Kurzspielfilm, ab 8 Jahren Regie: Ismet Ergün Produktion: Distant Dreams Filmproduktion, Berlin; Platofilms, Istanbul 2007 Drehbuch: Ismet Ergün Kamera: Ilker Berke Schnitt: Isabel Meier, Svenja Cussler Ton: Baycan Akcayöz Musik: Enis Rotthoff Sprache: Türkisch Dauer: 10 Minuten SOS-Kinderdorf Stafflerstraße 10a, 6020 Innsbruck Tel: 0512/5918 info@sos-kd.org www.sos-kinderdorf.at/schule
Auszeichnungen Silberner Leopard (Eastman Kodak Award) 2007 sowie zahlreiche weitere Preise wie etwa beim Festival Interfilm Berlin 2007 als Best German Short Film, Filmbewertungsstelle Wiesbaden 2007 Prädikat besonders wertvoll, Bamberger Kurzfilmtage 2008 2. Preis (Publikumspreis), Aspen Short Filmfestival Colorado 2008 Special Jury Recognition, Cinefiesta Puerto Rico 2008 Special Jury Award, Athen Kurzfilmfestival Psarokokalo 2009 Publikumspreis. Inhalt Der Film zeigt eine Gruppe von Kindern in Istanbul beim Spielen. Sie legen regelmäßig ihr Geld zusammen, damit eines von ihnen sich einen Kinobesuch leisten kann. Ein Abzählreim entscheidet, wer von den Kindern ins Kino gehen darf. Nach der Vorstellung lauschen alle Kinder gebannt dem Gewinnerkind: Laut Spielregel ist es dazu verpflichtet, den anderen die Filmhandlung zu erzählen. Eines Tages taucht ein älterer Herr auf, der allen Kindern Geld für eine eigene Karte spendiert. Doch es passiert etwas Seltsames: Die Kinder streiten nach der Vorstellung darum, was im Film passiert ist. Die kleine Schwester eines Jungen, die immer gespannt diesen Erzählungen gelauscht hat, versteht gar nichts mehr und beginnt zu weinen. Ihr Bruder, der eigentlich an der Reihe wäre, die Geschichte zu erzählen, verlässt mir ihr gemeinsam den Spielplatz und erzählt ihr den Film. Der Film eine Hommage an das Kino ist in türkischer Originalsprache, er wird jedoch auch ohne Dialoge ähnlich wie ein Stummfilm verstanden. Regisseurin Ismet Ergün wurde in Konya (Türkei) geboren. Nach einer Ausbildung zur Erzieherin hat sie ein Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin absolviert. Sie lebt als freischaffende Malerin, Bühnenbildnerin, Art Director bzw. Produktionsdesignerin beim Film in Berlin. Ihr nach eigenem Drehbuch selbst inszenierter Kurzspielfilm Bende Sira wurde u.a. 2007 auf dem Locarno International Film Festival mit dem silbernen Leoparden (Eastman Kodak Award) ausgezeichnet. 2
Didaktische Impulse Gute Filme bewegen uns, sie lassen uns eintauchen in spannende, traurige, lustige, aufregende oder fantastische Welten. Ihre eigene Sprachform evoziert in uns Bilder und Geschichten. Wie jedoch entstehen diese Gefühle, wie erzählen sich diese Geschichten? Sowohl der Inhalt eines Films als auch seine Filmsprache (Dramaturgie, Kamera, Ton, Licht, Ausstattung, Schnitt) sind bei der Analyse eines Films wichtig. Erst durch ihr Zusammenspiel wird deutlich, warum eine Szene z.b. bedrohlich wirkt. Denn die Regie wählt eine bestimmte Kameraperspektive, eine bestimmte Tonebene oder Lichtstimmung, um über diese Stilelemente die Geschichte zu erzählen. Im Folgenden wird anhand des Kurzfilms Bende Sira nach der Erarbeitung des Inhalts ein Einblick in verschiedene gestalterische Elemente der Filmsprache geboten. Die Impulse müssen den jeweiligen Altersgruppen angepasst werden. In einem ersten Schritt sollen die SchülerInnen den dramaturgischen Aufbau, die unterschiedlichen Einstellungsgrößen der Kamera, den bewussten Einsatz des Tons oder die jeweilige Schnittart erkennen. In einem zweiten Schritt gilt es zu hinterfragen, warum die Regie dieses Stilmittel gewählt hat, was dadurch vermittelt werden soll. Titel und Inhalt des Films Bende Sira Ich bin dran (Für alle Schulstufen) Ziel: Die SchülerInnen setzen sich mit dem Filmtitel Ich bin dran und dem Filminhalt auseinander. Ablauf: 1. Der Titel: Bende Sira wird groß auf die Tafel oder auf ein Flipchart geschrieben. Falls niemand in der Klasse Türkisch spricht, wird der Satz ins Deutsche übersetzt. Gemeinsam wird geklärt, in welchem Zusammenhang diese Worte, die häufig am Schluss von Abzählreimen vorkommen, verwendet werden. Mehrsprachige SchülerInnen werden gefragt, wie diese Worte in ihrer Sprache heißen. Mit jüngeren SchülerInnen können abschließend Abzählreime in den unterschiedlichen Erstsprachen der SchülerInnen vorgetragen werden. 2. Film: Gemeinsam wird mit den SchülerInnen der Film angeschaut. Danach sollen sie spontan ihre ersten Eindrücke zum Film äußern. 3
Wie hat euch der Film gefallen? Welche Szene ist euch besonders in Erinnerung geblieben? Falls die SchülerInnen nicht bereits zu Beginn ansprechen, dass sie die Sprache der ProtagonistInnen nicht verstanden haben, können folgende Impulsfragen für das anschließende Gespräch über den Film gestellt werden: In welcher Sprache ist dieser Film? Warum verstehen wir den Film, auch wenn wir die Sprache nicht beherrschen? Wie verstehen MitschülerInnen den Film, die diese Sprache beherrschen? Verstehen sie alles? (Auch nicht, weil teilweise die Musik den Dialog überlagert.) In der Klasse wird nun kurz die Filmerzählung erarbeitet und zusammengefasst. Obwohl die meisten SchülerInnen den Dialog der Protagonisten nicht verstehen, begreifen alle den Inhalt des Films aufgrund der Körpersprache der Kinder und der Filmsprache. Mögliche Leitfragen für die Erarbeitung des Inhalts (Personen, Handlung, Situation): Wer sind die ProtagonistInnen des Films? Was ist das Ziel der Jungen? Wie erreichen sie dieses? Warum darf die kleine Schwester nicht mit ins Kino? Was passiert als der ältere Mann alle Jungen zu einem Kinobesuch einlädt? Warum weint das Mädchen am Schluss? Wie endet der Film? Inwiefern spiegelt der Titel den Inhalt des Geschehens wieder? Filmsprache von Bende Sira (Für alle Schulstufen) Ziel: Die SchülerInnen beschäftigen sich mit unterschiedlichen gestalterischen Elementen der Filmsprache Dramaturgie und Figurengestaltung, Kamera (Einstellungsgrößen, Kameraperspektiven, Kamerabewegungen), Tonebene (Geräusche, Sprache, Musik), Schnitt dieses Films. 1. Dramaturgie und Figurengestaltung Das oberste Ziel der Dramaturgie liegt in der Erzeugung von Spannung, damit das Publikum dem Geschehen aufmerksam folgt und sich mit diesem und/oder den Figuren identifizieren kann. Dabei wird ein dramaturgischer Bogen, der die Handlung umschließt, aufgebaut. Dieser enthält aber auch kleinere dramaturgische Einheiten. Eine wichtige Rolle spielen 4
dabei Höhe- und Wendepunkte, auf die das gesamte Geschehen hinsteuert. Im Film Bende Sira erstreckt sich der dramaturgische Bogen über drei klar erkennbare Kapitel, die jeweils durch eine Einstellung mit Blick auf die Stadt getrennt werden. Anhand folgender Leitfragen kann mit den SchülerInnen der dramaturgische Aufbau und die Figurengestaltung im Film erörtert werden: Wer sind die ProtagonistInnen des Films? In welcher Beziehung stehen diese zueinander? Welche Rolle spielt das kleine Mädchen? o Die Jungen sind die Protagonisten, insbesondere die drei Erzähler der Filmgeschichte. Sie werden zu Beginn des Films in der Exposition eingeführt. Aber auch dem Mädchen wird eine wichtige Rolle zuteil. Dies wird dadurch deutlich, dass gleich zu Beginn des Films die Kamera ihr auf die Bank, ihrem zugeteilten Platz im Film, folgt. Die Kamera bezieht sie in der Folge immer wieder in das Geschehen mit ein. Sie ist zwar nicht Teil der sozialen Gruppe, spielt jedoch eine wichtige Rolle und trägt auch zum entscheidenden Ende der Geschichte bei. Gibt es zusätzliche Figuren? Welche Rolle nehmen diese ein? o Die Figur der spendablen Frau und die des älteren Mannes. Er ist verantwortlich für den entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte: durch seine großzügige Einladung aller Jungen ins Kino zerbricht die Tradition des Erzählens unter den Freunden. Es kommt zum Streit unter den Jungen, die sich offenbar weder einig darüber sind, wer erzählen darf, noch was der genaue Inhalt der einzelnen Filmszenen ist. Wo und wann spielt die Geschichte (Schauplätze)? o Spielplatz und Kino in Istanbul (Türkei); in der Jetztzeit. Die SchülerInnen können dies einerseits am Ruf des Muezzins zu Beginn des Films, an der Sprache, an den Stadttotalen, an der Kleidung, an den Autos etc. erkennen. In welcher Zeitspanne spielt die Filmerzählung? Durch welche Gestaltungselemente wird dies deutlich? o Zwei Einstellungen über die Stadt verdeutlichen, dass die Geschichte über einen längeren Zeitraum geht: Sie weisen auf den Beginn eines neuen Tages und somit einen Zeitsprung in der Geschichte hin. In der Folge können mit ihnen die folgenden beiden Einstellungen nochmals angeschaut (ca. bei Minute 3.27 und 6.00) werden. Aufmerksame BetrachterInnen werden 5
zusätzlich erkennen, dass die Kinder teilweise unterschiedliche Kleidung an den drei Tagen tragen. Kann die Erzählung des Films in einzelne Abschnitte unterteilt werden? Bis zu welcher Szene werden die wichtigsten Figuren und Themen der Geschichte vorgestellt (Exposition)? In welcher Szene kommt es zu einem entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte? Gibt es einen oder mehrere Höhepunkte? o Der Film kann in drei Kapitel unterteilt werden, die durch Einstellungen über die Stadt getrennt werden. Im ersten Kapitel werden die ProtagonistInnen und ihr Ziel, der Kinobesuch durch Auslosung, eingeführt (Exposition). Im zweiten Kapitel wiederholt sich die Handlung des ersten Kapitels (das Auszählen wer ins Kino darf, der Kinobesuch und das anschließende Erzählen des Films in der Runde) und lässt diese Handlung somit als Tradition zwischen den Jungen erscheinen. Der entscheidende Wendepunkt tritt zu Beginn des dritten Kapitels durch die Einladung des älteren Mannes ein. Er wird auch durch eine bestimmte Kameraeinstellung betont (Aufsicht). Der eigentliche Höhepunkt ist der Streit der Kinder nach dem dritten und letzten Film, einem Charlie Chaplin Film. Kleinere Höhepunkte sind die zwei vorangegangenen Erzählungen der beiden Kinobesucher. Was ist der entscheidende Unterschied zwischen den ersten beiden und dem dritten Kapitel? o In den ersten beiden Kapiteln wird die Tradition des Auszählens, des Kinobesuchs durch einen Jungen und das anschließende Erzählen hochgehalten. Dadurch bleibt das kleine Mädchen nicht alleine am Spielplatz zurück und zugleich kann es auch den Erzählungen der Jungen zuhören. Im dritten Kapitel bricht diese Tradition jedoch: da alle Kinder gemeinsam ins Kino gehen, bleibt sie alleine zurück. Zudem streiten sich die Jungen nach dem Film und so erfährt sie nicht die Geschichte des Films. Schlussendlich bemerkt ihr Bruder ihre Tränen, tröstet sie und erzählt ihr auf dem Heimweg den Film. Auf gestalterischer Ebene wird das dritte Kapitel mit einer anderen Kameraperspektive eingeleitet, ebenso wird das Musikthema des jeweiligen Kinobesuchs nicht wie bei den ersten beiden Kapiteln durchgezogen. Was würde es für den dramaturgischen Aufbau bedeuten, wenn die Figur des kleinen Mädchens nicht vorhanden wäre? o Dem Film zugrunde liegt einerseits eine Hommage ans Kino als dem Erzählen 6
mit Bildern und andererseits das theatralische Nacherzählen des Films durch die Kinder. Durch das Fehlen der Figur des Mädchens könnte die Geschichte dramaturgisch nicht aufgelöst und der dramaturgische Bogen nicht geschlossen werden. Was erfahren wir über die ProtagonistInnen? Was bleibt offen? Wie sind wir ohne verbale Information zu diesem Wissen gelangt? o Wir vermuten aufgrund der Geschichte, dass die Jungen befreundet sind und einer von ihnen eine kleine Schwester hat, auf die er aufpassen muss. Durch das Zusammenlegen des Geldes für den Kinobesuch wird vermittelt, dass sie aus sozial schwächeren Familien kommen. Sie alle verbindet eine große Liebe zum Kino. Das Auslassen von verbalen Informationen über die Kinder lässt Leerstellen entstehen. Diese lassen Raum für die eigene Fantasie und ermöglichen es, die Geschichte in unserem Kopf weiter auszubauen. Grob gesprochen bedeutet dies, dass ein Film so viele Interpretationen wie ZuseherInnen hat. Ein gutes Beispiel dafür ist das Streitgespräch der Jungen nach dem dritten Kinobesuch: alle Jungen haben den gleichen Charlie Chaplin Film gesehen, diskutieren jedoch u.a. offenbar auch über ihre unterschiedliche Wahrnehmung der Szenen. Sehen wir in den drei Kinoeinstellungen die Filme auf der Leinwand? o Auch hier gilt: was zeigen die GestalterInnen, was lassen sie weg? Oft liegt außerhalb der Quadrierung (gewählter Bildausschnitt) das Interessante, das Spannende. Die SchülerInnen erhalten durch die Tonebene (Musik und Geräusche) oder durch den Kamerablick auf das Publikum Anhaltspunkte für das Genre des Films. Den Film auf der Leinwand sehen die SchülerInnen jedoch nicht, ihre eigenen Fantasien werden durch das anschließende theatralische Erzählen der Kinder ergänzt. Mit jüngeren SchülerInnen kann dieses Weglassen auch anhand einer einfachen Übung ausprobiert werden: Ein Raum wird abgedunkelt und die Kinder durchqueren diesen mit einer Taschenlampe. Alles was sich außerhalb des Lichtkegels befindet, ist spannend und für manche auch Furcht erregend. 7
Im Film werden in den Kinoszenen verschiedene Genres angesprochen. Welche sind dies? Woran erkennt ihr das? o Im ersten Kinofilm handelt es sich um ein Drama (vielleicht King Kong), der zweite Film ist ein Liebesfilm, der dritte eine Komödie in diesem Fall eindeutig ein Charlie Chaplin Film. Bei allen drei Filmen wird dies einerseits durch die Musik, aber auch durch das Publikum und den Jungen deutlich. 2. Kamera (Kameraperspektiven, Kamerabewegungen, Einstellungsgrößen) Prinzipiell werden bei der Bildanalyse die Kameraperspektiven, die Kamerabewegungen und die Einstellungsgrößen berücksichtigt. In diesem Film richten sich die Kamerabewegungen großteils nach dem Geschehen. Bis auf wenige Überblickseinstellungen von oben (z.b. Blick auf den Spielplatz) bleibt die Kamera durchwegs auf Augenhöhe der ProtagonistInnen. Sie nimmt somit die gängigste Kameraperspektive, die Normalsicht, ein. Weiters kann noch zwischen der Untersicht (Froschperspektive, Personen wirken mächtig), der Aufsicht (Vogelperspektive, lässt Personen unbedeutend, erniedrigt erscheinen oder es wird eine Gefahrensituation für die Person dargestellt) und der Schrägsicht (gekippte Kamera) unterschieden werden. In Bende Sira kommen diese Perspektiven mit Ausnahme einer einzigen Aufsicht nicht vor. Diese Aufsicht steht zu Beginn des dritten Kapitels, der für den Film außergewöhnliche Blick von oben auf die Kinder unterstreicht den Wendepunkt in der Geschichte (ca. bei Minute 6.09-6.13). Allgemein wird im Film zwischen zwei grundsätzlichen Kamerabewegungen unterschieden: a) die Kamera bleibt an einem fixen Punkt und die Bewegung entsteht durch Schwenken, Neigen oder Zoomen; b) die Kamera ändert ihren eigenen Standort z.b. durch einen Kamerawagen, einen Kran oder durch die Positionsveränderung der Kamera durch die Kamerafrau/den Kameramann. In Bende Sira sind weite Teile mit der Handkamera gedreht, dies vermittelt eine unmittelbare Nähe zum Geschehen und (dokumentarische) Authentizität. Ein gutes Beispiel dafür ist die Einstellung des Abzählens, Einstiegsbild bei ca. Minute 1.05. Diese Sequenz (ca. bei Minute 1.05-1.35) kann mit den SchülerInnen angeschaut werden, dabei werden sie gefragt, welches Gefühl diese Einstellung in ihnen auslöst. Das Positionieren der Kamera im Kreis vermittelt den Eindruck, mit dabei zu sein. Bei den Einstellungsgrößen (Bildausschnitt) wird zwischen einer Totalen, einer Halbnahen, einer Nahen und einer Detailaufnahme unterschieden. Den SchülerInnen wird das 8
Arbeitsblatt Einstellungsgrößen der Kamera verteilt, mit dem sie einen Einblick in die verschiedenen Einstellungsgrößen gewinnen. Nach der gemeinsamen Erarbeitung des Arbeitsblattes kann mit älteren SchülerInnen der Film noch einmal gemeinsam mit folgenden Beobachtungsaufgaben bezüglich Einstellungsgrößen angeschaut werden: Welche Einstellungsgröße wird im Film häufig verwendet? Warum haben sich die GestalterInnen für diese Einstellungsgröße entschieden? Wo kommen im Film Totale vor, welchen Zweck erfüllen diese? Gibt es Kameraeinstellungen, die aus der gängigen Optik des Films herausbrechen? Wann kommen diese vor? Was vermitteln sie? Mit jüngeren SchülerInnen können die unterschiedlichen Einstellungsgrößen auf eine einfache Art ausprobiert werden: Mit Daumen und Zeigefinger der beiden Hände wird eine Art rechteckiger Durchblick geformt, durch den die SchülerInnen je nach Entfernung vom Auge verschiedene Größen des Bildausschnittes vornehmen können. Welche Unterschiede nehmen sie wahr? Was verändert sich? Mit diesem einfachen optischen Hilfsmittel werden manchmal auch auf dem Set zwischen Regie und Kamera Szenen erarbeitet. Eine Szene besteht aus mehreren Einstellungen und bildet eine abgeschlossene Handlung. Zur Vertiefung können auch mit einer Digitalkamera Bilder in unterschiedlichen Einstellungsgrößen zu einem bestimmten Thema erstellt werden. 9
Arbeitsblatt: Einstellungsgrößen der Kamera Totale Die Totale zeigt einen oder mehrere Menschen an dem Ort des Geschehens, so z.b. die Kinder auf dem Spielplatz. In diesem Zusammenhang bietet die Totale eine erste Beschreibung des Schauplatzes und eine Einführung sämtlicher ProtagonistInnen. Halbnahe Die Halbnahe zeigt einen Menschen ungefähr ab der Körpermitte. Der Ort des Geschehens tritt hier in den Hintergrund. Diese Einstellungsgröße dient hauptsächlich, so auch in diesem Fall, der Beschreibung von Handlungen. Nahe Die Nahe zeigt das Gesicht von Menschen, damit werden somit vorrangig die Gefühlsregungen von Personen zum Ausdruck gebracht, so auch in diesem Fall. Wenn es sich nicht um Personen sondern um Gegenstände handelt, so füllen diese fast das ganze Bild aus. Detail Die Detailaufnahme zeigt bei einem Menschen oder einem Gegenstand nur einen Ausschnitt, z.b. das Augenpaar oder die Hände. Sie dienen z.b. zur Hervorhebung eines Erzählmoments oder zur Verdeutlichung der Gefühle einer Person. Die Detailaufnahme der Hände mit den Münzen verdeutlicht in diesem Fall, dass alle Kinder ihre Ersparnisse zusammenlegen, sodass ein Kind ins Kino gehen kann. 10
3. Tonebene (Geräusche, Sprache, Musik) Die Tonebene spielt im Film eine wichtige Rolle, sie unterstützt insbesondere durch die Musik den emotionalen Zugang der ZuseherInnen zum Film. Bei der Tongestaltung werden drei Ebenen unterschieden: die Amto/Geräusche (Töne, die am Drehort zu hören sind: vermitteln Authentizität), die Sprache in Form von Dialogen (die Dialoge treiben die Handlung in Spielfilmen voran) oder von Off-Ton (Quelle des Tons ist nicht sichtbar, z.b. Kommentar in einem Dokumentarfilm), zuletzt die Musik, die vor allem eine emotionale Bedeutung hat. Grundsätzlich wird von On-Tönen (Quelle des Tons ist sichtbar) und Off-Tönen (Quelle des Tons ist nicht sichtbar) gesprochen. Ein Beispiel für einen Off-Ton, der ebenso als Klammer zwischen zwei Szenen verwendet wird, ist das Geräusch der Stöckelschuhe der Frau (ca. bei Minute 1.39), die erst ein paar Sekunden später ins Bild tritt. Bei einem Szenenwechsel kann der Ton auch als Klammer, d.h. als verbindendes Element eingesetzt werden. Ein gutes Beispiel dafür ist der Übergang vom Spielplatz zum Kino: das Musikthema des Kinofilms setzt bereits beim Weg der Jungen oder der Gruppe ins Kino ein. Dies ist bei allen drei Kapiteln so. Im Gegensatz zu den ersten beiden Kapiteln, bei denen das Musikthema erst mit der Filmerzählung der Kinder endet, ist dies jedoch im dritten Kapitel anders. Hier endet das Musikthema bereits direkt nach dem Kino, im Vordergrund steht der Streit der Kinder. Das Musikthema setzt erst wieder ein als der Bruder seiner Schwester den Film erzählt. Insbesondere in Bende Sira spielen die Musik und die Geräusche eine wichtige Rolle, da diese die optische Erzählform unterstützen. Der türkischsprachige Dialog der Kinder, der von der Musik überlagert und daher nur teilweise verständlich ist, ist für das Verständnis der Geschichte nicht notwendig. Die Rolle des Tons kommt bereits in der ersten Einstellung des Films Bende Sira deutlich zum Tragen. Die folgende Übung eignet sich als Einstieg in den Film: Die SchülerInnen hören sich mit geschlossenen Augen ohne Bild den Film von Anfang bis Minute 1.50 (bis die Kinder aufhören miteinander zu reden und den Spielplatz verlassen) an. Sie sollen aufgrund des Tons, der Geräuschebene, versuchen zu erkennen, wo der Film spielt (Straßengeräusche, Autos, der Ruf des Muezzins etc.), wer die ProtagonistInnen sind (Kinder) und was die Handlung (Auszählreim, spielende Kinder etc.) sein könnte. Die Antworten werden auf der Tafel gesammelt. Um die Bedeutung der Tonebene zu erfassen, ist es auch möglich die Nacherzählung des Kinofilms ohne Ton den SchülerInnen vorzuspielen (erster Kinofilm ca. bei Minute 2.34-3.24 11
oder zweiter Kinofilm ca. bei Minute 4.56-5.56). Sie sollen sich in Gruppenarbeit überlegen, mit welchen Geräuschen und mit welcher Musik die Bilder unterlegt sind. Folgende Impulsfragen können dabei hilfreich sein: Welche Geräusche sollten in welchem Moment zu hören sein? Was ist ihr Zweck? Wann sollte welche Musik (Musikrichtung, Rhythmus) eingesetzt werden? Was hat das für eine Wirkung auf die ZuseherInnen? Die Ergebnisse werden gemeinsam besprochen und die ausgewählte Filmszene wird noch einmal mit Ton angeschaut. Inwiefern waren die Annahmen der SchülerInnen richtig? Woran haben sie sich orientiert? Wichtig: es gibt auch Szenen, die mit einer anderen Musikunterlegung eine gänzlich andere Wirkung bei den ZuseherInnen hervorrufen. Auch im dritten Kapitel wird durch den Einsatz der Musik die zunehmende Traurigkeit des kleinen Mädchens unterstrichen. Diese Traurigkeit wird bereits in einer ersten Kameraeinstellung mit Blick auf sie beim Kinoaufbruch der Jungen, die sie alleine am Spielpatz zurück lassen (ca. bei Minute 6.40-6.45), festgehalten. Diese Traurigkeit wird durch den Einsatz der Musik kurz nach der Rückkehr der Jungen vom Kino verstärkt (ca. bei Minute 7.39). Dass dies ihr Musikthema ist, wird auch dadurch deutlich, dass die Musik bei einer Kameraeinstellung auf die streitenden Jungen (ca. bei Minute 8.12) kurz aussetzt und beim Blick auf sie wieder einsetzt (ca. bei Minute 8.20). Diese Passage kann mit den SchülerInnen betrachtet werden, sie sollen beobachten mit welchen gestalterischen Mittel die Trauer des Mädchens vermittelt wird (ca. Minute 7.39-8.51). Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung der Tonebene wird in den drei Kinoszenen deutlich. Die SchülerInnen sollen die erste Kinoszene mit folgendem Auftrag anschauen: Welchen Film schaut der Junge an, woran erkennt ihr das Genre (Liebesfilm, Abenteuerfilm, Komödie etc.)? Achtet dabei auf die Musik, das Publikum im Kino und den Jungen. Siehe dazu Einstiegsbild bei ca. Minute 2.12, Ausstiegsbild: schwarzes Bild bei ca. Minute 2.33. In der Folge wird die zweite Kinoszene mit dem gleichen Auftrag gemeinsam angeschaut. Siehe dazu das Einstiegsbild bei ca. Minute 4.29, Ausstiegsbild: schwarzes Bild bei ca. Minute 5.56. Als letztes wird die dritte Kinoszene mit dem gleichen Auftrag angeschaut. Siehe dazu das Einstiegsbild bei ca. Minute 6.46, Ausstiegsbild ca. bei Minute 7.13. Die SchülerInnen erhalten in erster Linie durch die Tonebene (Musik und Geräusche), in zweiter Linie durch die Kameraeinstellung auf den/die Jungen und auf das Publikum Anhaltspunkte für das Genre des Films. Im ersten Kinofilm handelt es sich um ein Drama (vielleicht King Kong), der zweite Film ist ein Liebesfilm, der dritte eine Komödie in diesem 12
Fall eindeutig ein Charlie Chaplin Film. Insbesondere beim Zitat dieses Films wird klar, dass Bende Sira auch eine Hommage an das Kino ist. Ähnlich wie in den Anfängen des Kinos, der Stummfilmzeit, funktioniert auch Bende Sira ohne Dialog, die Handlung wird somit wesentlich über die Bilder und die Musik transportiert. Dies erklärt auch weshalb die SchauspielerInnen in den Stummfilmen mit einer ausgeprägten Körpersprache gespielt haben ebenso wie die Jungen bei der Nacherzählung des Films. Der vorliegende Film bietet somit auch eine ideale Möglichkeit, um mit SchülerInnen ein wenig Filmgeschichte zu erarbeiten. Abschließend kann mit älteren SchülerInnen der Film noch einmal gemeinsam mit folgenden Beobachtungsaufgaben bezüglich der Tonebene angeschaut werden: Konzentriert euch auf die Musik in den drei Kapiteln, wann setzt sie ein, wann hört sie auf? Erkennt ihr einen Unterschied zwischen den ersten beiden und dem dritten Kapitel? Welche Funktion hat die Musik im Film? An welchen Stellen ist sie stark im Vordergrund? Warum? Welche Rolle kommt dem Dialog zu? Überwiegen Passagen mit Dialog oder mit Musik? Welche Rolle spielen Geräusche? Wo kommen diese im Film vor? Werden sie in einer natürlichen Lautstärke oder bewusst verstärkt wiedergegeben? 4. Schnitt Der Schnitt verbindet die einzelnen Einstellungen zu einer kompakten Szene. In erster Linie vermittelt er den Rhythmus des Films durch unterschiedliche Einstellungslängen. Die Bildverbindung kann entweder durch einen harten Schnitt (wird am häufigsten verwendet) oder durch Überblendungen erfolgen. Das Auf- und Abblenden stellt den Ein- bzw. Ausstieg aus einer Einstellung dar. Der Schnitt hat unterschiedlich großen gestalterischen Einfluss: beim Spielfilm gibt die Handlung eine logische Abfolge vor, beim Dokumentarfilm kommt dem Schnitt eine größere Gestaltungsmöglichkeit zu, weil beim Drehen der Ablauf der Geschichte noch nicht exakt festgelegt ist. Beim Spielfilm steht vorwiegend die Detailarbeit im Schnitt einer durchgehend gedrehten Szene im Vordergrund. Hier gilt es die Totale, Halbnahe und Nahe so aneinander zu reihen, sodass ein stimmiger Erzählfluss entsteht. In Bende Sira kann hier als Beispiel die Montage beim ersten Auszählen des Geldverteilens genannt werden. In einem gut geschnittenen Film werden Schnitte nicht direkt wahrgenommen. Der Tonschnitt kann den Bildschnitt durch eine Tonüberlagerung verstecken oder verstärken. 13
Der Schnitt ermöglicht aber auch verschiedene Orte, Räume, Zeit- und Handlungsebene miteinander zu verbinden, sodass ein stimmiger Erzählfluss entsteht. Ein Beispiel dafür sind die Stadteinstellungen, die einen neuen Tag und somit das Verstreichen der Zeit ankündigen (ca. bei Minute 3.27 und 6.00). In Bende Sira wird ein relativ klassischer Erzählschnitt verwendet, der die Geschichte vorantreibt. Bezogen auf die Lebendigkeit seiner ProtagonistInnen achtet er nicht auf den korrekten Anschluss der Einstellungen. Dadurch wird er fragmentarischer und unterstreicht die Emotionalität der ProtagonistInnen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Beschreibung des Liebesfilms durch den Jungen am Spielplatz (ca. bei Minute 4.57-5.50). Ein weiterer interessanter Einsatz des Schnitts ist nach der Erzählung des Liebesfilms durch den Jungen gegeben, Bild mit der Gruppe bei ca. Minute 5.48. Hier werden drei harte Schnitte gesetzt, die jeweils das gleiche Bild in einer anderen Einstellungsgröße zeigen (von der Totalen, zur weiten und noch weiteren Totalen). Die Kamera zieht sich zurück und vermittelt somit klar, dass die Szene zu Ende geht. Mit den SchülerInnen kann die Szene mit folgendem Auftrag betrachtet werden (ca. bei Minute 5.48-5.56): Erkennt ihr unterschiedliche Einstellungsgrößen bei dieser Szene? Wenn ja, was vermitteln diese? Zur Montage gehört auch der Umgang mit Kapitelsetzungen. In Bende Sira können prinzipiell drei Kapitel genannt werden, die durch eine Abblende, eine Schwarzphase und eine Aufblende voneinander getrennt werden. Zeitpunkt und Längen dieser Blenden und Schwarzphasen werden beim Schnitt festgelegt. Innerhalb der Kapitel werden die Blenden insbesondere auch im Kinosaal (ca. bei Minute 2.15-2.32), der in einer einzigen Einstellungsgröße gedreht wurden, als Mittel zur Zeitverkürzungen und zur Hervorhebung wichtiger emotionaler Reaktionen des Jungen und des Publikums eingesetzt. Hier kann folgende Frage gestellt werden: Welche Funktion erfüllen die kurzen Schwarzblenden im Kinosaal? Abschließend kann mit älteren SchülerInnen der Film noch einmal gemeinsam mit folgenden Beobachtungsaufgaben bezüglich des Schnitts angeschaut werden: Ist der Film vom Rhythmus her eher schnell oder langsam? Woran erkenne ich das? Wie werden die einzelnen Einstellungen bzw. Sequenzen miteinander verbunden? Erstellung einer Filmkritik (Ab der 10. Schulstufe) Abschließend können ältere SchülerInnen eine Filmkritik zu Bende Sira schreiben. In einem ersten Schritt sollen die SchülerInnen in Gruppenarbeit drei Filmkritiken miteinander vergleichen und über die wesentlichen Charakteristika diskutieren. Filmkritiken zu aktuellen Filmen finden sich auf: www.kinofenster.de. In der Großgruppe wird der Aufbau einer 14
Filmkritik rekapituliert. Anschließend versuchen die SchülerInnen gemeinsam oder in Einzelarbeit eine Filmkritik zu Bende Sira zu erstellen. Folgende Impulsfragen können dabei hilfreich sein: Welche Geschichte erzählt der Film? Ist der dramaturgische Aufbau des Films erkennbar? Wie erzählt sich der Film? Um was für ein Genre handelt es sich? Welche Themen werden aufgegriffen? Wie ist die Ausstattung? Können die SchauspielerInnen die Geschichte authentisch und überzeugend vermitteln? Wie ist der Film gestaltet (Kamera, Licht, Tonebene, Schnitt)? Warum hat dir der Film (nicht) gefallen? Begründe deine Meinung. Erstellung des Begleitmaterials: Hildegard Hefel BAOBAB GLOBALES LERNEN Sensengasse 3, 1090 Wien Österreich Tel.: +43-1-319 30 73 E-Mail: service@baobab.at www.baobab.at 15
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