1 Eröffnungsvortrag von Heribert Prantl zum Kongress Aus der Praxis lernen Rechtssicherheit und kommunale Gestaltungsspielräume bei Strom- und Gaskonzessionen am Donnerstag, 9. Oktober 2014 von 11:30 bis 18:30 Uhr im Otto-Suhr Saal, Neues Stadthaus, Parochialstr. 1-3 in 10179 Berlin. Kommunalwirtschaft ist mehr Demokratie Ein Lob auf die Demokratisierung der Energieversorgung Von Heribert Prantl.. Die Rekommunalisierung der Daseinsvorsorge ist eine der bemerkenswertesten gesellschaftspolitischen und ökonomischen Projekte der deutschen Gegenwart. 72 Neugründungen allein im Strombereich gibt es (Stand 2013) in Deutschland seit 2005 - Tendenz anhaltend, Tendenz steigend. Das wird so bleiben, weil bis zum Jahr 2016 nochmals zahlreiche Konzessionen auf der örtlichen Stromverteilnetz- und Gastverteilnetzebene auslaufen. Die Strahlkraft der Neu- und Wiedergründung von Stadtwerken ist groß, die Nachahmungslust bei den jeweiligen Nachbargemeinden hoch. Die neuen Stadtwerke sind offenbar die neuen Leuchttürme der Energiewirtschaft und der Daseinsvorsorge. Die Bürger begrüßen das, sie begrüßen auch die Rekommunalisierung der Stromverteilungsnetze, ja sie gründen Bürgerenergiegenossenschaften, um das örtliche Stromnetz zu kaufen. Die Unternehmensberater Aktiengesellschaften, die einst die Privatisierung begleitet und forciert haben, finden diese Rekommunalisierung nicht so gut; wenn in den einschlägigen Gutachten Unternehmensberatungen nur wenige gute Haare an der Rekommunalisierung der Energienetze lassen, so ist das verständlich
2 aber leicht durchschaubar. Es wird vor einer Zersplitterung der Energielandschaft gewarnt, die zu Ineffizienzen führen wird. Ich glaube das nicht, auch nicht bei eher kleinen Stadtwerken. Die Praxis zeigt, dass es regionale Cluster, dass es interkommunale Kooperationsstrategien gibt und kommunale Gemeinschaftswerke. Stadtkämmerer und Stadtwerker wissen um die Vorteile von kommunalen und regionalen Gemeinschaftsstrukturen. Die Rekommunalisierung der Daseinsvorsorge ist spektakulär; die Neu- und Wiedergründung von Stadtwerken, der Rückkauf vormals teilprivatisierter Stadt- und Gemeindewerke, die Netzübernahme, der Aufbau eines Vertriebs und die Akquisition von Endkunden ist Indiz für ein neues Selbstverständnis der Städte und Gemeinden. Es zeigt sich ein begrüßenswertes neues Selbstbewusstsein: Die Städte und Gemeinden nehmen das verfassungsrechtliche Wort ernst, das ihren Status beschreibt: Sie sind Selbstverwaltungskörperschaften. Es gab und gibt Juristen und vor allem Ökonomen, die die Städte und Gemeinden nur noch als untere staatliche Vollzugsorgane sehen, und sie so in ihrer Bedeutung reduzieren. Ich habe das immer für falsch gehalten. Die kommunale Selbstverwaltung gehört zu den Konstruktionsprinzipien unseres Gemeinwesens; darin zeigt sich der Föderalismus am schönsten und am besten. Zur kommunalen Selbstverwaltung gehört die eigenverantwortliche Wahrnehmung der eigenen örtlichen Angelegenheiten dazu gehört auch die Konzessionsvergabe bei Strom und Gas. Wenn heute von großen Umbrüchen oder vom Wandel grundlegender Rahmenbedingungen die Rede ist, oft von einem Paradigmenwechsel gesprochen. Die Rekommunalisierung der Daseinsvorsorge verdient dieses Wort fürwahr. Dieses Paradigmenwechsel bei der Daseinsvorsorge hat zu tun mit negativen Erfahrungen, die die Kommunen in der Phase der
3 Privatisierungseuphorie mit einer privatisierten Daseinsvorsorge gemacht haben. Sie hat zu tun damit, dass viele Gemeinden mit der mangelhaften Wartung, Instandhaltung und Modernisierung der Verteilnetze durch die privaten Versorger, die Altkonzessionäre, unzufrieden waren. Mit eigenen Stadtwerken schaffen sich die Städte und Gemeinden den Handlungsspielraum den sie brauchen, um den klimafreundlichen Umbau der örtlichen Energieversorgung voran zu bringen. Die strategische Neuausrichtung der Energieversorgung funktioniert auf kommunaler Ebene am besten. Der Rekommunalisierung der Stadtwerke und der Aufbau gemeindeeigener Energieversorgungsunternehmen gibt den Bürgerinnen und Bürgern die Sicherheit, der sie wollen. Zu den Dingen, die ihm Sicherheit geben, zählt der Bürger ja nicht nur Polizei und Gerichte, sondern auch andere Dinge, die jeder braucht: das Trinkwasser oder die Energie zum Beispiel. Da hat der Bürger recht. Eine gute Daseinsvorsorge gibt Sicherheit, sie gibt innere Sicherheit. Die Bürgerinnen und Bürger wollen diese Sicherheit nicht verlieren, sie wollen sich diese Sicherheit nicht nehmen lassen, auch nicht von der Europäischen Union. Deswegen haben vor einem halben Jahr zwei Millionen Menschen, die meisten waren Deutsche, die europäische Bürgerinitiative gegen die Privatisierung der Wasserversorgung unterschrieben Wasser ist Menschenrecht sagten die Bürger. Der Wassersektor wurde aus der EU- Konzessionsrichtlinie herausgenommen. Leider hat die EU- Kommission mit fadenscheiniger juristischer Begründung die Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP vom Tisch geschoben..
4 Den zeitweiligen Rückzug der Kommunen aus den Unternehmen der Daseinsvorsorge haben ja die Bürger schon einmal erlebt, als die Kämmerer zur Sanierung der leeren Kassen ihre Stadtwerke verkauft haben der Widerstand dagegen war ja durchaus massiv und hat sich zuletzt in lokalen und regionalen Plebisziten undvolksentscheiden niedergeschlagen. Viele Menschen hatten ein unbehagliches Gefühl, als der Staat sich von so vielen Tätigkeiten zurückzog, die einmal als ureigene staatliche Aufgaben gegolten hatten, wenn der Staat also Private machen lässt, was früher des Staates war: Nicht nur Krankenhäuser, sondern auch Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Müllentsorgung und Verkehrsvertriebe wurden eine Zeitlang mehr und mehr und voll und ganz auf Privatunternehmen übertragen. Das klappte zuweilen, aber durchaus nicht immer, ganz ordentlich, oftmals aber stiegen danach die Preise. Auch solcher Erfahrungen wegen ist die Privatisierungseuphorie gebrochen; es gibt die beschriebe und berechtigte große Lust und die starke Tendenzen zur Re- Kommunalisierung - zumal auf dem Energiesektor Das ist erstens vernünftig und zweitens demokratisch. Die Kommune ist die Schule der Demokratie: Wenn der Bürger dort nur noch lernen könnte, dass die Politik auf die Versorgung mit öffentlichen Gütern kaum noch Einfluss mehr hat, dann würde die die Verdrossenheit am Staat wachsen. Ein Ausverkauf staatlicher beziehungsweise kommunaler Gestaltungsmacht wäre ein Ausverkauf demokratischer Mitbestimmung. Der Staat, also auch Städte, Gemeinden und Kreise, dürfen ihre Aufgaben nicht abwerfen wie der Baum seine Blätter im Herbst. Das geht nicht, das ist schädlich für die Demokratie. Wenn der Staat sich immer kleiner macht, dann wird ja auch der Bereich, den Wähler mitbestimmen können, immer kleiner. Zu viel Entstaatlichung wird also zur Gefahr für die Demokratie. In dem Maß, in dem kommunale Versorgungsbetriebe entkommunalisiert wurden, verlor die Kommune die Funktion, die
5 sie hatte: Sie war nicht mehr Schule der Demokratie; sie war nur noch Zwergschule. Kommunalwirtschaft ist Wertschöpfung vor. Wertschöpfung ist freilich nicht nur eine Frage von Geld und Energie, nicht nur eine Frage der Ökonomie - sondern auch der Demokratie und der Sozialstaatlichkeit. Die Wertschöpfung der Kommunalwirtschaft besteht nicht zuletzt auch in gelebter Demokratie vor Ort. Es ist gut, es ist sehr gut, wenn Kommunalwirtschaft nicht nur Energie, sondern auch mehr Demokratie produziert. Die Leute wollen Ansprechpartner vor Ort. Sie wollen mehr Einfluss auf die Energieversorgung. Es ist daher vernünftig, wenn immer mehr Kommunen die Netze von den großen Stromversorgern zurückkaufen. Es ist daher gut, wenn die Stadtwerke wieder eine Renaissance erleben, wenn immer mehr Stadtwerke wieder in die Energieversorgung einsteigen. Bis vor einiger Zeit war die Eigenerzeugung von Strom bei den kommunalen Unternehmungen eher die Ausnahme. Der Aufstieg der großen Konzerne, der Aufstieg von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW war mit dem Niedergang der Stadtwerke verbunden, die nur noch Weiterverteiler waren. Dieser Prozess kehrt sich um das ist die Energiewende! Sie ist ein epochaler Prozess sie ist eine industrielle Revolution und sie ist demokratische Evolution. Strom mit Hilfe der Erneuerbaren Energien selbst zu erzeugen ist klug, attraktiv und hoffentlich auch lukrativ. Deshalb wollen sich die Kommunen die Netze zurückholen, deshalb installieren sie Solarparks und Windräder, deshalb gibt es immer mehr dezentrale Biomasseverstromung, deshalb wird aus der Arbeit mit Erneuerbaren Energien eine Volksbewegung, deshalb gibt es immer mehr
6 Energiegenossenschaften 945 gibt es (Stand Februar 2014) derzeit in Deutschland, zehnmal so viel wie 2007. So eine Energiegenossenschaft ist eine besonders schöne demokratische Einrichtung, weil innerhalb einer solchen Energiegenossenschaft Interessenkonflikte besonders gut geklärt werden können... Ich weiß, dass der Paragraf 46 Absatz 3 des Energiewirtschaftsgesetzes Verwirrung stiftet der den Gemeinden bei der Vergabe für Strom- und Gaskonzessionen vorschreibt, dass sie dabei den Zielen des Paragraf 1 Energiewirtschaft verpflichtet sind sie also bei der Auswahl des Konzessionärs sowohl auf Versorgungssicherheit als auch auf Preisgünstigkeit und Umweltverträglichkeit und Effizienz achten müssen. Zumal Altkonzessionäre tun so, als sei deshalb die Berücksichtigung eines gemeindeseigenen Energieversorgungsunternehmens degoutant. Sie betreiben nicht selten eine Preisspaltungspolitik, die sich gegen das Vertriebsgeschäft eines neuen Stadtwerkes richtet und bieten den Strom im verloren gegangenen Netzgebiet deutlich billiger an als in den Nachbarkommunen, deren Netze sie noch betreiben. Das ist eine unerlaubte Strategie. Der Bundesgerichtshof freilich hat in zwei Urteilen vom 17. Dezember 2013 das Energiewirtschaftsgesetz sehr eigenwillig und eigenartig ausgelegt: Er hat seiner Auslegung des Gesetzes, zumal des Paragraf 46, die Vorstellung eines reines Leistungswettbewerbs um die Konzessionen zugrundegelegt. Johannes Hellermann, der Bielefelder Ordinarius für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht hat in sehr luciden Abhandlungen dargelegt, warum das falsch ist. Der Bundesgerichtshof hat Gewicht und Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung verkannt sie ist von der Verfassung garantiert. Und das Unionsrecht anerkennt, dass Inhouse-Vergaben privilegiert werden dürfen.
7 Wer die kommunale Selbstverwaltung ernst nimmt, und ich bin mir sehr sicher, dass das Bundesverfassungsgericht das tut, der kann nichts dagegen haben, dass die Kommune bei der Konzessionsvergabe aus ausdrücklich zu nennenden Gründen ein gemeindliches Unternehmen gegenüber einem potenten Großkonzern bevorzugt. Wenn die Kommunen nach Gemeinwohl statt nach Wirtschaftsinteressen handeln wollen, wenn sie auf niedrige Energiepreise achten, wenn sie sich von eigenen kommunalen Unternehmen ein besseres Infrastrukturmanagement versprechen wenn sie so die Energiewende forcieren und die demokratischen Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten fördern wollen dann sind das lauter sachlich einleuchtende Gründe. Der kommunale Leuchtturm soll leuchten dürfen für die Daseinsvorsorge. Prof. Dr. Heribert Prantl ist Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung und Leiter der Redaktion Innenpolitik