Welchen Beitrag können Bildungsgutscheine leisten, dass Lebenslanges Lernen für Einzelne und für Unternehmen zur Selbstverständlichkeit wird? Stefan C. Wolter, Universität Bern, SKBF Themenbuffet Bülach, 27.3.2012
Outline Lebenslanges Lernen in der Schweiz Warum soll der Staat Weiterbildung bezahlen? Mögliches Marktversagen in der Weiterbildung Probleme bei Staatseingriffen (Mitnahmeeffekte, Umverteilungen, etc.) Liegt es überhaupt am Geld? Theoretische und empirische Fakten zu Finanzierungsinstrumenten Welche Instrumente gibt es? Steuerabzüge Gutscheine experimentelle Evidenz Schlussfolgerungen Stefan C. Wolter 2
Lebenslanges Lernen in der Schweiz Stefan C. Wolter 3
Bildung integriert in den Arbeitsmarkt Stefan C. Wolter 4
Gut im Durchschnitt aber nicht für formal schlecht qualifizierte Personen Stefan C. Wolter 5
Weiterbildung kostet viel Geld Stefan C. Wolter 6
Ausgaben für Weiterbildung nach Haushaltseinkommen Durchschnitt = 1 = 2650 CHF 2.5 2 1.5 +300% 1 0.5 0 <3000 3000-5000 5000-7000 7000-9000 >9000 Stefan C. Wolter 7
Ärmere beteiligen sich weniger, bei tiefer Bildung (Kreditrestriktionen oder Präferenzen?) 60 Weiterbildungsbeteiligung in % 50 40 30 20 10 Obligatorische Schule Universitäre Bildung 0 0 25000 50000 75000 100000 125000 150000 175000 Jahresbruttoeinkommen Stefan C. Wolter 8
Warum soll der Staat Weiterbildung bezahlen? Stefan C. Wolter 9
Warum soll der Staat überhaupt Weiterbildung finanzieren? Mögliches Marktversagen und staatliche Korrekturen: WB lohnt sich aber muss vorfinanziert werden und es gibt Kreditrestriktionen (Zugang ist nicht frei) Staat dürfte nur vorfinanzieren (Kredite, Darlehen), da er sonst Umverteilung betreibt WB lohnt sich gesellschaftlich aber nicht individuell (positive Externalitäten) Staatliche Intervention begründet Marktregulierungen verhindern individuelle Erträge und Firmen investieren nur selektiv (Komprimierte Lohnstrukturen) Staat & Firmen müssten sich an den Kosten beteiligen Stefan C. Wolter 10
Ist Marktversagen erwiesen? Unterschiede in der Weiterbildungsbeteiligung ist kein Beweis für Marktversagen: Mögliche andere Gründe können Präferenzen, Erwartungshaltungen, etc. sein. Unterschiede in der WB-Beteiligung können effizientsein: beispielsweise zeitlicher Horizont der Amortisation. Soziale Erträge(positive Externalitäten) sind dort zu vermuten, wo bildungsferne Schichten Kosten der Nichtbildung auf die Gesellschaft abwälzen können, d.h. nicht bei formal gut ausgebildeten Personen. Zielgruppensind nicht ganz einfach zu definieren. Stefan C. Wolter 11
Probleme bei Staatseingriffen Wirkungslosigkeitbei der Subventionierung von Tätigkeiten, welche auch ohne diese zustande gekommen wären: Mitnahmeeffekteführen nicht zu grösserer Nachfrage (Illusion der Anbieter) Nicht-intentionierte Umverteilungswirkungen: Subventionen fliessen an jene, die sie nicht nötig haben und fehlen an anderen Orten wieder. Konsumverbilligung: Ineffizienz da nun Dinge konsumiert werden, deren individueller Nutzen eigentlich gering wäre. Stefan C. Wolter 12
Liegt es überhaupt am Geld? In der einschlägigen WB-Literatur wird Geld wenig Platz eingeräumt Hauptargumente für eine zu tiefe WB-Beteiligung seien: Instransparenz der Auswahl der Angebote (zu hohe Suchkosten) Instransparenzbezüglich der Qualitätder Angebote (Risikoaversion verhindert Investition, da Angebote schlecht sein können) Fehlende oder ungenügende Beratung(wichtig da bildungsferne Schichten sich eher nicht beteiligen) Trotzdem: Weiterbildungskreise fordern mehr Geld! Stefan C. Wolter 13
Theoretische Argumente und empirische Fakten zu Finanzierungsinstrumenten Stefan C. Wolter 14
Staatliche Finanzierungsinstrumente Öffentliche WB- Finanzierung Nachfrageorientiert Angebotsorientiert Mit Motivationswirkung auf Nachfrager/in Ohne Motivationswirkung auf Nachfrager/in Subventionen an Anbieter Stefan C. Wolter 15
Die Wirkungsweise der nachfrageorientierten Finanzierung Freie Bildungswahl dank Gutschein Anreiz neue bedarfsgerechte Angebote zu erstellen Wettbewerb der Anbieter in Qualität und Preis Steigerung der produktiven und allokativen Effizienz Stefan C. Wolter 16
Steuerabzüge Öffentliche WB- Finanzierung Nachfrageorientiert Angebotsorientiert Mit Motivationswirkung auf Nachfrager/in Steuerabzüge Subventionen an Anbieter Stefan C. Wolter 17
Argumente für Steuerabzüge Keine Doppelbesteuerung: Wenn die Weiterbildungeine Investition in zukünftige Erwerbseinkommen darstellt, dann würde die Investition doppelt besteuert (einmal als Kosten und einmal als Ertrag). Gerechtigkeitsargument: Wenn die Weiterbildung dem Erhalt des Lohnes und der Erwerbstätigkeit dient, dann sollen Weiterbildungskosten wie andere Gewinnungskosten abgezogen werden können. Anreizwirkung: Kosten der WB werden geringer und somit WB gefördert. Stefan C. Wolter 18
Argumente gegen Steuerabzüge Gewinnungskostenargument: Wenn die Weiterbildung keine Investition, sondern Konsum darstellt, ist es eine Ungleichbehandlung zu anderen Konsummöglichkeiten (Marktverzerrung). Steuerabzüge erhöhen den Anreiz für Weiterbildungskonsum(Kosten abzugsfähig, keine Erträge die Steuern generieren). Anreizwirkung: Kosten der Weiterbildung werden retrospektiv zurückbezahlt (wenig Hilfe für Leute mit Budgetrestriktionen). Regressive Wirkung: Mindesteinkommen und Progression. Keine Wirkung bei nichterwerbstätigen Personen. Stefan C. Wolter 19
Weiterbildungsgutscheine Öffentliche WB- Finanzierung Angebotsorientiert Nachfrageorientiert Weiterbildungsgutscheine Mit Motivationswirkung auf Nachfrager/in Subventionen an Anbieter Stefan C. Wolter 20
Warum eine experimentelle Untersuchung von Weiterbildungsgutscheinen Beobachtungen realer Versuche geben keine Hinweise auf die Wirkungsweise einzelner Parametereines Finanzierungsinstrumentes Experiment erlaubt Variationen (bspw. Höhe des Gutscheines). Reale Beobachtungen geben keine Auskunft über die relative Wichtigkeit einzelner Parameter Experiment erlaubt Variationen der Übungsanlage (bspw. Wirkung von Geld versus Beratung). Bei realen Beobachtungen fehlen die Kontrollgruppen, d.h. man weiss nicht, ob man die Effekte nicht auch ohne Gutscheine beobachtet hätte. Reale Beobachtungen sind durch Selbstselektionseffekteverzerrt, d.h. es fehlen die Informationen zur Wirkung bei der gesamten Bevölkerung Experiment erlaubt es, die beobachteten Individuen zufällig auszuwählen. Stefan C. Wolter 21
Fragen, die zu klären sind? 1. Wie wichtig ist Geldals Anreiz oder Hinderungsgrund für Weiterbildung? 2. Bei welchen Gruppen wirkt Geld und bei welchen nicht? 3. Wie gross sind die Streuverluste (Mitnahmeeffekte entscheidend für die Effizienz der Finanzierungsinstrumente) 4. Welche anderen Faktoren als Geld sind entscheidend? Beratung, Transparenz oder andere? Stefan C. Wolter 22
Experimentelles Vorgehen 2 400 Gutscheine im Januar 2006 zufällig an Personen verteilt, die mindestens 2005 an der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) teilgenommen hatten. Kontrollgruppe von rund 14 000 Personen, die weiterhin normal an SAKE teilnahmen. Je 800 Gutschein mit den Nominalwerten von 200 CHF, 750 CHF und 1 500 CHF. Je hälftig wurden den einzelnen Gutscheingruppen kostenlose Weiterbildungsberatungen angeboten. Keine Einschränkung bei der Wahl der Weiterbildungskurse aber eine zeitliche Beschränktheit von rund einem halben Jahr. Beobachtung der Gutschein- und Kontrollgruppe im 2006 und 2007. Stefan C. Wolter 23
2 x 3 Struktur des Experimentes Beratungund / Nominalwert Beratungsangebot Ja Beratungsangebot Nein 200 CHF 400 400 750 CHF 400 400 1500 CHF 400 400 Stefan C. Wolter 24
Kausale Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung (nach Gutscheinwert) 30% 25% Gesamte Gruppe Erwerbstätige 20% 15% 10% 5% 0% 200 750 1500 Gutscheinwert in Franken Stefan C. Wolter 25
Eingelöste Gutscheine nach Bildungsstufe 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% Obligatorische Schulbildung Sekundarstufe II Tertiäre Ausbildung Höchster Bildungsabschluss Stefan C. Wolter 26
Berechnung des Mitnahmeeffektes Kontrollgruppe Experiment A C B Mitnahmeeffekt Mehrnachfrage Stefan C. Wolter 27
Mitnahmeeffekte 90% Mitnahmeeffekt in Prozent der benutzten Gutscheine 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Obligatorische Schulbildung Sekundarstufe II Tertiäre Ausbildung Höchster Bildungsabschluss Stefan C. Wolter 28
Gutscheinwirkung bei schlecht qualifizierten Personen am höchsten Stefan C. Wolter 29
Beratung: ineffektiv? Experiment zeigte keinewirkung von Beratungsangebot auf Partizipationswahrscheinlichkeit D.h. nicht, dass das Beratungsangebot schlecht ist! Qualitative Wirkungen konnten und durften nicht untersucht werden Weniger als 8% der Beratungsangebote wurden genutzt(herrscht tatsächlich eine Nachfrage nach Beratung und Transparenz?) Sollte Beratung tatsächlich staatlich angeboten (oder subventioniert werden) bräuchte es noch einiges an Arbeit um dadurch die Beteiligung zu steigern Stefan C. Wolter 30
Veränderungen in den Kursthemen 30 25 20 Control group Experimental group 15 10 5 0 Languages IT-courses Employer courses Work-related Leisure Others Stefan C. Wolter 31
Wirkung auf die Arbeitgeber Experiment ist ohne Ankündigung und als «one-shot» Ereignis konzipiert und dürfte das Verhalten der Arbeitgeber nicht stark verändern. Nachträgliche Feinanalysen (Schwerdt et al. 2012) zeigen allerdings trotzdem einen kleinen sogenannten «crowding-out» Effekt. Bei einer dauerhaften Einführung von Weiterbildungsgutscheinen müsste also mit grösseren Wirkungen auf die arbeitgeberfinanzierten Angebote gerechnet werden (Mitnahmeeffektseitens der Arbeitgeber). Konzentration auf Arbeitnehmergruppen die eine geringe Förderwahrscheinlichkeit aufweisen Stefan C. Wolter 32
Wirkung von Weiterbildung In Bezug auf kurzfristige Wirkungen auf Erwerbstätigkeitund Löhne(2007) können keine Wirkungen festgestellt werden. Bezüglich der Weiterbildungsbeteiligungim Jahr nach dem Experiment kann eine kausale, positive Wirkung nicht ausgeschlossen werden, allerdings deutlich geringer als Querschnittsanalysen bislang vermuten liessen. Ökonometrische Analysen zeigen auch ohne Experiment, dass die arbeitsmarktlichenwirkungen von Weiterbildungen die vom Arbeitgeber finanziert werden doppelt bis dreifach höher liegen. Man weiss aber nicht warum (Selektion, Inhalte, self-fulfilling prophecies). Stefan C. Wolter 33
Wirkung auf die Anbieter Konnte im Experiment nichtuntersucht werden dazu bräuchte es einen Pilotversuch Hier wären grossewirkungen zu erwarten, falls die Gutscheine auf Zielgruppen (wenig qualifizierte Personen) beschränkt würden: Geld liegt bei einer bestimmten Nachfragegruppe (Verbesserung der allokativen Effizienz des Angebotes). Wenig Wirkung zu erwarten bei alternativeninstrumenten (Sparkonten, Steuerabzüge, Angebotsfinanzierung, etc.) Stefan C. Wolter 34
Schlussfolgerungen Geld wirkt, aber man weiss nicht wieso: Kreditrestriktionen oder Konsumverbilligung. Hohe Mitnahmeeffektebei Subventionen: Zielgruppendefinition wichtig aber kein anderes Instrument bekannt, dass die Weiterbildungsbeteiligung von schlecht qualifizierten Personen kurzfristig um 20% zu erhöhen vermag! Gutscheine sicherlich anderen Instrumenten staatlicher Finanzierung überlegen aber das Anbieter-und Arbeitgeberverhalten müsste weiter untersucht werden. Stefan C. Wolter 35
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Themenbuffet Bülach