Eine Schule für alle: Bildungssystem und Inklusion

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Transkript:

Eine Schule für alle: Bildungssystem und Inklusion Evangelische Akademie Tutzing 21.5.2011 Prof. em. Dr. Klaus Klemm Universität Duisburg-Essen

Gliederung 1. Von der Hilfsschule zur Inklusion: Ein historischer Rückblick 2. Exklusion und Inklusion: Wo stehen wir heute? 3. Empirische Befunde zu den Wirkungen gemeinsamen und getrennten Unterrichts 4. Auf dem Weg zu inklusiver Bildung: Was es zu beachten gilt

Klaus Klemm Entstehung, Struktur, Steuerung

Klaus Klemm Entstehung, Struktur, Steuerung

Reichsschulkonferenz 1920:Stadtrat Grote, Hannover Vorsitzender des Deutschen Hilfsschulvereins Denn nachdem die schwachbefähigten, die taubstummen, die blinden, die schwerhörigen Kinder abgesondert sind, ist zwischen ihnen und der Grundschule ein starker Strich gemacht. Es gibt kein Hinüber mehr, sie bleiben in der Anstalt der Spezialschule. Darum müssen die heilpädagogischen Schulen als selbstständig anerkannt werden Es handelt sich um ein wirklich humanes, ganz neutrales Werk.

Erlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Bildung (1935) Die Bestrebungen unseres Staates in Bezug auf die Erbgesundheit machen die Einrichtung der Hilfsschule und ihre tätige Mitarbeit zur Erreichung dieser Ziele unbedingt notwendig. Die Hilfsschule sollte die Volksschule entlasten, damit ihre Kräfte ungehemmt der Erziehung der gesunden deutschen Jugend dienen können. (Preußische allgemeine Anordnung über die Hilfsschulen 1938) Die Hilfsschulüberweisung führte automatisch zu einer Überprüfung für eine etwaige Zwangssterilisation.

Entwicklung in der Bundesrepublik nach 1945 Rekonstruktion bis etwa 1960 Jahre der Expansion der Schulen sowie der Zahlen der Schülerinnen und Schüler: 1950: 1,3% 1960: 1,9% 1970: 3,9% 1980: 4,7% 2000: 5,3% 2008: 6,0% Beginn integrativer Maßnahmen

Von der Exklusion zur Inklusion UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2009 von Deutschland ratifiziert) KMK: Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen (2010): Das allgemeine Bildungssystem ist aufgefordert, sich auf die Ausweitung seiner Aufgabenstellung im Snne einer inklusiven Bildung vorzubereiten.

Gliederung 1. Von der Hilfsschule zur Inklusion: Ein historischer Rückblick 2. Exklusion und Inklusion: Wo stehen wir heute? 3. Empirische Befunde zu den Wirkungen gemeinsamen und getrennten Unterrichts 4. Auf dem Weg zu inklusiver Bildung: Was es zu beachten gilt

Inklusionsanteile in Kindertageseinrichtungen (2009) Deutschland insgesamt: 61,5% Minimum: Bayern: 34,3% Maximum: Sachsen-Anhalt: 99,9%

Land Förderquoten insgesamt 2000 2004 2008 2009 Baden Württemberg 5,7 6,0 6,4 6,7 Bayern 5,3 5,1 5,5 5,5 Berlin 5,7 6,7 7,1 7,5 Brandenburg 6,4 8,1 8,5 8,6 Bremen 6,7 7,0 7,5 7,4 Hamburg 5,8 5,5 5,7 5,8 Hessen 4,1 4,7 4,8 5,0 Mecklenburg Vorp. 7,1 9,2 11,7 11,9 Niedersachsen 4,2 4,6 4,7 4,8 Nordrhein Westfalen 5,0 5,5 6,0 6,3 Rheinland Pfalz 4,1 4,4 4,5 4,7 Saarland 4,2 5,1 6,2 6,5 Sachsen 5,7 7,1 8,3 8,2 Sachsen Anhalt 7,1 8,4 9,6 9,5 Schleswig Holstein 5,4 5,0 5,4 5,4 Thüringen 7,4 8,9 9,0 8,4 Deutschland 5,3 5,6 6,0 6,2

2009 Förderquote Inklusions Exklusions Land insgesamt anteile quote Baden Württemberg 6,7 26,6 4,9 Bayern 5,5 15,7 4,7 Berlin 7,5 41,3 4,4 Brandenburg 8,6 36,5 5,4 Bremen 7,4 36,9 4,7 Hamburg 5,8 16,2 4,9 Hessen 5,0 12,3 4,4 Mecklenburg Vorpom 11,9 25,4 8,9 Niedersachsen 4,8 7,2 4,4 Nordrhein Westfalen 6,3 15,5 5,3 Rheinland Pfalz 4,7 19,0 3,8 Saarland 6,5 33,1 4,3 Sachsen 8,2 17,9 6,8 Sachsen Anhalt 9,5 12,7 8,3 Schleswig Holstein 5,4 45,5 2,9 Thüringen 8,4 21,1 6,6 Deutschland 6,2 20,1 5,0

Inklusion im gegliederten Sekundarschulwesen/Inklusion in der Exklusion? Verteilung der inklusiv unterrichteten Schüler/innen auf die Sekundarschulen - in Prozent (2009) Deutschland Bayern Orientierungsstufe 10,1 Hauptschule 39,3 92,4 Schulen mit mehreren 18,6 Bildungsgängen Realschule 4,5 2,8 Gymnasium 5,1 4,8 Gesamtschule 16,3 Waldorfschule 6,2 insgesamt 100.0 100,0

Inklusionsquote nach Bildungsstufen (Deutschland 2009) Elementarbereich 61,5% Primarstufe 32,9% Sekundarstufe I 16,6%

Gliederung 1. Von der Hilfsschule zur Inklusion: Ein historischer Rückblick 2. Exklusion und Inklusion: Wo stehen wir heute? 3. Empirische Befunde zu den Wirkungen gemeinsamen und getrennten Unterrichts 4. Auf dem Weg zu inklusiver Bildung: Was es zu beachten gilt

Internationale und nationale Studien zum Schwerpunkt Lernen sagen: 1. Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf lernen in inklusiven Schulen im Feld kognitiver Kompetenzen mehr und besser. 2. Kinder und Jugendliche ohne Förderbedarf lernen in der inklusiven Schule im Feld kognitiver Kompetenzen nicht weniger. 3. Kinder und Jugendliche ohne Förderbedarf lernen im Bereich des sozialen Lernens in inklusiven settings mehr.

Die Erfolgsbilanz der Förderschule Absolventen 2009 2008: 388.000 Förderschüler und Förderschülerinnen 43.700 Absolventen und Abgänger, davon 33.200 (76%) ohne einen Hauptschulabschluss

Fachleistungen im Gemeinsamen sowie im getrennten Unterricht Klassenstufe Förderschulen Gemeinsamen Unterricht Schüler Mittelwert Schüler Mittelwert zahl zahl 7 749 99,5 217 101,8 8 893 105,7 217 110,5 9 869 114,8 128 113,8 10 708 124,8 72 120,0 insgesamt 3219 110,9 634 109,2 Quelle: Lehmann, R./Hoffmann, E.: Bella. Münster 2009

Jugendliche aus gemeinsamen und getrennten Unterricht an der ersten Schwelle Bildungs / Integrations Förder Ausbildungsmerkmal schulen schulen qualifizierter Schulabschluss 66% 50% Wechsel in Ausbildung 65% 52% darunter betrieblich 38% 3% darunter nicht betrieblich 27% 49% davon Vollausbildung 55% 33% davon theoriereduzierte Ausbildung 45% 66% Fallzahl N 40 62 Quelle: Ginnold, A.: Der Übergang Schule - Beruf von Jugendlichen mit Lernbehinderung. Bad Heilbrunn 2008

Gliederung 1. Von der Hilfsschule zur Inklusion: Ein historischer Rückblick 2. Exklusion und Inklusion: Wo stehen wir heute? 3. Empirische Befunde zu den Wirkungen gemeinsamen und getrennten Unterrichts 4. Auf dem Weg zu inklusiver Bildung: Was es zu beachten gilt

Sicherung inklusiver Bildungsbiographien Sicherung und Weiterentwicklung sonderpädagogischer Fachkompetenz der entsprechend ausgebildeten Lehrenden, Qualifizierung der Lehrenden allgemeiner Schulen Rolle der Förderzentren (mit/ohne Schüler/innen) Entwicklung von Mindeststandards der personellen und sächlichen Ausstattung (status quo in Förderschulen) Budgetierte Zuweisung der Ressourcen an Schulen Fortführung von Doppelstrukturen?

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!