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Transkript:

Abgefackelt. Aufgehängt. Ausgelöscht. Das große NSU-Zeugensterben: Schon jetzt gibt es sechs angebliche Selbstmorde - die zwei Hauptverdächtigen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, der aussagewillige Florian Heilig und drei hohe Polizeibeamte aus Thüringen. Polizeichef Menzel spricht von einer unbekannten Frau, die vor dem Selbstmord von Böhnhardt und Mundlos gesehen wurde. Seit über zwei Jahren beschäftigt die grausige Mordserie, die mit dem Nationalsozialistischen Untergrund verknüpft ist, die Öffentlichkeit. Im Wesentlichen gibt es dazu zwei Theorien: Die vorherrschende sieht die Schuld bei den drei Mitgliedern des NSU - Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, mit weiteren Unterstützern aus der rechten Szene. Die kritische Lesart weist über das Trio und die rechtsradikale Szene hinaus und nimmt ein Staatsoder Geheimdienstkomplott an. In dieser Perspektive sind die drei eher Werkzeuge, Bauernopfer oder sogar Sündenböcke für andere Kreise. Ein genaueres Bild würde man erst bekommen, wenn auch Zeugen zu Wort kämen, die andere Geschichten als die offizielle erzählen könnten. Doch vermutlich werden wir diese andere Version der Ereignisse niemals hören, weil diejenigen, die sie aus eigenem Erfahren berichten könnten, nicht mehr sprechen können: nicht die angeblichen NSU-Gründer Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos; nicht Florian Heilig, der statt mit dem NSU mit einer anderen Untergrundstruktur böse Bekanntschaft machen musste; nicht Achim Koch und seine Mitstreiter beim LKA Thüringen, die dem Terror auf der Spur waren, noch bevor der erste Mord passiert ist. Sie alle können nicht mehr aussagen, weil sie tot sind. Selbstmord - oder erselbstmordet? Eine Häufung von Zufällen - oder geplante Zeugenbeseitigung? Eisenach, 4. November Z011 An diesem Tag wurden die beiden angeblichen Haupttäter des NSU, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, erschossen in einem Wohnmobil in Stregda, einem Ortsteil von Eisenach, aufgefunden. Michael Menzel, Chef der Polizeidirektion Gotha, leitete den Einsatz am Tatort. Wie konnte es sein, dass er sich nach eigenen Angaben schon am gleichen Abend die Vermisstenakte von Uwe Mundlos kommen ließ - obwohl zu diesem Zeitpunkt die Leichen noch nicht identifiziert waren? Woher wusste er, wer da mit zerfetztem Schädel aufgefunden worden war? Gehörte er zu den Leuten, die seit dem Abtauchen der beiden Uwes und ihrer Freundin Beate Zschäpe im Jahr 1998 immer über deren Aufenthaltsort Bescheid wussten - und erklärt sich so die schnelle Identifizierung der Leichen? Die Widersprüche in der Selbstmordthese sind jedenfalls gravierend. Die verwendete Waffe, eine Pumpgun vom Typ Winchester, sowie die aufgefundenen Patronenhülsen sprechen gegen Suizid-siehe das

In diesem Auto verbrannte Florian Heilig am 16. September 2013. Die Polizei spricht von Selbstmord, legt aber die kriminaltechnische Untersuchung nicht offen. Foto: 7aktuell.de, Oskar Eyb Interview mit dem Waffenexperten Siegmund Mittag auf den folgenden Seiten dieser COMPACT-Ausgabe. Die meisten Widersprüche würden sich auflösen, wenn man nicht von zweifachem Selbstmord ausginge, sondern von zweifachem Mord, begangen von einer dritten Person im Caravan. Menzel bestritt dies bei seinem Auftritt im Münchner NSU-Prozess im November 2013 vehement. Dagegen steht seine eigene Angabe, wonach Zeugen am Vormittag des 4. Novem- Nach dem Sturz von Verfassungs- schutz-chef Roewer wurden alle Quellen im rechten Milieu abgeschaltet Stattdessen wurde die linke Szene observiert. ber 2011 eine Frau am Wohnmobil gesehen hatten. Tatsächlich gab es Berichte über eine Nummer 3 am Tatort bereits wenige Tage nach dem Tod der beiden Uwes. Die Bild-Zeitung schrieb am 7. November 2011 : «Zeugen wollen einen dritten Mann gesehen haben, der aus dem Fahrzeug flüchtete.» Wenige Tage später hieß es selbst aus Polizeikreisen: «Einem Ermittler zufolge deutet die Spurenlage in dem Wohnmobil, in dem die Leichen der beiden gefunden wurden, nicht unbedingt auf einen gemeinsamen Suizid hin.» (spiegel.de, 12.11.2011) Auch im Bundestag wurde diese Spur debattiert (siehe Infokasten Seite 27). Thüringen, ab Frühsommer 2000 Während die genannten Todesfälle zumindest der interessierten Öffentlichkeit schon bekannt waren, ist das mysteriöse Ableben einiger wichtiger mit dem NSU befasster Polizeioffiziere bisher nicht öffentlich diskutiert worden. Der Focus schrieb diesbezüglich über eine «erschreckende Häufung von Polizisten-Selbstmorden» in Thüringen - freilich ohne einen politischen Zusammenhang herzustellen. So sollen im August 2001 innerhalb von vier Tagen gleich zwei Spitzenbeamte Suizid begangen haben: Kriminalkommissar Erwin Friese leitete die Abhörtechnik des LKA und war in dieser Funktion mit der Telefonüberwachung auch der rechtsradikalen Szene betraut. Er wurde erschossen in der Toilette seiner Behörde aufgefunden. Achim Koch war Leiter der Einsatzgruppe ZEX gewesen, die gegen Rechts ermittelte. Er hängte sich im Keller seines Hauses auf, an einer Hundeleine. «Für mein Dafürhalten ist das aufgrund der Tatsache, dass er in dieser besonderen Position war, Leiter dieser EG ZEX, (...) irgendwie ein Zeichen, was dieser Mensch setzt», sagte sein LKA-Kollege Mario Melzer vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss. Kochs Abschiedsbrief wurde unter Verschluss genommen. Auch der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages bekam ihn nicht zu sehen. Uwe Mundlos. Foto: BKA Zeugen weiter gefährdet y Der Leiter der Zielfahndung des Thüringer LKA, Jürgen Ihling, sei zu dem Vater von Uwe Mundlos gegangen und habe gesagt: «Wir wissen sowieso, dass Ihr Sohn für den Verfassungsschutz arbeitet.» (Ihlings Mitarbeiter Mario Melzer vor dem thüringischen NSU-Untersuchungsausschuss, 12.11.2012) Melzer erklärte mehrfach, dass er nach dem Auffliegen des NSU-Trios im November 2011 innerhalb der Polizei verbal bedroht wurde. Auch der Nazi-Aussteiger Nick Greger, der über Terroraktivitäten des NSU-V-Mannes Piatto aussagte, wurde mit Drohungen eingeschüchtert, und zwar zuletzt Ende Oktober 2013 durch LKA-Beamte aus Berlin, (siehe COMPACT 12/2013) Nick Greger in seinerzeit als aktiver Neonazi. Foto: nick-greger.de Stuttgart, IB. September 2013 An diesem Tag verbrannte der 21-jährige Florian Heilig in seinem Auto in Stuttgart. Am gleichen Tag hätte der junge Mann beim LKA über Hintergründe des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 in Heilbronn aussagen sollen. Er hatte bereits vor über zwei Jahren, als noch niemand vom Nationalsozialistischen Untergrund sprach, über eine terroristische Untergrundstruktur berichtet - nicht den NSU, sondern die NSS, die Neoschutzstaffel. Im Interview mit COMPACT äußern die Eltern von Florian: «Wir glauben nicht an Selbstmord», und sie tragen zahlreiche Indizien dafür zusammen, dass ihr Sohn umgebracht wurde, (siehe Seite 21 bis 23). Besonders wichtig sind ihre Hinweise auf frühere Mordversuche an Florian und dessen Einblicke in eine aus unklarer Quelle finanzierte Extremistentruppe.

Fremde DNA im Caravan Spiegel-Online meldete am 17. Februar 2013, dass die Laboruntersuchung von grauen Socken aus dem Wohnmobi) von Mundlos und Böhnhardt Ungewöhnliches erbracht hatte. «Die Spuren gehen auf Beate Zschäpe zurück und auf einen unbekannten Mann, P46".» War also doch eine dritte Person am Tatort? Ein Killer? Die Polizei und der Spiegel wiegelten ab: «Ein Abgleich mit der DNA-Analyse-Datei führte die Beamten zu Kriminalfällen, die für den NSU untypisch gewesen wären, darunter ein Autodiebstahl in Berlin. Das BKA nimmt das als ein weiteres Indiz dafür, dass die DNA von P46" möglicherweise bei der Herstellung oder Verwendung an die Wattestäbchen kam.» Im Klartext: Es habe keine weitere Person im Mordfahrzeug gegeben; die verräterische DNA sei eine Wattebäuschchen-Verunreinigung... Einzige Begründung dafür: Die DNA von «P46» sei auch an NSU-untypischen Orten aufgetaucht... Aber warum sollte eine Person, die in Berlin Autos stiehlt, nicht auch in dem Wohnmobil aufgetaucht sein? Spurensicherung an einem Tatort. Foto: Arnij/CCBY-SA 3.0 Völlig unerwartet verstarb Ende Mai 2002 der erst 58-jährige Polizeiabteilungsleiter Klaus-Jürgen Reimer, angeblich an Herzversagen. Er hatte im Juli 2000 darauf gedrängt, dass neben dem Landesamt für Verfassungsschutz auch die Polizei «selbständige, alleinige Info-Beschaffung» betreiben solle - ein Hinweis auf den Aufbau eigener V-Leute in der Szene. Ex-Innenminister Willibald Böck (CDU) orakelte, Reimer sei «nicht von ungefähr in dieser Nacht gestorben». [Focus, 22/2002) Das Innenministerium versicherte in einer Stellungnahme, für Fremdverschulden liege kein Anhaltspunkt vor - vorauseilendes Dementi einer Behauptung, die niemand aufgestellt hatte. Einmal Geheimdienst immer Geheimdienst: V-Mann-Führer Wies- ner ist auch im Ruhestand noch gefragt. Die große Säuberung Die mysteriösen Suizidfälle waren nur die Spitze eines Eisberges. Der gesamte Thüringer Polizeiapparat muss ab Frühsommer des Jahres 2000 massiv gesäubert worden sein, also kurz bevor die Serie der sogenannten Dönermorde begann - und zwar zu Lasten von Aufklärungs- und Ermittlungsarbeit in die rechtsradikale Szene hinein. Mindestens ein Dutzend fähige Kriminalisten wurden strafversetzt, alle Quellen im Neonazi-Milieu abgeschaltet. Das hieß: Freie Bahn für Gewalttäter. Der Schnitt fällt zeitlich zusammen mit dem Sturz des damaligen Thüringer Verfassungsschutz-Chefs Helmut Roewer Anfang Juni 2000. Der hatte sich Vorhalten lassen müssen, dass die von ihm aufgebaute V-Mann-Arbeit in der rechten Szene aus dem Ruder gelaufen war, insbesondere Tino Brandt als gut vergüteter Anführer des Thüringer Heimatschutzes, dem auch das flüchtige Trio entstammte. Der Clou war aber, dass die Ablösung Roewers nicht zur Verstärkung, sondern zur Einstellung der Fahndung nach den Untergetauchten führte. Anfang November 2000 soll Roewers Nachfolger Stefan Sippel eine Neuausrichtung des Verfassungsschutzes verkündet haben, berichten Insider: Alle Quellen in der rechten Szene wurden abgeschaltet. Unter Kuratel gestellt wurden angeblich die bisher Verantwortlichen des Kampfes gegen Rechts, namentlich der Leiter der Polizeidirektion Jena, Frank Schnaubert, der ehemalige LKA-Chef Egon Luthardt und der erwähnte Abteilungsleiter Reimers, der dann, siehe oben, eines plötzlichen Todes starb. Verfassungsschutz-Chef Sippel erhielt nach Informationen aus Sicherheitskreisen von Innenminister Christian Köckert die Weisung, alle politisch unzuverlässigen Mitarbeiter aus dem Amt zu entfernen. Angeblich wurden etwa ein Dutzend Personen gegen ihren Willen in andere Behörden abgeschoben. Im Amt seien zahlreiche Akten aus den Vorjahren vernichtet worden. 4, Statt nach rechts beginnt sich der Verfassungsschutz nun verstärkt auf den Kampf gegen Links auszurichten, PDS inklusive. Und ausgerechnet V-Mann Tino Brandt, über den Helmut Roewer gestolpert war, wird wieder aktiviert: Im Frühsommer 2001 wird er von Journalisten bei einem Treff mit seinem früheren V-Mann-Führer Norbert Wiesner beobachtet. Der soll sich bereits zuvor in seiner Dienststelle damit gebrüstet haben, dass er sich «mit höchster Stelle» abgestimmt habe, Brandt wieder anzuschalten. In der anschließenden Aufarbeitung des Falls erklärt Sippel, es habe sich lediglich um Nachsorgetreffs gehandelt. Nachsorgetreffs? Auffällig ist, dass Wiesner just am Todestag von Böhnhardt und Mundlos wieder von sich reden machte. Der zuständige Ermittlungsleiter, der eingangs erwähnte Michael Menzel, rief ihn erwiesenermaßen kurz nach dem Auffinden der beiden Leichen an und verlangte nach Angaben aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen ultimativ den Namen der dritten Person, die im Todes-Caravan gesehen wurde. Dabei war Wiesner an jenem 4. November 2011 schon neun Jahre aus dem aktiven Dienst ausgeschieden. Aber, wie heißt es so schön: Einmal Geheimdienst, immer Geheimdienst. Akten wurden geschreddert Zeugen verbrannt. Foto: Zeitungsausriss _ Jürgen Elsässer arbeitete Z005 für den BND-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages. Über sein Buch «Wie der Dschihad nach Europa kam» urteilte der langjährige franzüsiche Innenminister Jean-Pierre Chevènement: «Eine Goldgrube an Enthüllungen.» 06 Aktuelles BILD am SONNTAG. 12. Februar 2012 Beispielloser Vorgang bei Ermittlungen im Fall des, Zwickauer Trios alarmiert Innenminister Friedrich] Warum ließ das BKA wichtige Nazi-Ermittlunes daten hetïaii?3nl

«Wir glauben nicht an Selbstmord».Interview: Jürgen Elsässer Florian Heilig w ar ein wichtiger Zeuge im Mordfall der Polizistin Michèle Kiesewetter. Mitte September soll sich der 21-Jährige umgebracht haben, am Tag seiner Vernehmung durch das LKA. Für seine Eltern spricht alles gegen einen Suizid. Am 16. September 2013 verbrannte Ihr Sohn in Stuttgart in seinem Auto. Die Polizei sagtr es war Selbstmord. Und Sie? Mutter Heilig: Wir glauben nicht an Selbstmord. Mein Mann und ich nicht, unsere Kinder nicht, niemand von seinen Freunden. Vater Heilig: Die Polizei sagt, Florian habe sich aus Liebeskummer umgebracht. Aber das ist totaler Blödsinn. Er war glücklich mit seiner Freundin. Am Samstag nach dem Tag, an dem er gestorben ist, wollten sie es eigentlich ihrem Vater sagen, dass sie ein Paar sind. Mutter: Florian war rundum zufrieden. Er hatte eine Lehrstelle bei uns im Ort gefunden, bei der Firma, in der auch sein Bruder arbeitet. Stahlbetonbauer war sein Traumberuf, schon immer gewesen. Entsprechend war er hoch motiviert und brachte nur gute Noten nach Hause. Er bekam stets gute Rückmeldungen von seinen Kollegen. Und für ein Auto hatte er sich auch schon entschieden. Hat die Polizei Beweise für die Selbstmordthese vorgelegt? Mutter: Uns nicht. Wir beben keinen Autopsiebericht bekommen, kein Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchung, keine angeblich existierenden Fotos und Videoaufnahmen. Nicht einmal die Sterbeurkunde war - wie ansonsten üblich, um Verwechslungen auszuschließen - bei der Leiche, sondern musste von unserem beauftragten Bestatter in Tübingen abgeholt werden. Dafür sind Fotos des verbrannten Körpers von Florian in der Presse aufgetaucht. Vater: Und das Autowrack. Als wir es abgeholt haben, sagten uns die Beamten, es sei nichts darin sichergestellt worden. Wir haben nur wenige Momente gebraucht, um sein Handy und den Laptop zu finden. Wieso wurden diese wichtigen Beweismittel nicht untersucht? Oder war der Polizei über Telekommunikationsüberwachung ohnedies alles bekannt, was sich auf den Geräten befand? Mir kommt es seltsam vor, dass ein Mensch sich auf die denkbar komplizierteste und schmerzhafteste Weise umgebracht haben soll: Indem er sich in seinem Auto verbrennt. Mutter: Das ist völlig unglaubwürdig. Florian hatte zunächst eine Lehre als Krankenpfleger begonnen. In dieser Zeit hat er Wissen angehäuft, mit dem man sich sicher weitaus weniger schmerzhaft das Leben hätte nehmen können. Spursn am Autowrack Vater: Da jetzt das Autowrack in unserem Besitz ist, konnten wir es persönlich in Augenschein nehmen, und dabei sind uns einige Punkte aufgefallen. Florian soll den Innenraum mit Benzin aus einem Kanister getränkt, sich dann reingesetzt und mit einem Feuerzeug in Brand gesteckt haben. Aber wo ist der Kanister? Florian Heilig: Er war erst 21 Jahre alt, als ersterben musste. Foto: Familie Heilig «Wir haben keinen Autopsiebericht bekommen.»

Big Rex «Nachdem unser Sohn sich ab Herbst 2011 von der rechten Szene abgewendet hat, kam er in das Aussteigerprogramm Big Rex. Anfangs haben die ihm vorgegaukelt, dass sie ihn,'vor allem nach seinen brisanten Aussagen über den NSU und die noch gefährlichere" NSS, schützen und mit einer neuen Identität versehen wollen. Aber das war eine Illusion. Die schwätzen nur, die helfen mir gar nicht", hat Florian immer wieder gesagt. Und sie haben ihn nie wieder in Ruhe gelassen. Die Behörden nicht und die Rechtsradikalen nicht. Wie oft hat er seine Handynummer gewechselt, aber die Polizei hat sie gleich am nächsten Tag wieder gehabt.» (Heike Heilig) Wappen der Polizei Baden-Württenbergs. Foto: Mattes/ CC BY-SA 3.0 Einige baden-württenbergische Polizisten waren Mitglied im Ku-Klux-Klan. Foto: Confederate till Death/CC BY-SA 3.0 Angeblich verschmort, aber es gibt keine Schmorreste. Und warum hat der Fahrersitz, auf dem unser Sohn gesessen hat, keine Brandspuren? Und warum haben wir die Schuhe unseres Sohnes und andere persönliche Gegenstände zurückbekommen - aber nicht die Autoschlüssel? Angeblich sollen die durch die hohen Brandtemperaturen verschmolzen sein. Warum ist dann aber das Zündschloss nicht verschmolzen? Hat man den Schlüsselbund von Florian einbehalten, weil da noch andere interessante Schlüssel dran waren? Mutter: Überhaupt ist seltsam, dass die Polizei als Todeszeitpunkt die lange Spanne von 20.30 Uhr abends bis 9:17 Uhr am nächsten Morgen angibt. Ich begreife die lange Spanne für den Todeszeitpunkt auch nicht. Das explodierende Auto wurde doch am Morgen kurz nach 9 Uhr gesehen, dann kam die Feuerwehr, damit ist doch der Todeszeitpunkt minutengenau eingrenzbar. Oder sollen die fast 12 Stunden Zeitspanne andeuten, dass die Polizei nicht weiß, ob Florian vorher gestorben ist und dann nur seine Leiche in den Wagen gelegt und angezündet wurde? Mutter: Das wissen wir nicht. Die Polizei gibt uns keinerlei Informationen. Zum Beispiel muss anhand von Florians Handy-Daten ein Bewegungsprofil für die Stunden vor seinem Tod erstellt worden sein, und es hat sich sicher auch ermitteln lassen, mit wem er um Mitternacht telefoniert hat. Aber die Polizei gibt das nicht preis und sagte uns gegenüber immer wieder, es gebe «kein öffentliches Interesse» an weiteren Untersuchungen in seinem Fall. Vater: Nochmal zum Benzinkanister: Die Polizei sagte zuerst, er habe ihn kurz vor der Tat in einer nahegelegenen Tankstelle gekauft. Dazu gebe es ein Überwachungsvideo. Als wir das Video sehen wollten, wurde die Geschichte geändert: Der Kanisterkauf habe einige Stunden zuvor stattgefunden, hieß es plötzlich. Aber auch das kann unserer Meinung nach nicht stimmen. Florian fuhr nämlich mit 50 Euro zu Hause los. Von der Polizei bekamen wir genau 36,07 Euro, eingeschweißt in Folie, zurück. Von den fehlenden 13,93 Euro hätte er aber nicht einen großen Benzinkanister und, wie von der Polizei behauptet, zehn Liter Sprit kaufen können. er Heilbmnner Untergrund Am Tag, als Florian starb, hätte Florian noch mal einen Termin beim LKA Stuttgart gehabt, es ging w ie bei früheren Vernehmungen um den Hintergrund des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007, der dem NSU zugeschrieben wird. Vater: Das ist etwas komplizierter gewesen. Die Vernehmung beim LKA wäre an jenem 16. September erst um 17 Uhr gewesen. Das brennende Auto wurde aber bereits um 9:13 Uhr morgens entdeckt. Es ist unklar, warum sich Florian schon in der Nacht zuvor auf den Weg nach Stuttgart gemacht hat. Mutter: Er ist am Vorabend etwa um 18 Uhr nach Geraldstetten gefahren. Dort befindet sich das Wohnheim, in dem die Lehrlinge während der Schulzeit übernachten. Bevor er losfuhr, bekam er einen Anruf, der ihn total verstört hat. Er sagte zu mir nur: «Ich komme aus dieser Scheiße nie wieder raus.» Er brachte seine zwei Kollegen nach Geraldstetten, aber blieb nicht dort, sondern fuhr weiter. Wohin, warum - das wissen wir nicht. Vater: Und am nächsten Morgen war er tot. Aber es gibt ein klares Indiz, dass er trotz des verstörenden Anrufes an jenem Abend keine Selbstmordabsichten hatte. Er kam, kurz nachdenp er losgefahren war, nochmal nach Hause zurück, um seine Sicherheitsschuhe zu holen, die er als Stahlbetonbauer brauchte. Offensichtlich ging er selbst felsenfest davon aus, dass er am nächsten Tag arbeiten würde. «Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wieviele Beamte und Politiker in diese Sache verwickelt sind.» Woher hatte Florian Erkenntnisse über die Ermordung von M ichèle Kiesewetter? Mutter: Weil er tief in der rechten Szene drin war. Für uns als Eltern ist aber ganz wichtig zu betonen, dass es sich hierbei um eine kurze Phase in seinem Leben handelte, die zum Zeitpunkt seines Todes schon fast zwei Jahre vorbei war. Im wesentlichen dauerte diese Phase nur von Oktober 2010 bis August 2011, als er seine Lehre im städtischen Krankenhaus in Heilbronn machte. Dort kam er mit Neonazis in Kontakt. Als er nach knapp einem Jahr wieder nach Hause kam legte er diese Einstellung Stück für Stück ab. Er hat alle Kontakte nach Heilbronn abgebrochen und sich einen komplett neuen Bekanntenkreis gesucht. Seine Freundin war Kroatin, sein bester Freund Türke, und als wir zusammenkamen, um ihn zu verabschieden, waren unter den 80 Trauergästen Punks, Gothics, Antifas, Migranten - aber keine Rechten. Vater: Entscheidend ist, dass Florian schon im Mai 2011 beim LKA aussagte und von einem Treffen in Öhringen berichtete, bei dem Mitglieder des NSU mit einer weiteren neonazistischen Zelle zusammengekommen ist, der sogenannten Neoschutzstaffel oder NSS.

Die Auftraggeber Mai 2011 - das w ar ein halbes Jahr, bevor die Namen des Trios bekannt wurden und bevor die Welt von der Existenz des NSU erfahren sollte - eine Sensation! Mutter: Ja, wenn die Behörden mit diesen Informationen etwas hätten anfangen wollen. Als unser Sohn nach dem offiziellen Selbstmord von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 aus den Medien vom NSU erfuhr, sagte er zu mir: «Das war alles ganz anders. Die Presse lügt doch nur. Das wurde von höherer Stelle organisiert. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie viele Beamte und hochgestellte Rechtsanwälte, ja sogar Politiker in diese Sache verwickelt sind.» Und er meinte damit nicht Politiker der NPD! Haben Sie nicht nachgebohrt, was er über die Ermordung von M ichèle Kiesewetter weiß? Vater: Er hat Nachfragen immer abgewehrt. Er hat gesagt: «Es ist besser für euch, wenn ihr es nicht wisst. Sonst seid ihr in derselben Gefahr wie ich.» Mutter: Einmal, als er noch in der rechtsradikalen Szene war, zeigte er mir eine Art Auftragszettel. Da standen links alle möglichen Einsätze drauf, die er machen musste - dem und dem Angst machen, den Soundso zusammenschlagen - und rechts standen die Summen, die er jeweils dafür bekommen sollte. Wurde Florian schon vor seinem Tod bedroht? Vater: Ja. Wir haben zwei Autos. Da Florian bei uns wohnte, benutzte er beide mit. Etwa sechs bis acht Wochen vor seinem Tod waren an dem einen Auto die Bremskabel durchgeschnitten. Kurz danach waren an einem Vorderreifen des anderen die Radmuttern gelockert. Als Florian das mitbekam, war er furchtbar erschreckt. Mutter: Was uns im Nachhinein noch aufgefallen ist: Als Florian noch lebte, lagen immer eine Menge Zigarettenstumpen mit weißem Filter vor unserem Haus. Seit er tot ist, hat das aufgehört. Glauben Sie, Sie erfahren noch einmal die Wahrheit über den Tod Ihres Sohnes? Vater: Jedenfalls nicht von der Polizei. Die zwei Kripo-Beamten, die noch am Todestag zu uns kamen und uns befragten, beklagten sich später, dass sie keinerlei Informationen vonseiten des Bundeskriminalamtes und vom Aussteigerprogramm Big Rex bekämen. Da wird die Aufklärungsarbeit behindert. Mutter: Florian bleibt in unseren Herzen. Er ist imrw er präsent. In unserem Haus, das er mit renoviert hat, sehe ich überall seine Spuren. Diese Erinnerung bleibt. Heike und Gerhard Heilig beim CO MPA CT-Interview. Foto: COMPACT «Etwa sechs bis acht Wochen vor seinem Tod waren an dem Auto die Bremskabel durchgeschnitten. Heike und Gerhard Heilig arbeiten in der Pflege und leben M e n Eppingen, knapp 50 Kilometer von Stuttgart entfernt. Dies ist das erste Interview, das sie zum Thema gegeben haben.

«Ein Toter repetiert nicht» Interview mit Siegmund Mittag Die mysteriöse zweite Patronenhülse im Wohnmobil von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt w eckt Zweifel an der These vom gemeinsamen Selbstmord. Ein Gespräch mit dem Waffenexperten und Büchsenmacher-Meister Siegmund Mittag. Vielleicht konnte er es doch. Die Ermittler sprechen von einem krampfartigen Anfall im Todeskampf. Das geht nicht. Diese Brenneke-Munition vom Kaliber 12/70 macht ein Riesenloch. Da geht nichts mehr, da ist das Licht aus. Bei der Jagd ist es so: Ein Schwein läuft nach einem Kammer- oder Herzschuss noch weiter, teilweise bis zum Waldrand. Das Gehirn reagiert, wenn es den Knall hört, in Bruchteilen einer Sekunde und sagt, ich muss in die Deckung laufen. Bei einem Kopfschuss ist es platt. Selbst wenn Mundlos sich vor dem Selbstmord noch vorgeapmmen hat, zu repetieren - der wäre platt. Das Gewehr kann auch nicht von selbst repetieren, etwa wenn es auf den Boden fällt. Das geht auf gar keinen Fall. Selbst wenn Mundlos sich vor dem Selbstmord noch vorgenommen hat, zu repetieren - der wäre platt. Die Hülse des Todesschusses hätte also noch im Gewehr sein müssen? So sollen Uwe Böhnhardt (oben) und Uwe Mundlos nach den Schüssen von Eisennach tot in ihrem Wohnmobil gelegen haben. Die Tatwaffe ist das Gewehr unmittelbar links neben Mund los' Leichnam. Auf dieser Rekonstruktion für eine Fernsehdokumentation sind die beiden Patronenhülsen nicht zu erkennen. Genau sie wecken jedoch weitere Zweifel an der offiziellen Version der Umstände. Foto: N24 Einer wurde erschossen. Danach Ist viel Raum für Spekulationen. Uwe Mundlos erschoss am 4. November 201t in Eisenach erst seinen Kompagnon Uwe Böhnhardt, dann sich selbst. So lautet zumindest die offizielle Version zum Ende des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds. Warum zweifeln Sie diesen Verlauf an? Weil dieser Verlauf keinen Sinn macht. Der Ausgangspunkt der Überlegungen waren die beiden Toten. Einer soll den anderen und dann sich selbst erschossen haben. Zwischendurch hat er noch einen Brand gelegt, was auch schon skurril ist. Aber vor allem lagen dort zwei Patronenhülsen. Für die Schüsse wurde ein Vorderschaftrepetiergewehr der Marke Winchester verwendet. Bei einem solchen Modell muss man nach jedem Schuss repetieren, um nachladen und erneut feuern zu können. Beim Repetieren fliegt die Hülse der alten Patrone dann raus. Mundlos hat also Böhnhardt erschossen und repetiert. Das ist die erste Hülse. Dann hätte er sich erschießen und erneut repetieren müssen. Das wäre die zweite Hülse. Aber ein Toter kann nicht mehr repetieren. Ganz genau. Im Grunde müsste doch an dem am Tatort gefundenen Gewehr klar zu erkennen sein, ob nach dem letzten Schuss repetiert wurde? Das ist etwas, was ich nicht weiß. Auf den Bildern vom Tatort lag das Gewehr auf dem Verschlussfenster. Man konnte nichts erkennen. Aber bei einer professionellen kriminalistischen Untersuchung wäre es doch das erste, zu schauen, ob das Verschlussfenster offen und ob eine Hülse in der Waffe ist. Wie viele Patronen hatte er reingeladen? In die Winchester gehen drei oder vier Patronen, aber sie haben ja nur zwei gebraucht. Muss die zweite Hülse denn von den Todesschüssen stammen? Es gibt die Möglichkeit, dass bereits zu Beginn eine Hülse im Gewehr war. Dann hat Mundlos repetiert, geschossen, wieder repetiert und erneut geschossen. Vielleicht haben die beiden vorher ja irgendwelche Schießübungen gemacht.

zu setzen gewesen. Das Opfer hätte ja auch irgendwie Widerstand geleistet. Warum erschießt man ihn dann nicht einfach von vorne? Und wie hat er die Waffe in Herrgottsnamen unter den Hals von Mundlos bekommen. Insofern sieht es im ersten Moment schon nach Selbstm ordes. Das Rätsel bleibt die zweite Hülse. Aber ich behandle das aus waffentechnischer Sicht. Ich war nicht am Tatort. Pumpgun Büchsenmacher Siegmund Mittag in seiner Luckenwalder Werkstatt, die er seit etwa 10 Jahren als Selbständiger betreibt. Auch Repetiergewehre, sogenannte Pumpguns, und ihre Funktionsweise sind ihm bestens bekannt. Foto: Martin Müller-Mertens Der dritte Mann Lässt ein Schütze nach Schießübungen denn seine Hülse im Gewehr? Der Werdegang ist normalerweise so, dass ich sofort danach die Hülse daraus entferne. Bei der Jagd ist es etwas anders. Schonraus Umweltschutzgründen lässt man die Hülse aus Plastik zumindest nicht rumliegen. Aber wer auf den Schießplatz geht, wird in jedem Fall die Hülse rausrepetieren. Man macht das einfach. Schon aus Selbstschutz. Man weiß ja nicht, wer die Waffe in die Hände bekommt. Mundlos hätte sich erschießen und anschließend repetieren müssen. Die zweite Hülse lässt also vermuten, dass ein dritter Mann geschossen und dann, vielleicht aus Gewohnheit und in Eile, repetiert und damit aus Versehen für die zweite Hülse gesorgt hat? Auf jeden Fall wurde einer erschossen. Danach ist viel Raum für Spekulationen. Allerdings gibt es auch Argumente, die gegen einen dritten Mann sprechen. Der Schuss unter den Kopf wäre für einen Mörder schwer Zur Lage derhülse Beim Repetieren fliegt die Hülse regelrecht aus dem Gewehr. Auf den Tatort-Zeichnungen liegt die Winchester direkt neben der Leiche von Uwe Mundlos. Die Hülse des ersten Schusses befindet sich mitten im Wohnmobil. Die Hülse des zweiten Schusses sieht man zwischen den Beinen von Mundlos. Ist das schlüssig? Bei der ersten Hülse ist es schlüssig. Dass die Waffe direkt neben ihm liegt, kann man vielleicht noch erklären. Aber wie kommt die Hülse zwischen die Beine? Das ist eine entscheidende Frage, denn dort kann sie eigentlich nicht liegen. Aber das Gewehr direkt neben der Leiche... Hätte der Körper durch den Schuss nicht einen Satz nach hinten machen müssen? Es ist nicht wie bei Rambo, wo die Leute sonst wohin fliegen. Wenn jemand eine Schutzweste trägt, dann kann das passieren, weil der Gasdruck nicht abgeleitet wird. Aber in diesem Fall ist das Geschoss ja durch den Körper gegangen. Die Schüsse fielen innerhalb weniger Minuten und das Wohnmobil stand auf offener Straße. Ein dritter Mann hätte also wenig Zeit gehabt. Hätte er die Pumpgun ohne weiteres sofort bedienen können? Wenn ich lade, ist die Waffe gleich scharf. Entscheidend ist der Sicherheitshebel. Der funktioniert nur manuell. Wenn die Sicherung gedrückt ist und ich reiße durch, muss ich erst wissen, wo die Sicherung liegt. Wenn sie nicht aktiviert ist, ist es kinderleicht. Auch der Abzugswiderstand bei solch einem Gewehr ist butterweich. Weshalb interessiert Sie die Frage, w er in Eisenach abgedrückt hat, eigentlich so sehr? Es geht hier um die Frage Selbstmord oder Mord. Es geht nicht um die Personen, die abgemurkst wurden. Man könnte ja sagen, ist doch egal, das waren Verbrecher. Aber auch diese Verbrecher verdienen, dass man weiß, wie sie ums Leben gekommen sind. Vielleicht gibt es ja eine Wahrheit, die irgendwo in den Akten liegt. Bei einer Vorderschaftrepetierflinte (Englisch: Pumpgun) erfolgt die Munitionszufuhr normalerweise aus einem Röhrenmagazin unter dem Lauf. Der Schütze zieht den Vorderschaft zurück. Dadurch öffnet sich der Verschluss, der Schlaghahn wird gespannt und die leere Hülse des vorhergehenden Schusses ausgeworfen. Anschließend schiebt der Schütze den Vorderschaft nach vorne und lädt damit eine neue Patrone ins Lager. Eingesetzt werden Pumpguns beim Sportschießen, bei Polizeibehörden und für die Jagd. Eine derartige Waffe kam unter anderem beim Amoklauf von Erfurt im Jahre 2002 zum Einsatz. M it Munition des Kalibers 12/70 wurden Böhnhardt und Mund los erschossen. Die Abbildung zeigt zwei baugleiche Patronen. Foto: Martin Müller-Mertens _Der Waffenexperte Siegmund Mittag ist Büchsenmacher-Meister im brandenburgischen Luckenwalde und Dozent für die Ausbildung von Jungjägern. Sein Handwerk erlernte der 54-jährige gebürtige Magdeburger in den 1970er Jahren beim Jagdwaffenwerk im thüringischen Suhl. 001 erhielt Mittag seinen Meisterbrief. - Interview: Martin Müller-Mertens

«Tatort komplett abgeräumt».interview mit Dorothea Marx Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sollen am 4. November 2011 Selbstmord begangen haben. Die Polizei identifizierte die Toten in Rekordgeschwindigkeit - interessierte sich aber nicht für die dritte Person bei ihrem Wohnwagen. Sunßqht) Es ist mir unverständlich, warum zwei Schwerverbrecher, denen die Ermordung von zehn Menschen angelastet wird, sich beim Herannahen von nur zwei Polizisten gegenseitig umgebracht haben sollen. Es gibt viele Seltsamkeiten an jenem Tag. Vor kurzem sagte der Leitende Polizeidirektor in Gotha, Michael Menzel, im Münchner NSU-Prozess aus. Er verwickelte sich an dem Punkt in Widersprüche, seit wann er vermutet habe, dass es sich bei den Toten im Wohnmobil um Böhnhardt und Mundlos handeln könne. Einmal sagte er, dass er die Vermisstenakte Mundlos schon am Nachmittag des 4. November 2011 an die Gerichtsmedizin gegeben habe. Erst nach mehrmaligem Nachfragen hat er sich korrigiert, dass sei wohl doch erst am nächsten Tag passiert. Ex-Geheimdienstler im Zwielicht Menzel w ar mit als erster im Wohnwagen der toten Uwes. Rauch schlägt aus dem Wohnmobil. Böhnhardt und Mund los sind zu diesem Zeitpunkt schon tot. Foto: You Tube Die deutschen Strafverfolgungsbehörden gehen davon aus, dass der NSU lediglich aus drei Personen bestand, ohne weitere Unterstützer, vor allem ohne staatliche Helfer. W ie ist Ihr Kenntnisstand nach über zwei Jahren Vorsitz im thüringischen NSU-Untersuchungsausschuss? Erklärungsbedürftig ist ein Telefongespräch, das der Polizeichef wenige Stunden nach der Tat mit einem ehemaligen Verfassungsschützer führte. Es gibt bisher keinen Beweis für weitere Unterstützer. Allerdings ist es irreal, dass sich das Trio über zehn Jahre ohne Unterstützer in der Illegalität halten konnte, ohne entdeckt zu werden. So äußerte der LKA-Zielfahnder Sven Wunderlich schon 2001 die Vermutung - dass eines der drei NSU-Mitglieder selbst für den Verfassungsschutz gearbeitet haben müsse. Dieser Verdacht ist aber im Untersuchungsbericht des früheren Bundesrichters Gerhard Schäfer vom Mai 2011 vehement zurückgewiesen worden, und es wurde nahegelegt, dass Wunderlich damit nur von seinem eigenen Misserfolg bei der Fahndung nach dem Trio ablenken wollte. Wunderlich wurde nach dem Abschluss des Schäfer-Berichts sogar vorübergehend aus der Zielfahndung des LKA entfernt. Es häufen sich auch die Zweifel am Freitod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 4. November 2011 in Eisenach. Was ist Ihnen dazu aufgefallen?

Als erstes war die Feuerwehr vor Ort, was auch seltsam ist, denn es bestand zu dem Zeitpunkt ja noch keine Sicherheit, dass die Männer im Wohnwagen nicht auf sie schießen. Als ob da jemand gewusst hätte, dass sie schon tot sind... Dann ging Menzel rein. Er sagte, er sah eine Pistole auf dem Gasherd des Wohnwagens liegen, die er als Polizeiwaffe erkannte. Deswegen sei diese sehr schnell untersucht und der im April 2007 in Heilbronn ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter zugeordnet worden. Aber auch wenn das stimmt, bedeutet das keineswegs, dass damit die beiden Toten hätten identifiziert werden können - zum damaligen Zeitpunkt verband nichts die Heilbronner Bluttat mit Böhnhardt und Mundlos. Dann äußerte sich Menzel noch dazu, warum der Zugriff am 4. November 2011 überhaupt erfolgreich war: Da einige Wochen zuvor eine Bank in Arnstadt überfallen worden sei, habe man in der Folge Polizeikräfte besonders an Freitagen massiert - der 4. November war ein Freitag -, weil an diesem Wochentag Banküberfälle besonders häufig seien... Für mich sieht das so aus, als ob Menzel schon vorab wusste, w er mit diesem Wohnwagen durch die Gegend zog. Deswegen der schnelle Zugriff, deswegen die schnelle Identifizierung der Toten. Erklärungsbedürftig ist auch ein Telefongespräch, das Menzel wenige Stunden nach der Tat mit einem ehemaligen Verfassungsschützer führte. Darin soll er gedroht haben, der Angerufene solle sofort alle Unterlagen zu Böhnhardt und Mundlos herausrücken, ansonsten werde die Polizei eine Razzia bei ihm veranstalten. Warum ruft Menzel einen Geheimdienstmann an, der aus dem Amt ausgeschieden ist? Bei diesem ehemaligen Verfassungsschützer handelt es sich um den V-Mann-Führer von Tino Brandt, dem Chef des Thüringer Heimatschutzes und damit Ziehvater des Trios. Ist gesichert, dass dieses Gespräch stattgefunden hat? Das Gespräch wird von beiden bestätigt, allerdings soll es - entgegen ersten Angaben - nicht schon am Nachmittag nach dem Auffinden der Toten stattgefunden haben, sondern erst am nächsten Tag, als die Identität der Toten kriminaltechnisch festgestellt war. Die dritte Person Ein anderer ehemaliger Verfassungsschützer hat mir erzählt, in diesem Telefonat habe Menzel von dem V-Mann-Führer wissen wollen, w er der dritte Mann im Wohnmobil gewesen sei, also der mögliche Mörder der beiden Uwes. Menzel selbst sagte im Zschäpe-Prozess, Zeugen hätten am Vormittag eine Frau am Wohnwagen beobachtet. Die Polizei sei den Hinweisen aber nicht nachgegangen, weil sie sie nicht für relevant hielt. Schließlich sei diese Person nicht nach, sondern schon vor dem Auffinden der beiden Toten gesehen worden. Für mich als Juristin ist noch etwas anderes auffällig: Das Wohnmobil wurde von der Polizei schon relativ kurz nach Auffinden der Leichen abtransportiert und in einer weit entfernten Halle weiter auf Spuren untersucht. Mir ist kein weiterer Fall bekannt, dass sozusagen ein kompletter Tatort abgeräumt und auf einen Tieflader verladen wird, bevor eine Spurensicherung nicht abgeschlossen ist. Die Polizei sagte, das sei nötig gewesen, wegen der Gaffer. Dieses Argument ist nicht stichhaltig. Bei anderen Tötungsdelikten oder zum Beispiel tödlichen Verkehrsunfällen gibt es auch Gaffer. Der Ort wird in der Regel abgesperrt und Straßenverkehr oft auf Stunden umgeleitet. Zum Schutz gegen Neugierige wird oft ein Zelt oder eine Pavillonkonstruktion aufgestellt, die den Ermittlern ungestörtes Arbeiten ermöglicht. Verschwörungstheorie und -praxis Hat der Thüringer Untersuchungsausschuss schon eine Bestandsaufnahme zu den W idersprüchen des 4. November 2011 vorgenommen? Das kommt noch. Aber zunächst werden wir uns um die ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter kümmern, die aus Ostthüringen stammt. Ihr Onkel, ebenfalls ein Polizist, hat bekanntlich schon kurz danach die damals völlig unverständliche, aber aus heutiger Sicht überraschend hellsichtige Bemerkung gemacht, der Tod seiner Nichte stehe in Zusammenhang mit den «Dönermorden». Da Sie so hartnäckig am Ball bleiben: Werden Sie oft beschuldigt, eine Verschwörungstheoretikern zu sein? Dann antworte ich immer: Eine Verschwörungstheorie ist so lange eine Theorie, solange sie keine Praxis ist. Hat das nicht zuerst Kevin Costner gesagt, nachdem er JFK gedreht hat? Nein, der Satz ist von mir und Resultat der Erfahrungen aus unserer bisherigen Arbeit. Die dritte Person Die These von der dritten Person am Tatort Eisenach beschäftigte auch den Bundestag. Die linke Tageszeitung Junge Welt berichtete am 1. Dezember 2012: «Gestern ab 16 Uhr trat der Innenausschuss des Bundestages in geheimer Sitzung zusammen. Ergebnisse der Sitzung lagen bis Redaktionsschluss noch nicht vor. Aus gut unterrichteten Kreisen war allerdings zu hören, dass während der Sitzung neue Erkenntnisse zum Tod von Mundlos und Böhnhardt präsentiert worden sein könnten. Es sollen Hinweise vorliegen, dass es sich nicht um aufgesetzte Schüsse" gehandelt habe. Wenn beide Terroristen durch Distanzschüsse im Wohnmobil zu Tode kamen, wäre eine dritte Person dafür verantwortlich. Fremdeinwirkung war bisher offiziell stets bestritten worden.» «Eine Verschwürungstheorie ist so lange eine Theorie, solange sie keine Praxis ist.» Dorothea Marx Foto: Steffen Prößdorf/wikimedia.Dorothea Marx (*1957, Rechtsanwältin) ist SPD-Aögeordnete im Thüringer Landtag und leitet den NSU-Untersuchungsausschuss. - interview: J. E.