Gedenkrede zum 98. Jahrestag der Revolution 1918/19

Ähnliche Dokumente
Arbeitsblatt 8 Ende des Ersten Weltkrieges

Titelseite des Berichtes über den Gründungsparteitag der KPD

Aufstieg und Fall der Apartheid: Fotografie und Bürokratie des täglichen Lebens

Widerstand hätten leisten können, am erforderlichen Mut gebrach, Verantwortung zu übernehmen, wartete man allgemein auf die natürlich Lösung des

2 Die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit von Volkshochschulen und Gewerkschaften

Gedanken zur Heimat. Thomas de Maizière

Militarismus in Deutschland

(Lebensverhältnisse, Familienstruktur, Kindersterblichkeit im 19. Jh. Geburtsjahr Eberts = Geburtsjahr des Kaiserreiches)

Liebe Konfi 3-Kinder, liebe Mitfeiernde hier im Gottesdienst, Ansprache beim Konfi 3-Familiengottesdienst mit Abendmahl am in Steinenbronn

Sehr geehrte Damen und Herren! Heute vor 65 Jahren, am 27. Januar 1945, haben Soldaten der Roten Armee das Konzentrationslager Auschwitz befreit.

Inhaltsverzeichnis. die herrschaft des nationalsozialismus. die Weimarer Republik. Geschichte / Politik Arbeiten mit Entdecken und Verstehen 7

Des Kaisers neue Kleider

Was ist ein Institut für Menschen-Rechte? Valentin Aichele

sich wegen der Friedens- und Versöhnungsarbeit in der Nagelkreuzkapelle gesammelt haben.

Leibniz. (G.W.F. Hegel)

Literaturempfehlungen

Kurz-Wahl-Programm in leichter Sprache

Zentrale Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag Gedenkrede des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Prof. Dr.

In Polen und Frankreich lernt man, gelassen zu sein - es funktioniert am Ende immer

Über Tristan und Isolde

Kaltscherklapp. Liebe Leser, Beilage zu Neues aus Langen Brütz Nr. 6 Januar 2013

Gewalt im behinderten Alltag

Weggefährte der sozialistischen Kunst

von Prof. Dr. Louis Henri Seukwa. Fakultät Wirtschat und Soziales der HAW Hamburg.

PRESSEMAPPE INHALT. Feste Kaiser Wilhelm II. - Mehr als nur eine Festung! Jahre Erster Weltkrieg Sonderveranstaltungen 3

PREDIGT HANS IM GLÜCK AN OKULI ZU LUKAS 9,57-62

Lukas 7, nach NGÜ

Inhalt. Einleitung. Kapitel 1 Von den Anfängen bis zu den Napoleonischen Kriegen

Vortrag von Susanne Luithlen bei der Internationalen Friedenskonferenz, Internationales Forum am

Das Wunderbare am Tod ist, dass Sie ganz alleine sterben dürfen. Endlich dürfen Sie etwas ganz alleine tun!

Kurz-Wahl-Programm 2013 in leichter Sprache 10 Punkte für mehr soziale Gerechtigkeit

Sicherheit und Chancen Für eine Politik der linken Mitte.

Wir sind die Partei DIE LINKE. Das wollen wir mit unserer politischen Arbeit. geschrieben in Leichter Sprache

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Abiturfragen - Grundwissen Geschichte - Teil 3

Inhalt. 99 Das nördliche Pfersee. Das südliche Pfersee. Spurensuche. Pfersee von oben. Wertach Vital

Leben früh seine Prägung. Als Gerhard Fritz Kurt Schröder am 7. April 1944, einem Karfreitag, im Lippeschen geboren wird, steht das Deutsche Reich

Warum ist die Schule doof?

1. Warum ist der Elysée-Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich aus historischer Sicht bedeutend?

Inventar lebensverändernder Ereignisse

Von Quotenfrauen, der Generation Praktikum und dem Prinzip Hoffnung

Themen. Schlaue Seiten. Der Bewerbertag, 24 Erfahrungsberichte (Azubis), 113 Stellenanzeigen, 84/85, 92

Leichte Sprache. Willkommen im Land tag

Predigt zum ökumenischen Zeltgottesdienst am über 1.Mose 11,1-9

Wolfgang Hellmich Mitglied des Deutschen Bundestages Vorsitzender des Verteidigungsausschusses

Biografische Forschung Quellen der biografischen Forschung Biografische Kommunikation im Alltag

Geschichte der Erwachsenenbildung in Deutschland

Also: Wie es uns geht, das hat nichts mit dem zu tun, ob wir an Gott glauben.

Volkstrauertag 2013 Gedenkfeier zum Volkstrauertag am Jägerdenkmal am Sonntag, , Uhr

Was meinen die Leute eigentlich mit: Grexit?

Liebe Gemeinde ich nehme das letzte Wort dieser unglaublichen Geschichte auf. Der

In diesem Heft stehen die wichtigsten Informationen vom Wahl Programm der GRÜNEN in leichter Sprache. MEHR GRÜN FÜR MÜNSTER. 1 grüne-münster.

Was wissen wir eigentlich über Syrien?

Ein Begegnungsort für Reisende

Fred Löwenberg. Januar (ANg, )

Finanzmärkte entmachten

Stellenwert des Themas Flucht und Vertreibung ist gestiegen

Rede. von. Hartmut Koschyk MdB Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen

O Cristoforo konnte nicht gut lesen und interessierte sich nicht für Bücher.

ALEMÃO. Text 1. Lernen, lernen, lernen

Kursthema: Alltag, Gesellschaft und Staat im Europa der frühen Neuzeit: Ende des Mittelalters oder Beginn der Moderne?

Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren.

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Lernwerkstatt: Die Weimarer Republik. Das komplette Material finden Sie hier:

Vergangenheit und Zukunft der deutsch-israelischen Beziehungen Freundschaft und Verantwortung

Pablo Picasso gilt als einer der größten Künstler des 20. Jahrhunderts.

Die Entscheidung. Fischer hatte sich zu Wort gemeldet und erstattete Bericht.

Ernst Grube Welzenbachstraße München

The Meir Amit Intelligence and Terrorism Information Center

Vom lokalen Maurerbetrieb zum bundesweiten Baudienstleister

Wie wir einen Neuen in die Klasse bekommen, der heißt Französisch und ist meine Rettung

Die Rede im Internet: Seite 1 von 6. Bundespräsidialamt Berlin /-1999 presse@bpra.bund.de.

Joschka Fischer und Fritz Stern Gegen den Strom Ein Gespräch über Geschichte und Politik

US-Staatsterrorismus am in Newtown? (1)

Rechtspfleger in der Zwangsversteigerungsabteilung

1. Weniger Steuern zahlen

Dokumentarreihe in zehn Folgen Ab 14. November 2010: sonntags um Uhr & dienstags um Uhr

INHALTSVERZEICHNIS. 1 Die Studierenden und die kurze, heftige Phase von 1927 bis

Nibelungenviertel. oder wem gehört die Stadt. eine Schaufenster-Geschichte 2. Wem gehört das Grätzel, wem gehört die Stadt?

hr2wissen Der vererbte Leiden Traumata zwischen den Generationen

Predigt des Erzbischofs em. Friedrich Kardinal Wetter beim Jubiläumsgottesdienst 1200 Jahre Götting am 26. Juli 2009 in Götting-St.

HGM Hubert Grass Ministries

Lehrerhandreichung : Die Flaschenpost von Klaus Kordon. Lerntheke

Familie Grünberg/Frank

Achten Sie auf Spaß: es handelt sich dabei um wissenschaftliche Daten

Zentralabitur 2017 Geschichte


Jeder Mensch ist anders. Und alle gehören dazu!

Interviews mit SchülerInnen aus Talitha Kumi

Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ein Traditionselement des deutschen Linksextremismus

5 Fakten zum Nachteilsausgleich die du wissen musst

Der Bericht am Sa in der Hamburger MOPO ist auf 2 Seiten verteilt mit der Headline :

Betriebsratswahlen Mitbestimmungsrecht in der. Kriese nutzen Demokratie verwirklichen. Herr / Frau Präsident/in, meine D + H

Ich nickte.»dann gehen Sie zu einem von denen. Die machen so ziemlich alles, wenn das Honorar stimmt.können die auch eine Leiche aus dem Grab wecken,

Über dieses Buch. Die Kunst des Selbstrasierens beinhaltete in der Tat die Anleitung für eine gelungene Rasur und begann mit der Einleitung:

Die Geschichte von Manik Angkeran wie die Bali-Straße entstand

"Eine heilsame Unterbrechung" Allianz kämpft für den arbeitsfreien Sonntag

Transkript:

Gedenkrede zum 98. Jahrestag der Revolution 1918/19 Friedhof der Märzgefallenen, 9. November 2016 Ralf Hoffrogge, Ruhr-Universität Bochum ralf.hoffrogge@rub.de Wir sind heute hier, um einer Revolution zu gedenken - den 9. November 1918. Dies war nicht der Erste und nicht der letzte Tag der Revolution, denn bei genauem Hinschauen erreichte die Revolution Berlin ziemlich spät. Bereits Ende Oktober Hatte es Meutereien in der Hochseeflotte gegeben, bereits am 4. November 1918 war in Kiel das Militär entmachtet und ein Arbeiter- und Soldatenrat regierte die Stadt. Doch erst am 9. November 1918 brach sich die Revolution ihren Weg nach Berlin, das militärische und politische Zentrum des deutschen Reiches. Am 9. November dankte Wilhelm der Zweite ab. Das Kaiserreich war Geschichte, der Weltkrieg beendet und die Zukunft schien offen für alles. Dennoch - diesen Tag als eine Revolution zu bezeichnen, ist bereits ein politisches Bekenntnis. Denn was eine Revolution ist, das erklärt sich nicht von selbst. Viele Definitionen bezeichnen Revolution als einen Machtwechsel, als grundsätzliche Änderung des politischen Regimes. Doch was genau sich ändert, wie tiefgreifend der Wandel ist, welche Hoffnungen erfüllt werden das lässt sich oft erst im Nachhinein sagen. Und so bekommt nicht jeder Machtwechsel diesen Ehrentitel der Revolution. Der Sozialdemokrat Phillip Scheidemann etwa, der im November 1918 im Zentrum des Geschehens stand gab seinen Memoiren aus dem Jahr 1921 den schlichten Titel Der Zusammenbruch. Auch in seinem Vorwort nannte er den 9. November nur den Zusammenbruch des Reiches. Erst auf Seite 209 spricht Scheidemann dann von einer Revolution, jedoch mit deutlicher Abgrenzung gegenüber gegenüber anderen Memoirenschreibern wie dem Klempner und späteren Volksbeauftragte Emil Barth, der ganz unbescheiden die Autorenschaft der Revolution für sich selbst beanspruchte. Für Scheidemann kam erst der Zusammenbruch, die Revolution danach. Sie war für ihn schlicht der Tag, an dem es eben nicht mehr weiterging. Obwohl Scheidemann seine Abneigung gegen den Bruch des 9. November kaum verbirgt und offen zugibt, dass er statt einer Revolution die Evolution bevorzugt hätte, trifft er mit seiner Kritik an Emil Barth einen Zentralen Punkt: Revolutionen werden nicht Gemacht. Sie sind nicht die Tat einer Minderheit, sondern die Tat einer Mehrheit, Jener Mehrheit der Bevölkerung, die man im Englischen die Common People nennt, und die im Deutschen schon im Bauernkrieg des Jahres 1525 als der gemeine Mann auftraten. Zum Gemeinen Mann traten am 9. November 1918 auch die Frauen. Sie hatten an der Heimatfront die Hauptlast des Krieges getragen, in den 1

Munitionsfabriken, beim stundenlangen Schlangestehen nach einem Fetzen Fleisch in den Schlachthöfen der Eldenaer Strasse unweit von hier. Sie strömten auf die Strassen im Massenstreik des April 1917, der als Brotstreik in die Geschichte einging, ein Ausstand in Haushalt und Fabrik, ein Aufruhr von denen, die sonst in der Politik nicht vorkamen und deren Arbeit unsichtbar blieb. Diesen Aufruhr, die Verweigerung der einfachen Leute, das zu tun, was man von ihnen erwartete, zu gehorchen, zu ertragen und immer wieder alles runterzuschlucken fürs Vaterland und für den Sieg das war es, was die Revolution ausmachte. Insofern hat Scheidemann recht die Revolution, das war ein Zusammenbruch ein Tag, an dem es eben nicht mehr weiterging. Solche Tage sind selten in Deutschland, einem Land das heute trotz gärender Unzufriedenheit in allen Betrieben und noch mehr auf den Arbeitsagenturen und Jobcentern Tag für Tag vom weiter so lebt. Doch es gibt sie in der deutschen Geschichte, die Tage des Umbruchs. Der 18te März 1848 war solch ein Tag, der Beginn der Barrikadenkämpfe in Berlin, der 9. November 1918 ebenso. Und, nicht zu vergessen, der 9. November 1989. Hier verweigerte Ebenfalls die Masse den Gehorsam, und zeigte die Ironie der Geschichte: dass eine Revolution auch jene Treffen kann, die sich selbst als Sachwalter und Erben revolutionärer Geschichte eingerichtet haben. Der 9. November 1989 - ebenfalls ein Tag, an dem es eben nicht mehr weiterging. Doch was genau ging da nicht mehr weiter? Scheidemann bezog sich mit seinem Wort vor allem mit dem Zusammenbruch der Öffentlichen Ordnung, der Polizei, der militärischen Macht Nicht einer hat eine Hand gerührt schreibt er über das Militär am Tag der Revolution. Ganz stimmt das nicht, wie die hier beerdigten Toten bezeugen. Es rührten sich Hände am Abzug, es fielen Schüsse gegen die demonstrierenden Arbeiterinnen, Arbeiter und Soldaten. Doch die Kämpfe des 9. November 1918 waren nichts im Vergleich mit dem jahrelangen Morden des Weltkrieges, und nichts im Vergleich mit dem, zu dem die in Berlin Konzentrierte Militärmacht fähig gewesen wäre wenn sie denn daran geglaubt hätte, das ein Blutbad die Revolution hätte ersticken können. Ginge es allein um die Frage der Gewalt, dann könnte man auch den 9. November 1918 ebenso wie den November 1989 als eine Friedliche Revolution bezeichnen. Eine Revolution, die deshalb ohne großes Blutbad erfolgreich war, weil schon vorher nichts mehr ging, sprich: weil die Bewaffnete Macht in ihrer Mehrheit nicht bereit war, auf die Bevölkerung zu schießen. Dieser Widerwillen, auf konsequente Verweigerung des Gehorsams mit der Waffe zu antworten, führte die Novemberrevolution zum Erfolg. Nicht nur Erfolg, sondern auch Ursache des 9 November war die Verweigerung des Militärs. Soldaten Sind Mörder, sagte Tucholsky, doch die Soldaten des 9. November wollten keine Mörder mehr sein. Sie beendeten einen Weltkrieg, der 10 Millionen Tote gefordert hatte. Die Novemberrevolution zog auch, und das ist selten beachtet worden, einen Schlußstrich unter 34 Jahre deutscher Kolonialgeschichte, eine Herrschaft, die der Welt den ersten 2

Völkermord des 20ten Jahrhunderts brachte, den Genozid an den Herero und Nama von 1904 bis 1908. Es waren die Revolutionen der Jahre 1917 und 1918, die einen ersten Durchbruch brachten für das Ende der Reiche und Imperien. Allerdings wurde das Selbstbestimmungsrecht der Völker zunächst nur den Bevölkerungen in Europa zugestanden. Es brauchte zwei Generationen weiterer Kämpfe, politisch, aber auch bewaffnet, bis die Koloniale Unterdrückung in anderen Weltteilen ein Ende fand. Doch wenn der Friede, das Ende der Gewalt, zentrale Ursache für die Revolution von 1918 war, warum wird sie nicht als friedliche Revolution erinnert? Die Antwort ist nicht auf diesem Friedhof zu finden. Sie liegt in den Ereignissen des Jahres 1919, als die bewaffnete Macht sich neu organisiert hatte, während gleichzeitig Aufständische Arbeiter im Namen des Rätesystems die Demokratie auch in die Fabriken bringen wollten, wo sich an den alten Besitz- und Herrschaftsverhältnissen oft wenig geändert hatte. Bereits im Dezember 1918 gab es erste bewaffnete Zusammenstöße, im Folgejahr eskalierten sie. Der sogenannte Spartakusaufstand im Januar 1919 wurde blutig niedergeschlagen, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von paramilitärischen Freikorps ermordet. Gewalt regierte die Straßen. Damals wie heute wurde die radikale Linke für diese Gewalt verantwortlich gemacht: hatte sie nicht zur zweiten Revolution aufgerufen? Nahm nicht Luxemburg den Bürgerkrieg als notwendige Begleiterscheinung der Revolution hin? Doch ein genauer Blick in die Gewalt des Jahres 1919 bringt Zweifel. Der Aufstand im Januar mobilisierte nur eine kleine Gruppe bewaffneter Kämpfer, die im Berliner Zeitungsviertel Gebäude besetzten. Der Generalstreik zur selben Zeit, die unbewaffneten Demonstrationen, mobilisierte jedoch mehrere Hunderttausend. Ähnlich war es im März 1919 als ein Generalstreik nicht nur Berlin, sondern auch das Industrierevier um Halle, Leipzig und Weimar sowie das Ruhrgebiet erfasste. In Berlin bäumte sich hier die Arbeiterbewegung noch einmal auf, forderte Rätedemokratie als als Teil der neuen Weimarer Verfassung. Die Antwort waren nicht zwei, sondern 1200 Tote bei Vergeltungsaktionen der Freikorps in Berlin-Lichtenberg. Diese Toten sind heute in der Erinnerung kaum präsent. Doch sie sollten präsent sein, denn sie zeigen uns eine historische Wahrheit, die in der berechtigten Wut auch späterer Generationen über die brutale Ermordung von Luxemburg und Liebknecht, von Leo Jogiches, Hugo Haase und Kurt Eisner oft zu kurz kommt. Die bis heute namenlos gebliebenen Opfer von Lichtenberg zeigen ähnlich wie die zahllosen Morde an den revolutionären Politikern die Gewalt der Gegenrevolution, ihren Willen, nicht mit Worten, sondern mit Taten den Bürgerkrieg zu entfesseln und mit dem Mittel des Terrors jede Ausweitung der Errungenschaften des 9. November zu verhindern. Die Ereignisse des März 1919, bei der eben nicht bewaffnete Kämpfer, 3

sondern mehrheitlich Zivilisten und Streikende ermordet wurden, erinnern uns jedoch zusätzlich an den Beginn der Revolution: Der Streik vom März 1919 zeigte erneut die Verweigerung des Beherrscht-Werdens. Er zeigte aber auch an die Verweigerung des Tötens. Denn die Bewohnerinnen und Bewohner der Arbeiterviertel schlossen sich in Massen Streiks und Demonstrationen an, sie waren aber für den bewaffneten Aufstand schwer zu begeistern. Das Moment der Verweigerung, der Revolution für den Frieden war deutlich zu spüren. Nur da, wo sie mit militärischer Gewalt bedroht wurden, folgten Arbeiterinnen und Arbeiter als Mehrheit den Waffen so etwa in den Demonstrationszügen des 9. November, als es darum ging, dem Krieg ohne Ende einen Frieden entgegenzusetzen und sich die unbewaffnete Mehrheit hinter den Wenigen einreihte, die Durch Diebstahl oder Desertation Waffen ergattert hatte. Doch das eigentliche Revolutionäre Kampfmittel der Arbeiterinnen und Arbeiter war die Verweigerung, der Streik, die Unterbrechung des Alltagslebens. Dieses Mittel wurde parteiübergreifend angewandt, von Anhängern der KPD, der USPD, der Sozialdemokratie und jenen Zahllosen Massen, die keiner Partei angehörten. Sie schufen im März 1919 noch einmal einige dieser Tage an dem es nicht mehr Weiterging - und erzwangen so, dass die Arbeiterräte als Betriebsräte in die Weimarer Verfassung aufgenommen wurden. Vielfach zog die radikale Linke aus den Morden der Freikorps des Jahres 1919 die lehre, man müsse sich nur besser bewaffnen, um zum Ziel zu gelangen doch die KPD erlebte in ihrer Märzaktion 1921 und noch einmal im Hamburger aufstand von 1923, dass der Bewaffnete Vorstoß nicht das eigentliche Moment der Revolution war. Das eigentliche Moment war die Verweigerung, so sie den Massenhaft geschah. Sie schuf Momente von Gegenmacht, im Zweifelsfall auch gegen die eigenen Vertreter in Parteien und Gewerkschaften. Die Räte des Jahres 1918 und 1919 entstanden nicht aus bewaffneten Aktionen, sondern aus Streikkomitees, die eine kollektive Willensbildung von Unten möglich machten. Erst in dieser Willensbildung fand die Revolution ihre Möglichkeit und ihre Berechtigung. Es zeigt sich also selbst beim Blick auf die bewaffneten Kämpfe, in der Erinnerung an die Toten, dass das Sein oder Nichtsein der Revolution keine militärische Frage ist, sondern eine Politische Frage. Nicht nur eine Frage der großen Politik, sondern der Politik des Alltagslebens. Dies sollte uns heute zu denken Geben. Die Novemberrevolution von 1918 war Ergebnis eines langen Prozesses der Radikalisierung. Die wesentlichen Akteure der Massenstreiks ab 1916 und des Umsturzes in Berlin am 9. November 1918 war eine Gruppe von Gewerkschaftern ehrenamtlichen Betriebsobleuten, die nach dem 10-Stundentag zusammenkamen und ihren Unmut bündelten. Erst 1918 nannte sich diese Gruppe auch revolutionäre Obleute, sie musste sich erst aus dem Alltag heraus in Revolutionäre verwandeln. Die Obleute begannen mit dem, was sie und ihre Frauen im 4

Betrieb und auf dem Küchentisch betraf: Proteste gegen Teuerung, Lohnstreiks. Sie stellten zunächst weder den Krieg noch die regierende Politik infrage und endeten doch als Revolutionäre, weil es eben nicht mehr weiterging Geht es heute noch so weiter? Ich frage mich das oft - etwa vor einigen Tagen, als jener Rat der Wirtschaftsweisen empfahl, dass die nächste Generation erst mit 71 in die Rente gehen soll. Alles nur zu unserem Besten natürlich, damit der Standort Deutschland weiter Wettbewerbsfähig bleibt. Zur Erinnerung: Unter Bismarck gab es seit 1889 die Rente mit 70. Wenn das also das Generationenversprechen an die Jugend des 21ten Jahrhunderts eine Rückkehr ins ancien regime ist, dann ruft sie sich fast zwangsläufig wieder in Erinnerung, die Revolution von 1918. Noch ihre einfachsten Errungenschaften scheinen heute bedroht. Der Achtstundentag wird zum Auslaufmodell erklärt und viele Betriebe sind längst wieder Angst-Orte ohne Obleute und Betriebsrat geworden. Hier ist sie nicht mehr weit, die Innere Kündigung, die Verweigerung. Das einzige, was zu fehlen scheint, ist ein Gegner, auf den sich die Wut konzentrieren kann Kein Kaiser wie 1918, kein Politbüro wie 1989 erklärt sich verantwortlich. Denn die Rente mit 71 beruft sich nicht auf das Gottesgnadentum, sondern auf anonyme Kräfte wie Markt, Wettbewerb, Demographie. Die Selbstinszenierung des Sozialabbaus als Naturgesetz im Darwinistischen Wettbewerb der Nationen trägt mit schuld daran, das heute jedes Mehr an Menschen als Bedrohung erscheint, dass die Geflüchteten vor den Kriegen unserer Zeit mit ihrer Suche nach Frieden nicht die Aufnahme finden, die sie verdienen. Hier ist Widerstand gefragt, um den Frieden wieder als sozialen Kampf sichtbar zu machen der Hauptfeind steht im Eigenen Land sagte Liebknecht einst dazu. Doch die Frage ist ob jene, die sich noch kümmern um die Toten des Jahres 1918, jene, die sich noch erinnern und in einer Tradition der Arbeiterbewegung und ihrer Kämpfe sehen ob sie, ob wir noch nah genug dran sind am Alltag derjenigen, für die der Tag an dem es nicht mehr Weitergeht heute noch leider allzu oft nicht die Revolution und den Kollektiven Ausbruch bedeutet, sondern der Burn-Out und der Innere Zusammenbruch. Heute, am 9. November 2016, hat sich wieder einmal gezeigt, wie die Soziale Frage von Rechts beantwortet wird, wenn demokratische und Linke Kräfte sie nicht stellen und das Weiter-So der herrschenden und sich verschärfenden Ungleichheit zum Leitbild machen. Doch die Erinnerung an eine Revolution hat nur da ihre Legitimation, wo sie dieses Weiter-So in Frage stellt. 5