wer bremst Ja, was denn eigentlich? Marcel Wüst, Freund scharfer Bremsmanöver in letzter Sekunde und aufgrund seiner Könnerschaft darin ein rasanter Abfahrer, freute sich auf den Test der neuen Sram Red mit den hydraulischen Scheiben bremsen. Die dann auch voll überzeugten, wobei das trockene Wetter die ganzen Vorzüge der Disc natürlich nicht zum Vorschein bringen konnte. Ach so: Ein sehr überzeugendes Rennrad hing natürlich auch noch an der Bremsanlage Text Marcel Wüst Fotografie Marco Felgenhauer Es sei schwer, das Rad neu zu erfinden das ist eines der ersten Statements, die man vom Specialized- Gründer Mike Sinyard findet, wenn man seinen Namen bei Google eingibt. Damit hat er zwar Recht, doch er war immer ganz nah dran am Puls der Zeit. Mit der Disc-Version des Roubaix ist ihm beziehungsweise seinen Ingenieuren wieder ein großer Coup gelungen. Ob man nun Scheibenbremsen im Straßenradsport braucht oder nicht, spielt erst einmal keine Rolle. Die Amerikaner (wie alle anderen auch!) wollen Räder verkaufen, und da muss man eben auch mal Begehrlichkeiten wecken. Dass ich meinen Spezi, wie ich die Marke immer nenne, bei traumhaftem Wetter im Salzburger Land testen durfte, war dann noch ein besonderes Schmankerl. Kurz vor dem Eddy Merckx Classic fuhr ich noch vor dem Frühstück in Jakob Schmiedlechners Radsporthotel Mohrenwirt die steile Welle am Ortsausgang von Fuschl hoch und wurde mit einem grandiosen Spektakel belohnt: Die Sonne durchbrach gerade den Nebel und sorgte für ein unglaublich tolles Licht. Die Nebelfetzen verschwanden dann auch ziemlich schnell, was mir ganz recht war, denn obwohl es in der Sonne schon angenehm warm war, trat beim Eintauchen in den Nebel immer mal wieder ein kleines Frösteln auf. Ein Grund mehr, mit 88 Procycling Februar 2014
Specialized Roubaix SL4 DISC
Noch kommt einem der Hebel der Hydraulik-Red ziemlich groß vor. Aber die ersten STI-Griffe waren da nicht anders. Der Knick in der Stütze sorgt für wirksame Stoßminderung auch zum Nachrüsten eine gute Idee. Die Keramiklager werden von einer einfacheren Sram-Kurbel gedreht man beachte den Abstand zwischen Rahmen und Kurbel. hohem Tempo durch die Senken zu heizen, wo es diese Reste noch gab. Kurz vor der Hauptstraße bog ich links in einen mir bis dato unbekannten Feldweg ab, der so aussah, als ginge er in einem Bogen durch das Tal wieder in Richtung Thalgau. Die Fahrbahnoberfläche war eher holperig, aber genau dafür ist das Specialized Roubaix ja gemacht und ganz ehrlich: Ich merkte es. Sehr sanft glitt ich über die kleineren Unebenheiten. Dabei punkten konnte ebenfalls die optisch, nun ja, gewöhnungsbedürftige Sattelstütze, die anscheinend mit einem Elastomer unter der Welle ganz gut auf mein Fahrergewicht eingestellt war. Dass diese auch erst im zweiten Anlauf einen Fahrer wie Tom Boonen überzeugte, ist auch klar, denn zuerst sieht man sie und will sie deshalb nicht haben sobald man aber im Sattel sitzt, hier übrigens ein sehr angenehmer Romin mit Carbon-Gestell, sieht man sie eben nicht mehr, aber aus den Augen ist hier nicht aus dem Sinn. Der Federungskomfort ist enorm, ohne dass die Rennmaschine irgendwie weich oder wenig direkt wirken würde. Als die Straße dann leider erneut steil bergab führte, wusste ich, dass ich wieder einmal im Nebel verschwinden würde, hatte so aber die Möglichkeit, die hydraulischen Scheibenbremsen einer ersten Prüfung zu unterziehen. Natürlich hatten die Discs enormen Biss und waren super zu dosieren; die Handkräfte, um das Rennrad maximal zu verzögern, waren entsprechend gering. Eine wirklich saubere Sache, wenn man von der ungewöhnlichen Form der Bremshebel einmal absieht. Diese sind für den Rennrad-Puristen sicher genauso gewöhnungsbedürftig wie die Sattelstütze aber das hat man bei den ersten Bremsschalthebeln auch gesagt... Da es zwar neblig, aber sonst trocken war, konnte ich beim ersten Test nicht sagen, dass die Scheibenbremse einer konventionellen Bremse überlegen gewesen wäre. Dass sie sich im Querfeldeinsport 90 Procycling Februar 2014
Specialized Roubaix SL4 DISC nun durchzusetzen beginnt, ist sicher eine notwendige Entwicklung im Sinne der Sportler, aber dass die Scheibenbremse bei Berg etappen mit strahlendem Sonnenschein regelmäßig zum Einsatz kommen wird, sehe ich noch lange nicht außer, die Profiteams werden von ihren Ausstattern dazu verdonnert, denn welche Signalwirkung auf den Gesamtmarkt das Verhalten der Tour-de-France-Teilnehmer hat, wissen wir spätestens, seit die Spinaci/Tiramisu-Lenkeraufsätze für den Renneinsatz verboten wurden auch alle Hobbyradler schraubten diese nützlichen Helfer wieder ab, obwohl sie niemals im entferntesten daran dachten, Radrennen zu fahren. Im Tal ging es mitten durch einen Bauernhof und dann sogleich wieder bergan. Der Gänsehaut auf Armen und Beinen versuchte ich durch beherztes Hineinsprinten in diese Steigung so schnell wie möglich den Garaus zu machen, was mir nach einer knappen Minute auch gelang. Meine Beine brannten von innen, somit kam dann auch außen ein Gefühl von Wärme an. Das Specialized schien das alles nicht im mindesten Die Hydraulik - leitungen innen zu verlegen ist recht aufwendig, sieht aber sehr viel besser aus. Eine Menge Holz wird für das Highend- Specia lized fällig doch die Investition lohnt sich. Procycling Februar 2014 91
Bei knapp 80 km/h konnte ich ohne weiteres den Lenker loslassen und mich aufrichten. Der erhöhte Windwiderstand bremste mich zwar etwas, aber das Rad lief weiter schnurgeradeaus. beeindruckt zu haben das Tretlager stand wie eine Eins, und auch sonst hatte ich das Gefühl, dass sich ein Rahmen so anfühlen muss, wenn man ihn tritt: supersteif, was die Kraftübertragung angeht, aber nicht bockhart, was gerade auf diesem Weg ein Desaster gewesen wäre. Nachdem ich in einer engen Kurve einem großen Kuhfladen ausweichen musste, kam ich wieder auf eine etwas besser ausgebaute Straße und schließlich auf die Abfahrt Richtung Thalgau. Breite Straße, ein paar weite Kehren hier konnte ich nochmal richtig Strippe geben, und auch der Geradeauslauf des Roubaix war phänomenal. Bei knapp 80 km/h konnte ich ohne Weiteres den Lenker loslassen und mich aufrichten. Der erhöhte Windwiderstand bremste mich zwar etwas, aber das Rad lief weiter schnurgeradeaus. Die Kehren bremste ich spät an, und wieder zeigte die Scheibe, vor allem vorne, sehr viel Biss. Die Roval-Carbon-Laufräder waren mit ihren Aerospeichen auch bei den harten Antritten immer sehr stabil dass das Gewicht wegen der Bremsscheibe etwas höher ausfiel als normal, verstand sich von selbst. Die Felgenflanken brauchen durch die Scheibenbremse nun aber keine abriebresistenten Bremsflächen mehr; somit vermindert sich die Masse zumindest im äußeren Bereich, was ja physikalisch sinnvoll ist. Ehrlich gesagt war davon aber nichts zu merken. So etwas kann man vielleicht in nicht wirklich emotionalen Labortests messen, ich für meinen Teil hatte meinen Fahrspaß und Spaß ist eine sehr positive Emotion, aber nur schwer messbar! Der vor allem im Hinblick auf Fahrkomfort konstruierte Rahmen hatte an den Sitzstreben die bekannten und bewährten Zertz-Einsätze, die ihre Form im Vergleich zum Vorgängermodell etwas verändert haben. Auch an der Gabel kommen die zum Einsatz, mit dem Ziel, vor allem die Minivibrationen, die auf rauem Straßenbelag entstehen, zu vermindern. Das soll Rahmen Specialized Roubaix SL4 Komponenten Sram Red 22 Hydro Disc, 11-fach Laufräder Roval Rapide CLX 40 Disc, Keramiklager Bereifung S-Works Turbo Vorbau S-Works Pro-Set Lenker S-Works Shallow Drop, FACT Carbon Sattelstütze Specialized S-Works CG-R, FACT Carbon Sattel Body Geometry Romin Pro Gabel S-Works Roubaix FACT Carbon Monocoque Gewicht ca. 6,9 kg Preis 7.299 Kontakt www.specialized.com Der Knick in den Streben soll die Vibrationen dämpfen. Auch die Roval-Carbon-Felgen fahren sich sehr angenehm und gar nicht hart. einer Ermüdung des Athleten vorbeugen auch das ist schwer zu beweisen, logisch klingt es aber allemal! Die Züge beziehungsweise Bremsleitungen laufen allesamt im Rahmen, und vor allem an den Hinterbaustreben kommt alles sehr ästhetisch wieder zum Vorschein: Die Bremsleitung läuft aus einer Krümmung in der Strebe direkt zum Bremssattel, der Schaltzug kommt erst ganz am Ende wieder raus und führte in einem schönen Bogen zur Schaltung. Überhaupt war die Red 22 ein Genuss, was den Gangwechsel anging knackig hoch und runter auf den Ritzeln und sehr sanft an den Kettenblättern. Die Kraft und der Weg, den man aufwenden beziehungsweise zurücklegen muss, um zwischen den Kettenblättern zu wechseln, sind inzwischen optimal gewählt ganz anders war das vor einigen Jahren bei den ersten Sram- Modellen. Der neue Werfer, der ja schon bei der neuen (nun alten) Zehnfach-Red zum 92 Procycling Februar 2014
Specialized Roubaix SL4 DISC Einsatz kam, muss nicht mehr getrimmt werden; auf beiden Blättern laufen alle Gänge ohne zu rattern oder zu schleifen. Der integrierte Chain Catcher hatte keine Arbeit zu verrichten hätte aber vor einigen Jahren dafür sorgen können, dass Andy Schleck die Tour nicht erst am grünen Tisch, sondern schon auf der Straße gewinnt. Da Thalgau von Tal kommt, so meine ich zumindest, und es dort wieder etwas suppig wurde, fuhr ich auf der gegenüberliegenden Seite gleich wieder berghoch und vermied es, aufs kleine Blatt zu schalten. Die Kettenkombi vorne rechts hinten links ist zwar eigentlich nicht das Gelbe vom Ei, aber hier funktionierte auch das perfekt. Die weiteren Komponenten sind allesamt Specialized-Eigenmarken, was bei ihrer Qualität eher Lob denn Tadel ist. Als Fazit bleibt nun zu bewerten, ob man Scheibenbremsen am Rennrad braucht oder nicht. Profis wie der erwähnte Schleck weisen auf das nicht immer optimale Bremsverhalten von Carbon-Felgen im Regen hin aber bei diesen Witterungsverhältnissen steige ich nicht mehr in den Sattel, deshalb stellt sich die Frage für mich nicht. Bergab dürfte mich also niemand deswegen abhängen, weil er mit Discs fährt. Erst einmal muss Sram ohnehin das Problem mit defekten Dichtungen bei Minusgraden lösen, dessentwegen die hyraulische Disc gerade zurückgerufen und durch ein mechanisches System ausgetauscht wird. Wer dann mal versehentlich vor dem Einbau des Vorderrades die Bremse antippt und dieses dann nicht eingebaut bekommt, weil die Bremsbacken zu eng stehen, der bleibt gerne bei alter, aber bewährter Felgenbremsen-Technologie. Der Rahmen ist ohnehin spitze. Außerdem: Wer bremst, verliert. Das große Plus der Disc ist die von der Witterung unabhängige, gleichmäßig starke und verlässlich dosierbare Ver zögerung. Das schafft längst nicht jede Carbon-Felge! Der optimal eingestellte Yaw-Werfer ermöglicht 22 schleiffreie Gänge. Procycling Februar 2014 93