Einheiten verpackt werden. Hier einige Beispiele (vgl. im Einzelnen Euler 2000): n Selbst- bzw. fremdproduzierte Angebote an Lernsoftware: Tutorials, Drill&Practice-, Simulationsprogramme. n Arbeitsanaloge Lernaufgaben konfrontieren den Lernenden mit einer praxisnahen Problemstellung und stellen einen Hintergrund an unterschiedlichen Hilfesystemen zur Verfügung, die er während der Bearbeitung verwenden kann und über die er insgesamt die Lerninhalte erarbeitet. n Fallaufgaben können unterschiedliche Anforderungen betonen: Die verbreitetste Form ist der Problemlösungsfall (case-problem-method), bei dem für eine im Fall verpackte Problemsituation eine Lösung erarbeitet werden soll. Andere Varianten sind u. a. der Untersuchungsfall (case-incident-method: es müssen die notwendigen Informationen zur Fallbearbeitung beschafft werden), der Problemfindungsfall (case-study-method: es müssen die verborgenen Problemstrukturen aus den umfangreichen Fallinformationen identifiziert werden), der Beurteilungsfall (stated-solution-method: es müssen vorgegebene Problemlösungen beurteilt, ggf. Alternativen entwickelt bzw. zwischen Alternativen Entscheidungen gefällt werden). n WebQuests können als eine Sonderform der Fallaufgabe verstanden werden. Eine WebQuest besteht i. d. R. aus einer Einführungsinformation, einer anregenden Problemstellung, einer Beschreibung des Prozesses zur Erarbeitung einer Problemlösung und einer Auswahl geeigneter Informationsquellen, die zu einem hohen Anteil aus dem Web entstammen. Die Analogie zu einem netzbasierten Leittext drängt sich auf (Abplanalp 1999; Seufert/Back/Häusler 2001, S. 120 ff.). n FAQ (Frequently Asked Questions) im Rahmen eines Lehrgebietes. n Navigations-Hypertext als Überblick über die zentralen Frage-, Aufgabenund Problemstellungen eines Inhaltsbereiches und Rahmen für die selbstgesteuerte Wissenserarbeitung. Interaktionsmedien erfüllen aus didaktischer Sicht prinzipiell die Funktionen, die in Kontaktveranstaltungen über die Person des Lehrenden wahrgenommen wird: Sie fordern und fördern den Lernenden dadurch, dass er in einem höheren Maße die Lehrinhalte aktiv (v)erarbeiten, auf variierende Problemsituationen anwenden, kritisch reflektieren etc. muss. 4.6 Selbstgesteuertes Lernen im Rahmen von Teletutoring und telekommunikativem Austausch Konzept des Teletutoring 10 Grundwerk Dezember 2001 Handbuch E-Learning

Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten 4.1 Mail, Voice-Mail, Videobild) und der Organisationsform (synchron, asynchron) ist die Zahl der angeschlossenen und zu betreuenden Teilnehmer für die Qualität des Teletutoring von Bedeutung. Im Einzelnen können u. a. die folgenden Lernumgebungen organisiert werden (Seufert/Back/Häusler 2001, S. 39 ff.) n Virtuelles Tutorial als Möglichkeit der Impulsierung des Lernens oder der Rückmeldung auf Fragen oder Arbeitsergebnisse der Lernenden. n Discussion-/ Newsgroup-/Online-Chats als Austausch zwischen Lernenden in ähnlichen Arbeits- bzw. Lernkontexten. n Expertenbefragung als Erschließung von problemrelevanten Informationen durch vermittelte oder eigenkontaktierte Experten zum jeweiligen Lehrinhalt. Als Grundlage dient der Aufbau einer Expertendatenbank mit Ansprechpartnern (»Yellow Pages«), die von den Lernenden kontaktiert werden können. Eine spezifische Variante des Teletutoring stellt der Aufbau von Lernpatenschaften dar. Lernende erhalten je nach Anwendungskontext einen Kommilitonen oder einen Paten bzw. Mentor/Coach (je nach Hierarchieverhältnis) aus der Praxis, um sich mit ihm bei Bedarf auszutauschen (Seufert/Back/ Häusler 2001, S. 158 ff.). Die Initiierung entsprechender Formen einer telekommunikativen Lernunterstützung beinhaltet eine Vielzahl von Chancen und Risiken (Euler 2000). Besondere Chancen bestehen darin, die Anonymität des Lernenden aufzubrechen und Hilfestellung bei auftretenden Lernschwierigkeiten anzubieten. Wesentlich für den Erfolg dieser Lernform wird jedoch die didaktische Ausgestaltung und Unterstützung sein. So liegt beispielsweise ein wesentlicher Gestaltungsaspekt in der Art der Rückmeldung durch den Teletutor. In sachlicher Hinsicht stellt sich die Frage, in welchem Maße unzulängliche Eingaben des Lernenden mit ergebnis- oder prozessbezogenen Lernhilfen rückgemeldet werden. In emotionaler Hinsicht entsteht die Aufgabe, die Rückmeldungen aufbauend und motivierend zu gestalten. Ein anderes Beispiel: Die Qualität der Beiträge in einer News-/Discussiongroup ist ohne externe Unterstützung häufig niedrig (Gefahr der Verbreitung von Dilletantismus). Newsgroups sollten daher durch Tutoren bzw. Moderatoren koordiniert und immer wieder neu belebt werden. Ein solcher Moderator hätte die Aufgabe, durch Fragen und Impulse die Diskussionen zu entfachen, Teilnehmer zu Beiträgen aufzufordern, diskrepante Beiträge zusammenzufassen und für die weitere Diskussion aufzubereiten, Zwischenergebnisse festzuhalten u. a. m. Erste Erfahrungen zeigen, dass das Teletutoring von den Lernenden i. d. R. in Verbindung mit Präsenzphasen gewünscht wird, d. h. es dient der Erweiterung von Präsenzveranstaltungen, nicht als deren Ersatz. Diskussionsgruppen über E-Mail»steigern die Erwartung auf echte Diskussionen eher, als dass sie sie reduzieren.«(farrington 1997, S. 52 f.). Virtuelles Tutorial Online-Chats Expertenbefragung Lernpatenschaften Chancen und Risiken Präsenzphasen sind wichtig Handbuch E-Learning Grundwerk Dezember 2001 11

4.1 Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten 4.7 Selbstgesteuertes Lernen im Rahmen von telekooperativen Problemlösungsprozessen Grundlegend für diese Lernform ist die Erarbeitung einer Problemlösung über eine größere räumliche Distanz mit Hilfe der Telekommunikationsnetze. Dabei sind die Grenzen zum Teletutoring nicht immer trennscharf zu ziehen. Ein konkretes Beispiel für telekooperatives Lernen stellt die Erarbeitung von gemeinsamen Dokumenten durch studentische Arbeitsgruppen dar (vgl. Kremer/Wilbers 1998). Technisch erfolgt der Austausch i. d. R. über Mail (asynchron) oder Videokonferenz (synchron). Häufig wird das telekooperative Lernen (CSCL computer supported cooperative learning) als Vorbereitung auf Formen des verteilten Arbeitens (CSCW computer supported cooperative working) verstanden, d. h. sie wird zugleich als Inhalt und Methode des Lernens aufgenommen. CSCL Geeignete Problemstellung finden CSCL wird im Rahmen eines problemorientierten Lernens durch eine mehr oder weniger komplexe Lernaufgabe getragen (etwa eine Fallstudie), die in Anlehnung an konstruktivistische Lernmodelle als (zumeist arbeitsteilige) Gruppenaufgabe definiert wird. Durch die Nutzung multimedialer Möglichkeiten (z. B. Videosequenzen) kann die Aufgabe mit einer hohen Authentizität eingeführt werden. Sie kann mit einem hohen oder niedrigen Anleitungsbzw. Strukturierungsgrad verbunden werden (z. B. Zeitplan, Arbeitsplanung, Leittexte, Informationsquellen). Konstitutiv ist die Möglichkeit, Lernende aus anderen Bildungsinstitutionen und/oder Praxisfeldern mit anderen fachlichen und kulturellen Perspektiven in die Lernprozesse einzubeziehen. Zentral für den positiven Verlauf des telekooperativen Lernens ist die Grundlegung einer geeigneten Problemstellung. Das Problem muss kooperativ bearbeitbar sein, wobei sich im Idealfall die unterschiedlichen Wissensressourcen der Teilnehmer so ergänzen, dass der Leistungsvorteil einer Gruppenlösung zum Tragen kommen kann. Je komplexer, mehrdeutiger, offener und abstimmungsbedürftiger die Problemstellung ist, desto reichhaltiger sollten die Möglichkeiten des Kommunikationsumfeldes beschaffen sein. Während für einfache und eindeutige Aufgaben ein textbasierter Austausch ausreichen kann, erfordern komplexe Probleme eher eine videobasierte Kommunikation, ggf. ergänzt durch Face-to-Face-Kontakte (Reinmann-Rothmeier/Mandl 1999, S. 34 (unter Bezugnahme auf McGrath/Hollingshead sowie Hansen u. a.)). Der Koordinationsaufwand im Hinblick auf den Umgang mit der Technik ist zu Beginn der Telekooperation beträchtlich, wenn die Lernenden mit der Technik noch nicht vertraut sind (z. B. durch Aufschreiben der Gedanken bei Mails, Ausrichten der Kommunikation auf die technischen Apparaturen bei Video). Entsprechend kann die inhaltliche Arbeit an der Problemstellung in den Hintergrund treten. Mit zunehmender Dauer und Gewöhnung lässt dieser Belastungsfaktor nach (Fischer/Mandl 2000, S. 4 ff.; Law/Ertl/Mandl 1999). Wie schon bei den Diskussionsforen, können auch virtuelle Seminare durch die Inszenierung geheimer Rollen (z. B. Antreiber, Provokateur, Motivator) beeinflusst und unterstützt werden. 12 Grundwerk Dezember 2001 Handbuch E-Learning

Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten 4.1 5 Zwischenfazit: Antworten auf die Frage nach dem didaktischen Mehrwert von Formen des selbstgesteuerten Lernens mit Multimedia und Telekommunikation Das in vier Bereiche und vielfältige Teilformen strukturierte Portfolio soll den Möglichkeitsraum abgrenzen, innerhalb dessen konkrete Realisationsformen eines selbstgesteuerten Lernens mit Multimedia und Telekommunikation zu entwickeln sind. Die skizzierten Lehrformen können in vielfältiger Weise didaktisch miteinander verknüpft werden. Weiter oben wurde als Prämisse eingeführt, dass die neuen Medien nur dort eingesetzt werden sollen, wo sie einen didaktischen Mehrwert gegenüber bekannten Konzepten des Lehrens und Lernens begründen. Worin kann nunmehr dieser Mehrwert im Hinblick auf die einzelnen Lehrformen bestehen? Zusammengefasst sollen folgende Faktoren hervorgehoben werden: n Möglichkeiten der anschaulichen Präsentation von Lerninhalten durch Integration von Film, Standbild, Animation, Ton und Text in einem einzigen Medium. Durch die Integration von Video- und Audiosequenzen können beispielsweise emotionale und affektive Aussagen besser transportiert werden, etwa bei der Darbietung von Fallstudienmaterial. Die Anschaulichkeit kann auch dadurch wachsen, dass die medialen Darstellungen durch den Lernenden unterbrochen oder wiederholt aufgerufen werden können. n Neue Formen der aktiven Auseinandersetzung mit den Lerninhalten (z. B. Navigations-Hypertext, Simulationsprogramme) ermöglichen eine hohe kognitive Verarbeitungsintensität beim Lernen. n Die raum-/zeitunabhängige Bereitstellung von Lerninhalten (Learningon-Demand) erlaubt eine Individualisierung des Lernprozesses (z. B. Ziel-/Inhaltsauswahl, Lerngeschwindigkeit, zeitliche und räumliche Lernorganisation). n Möglichkeiten der gestuften Heranführung an die Selbststeuerung des Lernprozesses. Es besteht weitgehend Konsens darüber, dass Lernmethodenkompetenz bei vielen Lernenden nicht als Voraussetzung, sondern als eine eigenständige Zieldimension des Lernens verstanden werden muss. So ist bekannt, dass Formen des selbstgesteuerten Lernens insbesondere solchen Personen Probleme bereiten, die ein begrenztes Vorwissen über den Lerninhalt, rezeptive Lerngewohnheiten sowie eine geringe Lerndisziplin besitzen, eher unsicher und ängstlich sind (Misserfolgsmotivation) und hohe soziale Kontaktbedürfnisse mit dem Lernen verbinden. Der Grad einer lernförderlichen Selbststeuerung hängt mithin ganz wesentlich von den Lernvoraussetzungen ab es ist wie in der Medizin: je nach Situation kann eine bestimmte Dosis eines Medikaments gesundheitsfördernd oder krankheitsverstärkend wirken! Vor diesem Hintergrund wird das spezifische Potenzial der neuen Medien darin gesehen, die Lernprozesse so zu arrangieren, dass selbst- und fremdgesteuerte Lernschritte zielgruppengerecht miteinander verbunden werden. Ausgehend von einer aufgebauten Problemstellung können über Multimedia (z. B. hypermediale Hilfesysteme, Internet-Ressourcen) bzw. Telekommunikation (z. B. Teletutoring) Unterstützungsangebote für den Lernprozess bereitgestellt werden, Didaktischer Mehrwert Anschauliche Präsentation Aktives Lernen Individualisiertes Lernen Gestufte Heranführung an selbstgesteuertes Lernen Handbuch E-Learning Grundwerk Dezember 2001 13

4.1 Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten die der Lernende bei Bedarf bzw. beim Scheitern seiner selbstgesteuerten Lernversuche nutzen kann. Die besondere Leistungsfähigkeit wird dabei nicht in der Unterstützung des selbstgesteuerten Lernens an sich gesehen hier stände eine Vielzahl anderer Methoden zur Verfügung sondern in der Bereitstellung von gestuften Hilfsangeboten. Neue Interaktionsund Kooperationsmöglichkeiten Mehr Zeit in Präsenzphasen Aktualität n Die Telekommunikation ermöglicht neue Formen der Interaktion zwischen Lernenden und Lehrenden (z. B. Teletutoring, Newsgroup, virtuelle Seminare) sowie neue kooperative Lernumgebungen, in denen auch ein Zugang zu Kommunikationspartnern hergestellt wird, der ansonsten nur mit einem hohen Aufwand realisierbar wäre. Damit können zusätzliche Erfahrungsgrundlagen und Unterstützungsmöglichkeiten für das Lernen erschlossen werden. So können Lernende beispielsweise mit Menschen aus anderen Ländern kommunizieren, in den Dialog mit räumlich weit entfernt sitzenden oder nur schwer zugänglichen Experten bzw. Lehrenden treten oder mit Lernenden aus anderen Organisationen kooperativ eine Problemstellung bearbeiten. n Das selbstgesteuerte Lernen mit Multimedia und Telekommunikation kann grundlegende Lernprozesse auf der Ebene der Wissenserarbeitung übernehmen und auf diese Weise ermöglichen, die begrenzte Zeit für das Lernen im sozialen Austausch auf anspruchsvollere Lernziele zu verlagern. n Die zeitnahe Bereitstellung von Lerninhalten über das Netz erlaubt eine höhere Aktualität der Lerninhalte. Die Ausführungen machen deutlich, dass sich der didaktische Mehrwert prinzipiell in zwei Richtungen vollziehen kann: Zum einen können alte Ziele durch neue Methoden/Medien besser erreicht werden (z. B. Erhöhung der Anschaulichkeit), zum anderen ermöglichen es die neuen Methoden/Medien, neue Ziele anzustreben (z. B. Einbeziehung neuer Kooperationspartner in den Lernprozess, Verfolgung anspruchsvoller Lernziele). Prinzipiell ist ein Vergleich letztlich immer nur im Hinblick auf konkrete Bezugspunkte möglich: So mag beispielsweise eine Lernsoftware durch die Einbeziehung von Videosequenzen hinsichtlich der Anschaulichkeit zwar gegenüber einem Printmedium überlegen sein, gegenüber einem Lehrfilm wäre dies aber nicht zwangsläufig der Fall. Die Bearbeitung einer Fallstudie in einer Videokonferenz zwischen den Lernenden aus mehreren Ländern besitzt höhere didaktische Potenziale als die Bearbeitung über eine E-Mail-Kommunikation, ist aber im Vergleich zu einer international zusammengesetzten Lerngruppe im Rahmen eines Präsenzseminars unterlegen. 6 Von der potenziellen zur realen Verbesserung Hinweise zur Implementation von E-Learning-Konzepten Der Weg von der Potenzialität zur Realisation folgt im Hinblick auf ein konkretes Anwendungsfeld einem spezifischen Implementationsprozess. Dessen Qualität entscheidet darüber, ob die Potenziale versanden oder zu einem innovativen Plus führen. Im Folgenden sollen daher einige der kulturellen und strukturellen Rahmenbedingungen skizziert werden, die im Kontext der Implementierung von Lernumgebungen des E-Learning als wesentlich erscheinen. 14 Grundwerk Dezember 2001 Handbuch E-Learning

Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten 4.1 1. Implementationsstrategie abstimmen Die Implementation vollzieht sich in einem je spezifischen Bedingungsrahmen, der zumindest kurzfristig als gegeben betrachtet werden muss. Dazu zählen die Lern- und Lehrvoraussetzungen, aber auch die vorhandenen Organisationsstrukturen. Gerade in der heutigen Zeit ist auf Grund einer ökonomisch bedingten Arbeitsverdichtung in den Unternehmen der enorme Zeitdruck hervorzuheben, unter denen sich die Entwicklung und Implementierung von Konzepten, aber auch die Gestaltung der Lehr-/Lernprozesse selbst vollzieht. Häufig kann man den Eindruck gewinnen, dass beim Fahren die Reifen gewechselt werden sollen. Im Hinblick auf die Implementationsstrategie bleibt vor diesem Hintergrund einzig die Verfolgung eines evolutionären Entwicklungsansatzes. Dabei konzentrieren sich die Entwicklungsaktivitäten zu Beginn auf Pilotprojekte, die in überzeugender Weise den Mehrwert gegenüber der vorgängigen Situation zu demonstrieren vermögen. Es wird versucht, die Betroffenen zu Beteiligten zu machen und sie als Prozesseigner in die Verantwortung einzubinden. Auf der Basis von innovativen Kernen kann der aufgebaute Rückenwind genutzt werden, um in einer anschließenden Diffundierungsphase in die Breite auszustrahlen. 2. Klarheit über die Zielhorizonte schaffen Ein selbstverständlicher Ausgangs- und Bezugspunkt, dessen konzeptionelle Klärung gleichwohl häufig vernachlässigt wird, stellt die Präzisierung der Ziele dar. Die Klärung beinhaltet unterschiedliche Aspekte: n Grundlegend geht es um die Klärung der Innovationsreichweite eines Projektes (vgl. Kapitel 4.2): Sollen neue Medienprodukte entwickelt und in bestehende Kontexte eingepasst werden oder geht es um die Entwicklung neuer Lernumgebungen oder gar um die Gestaltung neuer Strukturen und Kulturen des Lernens? n Damit verbunden ist die Klärung der didaktischen Ziele: Soll die bestehende Lernorganisation optimiert werden (z. B. eine bessere Bereitstellung von aktuelleren Lerninhalten) oder werden neue Zielqualitäten verfolgt (z. B. Förderung von Selbstlernkompetenz, Anwendungstransfer)? Wesentlich ist in diesem Zusammenhang auch die ehrliche Antwort auf die Frage, ob hinter einer pädagogischen Rhetorik nicht eigentlich ökonomische Ziele entscheidend sind. n Schließlich wäre zu klären, wie die Phasen des selbstgesteuerten Lernens mit Multimedia und Telekommunikation in die umfassende Struktur eines Bildungsgangs eingepasst werden, d. h. in welcher Form fremdund selbstgesteuerte Lernprozesse, Präsenz- und Selbstlernphasen miteinander verbunden werden sollen. n Nicht zuletzt ist darauf zu achten, dass neue Medien- und Methodenkonzepte häufig in den Zusammenhang von Curricula und Prüfungen eingebunden sind. Entsprechend ist darauf zu achten, dass zwischen diesen didaktischen Entscheidungs- und Bedingungsfeldern kein Gegensatz entsteht. c! c! Evolutionäre Entwicklungsansatz Innovationsreichweite Didaktische Ziele Einpassung in den Bildungsgang Einbindung in Curricula und Prüfung Handbuch E-Learning Grundwerk Dezember 2001 15

4.1 Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten c! Evaluation und Controlling c! c! Lernplätze bereitstellen 3. Qualität der didaktischen Konzepte sichern Eine wesentliche Voraussetzung für die Überzeugungskraft der E-Learning- Konzepte gegenüber den Machtpromotoren in der Organisation, insbesondere aber auch gegenüber den betroffenen Lehrenden und Lernenden besteht in der Entwicklung eines qualitativ hochwertigen Produkts (Schifter 2000, S. 45). Aus diesem Grunde ist nicht nur bei der Konzeptentwicklung auf eine Ausschöpfung der Potenziale nach dem State-of-the-Art zu achten, sondern die Prozesse sind insgesamt in den Rahmen eines umfassenden Qualitätsmanagements einschließlich einer kontinuierlichen Evaluation zu stellen. Der Prozess der Qualitätssicherung wird häufig verkürzt auf den Aspekt der Maßnahmenevaluation bzw. des Controlling. Eine umfassende Betrachtung versteht die Qualitätssicherung als einen kontinuierlichen Prozess im Sinne eines Total-Quality-Management (Dubs 1998, S. 14 f.). Bezogen auf unterschiedliche Qualitätskriterien werden zunächst entsprechende Evaluationskonzepte entwickelt, um deren Ergebnisse für die Reflexion möglicher Revisionen auf den Ebenen des Bildungsmanagements zu verwenden. 4. Funktionsweise der Technik sichern Die Diskussion möglicher E-Learning-Konzepte geht häufig in technischer Hinsicht von einer High-End-Konfiguration aus. Im Gegensatz dazu treten bei der Anwendung konkreter Konzepte eine Vielzahl technischer Probleme auf, so beispielsweise der Abbruch von Programmen oder ein mühsamer Inhaltsaufbau auf Grund von unzureichenden Netzgeschwindigkeiten. Die Probleme verstärken sich, wenn eine alte Hardwareausstattung nicht mehr auf die neuen Entwicklungen abgestimmt ist. Technische Probleme führen schnell zu einer Beeinträchtigung der Motivation seitens der Lehrkräfte, denn durch eine unzulängliche Technik werden einerseits Aufmerksamkeitsressourcen abgezogen, andererseits verstärken sie das Gefühl der Unplanbarkeit von Lehr-/Lernprozessen und verursachen auf diese Weise eine erhöhte Unsicherheit. 5. Lernkultur gestalten Ein schwer greifbarer Bereich ist die Beeinflussung der Lernkultur. Damit sind die Gewohnheiten und Einstellungen angesprochen, die sich traditionell mit dem Lernen verbinden. Dies betrifft auf Seiten der Lernenden die Veränderung der Vorstellung, dass Lernen primär rezeptiv und fremdgesteuert erfolgt. Nicht das konsumistische Abrufen gegebener Antworten, sondern die Entwicklung und Kultivierung einer Fragehaltung prägt das selbstgesteuerte Lernen und dies gilt es bei vielen Lernenden erst noch zu entwickeln. Im Einzelnen wird es darum gehen, die Lernenden schrittweise an ein selbstgesteuertes Lernen heranzuführen, auf dem Weg dorthin zwar Unterstützung anzubieten, diese dann aber möglichst früh abzubauen. Die Gestaltung der Lernkultur besitzt darüber hinaus noch weitere Facetten. So sind für ein selbstgesteuertes und eigenverantwortliches Lernen die zeitlichen und räumlichen Rahmenbedingungen zu sichern. Im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung bedeutet dies die Gewährleistung von Lernplätzen, an denen ein konzentriertes und ungestörtes Lernen möglich ist. In diesem Kontext erweist sich das Lernen am Arbeitsplatz zumeist als ungeeignet, da dort neben vielen Störquellen auch eine psychologisch problematische 16 Grundwerk Dezember 2001 Handbuch E-Learning

Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten 4.1 Ausgangssituation für ein effektives Lernen besteht. Man denke beispielsweise an eine Arbeitsumgebung, in der die Mitarbeiter auf Grund einer ausgeprägten Arbeitsverdichtung in angespannter Atmosphäre ihre Arbeit verrichten, während ihr Kollege sich an einem der Arbeitsplätze mit den Inhalten einer Lernsoftware beschäftigt. Lernen am Arbeitsplatz erfordert die Akzeptanz des Lernens im Arbeitskontext, d. h. der Mitarbeiter darf sich nicht erwischt fühlen, wenn er vom Vorgesetzten oder von Kollegen beim Lernen beobachtet wird. Ferner muss der Status entsprechender Lernformen aufgebaut und gesichert werden: Solange etwa Führungskräfte in Präsenzseminaren weitergebildet werden, die Mitarbeiter sich hingegen primär mediengestützt weiterbilden sollen, könnte der Status des E-Learning leiden. Schließlich muss die zeitliche Komponente beachtet werden. Der bereits oben zitierte Slogan, nach der Leerzeiten zu Lehrzeiten gemacht werden sollen, bedarf einer realistischen Präzisierung. Insbesondere die Erschließung von divergenten Perspektiven und die Entwicklung von kreativen Problemlösungen bedarf neben einer intensiven (d. h. auch ungestörten) Auseinandersetzung mit den Gegenständen auch eine ausgewogene Balance von Muße und Anstrengung. Insofern haben ökonomisch motivierte Modelle einer Ausschöpfung jeglicher Zeitnischen mit Lernanstrengungen ihre Grenzen in der Lernfähigkeit und -bereitschaft des Menschen. Eine erschöpfende Verplanung der Zeitbudgets der Mitarbeiter wird jenseits einer bestimmten Schwelle zu deren Erschöpfung, und damit zur Ineffektivität führen. Lernen vollzieht sich nicht bedingungslos nach einem linearen Wachstumsmodell, bei dem Zeit und Lernerfolg positiv korrelieren. 6. Lehrkompetenz entwickeln Die skizzierten Konzeptionen versetzen den Lehrenden in neue Rollen. Das didaktische Handeln als Teletutor, Teleteacher oder als Katalysator in Prozessen der Telekooperation erfordert neue Lehrkompetenzen. Untersuchungen über die Implementation von E-Learning-Konzepten deuten darauf hin, dass der Aufbau dieser Lehrkompetenzen sowie die technische und didaktische Unterstützung in den Anfangsphasen der Umsetzung der neuen Konzepte neben der Gewährung von Zeitressourcen eine entscheidende Implementationsbedingung darstellen (Schifter 2000, insb. S. 45). Checkliste für die Implementation von E-Learning-Konzepten n Definieren Sie die organisatorischen und technischen Rahmenbedingungen, die für die Umsetzung eines E-Learning-Projektes von Bedeutung sind! n Machen Sie sich im Kontext dieser Bedingungen bewusst, welche Ansätze kurz- und welche langfristig zu verfolgen sind! n Definieren Sie die Innovationsreichweite und damit den Entwicklungsgegenstand des Projektes! n Beschreiben Sie in klarer und verständlicher Form die ökonomischen und die didaktischen Ziele des Projektes! n Klären Sie, wie die Entwicklungsaktivitäten durch Konzepte einer formativen Evaluation die Qualitätssicherung gewährleistet werden kann! n Sichern Sie in einem höchstmöglichen Maße die Funktionsweise der eingesetzten Technik! n Definieren Sie auf der Grundlage der Gegebenheiten spezifische Maßnahmen zur Gestaltung der Lernkultur! n Sichern Sie das Commitment und die Unterstützung der Führungsebene! n Entwickeln Sie korrespondierende Angebote für die beteiligten Lehrkräfte zur Unterstützung der didaktischen Konzepte! Angemessene Zeitbudgets c! c3 Handbuch E-Learning Grundwerk Dezember 2001 17

4.1 Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten 7 Abschluss Die Ausführungen machen deutlich, dass der Weg von der Konzeption zur Implementation beim E-Learning schwieriger und verschlungener ist, als ihn manche gerne hätten. Multimedia und Telekommunikation sind zunächst nicht mehr als neue Potenziale für das Lehren und Lernen. Sie liefern jedoch keine schnellen Antworten, sondern sie sind in ihrem instrumentellen Charakter zunächst auf die aktuellen Probleme und Ziele hin zu reflektieren, die es zu bewältigen und zu erreichen gilt. In diesem Kontext würde eine enge Betrachtung der Medien zu kurz greifen notwendig ist die zielbezogene Gestaltung von komplexen Lernumgebungen und der Rahmenbedingungen im Sinne eines umfassenden Bildungsmanagement. Potenzial vs. Realität Es scheint zu den Charakteristika dieses Feldes zu gehören, dass die Potenziale den Realisationen immer weiter voraus sind. Dies äußert sich gegenwärtig beispielsweise darin, dass auf der einen Seite schon neue Begriffe mit neuen Technikbezügen aufscheinen nach E-Learning steht das M-Learning, das Lernen mit Mobilfunk-Technologien, vor der Tür auf der anderen Seite die Realisationen noch nicht wesentlich über den Status von Piloterprobungen hinausgekommen sind. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass sich die aufgeworfenen didaktischen Fragen wieder neu stellen, bevor die alten erschöpfend beantwortet wurden. Vielleicht ist dies der Grund dafür, dass die Medien bzw. Technologien nun schon seit Jahrzehnten die eigentlich paradoxe Eigenschaft besitzen, auf Dauer neu zu sein! Literaturhinweise Abplanalp, C. S.: WebQuests: Komplexe Lehr-Lern-Arrangements im Internet, in: Schweizerische Zeitschrift für kaufmännische Berufsbildung, Heft 5 6/1999, S. 214 218. Dubs, R.: Qualitätsmanagement für Schulen, hrsg. vom Institut für Wirtschaftspädagogik, St. Gallen 1998. Euler, D.: Multimediale und telekommunikative Lernumgebungen zwischen Potenzialität und Aktualität: Eine Analyse aus wirtschaftspädagogischer Sicht, in: Gogolin, I./Lenzen, D. (Hrsg.): Medien-Generation, Beiträge zum 16. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, Opladen 1999, S. 77 97. Euler, D.: High Teach durch High Tech? Überlegungen zur Neugestaltung der Universitätslehre mit Hilfe der neuen Medien, in: Scheffler, W./ Voigt, K.-I. (Hrsg.): Entwicklungsperspektiven im Electronic Business, Wiesbaden 2000, S. 53 80. Farrington, G. C.: Das Hochschulstudium im Informationszeitalter eine amerikanische Perspektive, in: Hamm, I./Müller-Böling, D. (Hrsg.): Hochschulentwicklung durch neue Medien, Gütersloh 1997, S. 45 72. Fischer, F./Mandl, H.: Being there or being where? Videoconferencing and cooperative learning, Forschungsbericht 1122 des Lehrstuhls für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie, München 2000. Hutschenreuter, T./Enders, A.: Möglichkeiten zur Gestaltung Internet-basierter Studienangebote im Markt für Managementbildung, Handelshochschule Leipzig, Arbeitspapier Nr. 36, Leipzig 2000. 18 Grundwerk Dezember 2001 Handbuch E-Learning

Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten 4.1 Kremer, H.-H./Wilbers, K.: Virtuelles Seminar»Wipäd Köln München«Konzeption und erste Erfahrungen, in: Kölner Zeitschrift für >Wirtschaft und Pädagogik<, Heft 25/1998, S. 99 116. Pichler, M.:»Virtual will win«, in: wirtschaft & weiterbildung, Heft 6/2000, S. 26 29. Reinmann-Rothmeier, G./Mandl, H.: Teamlüge oder Individualisierungsfalle? Eine Analyse kollaborativen Lernens und deren Bedeutung für die Förderung von Lernprozessen in virtuellen Gruppen, Forschungsbericht 115 des Lehrstuhls für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie, München 1999. Schenkel, P.: Lerntechnologien in der beruflichen Bildung, Bonn 2000. Seufert, S./Back, A./Häusler, M.: E-Learning. Weiterbildung im Internet, Kilchberg 2001. Schifter, C. C.: Faculty Motivators and Inhibitors for Participation in Distance Education, in: Educational Technology, March-April 2000, S. 43 46. Sosin, K./Becker, W. E.: Online Teaching Resources: A New Journal Section, in: Journal of Economic Education, Winter 2000, S. 3 7. Spiewak, M.: Next Exit Phoenix, in: Die Zeit Nr. 4/2001. Handbuch E-Learning Grundwerk Dezember 2001 19

Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia gestalten 4.1.1 Die unerträgliche Leichtigkeit des selbstgesteuerten Lernens von Uwe Fischer Praxis-Statement: Bonner Akademie Das Lernen unabhängig vom Ort und von der Zeit wird seit einigen Jahren propagiert. Die Mitarbeiter in den Unternehmen sollen sich z. B. ihr Wissen selbstständig aneignen können. Corporate-Universities bilden hierfür die Plattform. Die didaktischen Konzepte der Lernarrangements lassen sich technisch darstellen. Die Mitarbeiter können sich nun selbstständig der multimedialen Lernkonserven bedienen und ihr Wissen erweitern. Was muss in einem Erfahrungsbericht noch über das selbstgesteuerte Lernen berichtet werden, wenn doch die notwendigen Rahmenbedingungen erfüllt sind? Erfolgsfaktoren Lernkultur und Beratung Die erfolgentscheidenden Faktoren Lernkultur und Notwendigkeit einer pädagogischen Beratung im E-Learning-Prozess sollen näher betrachtet werden. Hierbei steht im Vordergrund die Frage, inwieweit die Unternehmenskultur hier vorrangig die Kulturbereiche Führungs-, Mitarbeiter- und Lernkultur die Voraussetzungen für ein selbstgesteuertes, selbstverantwortliches Lernen der Mitarbeiter gewährleistet. Kritisch ist hierbei die Differenz zwischen dem erlebten Arbeitsalltag, vor allem der Übertragung von Verantwortung auf den Mitarbeiter und der Zusammenarbeit zwischen Mitarbeiter und Führungskraft, sowie den Erwartungen an die Mitarbeiter hinsichtlich einer Selbstständigkeit in Bezug auf das betriebliche Lernen. Die Entscheidung»darf ich jetzt 30 Minuten lernen?«wird dem Mitarbeiter schwer fallen, wenn er ansonsten nur Empfänger von Aufträgen ist und von Entscheidungszwang verschont bleibt. Darf der Mitarbeiter selbst entscheiden, wann er welchen Bildungsbedarf befriedigen möchte? Oder bekommt er vorgegeben, was er wann zu lernen hat? Es wäre ein Leichtes, die komplette Verantwortung für das betriebliche Lernen auf den Mitarbeiter zu übertragen. Doch kann der Mitarbeiter mit dieser Verantwortung alleine gelassen werden, ohne Institutionen zur Unterstützung bzw. Beratung zu etablieren? Neben der Beratung vor dem Start des Lernprozesses, der Auswahl des richtigen Bildungsproduktes bzw. Lernarrangements, einer fachlichen Beratung über Lernziele und Inhalt der Maßnahme ist auch eine Beratung während des Lernprozesses von Nöten, eine Beratung zur Reflexion des Lernprozesses. Eine Notwendigkeit zu einem hinreichenden Beratungsangebot rund um das selbstgesteuerte Lernen ergibt sich auch aus dem Erbe unserer individuellen Bildungsbiografie: Kann der Mensch überhaupt selbstgesteuert bzw. selbst organisiert lernen? Wir sind geprägt durch die Schule. Wir haben uns angewöhnt, Informationen zu konsumieren. Den Schülern werden vom Lehrer interpretierte Informationen mitgeteilt in der Hoffnung, dass die Schüler diese Informationen so interpretieren und verarbeiten, wie es sich der Lehrer vorstellt. Unsere Lernkulturen sind durch die Lernerfahrungen unserer Kindheit und Jugend beeinflusst. Auf dem Weg fort von der reinen Konsumentenhaltung hin zu aktiver, selbstgesteuerter Gestaltung des Lernprozesses ist den Lernern Unterstützung anzubieten. Der Lerner hat das Lernen zu lernen. Kompetenzen wie Selbstmanagement, Selbstlernkompetenz, Methodenkompetenz und Medienkompetenz sind notwendig für das selbstgesteuerte Lernen mit Multimedia. Beispiel aus der DV-Branche Anhand eines Beispiels aus der DV- Branche sollen exemplarisch einige kritische Punkte aufgezeigt werden, die es für die betriebliche Weiterbildung zu optimieren bzw. zu lösen gilt: Ausgangspunkt ist das Implementieren von Multimedia in ein bereits bestehendes Lernarrangement des»gesteuerten Selbstlernens«bei der Bonndata Gesellschaft für Datenverarbeitung mbh. Bei der Tochter der Versicherungsgruppe der Deutschen Bank wurde den DV-Spezialisten angeboten, sich Versicherungs-Grundwissen in einem ca. 3-monatigen Lernprozess anzueignen. Umrahmt wird das»alte«lernarrangement von einem Auftakt-, einem Abschluss- sowie einem Reflexions-Workshop nach ca. 1,5 Monaten. Themen dieser Workshops sind zum einen die Methodik des gesteuerten Selbstlernens, Reflexionsphasen über den bisherigen Lernverlauf sowie fachliche Einführung bzw. Retrospektive hinsichtlich der Lernabschnitte. Die Selbstlernphasen sind zwischen den Workshops zu finden. Dort stehen den Teilnehmern in der ursprünglichen Gestaltung des Lernarrangements Fachliteratur, Wissensdatenbanken des Intranets und das Internet zur Verfügung. Darüber erhalten die Teilnehmer Checklisten über die zu bearbeitenden Themen und Literatur-Referenzen. Die zu lernenden Themen werden inhaltlich und zeitlich (vor bzw. nach dem zweiten Workshop) vorgegeben. Den Teilnehmern stehen im»alten«lernarrangement Tutoren zur Verfügung, die sich freiwillig aus dem Kollegenkreis rekrutiert haben. Der Kontakt zu den Tutoren konnte wöchentlich in Sprechstunden sowie telefonisch bzw. Handbuch E-Learning Grundwerk Dezember 2001 1