Verwaltungsschule des Kantons Schwyz Vorlesung im Sachenrecht 5 Nachbarrecht lic.iur. Samuel Droxler, Rechtsanwalt Nachbarrecht Verbot übermässiger Einwirkungen! Art. 684 ZGB regelt allgemein die Grenzen der Eigentumsausübung. Verbot, bei der Nutzung eines Grundstücks übermässig auf das Nachbargrundstück einzuwirken (=Immissionen): Pflicht zur Unterlassung von übermässigen Einwirkungen, und umgekehrt Pflicht zur Duldung von nicht-übermässigen Einwirkungen Art. 679 und 679a ZGB sind die Rechtsbehelfe, um einer Verletzung von ZGB 684 entgegenzutreten. Involvierte Personen I Jedermann bedeutet, nicht nur die Eigentümer/ Stockwerkeigentümer sondern auch alle dinglich oder obligatorisch berechtigte Besitzer (wie z.b. Mieter, Pächter etc.) zweier verschiedener Grundstücke (i.s.v. Art. 655 ZGB). Gilt hingegen nicht zwischen zwei Mietern auf einem Grundstück. «Nachbarschaft» ist gemäss Lehre weit auszulegen: gilt also nicht nur zwischen zwei unmittelbar aneinander grenzenden Grundstücke. Nach Lehre und Rechtsprechung ist Nachbar i.s.v. Art. 684 ZGB jeder Eigentümer eines Grundstücks, in näherer oder weiterer Entfernung, das von einer Immission betroffen ist. 1
Involvierte Personen II Immissionen E1 M1 M2 M3 Abwerhansprüche Merke: Es müssen zwei verschiedene Grundstücke betroffen sein (z.b. E1-M2/3) Keine Anwendung zwischen Mietern auf demselben Grundstück (M2-M3) Immissionen I - Definition Mit «Immissionen» sind die indirekten Wirkungen gemeint, welche die Ausübung des Eigentums auf ein Nachbargrundstück haben kann. Einwirkungen i.s.v. ZGB 684 ist «alles, was sich als eine nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge unwillkürliche Folge eines mit der Benutzung eines andern Grundstücks adäquat kausal zusammenhängenden menschlichen Verhaltens auf dem betroffenen Grundstück auswirkt, sei es in materieller, sei es in ideeller Weise». Positiv: Lärm, Staub, Rauch, ideelle Immissionen Negativ: Entzug von Besonnung / Tageslicht, Schattenwurf, ausnahmsweise Aussicht, Erschwerung des Zugangs zu einem Ladengeschäft Immissionen II Art. 684 ZGB erfasst nur indirekte Einwirkungen (nicht die direkten Einwirkungen, z.b. Eingriff in die Substanz, wenn das Nachbarskind täglich über das Nachbargrundstück spaziert, ohne dass eine Dienstbarkeit bestünde, wo ZGB 641 II greift). Einwirkungen als Immissionen i.s.v. Art. 684 sind: materiell, (vgl. Abs. 2: Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung) namentlich Zuführung von Stoffen und Energien, bspw. durch Grillparties; ideell, Nutzungshandlungen auf dem Ausgangsgrundstück, die unangenehme psychische Eindrücke wie Abscheu oder Angst auslösen, z.b. ein Schlachthof (verursacht zugleich materielle Immissionen), eine Drogenabgabestelle oder ein Cabaret; negative, dem Nachbargrundstück die Zuführung von Stoffen oder Energien vorenthalten, z.b. Entzug von Tageslicht durch Bäume (nicht aber die Aussicht, ausser diese sei besonders schützenswert, was ganz selten der Fall ist). 2
Immissionen III adäquate Kausalität zwischen Nutzung und Einwirkung ( nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ). Nur übermässige Immission nach objektiven, von der Person des Betroffenen unabhängigen Kriterien (Ermessen des Gerichtes) d.h. objektive Abwägung der gegenläufigen Eigentümerinteressen Orientierung an Durchschnittsmenschen Berücksichtigung von Lage und Beschaffenheit des Grundstücks sowie Ortsgebrauch (landwirtschaftliche Tätigkeit bei Bauerndorf VS Stadt). Z.B. üble Gerüche aus Schweinemästerei unvermeidbar. Ungerechtfertigte, schädliche Immissionen, sind stets unzulässig. Heute starker Einfluss des öffentlichen Rechts (insbeso. LRV, USG). kein Verschulden erforderlich Immissionen IV Beispiele Geruchsimmissionen : Schweinestall, Fleischverarbeitungsfabrik, Kompostanlagen Staubimmissionen : Baustelle Rauch-Gas-Immissionen : Grill, Abgase Lärmimmissionen : Musik, Maschinen, Fluglärm Negative Immissionen : Schattenwurf / Lichtentzug durch Bäume, Sträucher, Mauern, Sichtschutzwände; Beeinträchtigung der Aussicht durch Hecken, Bäume etc. Immissionen durch Energie : Erschütterungen, Strahlung, Elektrizität, Blitzeinschlag, Hochspannungsleitungen; Fahrleitungen der SBB Strahlungsimmissionen: Mobilfunkantennen, Kernkraftwerke Immissionen V Beispiele Blitzeinschlag : in Nachbargrundstück, z.b. Strommast, Mobilfunkantenne; Unterirdische Ableitung Stromschlag in benachbartes Grundstück; Schädigung von Computer- oder anderen empfindlichen elektronischen Anlagen auf dem Nachbargrundstück Wasserzuführung : Ableitung von Wasser vom Oberlieger- auf Unterliegergrundstück: Regenwasser (sog. Meteorwasser), Quellwasser Ideelle Immissionen : Rotlicht-Etablissement in Mehrfamilienhaus Immissionen von öffentlichen Anlagen Unterliegen (vorbehalten Spezialregelungen im öffentlichen Recht) dem privatrechtlichen Nachbarrecht Die privatrechtlichen Nachbarrechte können im öffentlichen Interesse (gegen Entschädigung) enteignet werden. : Strassen / Autobahnen, Kehrrichtverbrennung 3
Rechtsbehelfe Rechtsbehelfe bei einer Verletzung von ZGB 684 : ZGB 679 Anspruch auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden sowie auf Schadenersatz. Folgende Klagen können erhoben werden: Beseitigungsklage bei noch bestehender, fortgesetzter Einwirkung Präventivklage bei drohenden Immissionen Unterlassungsklage bei Wiederholungsgefahr von bereits früheren Einwirkungen Schadenersatzklage Feststellungsklage zwecks Feststellung der Unzulässigkeit von Immissionen (grundsätzlich subsidiär) (Alternativ: Klagen aus Besitzesstörung nach Art. 928 929 möglich.) Prüfungsschema nach ZGB 684 / 679 Zwei verschiedene Grundstücke? Räumliche Betroffenheit? Eigentümer oder dinglich/obligatorisch Berechtigte? Übermässige Einwirkung Indirekte Einwirkung? Art der Einwirkung? (materielle, immaterielle, negative) Übermässigkeit? (Interessenabwägung) Adäquater Kausalzusammenhang zwischen Grundstücksnutzung & Einwirkung? Ergebnis: Falls übermässige Immission: Welcher Rechtsbehelf nach ZGB 679 (siehe Folie davor)? Weitere Normen des Nachbarrechts I. Grabungen und Bauten (Art. 685 686 ZGB) Verbot der Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks durch Grabungen und Bauten (ZGB 685 I). [II verweist auf ZGB 674]. ZGB 686 ermächtigt die Kantone privatrechtliche Bauabstände festzusetzen, für SZ vgl. 52-58 EGzZGB (SRSZ 210.100) Privatrecht: Klage des Beeinträchtigten beim Zivilgericht erforderlich (Verletzung wird nicht von Amtes wegen berücksichtigt). 60 EGzZGB : «Der Nachbar kann die Entfernung von Geländeveränderungen, Einfriedungen und Pflanzen verlangen, welche den Mindestabstand von der Grenze nicht einhalten. Ein Eigentümer kann auch zu Gunsten seines Nachbarn auf diesen Rechtsschutz verzichten.» Parallel: kant. Bauvorschriften des öffentlichen Rechts, die von der «Baupolizei» von Amtes wegen durchgesetzt werden. 4
Nachbarrecht im Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch SZ Geländeveränderungen 52 EGzZGB (1. Allgemeines) 1 Wer im Bereich der Grenze Geländeveränderungen ausführt, hat das Nachbargrundstück durch geeignete Massnahmen zu schützen. 53 EGzZGB (2. Abgrabungen) 1 Bei Abgrabungen beträgt der Grenzabstand mindestens ½ Meter. 2 Bei der Anlage von Gruben zur Gewinnung von Steinen, Kies, Sand und anderen Materialien beträgt der Grenzabstand wenigstens 3 Meter. 54 EGzZGB (3. Aufschüttungen) 1 Aufschüttungen von Erdreich, Steinen und dergleichen dürfen mit dem Fusspunkt bis ½ Meter an die Grenze gesetzt werden. 2 Übersteigt die Scheitelhöhe 2.50 m, so beträgt der Grenzabstand ¼ dieser Höhe. 55 EGzZGB (4. Stützmauern) 1 Die Stützmauer darf an die Grenze gestellt werden, wenn sie 1.20 m nicht übersteigt. Höhere Stützmauern bis 2.50 m dürfen bis ½ Meter an die Grenze gestellt werden. 2 Übersteigt die Höhe 2.50 m, so beträgt der Grenzabstand ½ dieser Höhe. Weitere Normen des Nachbarrechts I Pflanzen (ZGB 687 688) Abs. 1: «Kapprecht» : überragende Äste und Wurzeln darf der Nachbar kappen und für behalten, wenn sie sein Eigentum (erheblich) schädigen & auf seine Beschwerde hin nicht binnen angemessener Frist beseitigt werden Abs. 2 «Anries» : der Grundeigentümer, der das Überragen von Ästen auf bebauten oder überbauten Boden duldet, hat ein Recht auf die an ihnen wachsenden Früchte (Anries). ZGB 688 Vorbehalt zu Gunsten des kant. Rechts, insbesondere Abstände der Bepflanzungen zu regeln (vgl. 59 EGzZGB). Wasserablauf und Entwässerungen (ZGB 689 690) Niemand darf den natürlichen Ablauf des ihm natürlicherweise zugeflossenen Wassers (Regenwasser, Schneeschmelze und Quellenwasser) zum Schaden des Nachbarn verändern. Wegrechte (ZGB 694 696) Vgl. 61 EGzZGB : Recht (nach vorausgegangener Mitteilung) das Nachbargrundstück für Arbeiten zu betreten (möglichst schonend!). Weitere Normen des Nachbarrechts II Einfriedung (ZGB 697, 56 58 EGzZGB für Erstellung, Unterhalt, Abstände) Bspw. Zäune, Mauern und dgl. Unterhaltpflicht (ZGB 698) Die Kosten (z.b. für Wege, Leitungen und Entwässerungsanlagen) haben die Grundeigentümer im Verhältnis ihrer Interessen zu tragen. Quellen und Brunnen (ZGB 706 709, 69 71 EGzZGB Wasserrecht) Quellen und Bäche sind, soweit sie das Wasserrechtsgesetz nicht als öffentlich erklärt, private Gewässer ( 69 EGzZGB). Pflicht zur Rücksichtnahme auf benachbarte Grundstücke ( 71 EGzZGB). Recht auf Zutritt und Abwehr (ZGB 699 701, vgl. auch 61 EGzZGB zum Recht zur Benützung des nachbarlichen Grundstückes) ZGB 699 sieht eine Duldungspflicht des Eigentümers von Wald und Weide gegenüber jedermann vor: Betreten und Aneignung wildwachsender Beeren, Pilze u. dgl. sind in ortsüblichem Umfange jedermann gestattet. [ ]. ZGB 700 erlaubt die Wegschaffung von durch Naturgewalten zugeführten Sachen und Tieren, die auf ein anderes Grundstück geraten sind. 5
Notrechte I Beschränken sowohl die Verfügungs- (betr. Errichtung) als auch die Nutzungsbefugnis des belasteten Grundeigentümers ein. Entstehen erst nach deren Geltendmachung mit dem Grundbucheintrag: aussergerichtlich (i.d.r. durch Dienstbarkeitsvertrag) oder gerichtlich (durch Klage und Gestaltungsurteil) Notsituationen und daraus fliessende gesetzliche Rechte: Durchleitungsrecht (ZGB 691 693) Zur Sicherstellung der Erschliessung eines Grundstückes Pflicht der Grundeigentümer Röhren/Leitungen zur Versorgung und Entsorgung auf seinem Grundstück zu dulden (volle Entschädigung). Die Interessen des Belasteten werden gebührend berücksichtigt. Notrechte II Notwegrecht (ZGB 694) Voraussetzung: kein genügender Weg von einem Grundstück auf eine öffentliche Strasse (sog. Wegnot) Wenn keine mit Motorfahrzeugen befahrbare Verbindung zur öffentlichen Strasse besteht. Es genügt, wenn Benützer, Besucher und Zubringerdienste mit dem Fahrzeug in hinreichender Nähe zum Grundstück gelangen und von dort über einen Weg zum Gebäude gehen können (Ermessensfrage im Einzelfall). Rechtsfolge: Grundeigentümer kann vom Nachbarn einen Notweg verlangen (gegen volle Entschädigung). M.a.W. ist das Notwegrecht eine Grunddienstbarkeit, auf deren Errichtung der Eigentümer des an der Notlage leidenden Grundstückes einen gesetzlichen Anspruch hat. Notrechte III Notstand (ZGB 701) Voraussetzung: drohender Schaden oder gegenwärtige Gefahr als die durch den Eingriff entstehende Beeinträchtigung Rechtsfolge: Grundeigentümer kann in das Eigentum eines Dritten (gegen angemessene Schadenersatzleistung) eingreifen Notbrunnenrecht (ZGB 710) Grundeigentümer hat Anspruch auf Einräumung einer (Wasserbezugs- oder Quellenrechts-) Dienstbarkeit gegen jenen Grundeigentümer, der - ohne selber in Not zu geraten - in der Lage ist, die Entnahme von Wasser auf seinem Grundstück zu dulden. Zweck: Sicherstellung des Bewohnens/Bewirtschaftens eines Grundstücks 6