POLITISCHER BERICHT AUS DEN VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA Richard Teltschik Leiter der Verbindungsstelle Washington Nr. 22 /2015 10. November 2015
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Vorwahlkampf in den USA Die wichtigste Erkenntnis hinsichtlich des Vorwahlkampfes für die Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr ist, dass es viel zu früh ist, den Sieger auszurufen, besonders bei den Republikanern. Bei der dritten republikanischen Fernseh-Debatte am 28. Oktober 2015 an der University of Colorado in Boulder gab es überzeugende Auftritte von Marco Rubio, Ted Cruz und Chris Christie. Rubio wurde von Jeb Bush wegen seiner häufigen Abwesenheiten im Senat recht linkisch angegriffen, wogegen sich dieser jedoch geschickt wehren konnte. Durch seinen persönlichen Lebensweg und durch überzeugende Antworten auf schwierige Fragen zeigte Rubio seine prinzipielle Eignung für diese Aufgabe und deklassierte Jeb, der hölzern und ungeschickt auftrat. So offerierte Jeb Bush in der Fernsehdebatte allen Demokraten, die tatsächlich die Staatsausgaben kürzen würden, einen warmen Kuss und erzählte von seiner Faszination für Fantasy Football. Jeb, der mit dem Slogan "Jeb Can Fix It" versucht, seine Kampagne wiederzubeleben, ist in den nationalen Umfragen von 10 auf 4 Prozent gefallen, und viele Kommentatoren empfehlen ihm den Ausstieg. Donald Trump, der sonst laut, vulgär und rüpelhaft auftritt, nahm sich weitgehend zurück, was seinen Bewunderern, den angry white men meist ohne College-Ausbildung und aus der Provinz, kaum gefallen dürfte. Mit seinem Slogan Make America Great Again! spricht Trump all jene an, die wirtschaftlich und gesellschaftlich perspektivlos sind und nicht mehr am amerikanischen Traum teilhaben. Es sind Thesen eines Rechtspopulisten, der offen ganze Bevölkerungsgruppen diskriminiert und beschimpft, Frauen wegen ihres Aussehens kritisiert und meint, andere Länder und politische Gegner einschüchtern und tyrannisieren zu können. Durch die Art seines Auftretens war ihm lange Zeit die Aufmerksamkeit der Presse garantiert, so dass er bisher fast keine eigenen Mittel in die Kampagne investieren musste. Er lässt sich auch gezielt nicht von sogenannten Super-PACs (Political Action Committees) unterstützen, in die unbegrenzte Mittel fliessen könnten. Jeb Bush hingegen hat schon über $ 100 Millionen in seinem Super-PAC und plant, für 24 Millionen Dollar Fernsehwerbesendungen in Iowa, New Hampshire und South Carolina zu kaufen. In diesen Staaten finden die wichtigen frühen Vorwahlen statt. Trevor Noah, der seit kurzem die amerikanische Nachrichtensatiresendung Daily Show moderiert und selber aus Südafrika stammt, sagte treffend, dass ihn Trump an afrikanische Diktatoren erinnere und er daher auf dem falschen Kontinent kandidiere. Trumps würdeloses 1
Auftreten lässt den Vorwahlkampf zeitweise wie eine der Reality TV Shows erscheinen, in denen Trump erfolgreich aufgetreten war. Es beschädigt aber auch die republikanische Partei als ganzes, da sich für den Wahlausgang entscheidende Bevölkerungsgruppen wie Frauen, Latinos, Asiaten und die gebildeteren Schichten in den großen Städten immer mehr von den Republikanern abwenden. Wer immer am Ende für die Republikaner als Präsidentschaftskandidat antritt, muss diese Gruppen wieder zurückgewinnen, sonst reicht es am Ende mit Sicherheit nicht für die Präsidentschaft. Momentan führen bei den Republikanern Trump (24%) und Ben Carson (23%) die Umfragen zur Vorwahl an. Beide haben keinen politischen Hintergrund. Carson, ein Chirurg, äußerte in der Debatte ähnlich absurde Meinungen wie Trump und konnte diese nicht mit Fakten untermauern. Gerade aber diese Ahnungslosigkeit scheinen viele Amerikaner attraktiv zu finden, da ihnen Fox-News, viele rechtspopulistische Radiomoderatoren und selbst Abgeordnete des Freedom Caucus täglich erzählen, dass ihnen die geschliffenen Politiker aus Washington nur Lügen auftischen würden und ihrem Geld hinterher sind. Deshalb versuchen fast alle Kandidaten, sich vom Establishment in Washington zu distanzieren. Durch seinen überzeugenden Auftritt bei der TV-Debatte schob sich der Republikaner Marco Rubio mit 14% auf den dritten Platz, gleich gefolgt von Ted Cruz, dessen extreme Tea-Party- Positionen ihn eher zu einer Gefahr für die eigene Parteiführung machen. Alle weiteren Kandidaten der Republikaner liegen in den Umfragen bei oder unter 3% und werden wahrscheinlich bis Ende des Jahres ihre Kampagnen beendet haben. Bei den Demokraten hat Hillary Clinton in den Umfragen stark zugelegt und führt nun mit 53 zu 35 Prozent vor Senator Bernie Sanders. Sie profitierte sehr von der ersten demokratischen Fernsehdebatte zu den Vorwahlen am 13. Oktober 2015 in Las Vegas, in der sie ihre ganze politische Erfahrung ausspielen konnte. Außerdem gab ihr der Rückzug von Vizepräsident Biden neuen Schwung, der lange eine Kandidatur in Erwägung gezogen hatte und ihr durchaus hätte gefährlich werden können. Geholfen hat Hillary Clinton auch der professionelle, ruhige Auftritt vor dem Bengazi- Untersuchungsausschuss, der sie elf Stunden lang verhörte. Nachdem selbst republikanische Abgeordnete zugegeben hatten, dass der Ausschuss hauptsächlich der Beschädigung der Präsidentschaftskandidatin Clinton dient, konnte der unerfahrene republikanische Ausschussvorsitzende Trey Gowdy auch keine neuen sie belastende Erkenntnisse gewinnen. Momentan scheint an Clinton kein Weg mehr vorbeizuführen, aber das könnte sich auch wieder ändern. 2
In der Zwischenzeit haben die Republikaner ein großes Führungsproblem im Repräsentantenhaus gelöst. Paul D. Ryan wurde dazu überredet, neuer Speaker des US- Repräsentantenhauses zu werden, nachdem ihm weitgehend zugesagt wurde, die motion to vacate nicht gegen ihn anzuwenden, d.h. nicht zu versuchen, ihn zwischen zwei Wahlen abzusetzen. Die Republikaner haben im Repräsentantenhaus mit 246 von 434 Stimmen eine komfortable Mehrheit. Der vorherige Speaker John Boehner wurde dennoch von einer Minderheit, dem sogenannten House Freedom Caucus, immer wieder in die Enge getrieben und mit Absetzung bedroht, um ihm politische Konzessionen abzupressen. Die 36 bis 40 Mitglieder des Freedom Caucus verfolgen bei sozialen und Budget-Themen eine sehr konservative Linie. Diese Gruppe möchte die Macht der Führungspersönlichkeiten im Kongress zugunsten der einfachen Mitglieder und der Ausschüsse reduzieren. Das Führungsteam kann zum Beispiel bestimmen, welche Gesetze zur Abstimmung gestellt und welche Zusätze von wem eingebracht werden können. Der Kongress leidet zur Zeit daran, dass Abgeordnete immer mehr durch Parteispenden oder radikale Ansichten bedingte Partikularinteressen verfolgen und meinen, über die Budgethoheit des Kongresses der Regierung und dem Präsidenten ihre Politik aufzwingen zu können. Das hat dazu geführt, dass der Kongress immer wieder Haushaltsgesetze verabschiedet hat, die wichtige politische Initiativen des Präsidenten rückgängig machen sollten. Solche Projekte waren z.b. die Gesundheitsreform (Obamacare) oder das Nuklear- Abkommen mit dem Iran. Da den Republikanern im Senat aber die Mehrheit fehlt, ein Veto des Präsidenten zu überstimmen, beschäftigte sich der Kongress nur mit symbolischen Gesten und verschleppte immer wieder die dringend notwendige rechtzeitige Verabschiedung eines Budgets. Dies führte schon zweimal zu sogenannten Government Shut-Downs, der zeitweiligen Schließung von Regierungsbehörden, nachdem der Regierung das Geld ausging. Zuletzt drohte der Freedom Caucus wieder damit, ein Budget zu verabschieden, das Präsident Obama nie unterschreiben würde, da es der Organisation Planned Parenthood, die unter anderem auch Schwangerschaftsabbrüche durchführt, Mittel gestrichen hätte. Dies hat auch John Boehners Entscheidung beeinflusst, vom Job des Speakers zurückzutreten. Das politische Washington war sehr erleichtert darüber, dass John Boehner zum Abschied noch einen großen, zweijährigen Budgetkompromiss durch den Kongress brachte, der Paul Ryan den notwendigen Bewegungsspielraum verschafft. Man einigte sich, sowohl das Verteidigungsbudget als auch alle Nicht-Verteidigungsausgaben um jeweils $ 40 Millarden zu erhöhen. Die Republikaner wollten ursprünglich nur die Verteidigungsausgaben erhöhen 3
und dies durch Kürzungen im Sozialbereich kompensieren, um das Defizit nicht weiter ansteigen zu lassen. So bekommen beide Seiten etwas mehr, aber das Defizit vergrößert sich weiter, was umgehend vom Freedom Caucus kritisiert wurde. Es bleibt abzuwarten, ob sich Paul Ryan gegen die Individualisierung der Interessen im Kongress erfolgreich zur Wehr setzen kann, damit der Kongress wenigstens in der Lage ist, seine Routine-Aufgaben zeitgerecht zu erfüllen. Ansonsten werden sich Präsident Obama und der republikanische Kongress weiter gegenseitig blockieren und die Lösung wichtiger Probleme, z.b. im Bereich Immigration oder Infrastrukturfinanzierung, verhindern. *** 4