Der Rat für Sozial-und Wirtschaftsdaten, eine Erfolgsgeschichte Fortsetzung folgt

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Transkript:

Redemanuskript von Johann Hahlen, Gustav von Schmoller-Vorlesung auf der 7. Konferenz für Sozial- und Wirtschaftsdaten am 8. Februar 2017 in Berlin Der Rat für Sozial-und Wirtschaftsdaten, eine Erfolgsgeschichte Fortsetzung folgt Anredeformel, vielen Dank für Ihre Einladung zur Mitwirkung an Ihrer diesjährigen Schmoller-Vorlesung. Ich bin, grauhaarig und graubärtig, gerne gekommen, aber seit 10 Jahren aus dem Geschäft, spreche also als ein ziemlicher Außenseiter und muß der Versuchung von Klassentreffen mit dem Motto Weißt Du noch, als wir... widerstehen. Gleichwohl versuche ich einen Dreiteiler: - Wie ist der Rat zum Erfolg geworden? - In welcher Lage befindet sich der Rat heute, 2017? - Worauf kommt es bei der Fortsetzung an? Aus dem Reclam-Heftchen Sapientia Romanorum, das den Vorzug deutscher Übersetzungen aufweist, habe ich das Ausonius Zitat: Incipe: dimidium facti est coepisse. Superfit dimidium: rursum hoc incipe et efficies. Fang an: Die Hälfte der Tat ist der Anfang. Es bleibt die andere Hälfte: Fang wiederum damit an, du wirst (die Tat) vollenden. 1. Wie ist der Rat zum Erfolg geworden? Den Ablauf der Dinge haben Gabriele Rolf, Gert Wagner und Markus Zwick sehr anschaulich 2008 unter der Überschrift Fortschritte der informationellen Infrastruktur in Deutschland: Ein Überblick über die Jahre 1998 bis 2008 beschrieben. Ich kann mich deshalb kurz fassen und erinnere nur an die Meilensteine: - Das Memorandum der drei Professoren, Richard Hauser, Gert Wagner und Klaus Zimmermann,1998 im Allgemeinen Statistischen Archiv Bd. 82 erschienen. - Die Einsetzung einer Kommission zur Verbesserung der informationellen Infrastruktur zwischen Wissenschaft und Statistik (KVI) durch die damalige Ministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, im Oktober 1999, die ihren Bericht mit 35 Empfehlungen der Ministerin am 13.3.2001 übergab. 1

- Die Bildung der ersten Forschungsdatenzentren (FDZ) in der deutschen amtlichen Statistik im Herbst 2001 im StBA in Wiesbaden sowie zum 1.4.2002 von den Statistischen Landesämtern als dezentrale Arbeitsgemeinschaft. - Ebenfalls im Herbst 2001 die Bildung eines Gründungsausschusses des Rates für Sozial-und Wirtschaftsdaten, der den Aufbau und die Arbeit der ersten vier FDZ und der ersten zwei Datenservicezentren begleitete und die erste Konferenz für Sozial-und Wirtschaftsdaten organisierte, auf der die ersten 12 Mitglieder des RatSWD gewählt wurden. - Den Rat selbst hat dann am 1.11.2004 Bundesministerin Bulmahn förmlich eingesetzt. Mit den ersten Kovorsitzenden, den Professoren Gert Wagner und Heike Solga, sowie mit einem kleinen Sekretariat im DIW/Berlin begann auf den vom Gründungsausschuß mit Hilfe des BMBF geschaffenen Fundamenten wiederum mit tatkräftiger und finanzieller Unterstützung durch das BMBF der Auf-und Ausbau eines markanten Zweckbaus: Deutsche Forschungsdaten-Infrastruktur für Sozial-Verhaltens-und Wirtschaftsforschung. So möchte ich das Ergebnis mit Blick auf die aus einer großen Architektenfamilie stammende heutige Kovorsitzende Professor Regina Riphahn einmal nennen. - Dieser Zweckbau umfasst heute 31 akkreditierte Datenzentren, hat 9 Arbeitsgruppen, eine Taskforce und im Jahr 2010 einen Ständigen Ausschuss Forschungsdateninfrastruktur eingerichtet, in dem sich die Leiter der Forschungsdatenund Servicezentren zweimal jährlich austauschen und der seinerseits 5 Unter- Arbeitsgruppen unterhält. Der Rat selbst arbeitet inzwischen in seiner 5., jeweils dreijährigen Berufungsperiode (2014 bis 2017) und hat nicht mehr 12, sondern 16 Mitglieder und veranstaltet heuer seine 7. Konferenz. Was waren die Erfolgsfaktoren? Wie ein Verbrennungsmotor nur mit dem richtigen Gemisch von Treibstoff, Luft und Druck plus Zündfunken einen PKW in Bewegung setzt, war es beim Rat und der Forschungsdateninfrastruktur: Da brauchte es den Financier, sprich das BMBF, da brauchte es die Datenlieferanten, sprich zu Anfang vor allem die amtliche Statistik, dann den Druck aus der empirischen Sozialforschung, dazu eine Menge engagierter Menschen und etwas schwer zu Beschreibendes, mitunter als Momentum oder Gunst der Stunde, oder ähnlich bezeichnet. Weil ich seit Ende 1995 das StBA in Wiesbaden leitete, möchte ich aus eigener Anschauung etwas zu den beiden Faktoren Momentum sowie den Menschen sagen. Ende der 90er Jahre war es um die amtliche Statistik nicht besonders gut bestellt: BK Kohl hatte unter dem Eindruck der Volkszählungsquerelen der Jahre 1983 folgende entschieden, daß sich Deutschland nicht an der im Jahr 2000 anstehenden Zensusrunde der EU beteiligt. Trotz der Klagen aus der Wirtschaft über die bürokratischen Belastungen durch statistische Erhebungen mußte Deutschland ein Unternehmensregister einführen. Die Euro-Zone machte mit den sog. Maastricht-Kriterien neue und raschere Datenmeldungen an Eurostat, z.b. des harmonisierten Verbraucherpreisindexes, erforderlich. Die Ämter kämpften bei gekürzten Haushalten mit neuer IKT u.s.f. Da passte das Memorandum der drei Professoren wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Ich war, ehrlich gesagt, ziemlich verärgert. Andererseits gab es im Amt einen alerten Gruppenleiter, den Kollegen Jürgen Chlumsky, der gerne über den Tellerrand der Zahlenknechte sah und im Juni 1999 den Ärger über das Memorandum mit einem Symposium Kooperation zwischen Wissenschaft und 2

amtlicher Statistik in positive Energie verwandelte. Kollege Chlumsky hielt mir im Amt den Rücken gegen die Argumente wir müssen unsere kostbaren Ressourcen auf die Bewältigung des Tagesgeschäfts konzentrieren frei. Vor allem hatte er den Mut, sofort ab Sommer 1991 die KVI-Empfehlung Nr. 29 ( Einrichtung von FDZs) im StBA und zwar im Alleingang ohne die Statistischen Landesämter und auf die Gefahr hin, daß letztere das Amt nicht mehr mit den benötigten Einzelangaben etwa aus dem Mikrozensus belieferten, umzusetzen. Weshalb habe ich mich entschlossen, mit dem Kollegen Chlumsky diesen durchaus riskanten und im Amt nicht beliebten Weg zu gehen? Wie meist gab es ein Motivbündel, aber an zwei Überlegung erinnere ich mich noch lebhaft: Wenn die amtliche Statistik damals schon so unbeliebt war, wollten wir Statistiker doch einmal versuchen, wenigstens einen potentiellen Kunden, nämlich die empirische Sozialforschung, besser zu bedienen. Wenn wir schon von unserem Mutterhaus BMI finanziell kurz gehalten wurden, vielleicht waren ja ein paar Fördergelder des BMBF für Pilotprojekte (Anonymisierung von Mikrodaten für Public Use Files und Scientific Use Files) nach Nr. 22 der KVI- Empfehlungen zu bekommen. Der menschliche Faktor hatte noch zwei andere Namen: Der eine hieß Hansvolker Ziegler, der im BMBF nach dem Regierungswechsel 1998 Unterabteilungsleiter geworden war und dem die empirische Sozialwissenschaften am Herzen lagen. Ohne ihn, der das Ohr der Ministerin Bulmahn hatte, wäre es wohl nicht zur KVI, zum Gründungsausschuß und schließlich zum RatSWD gekommen. Der andere war Professor Hans-Jürgen Krupp, den das BMBF dessen Klugheit nicht genug gepriesen werden kann dazu bewegte, den Kovorsitz in der KVI und später den stellvertretenden Vorsitz im Gründungsausschusses für den Rat zu übernehmen. Dessen verbindliche, heute würde man sagen wertschätzende Art des Umgangs mit der amtlichen Statistik haben verhindert, daß ich in den Sitzungen der KVI und des Gründungsausschusses als Vertreter der amtlichen Statistik permanent auf der Anklagebank saß und von den teils höflichen (Richard Hauser), teils hemdsärmeligen (Gert Wagner), jedenfalls gefühlt maßlosen Forderungen der Wissenschaftler aus dem Saal oder in ablehnende Opposition getrieben wurde. Erfolg auf Dauer braucht natürlich mehr als vergängliche Menschen, die in der Bürokratie mit anderen Aufgaben betraut werden oder sich aufs verdiente Altenteil zurückziehen. Dafür ist aus meiner Sicht vor allem die vom Gründungsausschuß vorgeschlagene und dann seit über 11 Jahren praktizierte Struktur des Rates verantwortlich: Diese ist durchaus komplex, hat sich aber ersichtlich bewährt. Das beginnt mit der Besetzung des Rates je zur Hälfte mit Vertretern der Datenproduzenten und der Nachfrageseite, d.h. mit Wissenschaftlern aus der empirischen Sozial- Verhaltens- und Wirtschaftsforschung. Von daher ist grundsätzlich Interessenparität gewährleistet, zumal der Vorsitzende sowie der stellvertretende Vorsitzende im Rat jeweils von einer der beiden Bänke gestellt werden. Dabei werden die Vertreter der Nachfrageseite nicht vom BMBF benannt, sondern von der Scientific Community alle drei Jahre gewählt. Damit gewinnt der Rat nicht nur Repräsentativität und Legitimität für und gegenüber den beteiligten Forschungsbereichen. Der mit Wahlen verbundene Wettbewerb führt zugleich, wenn auch nicht immer von allen bejubelt, zu gewissen fachlichen und persönlichen Schwerpunkten im Rat: Diese können jedoch weil zeitlich bis zur nächsten Wahl befristet und so revidierbar von allen Beteiligten ertragen werden und bewahren den Rat vor Verkrustungen sowie Einseitigkeiten. Schließlich ist der Rat raffiniert und erfolgreich gegendert : Es gibt jeweils eine Frauen- und Männerliste, von denen vier Personen gewählt werden, aber jeder und jede Wahlberechtigte ist für beide Listen stimmberechtigt. Allerdings erschließt sich mir bis 3

heute nicht, weshalb nur promovierte Wissenschaftler wahlberechtigt sind es soll auch andere und dazu noch gute geben. Bei den für den Erfolg des Rates natürlich unverzichtbaren sachlichen Erfolgsfaktoren kann ich mich auf Stichworte beschränken, denn die sind Ihnen allen gegenwärtig: - Da sind die vielen weit über den Bereich der amtlichen Statistik hinaus gehenden Datenquellen, die der Rat in den 12 Jahren seiner Tätigkeit über die inzwischen 31 FDZ zugänglich gemacht hat, wie z.b. Datenbestände des SOEP, des ZEW, des Robert- Koch-Instituts und seit jüngstem auch der Bundesbank. - Da sind zu den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften die Verhaltenswissenschaften und andere Bereiche, wie z.b. die Forschung zu Gesundheit und Bildung, gekommen. - Vor allem und darin sehe ich den eigentlichen Quantensprung, der den Zweckbau- Rat so wertvoll macht hat der Rat mit den FDZs zwei Hindernisse zwar nicht völlig beseitigt, aber überwindbar gemacht, die Jahrzehnte lang die empirische Forschung in den sozial- und Wirtschaftswissenschaften zu einem Kümmerdasein verurteilt hatten: Da war die Kostenhürde: Während z.b. Mitte der 90er Jahre die Statistischen Ämter für die Überlassung eines Scientific Use Files des Mikrozensus noch 30.000,- DM verlangten, ist heute ein entsprechender File dank der Anschubfinanzierungen des BMBF für 50,- bis 250,- Euro zu haben. Der Schutz Personen bezogener Daten sowie das Statistikgeheimnis haben früher Forschern, die nicht der jeweiligen Einrichtung angehörten und das waren ja praktisch alle, die Nutzung der vorhandenen Datenbestände unmöglich gemacht. Das hat der Rat mit den FDZs geändert. Bei Wahrung der genannten Prinzipien hat die Wissenschaft jetzt flexible Zugänge auch zu sensiblen und personenbezogenen Daten. Die Zugangswege sind Ihnen wohl bekannt, ich brauche sie nicht weiter zu erläutern: Campus Files, Public Use Files, Scientific Use Files, Gastaufenthalte in den FDZs und Remote Access. - Ihnen fallen sicher noch eine ganze Reihe weiterer Erfolgsfaktoren ein, wie z.b. die qualitätssichernden Akkreditierungsverfahren für die FDZs, die periodischen Konferenzen, die Sonder-Arbeitsgemeinschaften, um weiße Flecken auf der Landkarte der Informationsinfrastruktur zu beseitigen, die Working-Papers oder die Begleitung einschlägiger Gesetzesvorhaben. 2. In welcher Lage befindet sich der Rat heute, im Jahr 2017? Nach dieser Erfolgsgeschichte könnte man fragen: Hätte der Rat nicht nach der Festveranstaltung zu seinem 10 jährigen Bestehen vor knapp zwei Jahren das Licht im Sekretariat ausmachen und die Schlüssel mit der Botschaft: Auftrag ausgeführt an das BMBF zurückgeben sollen? Ich sage mit voller Überzeugung: Nein! Das sage ich nicht aus Sorge um die qualifizierten Mitarbeiter auf ihren befristeten Stellen im Sekretariat, die sicher in den FDZs hoch willkommen wären. Ich sage nein, weil der Rat sein Feld keineswegs schon bestellt hat. Auch ohne Insider-Kenntnisse sehe ich im eigentlichen Aufgabenbereich des Rates noch eine ganze Menge steiniges Brachland. Außerdem beginnt der Boden, auf dem der Rat steht, nach meinem Eindruck zu schwanken. Zunächst zum Brachland : 2.1 Da scheinen mir noch viele Datenschätze nicht oder nicht angemessen zugänglich zu sein. Z.B. die Daten der deutschen Kriminalitäts- und Strafverfolgungsstatistiken, zu denen der Papst der deutschen statistischen Kriminologen, Professor Wolfgang Heinz in Konstanz nicht müde wird zu wiederholen, daß es hier in weiten Teilen überhaupt noch 4

keine Erhebungen oder Paneldaten gibt. Oder: Obwohl die AG Georeferenzierung von Daten des Rates 2012 mit guten Gründen eine Servicestelle für die Nutzung von Geodaten vorgeschlagen hat, gibt es das, etwa beim Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG), noch nicht. 2.2 Die Nutzerbedarfe ändern sich. Die vor Jahren noch geschätzten Scientific Use Files etwa des Mikrozensus werden weniger nachgefragt. Die Wissenschaftler wollen möglichst auf die Originaldaten zugreifen. Das ist zwar mit Gastaufenthalten in den FDZ durchaus machbar, aber etwa für einen Doktoranden mitunter räumlich und kostenmäßig nicht darstellbar. Hier hilft zwar das sog. FDZ im FDZ, wenn man von dem gesicherten Arbeitsplatz im nahegelegenen FDZ auf die Datenbestände des nicht erreichbaren FDZs zugreifen kann. So etwas ist aber heute bei weitem nicht zwischen allen FDZs möglich. Vor allem muß die sog. Off-Site-Nutzung, d.h. das Auswerten von Datenbeständen vom PC des Forschers aus, verbessert werden. Dazu gehört auch die Entwicklung automatisierter Werkzeuge zur Gewährleistung von Datenschutz und Statistikgeheimnis bei der Arbeit mit Originaldaten, wie sie beispielhaft mit LISSY beim SOEP und JoSuA beim IZA bereits vorhanden sind. In der amtlichen Statistik wird noch daran gebastelt; aber ohne externe Finanzierung wird das wohl noch dauern. 2.3 Mit der einmaligen Akkreditierung eines FDZs durch den Rat darf es nicht sein Bewenden haben. Es braucht regelmäßige Evaluierungen. Nach meinem Eindruck wäre auch eine jährliche Übersicht über die Nachfrage, die Auslastung und nicht zuletzt den wissenschaftlichen Output der FDZs nützlich. Ein erstes Pilotmonitoring für das Jahr 2015 soll in der Mache sein; beim Piloten darf es nicht bleiben. Ich meine schon, daß der Geldgeber BMBF erfahren sollte, wieviele und welche wissenschaftliche Arbeiten mit Hilfe der inzwischen rd. 2800 zur Verfügung stehenden Datensätze gelungen sind. 2.4 Unter die Kostenfrage sollte obwohl es dazu noch eine Arbeitsgruppe des Rates gibt langsam ein Schlussstrich gezogen werden: Wie ich mir habe sagen lassen, sind in den FDZs inzwischen eine beachtliche Anzahl von Mitarbeitern tätig, die sich auf über 220 Vollzeitäquivalente summieren und vom jeweiligen Träger des FDZ finanziert werden. Die Datenproduzenten bringen jährlich weit über 10 Mio. Euro auf und haben so die Grundfinanzierung der FDZs übernommen. Dann erscheint es mir nicht zu viel verlangt, wenn die Nutzer aus der Wissenschaft kostendeckende Nutzungsgebühren mit Rabatten für Doktoranden und Hochschulinstituten zahlen sowie Bund und Länder methodische Fortentwicklungen als Projektförderungen finanzieren. 2.5. Was meine ich mit dem schwankenden Boden, auf den der Rat geraten ist? Damit meine ich nicht die vom BMBF gewährte Projektförderung des Rates, die wie alle Projektförderungen befristet ist und sicher nicht mit der laufenden Wahlperiode zu Ende sein wird. Vielmehr muß sich der Rat aus meiner Sicht neu positionieren, weil die Informationsinfrastruktur erfreulicherweise seit einigen Jahren in der deutschen Forschungslandschaft einen neuen Stellenwert bekommen hat und sich ein Prozeß vollzieht, der verblüffende Ähnlichkeit mit der Entstehung des Rates besitzt. Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz des Bundes und der Länder hat 2009 eine Kommission Zukunft der Informationsinfrastruktur eingesetzt. Die hat 2011 ihre Empfehlungen für ein Gesamtkonzept für die Informationsinfrastruktur in Deutschland vorgelegt. Der daraufhin eingesetzte Rat für Informationsinfrastrukturen hat dann am 3.5.2016 unter dem Titel Leistung aus Vielfalt Empfehlungen zu Strukturen, Prozessen und Finanzierung des Forschungsmanagements in Deutschland beschlossen, die zu einer sog. Nationalen Forschungsdateninfrastruktur führen sollen. 5

Wo hat der Rat in dieser sich neu entwickelnden Landschaft seinen Platz? Wie kann und sollte er sich einbringen mit seinen Erfahrungen etwa zu FDZs, deren Akkreditierung und Qualitätssicherung und vor allem mit seiner Kernkompetenz, Zugang zu sensiblen Datenbeständen zu öffnen? Der Boden schwankt, weil der Rat auf der Metaebene des neuen Rates für Informationsinfrastrukturen nach meinem Eindruck noch nicht angekommen ist. In den erwähnten Empfehlungen kommt der Rat im Text nur an drei, nicht gerade bedeutenden Stellen sowie in 5 Fußnoten vor, im Kapitel über die Historie der Informationsinfrastruktur in Deutschland wird er gar nicht erwähnt. Der Rat muß vermeiden, daß die Karawane, wie es in einem kölschen Karnevalslied heißt, weiterzieht und er am Wegesrand zurückbleibt. 3. Mein Versuch einer Lagebestimmung hat eigentlich schon aufgezeigt, worauf es bei der Fortsetzung der Ratsarbeit ankommt: - Der Rat darf sich nicht in der Routine des Alltagsgeschäfts seiner FDZs verlieren. Der Ständige Ausschuss Dateninfrastruktur der FDZs sollte in die Selbstständigkeit entlassen werden. - Der Rat sollte energisch an der Kultivierung des verbliebenen Daten-Brachlands weiterarbeiten. - Der Rat muß sich der neuen, durch die Novellierungen des Bundesstatistikgesetzes in den letzten Jahren erheblich verbesserten Nutzungsmöglichkeiten ich nenne nur die Stichworte Georeferenzierung ( 10 Abs. 3), neue Möglichkeiten zur Zusammenführung von Daten ( 13a) sowie zum wissenschaftlichen Zugang ( 16 Abs. 6) aktiv annehmen. - Der Rat muß sich mit seiner Kernkompetenz und seinen Erfahrungen in die entstehende Nationale Forschungsdateninfrastruktur mutig und kreativ einbringen. - Der Rat muß sich den neuen und alten, jedoch unverändert aktuellen Fragegestellungen, wie Konsequenzen aus dem Stieglitz-Sen-Fitoussi-Bericht, den Fragen nach Gut leben / Lebensqualität, der Glaubwürdigkeit und Fälschung von Daten, den Problemen der Mitbürger im Umgang mit Daten und Zahlen, der mangelhaften Replikationskultur, dem drohenden Verlust der Theorie durch Big Data und Data Mining usw. widmen. - Schließlich bewegt mich die Frage, ob die allseits beklagte postfaktische Ära nicht damit zusammenhängt, daß unsere Wissenschaftler ihren Karl Popper, der gerade einmal 23 Jahre tot ist, nicht mehr lesen. Das heißt, daß sie ihre Ergebnisse dem erstaunten Volk als absolute Wahrheiten vermitteln, obwohl der Fortschritt des Wissens aus Vermutungen und deren Widerlegungen besteht. Auch das könnte m.e. ein Thema für den Rat sein. Deshalb möchte ich mit dem eingangs erwähnten Ausonius-Zitat schließen: Lieber RatSWD, Es bleibt die andere Hälfte: Fang wieder damit an, und du wirst die (Tat) vollenden. 6