Pferdegestützte Therapie

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Transkript:

Opgen-Rhein Kläschen Dettling Pferdegestützte Therapie bei psychischen Erkrankungen Mit einem Geleitwort von Erhard Olbrich

3 1 Historie der Pferdegestützten Therapie Marion Kläschen An einem edlen Pferd schätzt man nicht seine Kraft, sondern seinen Charakter. (Konfuzius) 1.1 Menschen und Pferde eine ambivalente Geschichte Die enge Verbundenheit zwischen Menschen und Pferden geht auf eine jahrtausendealte Geschichte zurück, die aufgrund der sich wandelnden Funktionen des Pferdes stets von erheblichen Ambivalenzen gekennzeichnet war. Sie ist einerseits charakterisiert durch die Sehnsucht nach Nähe und Freundschaft mit dem Tier und andererseits durch die Ausbeutung und Verwendung des Pferdes (Körner 1996). Mit der kulturellen Entwicklung des Menschen veränderte sich auch die Mensch-Tier-Beziehung. Obwohl Tiere in Hochkulturen prähistorischer Zeit eine wichtige Rolle gespielt hatten, sah man sie generell als untergeordnete Wesen ohne Seelen an. Erst der griechische Philosoph Aristoteles (384 322 v. Chr.), für den Tiere eine gewisse Wahrnehmungsfähigkeit besaßen und damit eine untere Erkenntnisstufe erreichten, sprach ihnen eine Seele zu. Unter dem Einfluss religiöser Deutungen veränderte sich diese Sichtweise aber wieder, zum Beispiel durch die Schriften des Philosophen Descartes. Er sprach dem Menschen, nicht aber dem Tier eine Seele zu, da nur der Mensch seine gedanklichen Reflexionen auch sprachlich ausdrücken könne. Daher sei der Mensch dem Tier überlegen, so die Schlussfolgerung. Dies gab dem Menschen die Berechtigung, Tiere zu benutzen und sie auf einer tieferen Stufe einer imaginären Werteskala einzuordnen (Otterstedt 2001). Trotzdem wurden Tiere über die unterschiedlichsten Kulturen hinweg immer schon religiös und mythisch verehrt. Speziell das Pferd lebte, ähnlich dem Hund, seit jeher in einer Symbiose mit dem Menschen. Im Verlauf der Evolution änderte sich seine Funktion für den Menschen beständig es diente als Nahrungslieferant und Beutetier, als Weggefähr-

4 1 Historie der Pferdegestützten Therapie te und Kriegskamerad und als nützliches Last- und Zugtier. Als schnellstes Transportmittel und effektive Kampfmaschine kam es dem Expansionsdrang des Menschen entgegen. 1.2 Pferde in der Medizingeschichte 1.2.1 Altertum und Mittelalter Schon im Altertum wurden positive Kräfte von Tieren zu therapeutischen Zwecken genutzt, worüber in philosophischen Schriften und Veröffentlichungen zahlreicher Ärzte berichtet wird. Im Rahmen der fortschreitenden Domesti zierung des Pferdes entdeckten die Griechen als erstes Reitervolk weitere Eigenschaften des Pferdes, was sich in den Schriften des Staatsmannes und Feldherren Xenophon (430 354 v. Chr.) Über die Reitkunst und Der Reitoberst abbildete. Beide Schriften gelten als Grundstein der heutigen Reitwissenschaft und setzen sich mit den Grunderfahrungen des Reitens und der motorischen Wechselwirkung zwischen Pferd und Mensch auseinander (Keller 2010). Auch Hippokrates von Kos (460 370 v. Chr.), berühmtester Arzt der Antike, schrieb in seinem Corpus hippocraticum fast zeitgleich über den Effekt des heilsamen Rhythmus des Pferds nicht nur auf den menschlichen Körper, sondern auch auf dessen Psyche und erkannte heilende Einflüsse auf die Gemütsverfassung (Oser-Grote 2004). Hieronymus Cardanus (1501 1576) griff diese Überlegungen in seinem Werk De malo recentiorum medicorum medendi usu libellus auf und empfahl das Reiten als therapeutische Maßnahme (Cardanus 1536). Auch der Humanist Hieronymus Mercurialis gab in seinem 1569 erschienenen Werk De arte gymnastica Hinweise auf den gesundheitsfördernden und -erhaltenden Wert des Reitens (Wendt 1940). 1663 schrieb der Arzt Bartholomäus Castellius, der reitende Mensch müsse die Bewegungen des Pferdes in sich aufnehmen und mit den Bewegungen des eigenen Körpers in Einklang bringen, was noch heute den gültigen therapeutischen Prinzipien entspricht (Steen 2002). Sir Thomas Sydenham wies in einer Abhandlung über die Gicht auf die therapeutische Wirksamkeit der fleißig geübten Reitkunst hin (Sydenham 1681). 1.2.2 18. und 19. Jahrhundert Im 18. Jahrhundert begann mit Jean-Jacques Rousseau (1712 1778) ein Umdenken bezüglich der Bewertung der Mensch-Tier-Beziehung, da Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier und die Leidensfähigkeit von Tieren entdeckt wurden. Auch fand der Umstand, dass der Umgang mit Tieren im Menschen Emotionen auslösen und aktivieren kann, zunehmend Beachtung (Otterstedt 2003). Friedrich Hoffmann, Professor der Medizinischen Fakultät Halle, wies in seinem Hauptwerk Gründliche Anweisung, wie der Mensch durch vernünftigen

1.2 Pferde in der Medizingeschichte 5 Gebrauch der Leibesübungen seine Gesundheit erhalten und sich von schweren Krankheiten befreien könne auf die guten Effekte des Reitens im Schritt hin (Hoffmann 1719). Weitere Wegbereiter, die gegen Mitte des 18. Jahrhunderts das Reiten als Nut - zen für Körper und Psyche erkannten, waren Ärzte und Schriftsteller wie Diderot, Jahn und Tissot: Sie sahen Reiten als Teil einer Ganzheitsbehandlung. In seiner Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers schrieb Diderot eine Abhandlung über das Reiten zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit in körperlicher Hinsicht und zur Steigerung der Vitalfunktionen und betonte darüber hinaus die Wirkung des Reitens als Heilmittel bei Melancholie, Schwermut und Hysterie (Diderot u. D Alembert 1757). Ähnliches beschrieb Jahn in seiner Norma diaetetica (Jahn 1757) und Tissot in seinem Werk Medizinische und chirurgische Gymnastik (Tissot 1782). Fast zeitgleich empfahlen der niederländische Mediziner Gerard van Swieten (1700 1772) in seinem Werk Abhandlung des Daseins der Gespenster, nebst einem Anhang vom Vampirismus (Mayer u. van Swieten 1768) und der deutsche Arzt Maximilian Stoll (1742 1787) in seinem Werk Heilungsmethode in dem praktischen Krankenhause zu Wien das Reiten bei Gemütskrankheiten (Stoll u. Fabri 1783). Auch Johann Wolfgang von Goethe, der bis zu seinem 55. Lebensjahr täglich ausritt, erkannte den bewegungstherapeutischen Wert des Reitens durch das Mitschwingen des Reiterkörpers mit den Bewegungen des Pferdes, die vermehrte Wirbelsäulenstreckung durch den Sitz und das behutsame, aber beständige Kreislauftraining. Als frühestes Beispiel des bewussten therapeutischen Einsatzes von Tieren gilt die 1792 vom Quäker William Tuke gegründete psychiatrische Anstalt York Retreat in England, in deren Garten Kleintiere von Patienten versorgt wurden. Ziel war es, die beobachtbaren Symptome emotional gestörter Menschen durch den Umgang mit Tieren zu lindern. Trotz der Erfolge, die mit diesem Konzept erzielt wurden, konnte sich der Ansatz nicht durchsetzen und wurde als unwissenschaftlich belächelt (McCulloch 1983). Ein späteres Beispiel für den Einsatz von Tieren zu therapeutischen Zwecken sind die Behandlungen von Epileptikern und geistig behinderten Menschen im 19. Jahrhundert im Epileptikerzentrum der Anstalt Bethel in Bielefeld dabei wurden Hunde, Katzen, Schafe und Ziegen mit Erfolg therapieunterstützend eingesetzt. 1.2.3 20. Jahrhundert bis heute Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts veröffentlichten verschiedene Ärzte Abhandlungen über den therapeutischen Wert des Reitens. 1953 erkannte auch der Arzt Max Reichenbach die therapeutischen Möglichkeiten der Bewegungen des Pferdes und prägte den Begriff Reiten als Therapie. Er veröffentlichte dann in einem gleichnamigen Buch (1968) seine wissenschaftlichen Daten und Erfahrungen. Noch vor ihm im Jahr 1961 schrieb der Arzt Eberhard Druschky die

6 1 Historie der Pferdegestützten Therapie wohl erste deutschsprachige Veröffentlichung über das therapeutische Reiten mit dem Titel Gymnastik zu Pferde ein Weg zur Heilung. Darin schilderte er seine Arbeit mit behinderten Patienten auf dem Pferd in seiner Klinik in Bad Rappenau (Vogel 1987). Ab 1960 entwickelte sich ein eigenständiger Ansatz zur heilpädagogischen und individuellen Förderung der geistigen und sozialen Entwicklungsmöglichkeiten bei verhaltensauffälligen, entwicklungsverzögerten und geistig behinderten Kindern und Jugendlichen durch pferdegestützte Interventionen insbesondere auch durch die Einbeziehung der Erlebnispädagogik nach Kurt Hahn (Lausberg 2007). 1970 gründeten engagierte Ärzte, Krankengymnasten, Pädagogen, Psychologen, Sozialarbeiter und Reitlehrer das Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.v. (DKThR). Sie verfolgten dabei das Ziel, wissenschaftliche Grundlagen zu erarbeiten, Fachkräfte fort- und weiterzubilden, Informationen zu vermitteln, Zusammenarbeit und Beratung zu fördern sowie Kostenfragen zu regeln. Heutzutage ist der Einsatz von Pferden als Therapieelement bei verschiedensten somatischen und psychiatrischen Krankheitsbildern im deutschsprachigen und vor allem im angloamerikanischen Sprachraum gut etabliert. Er bereichert seit vielen Jahren schulenübergreifend die professionelle Arbeit mit psychisch kranken Menschen (Woodbury Reports 2004). Aber auch heute noch bewegt sich die Beziehung von Menschen und Pferden zwischen Extremen: dem Bemühen um echtes Verständnis im Rahmen moderner, gewaltfreier Kommunikations- und Ausbildungsmethoden einerseits (z.b. TTouch nach Tellington-Jones, Monty Roberts) und der Anthropomorphisierung, sportlicher Be-Nutzung (z.b. im Turnier- und Rennsport) und der Ignoranz und Ausbeutung von Tieren andererseits. Die Frage, ob Tiere eine Seele besitzen was aus Sicht vieler Menschen heute unzweifelhaft bejaht werden kann, ist inzwischen Gegenstand vielfacher Veröffentlichungen (Brandt 2009; Blavatsky 2006). Ob Tiere die Fähigkeit zu höheren kognitiven Leistungen besitzen, ob sie denken können und einen Geist besitzen, wird aktuell u.a. durch Vertreter der theoretischen Philosophie, wie zum Beispiel den Schweizer Leibnizpreisträger Dominik Perler, beleuchtet (Perler 2005). Exkurs: Mythos Pferd Dem Pferd kam in Mythen stets eine symbolische Bedeutung zu. Mythen (griechisch = Erzählung, Fabel) sind spezifische Formen der Weltsicht und des Weltverständnisses, die das Denken und Handeln des Menschen besonders in vorgeschichtlicher Zeit bestimmt haben. Sie sind, ähnlich wie die Künste, die ebenfalls Symbole als Ausdrucksform verwenden, schöpferische Darstellungsformen. Der Schweizer Psychoanalytiker C. G. Jung konstatierte in der Entstehung der Mythen die Anfänge der Bewusstwerdung des Menschen. Zahlreiche Mythen beschrieben die ersten Begegnungen des Menschen mit dem Pferd, das nun als Archetypus in vielfältigen und immer neuen symbolischen Erscheinungsformen auftrat.

1.2 Pferde in der Medizingeschichte 7 Abb. 1-1 Das Pferd als archetypisches Symbol für Kraft, Freiheit und ursprüngliche Schönheit Archetypen (griech. = das zuerst Geprägte, das Urbild) sind nach C. G. Jung in Menschen aller Kulturen gleichermaßen vorhandene Urbilder. Sie werden wirksam, indem sie die bildhafte Gestalt eines Symbols annehmen, das ebenfalls als Wesen und Abbild psychischer Energie interpretiert wird (Jung 1976). Jedes Symbol ist nach Jung Ausdruck eines (unbewussten) Archetyps, es umfasst die ganze Psyche: die bewussten und die unbewussten Funktionen. Das Pferd kann nach diesem Konzept als Symbol zwischen diesen beiden Funktionen vermitteln und dadurch vielfältige heilende Veränderungsprozesse anstoßen. In psychoanalytischen Konzepten symbolisiert das Pferd eine Form der dynamischen Libido. Es vertritt dabei die nicht menschliche Psyche, das Untermenschliche, Animalische, Kraftvolle und somit das unbewusst Psychische. Als archetypisches Symbol kann es durch die Tiefe der emotionalen Berührtheit in der Begegnung mit ihm zu einer Mobilisierung archaischer Ängste und zur Verdeutlichung aktueller Konflikte an der Grenze zwischen Bewusstem und Unbewusstem führen (Scheidhacker 1998). In Träumen tauchen auch bei Menschen ohne jeglichen Kontakt zu Pferden Pferdeköpfe, erotische Bilder mit Pferden oder sogenannte Todesrösser auf. Das Pferd befriedigt zudem Wunschvorstellungen und kann Träger zahlreicher Projektionen sein (Scheidhacker 1998) (Abb. 1-1). Bis heute werden Mythen und Symbole neu geschaffen, wie etwa der Cowboymythos, bei dem das Pferd als Symbol für Männlichkeit in Verbindung mit Abenteuer und Freiheit steht. Oft spielt das Pferd in Wettkampfsituationen wie Stierkämpfen oder Rodeos als Libidosymbolik der zumeist männlichen Reiter und Kämpfer eine bedeutende Rolle. Auch als Symbol der Freiheit ist das Pferd noch immer lebendig. Die mit ihm assoziierte Freiheit kann dabei in erster Linie als Flucht aus den Zwängen der Industriegesellschaft und einer entmenschlichten Zivilisation interpretiert werden.