Ahmed M. F. Abd-Elsalam. Säkularisierung des šarʿ - Islamisches Recht im Kontext tribaler Rechtswirklichkeit

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Transkript:

Ahmed M. F. Abd-Elsalam Säkularisierung des šarʿ - Islamisches Recht im Kontext tribaler Rechtswirklichkeit Ahmed Abd-Elsalam ZIT-Münster Das islamische Recht -hier als šarʿ bezeichnet- hat verschiedene Gesichter. Die Mehrheit von uns kennt sein normatives Gesicht, welches die Vorschriften und Empfehlungen des Islams auf einer theoretischen Ebene deskriptiv, legislativ und konstitutiv behandelt. Normen werden geschildert und aufgezählt. Normen werden abgeleitet und erläutert. Normen werden legalisiert und kanonisiert. Im Kontext der Normenlehre ändern sich die Regeln entsprechend der verschiedenen Rechtsschulen, deren Methoden, und theoretischen Rahmen. Die Unterschiede zwischen den Rechtsschulen bleiben deutlich und erkennbar. Anders ist es im Kontext der Rechtswirklichkeit. Hier ändern sich die Gesichter des islamischen Rechts unter dem Einfluss lokaler und regionaler Rechtskulturen. Das islamische Recht kann dann nur im Zwielicht rechtspluralistischer Verhältnisse verstanden und angewandt werden. Das islamische Recht erlaubt theoretisch solche Verhältnisse im Kontext seines Verständnisses für die Autorität von Gewohnheit und Brauchtum (ʿada und urf). Man spekuliert darauf, dass dabei das islamische Recht seine Identität als ein religiös-motiviertes Rechtssystem bewahrt. Jedoch verliert der šarʿ im Kontext tribaler Rechtswirklichkeit seinen Sinn als ein unabhängiges System religiöser Normen und lässt sich zu einem Legitimationsmechanismus reduzieren. So dass der šarʿ in einem säkularen Mantel erscheint. In diesem Beitrag möchte ich einige Berührungsmomente und die Verhältnisse zwischen beiden Rechtssystemen tribalem und islamischem erläutern.

Muhammad, Friede sei mit Ihm, wurde in Mekka in einem führenden Haushalt der Sippe Haschim des Stammes Quraisch geboren. Muhammad gehörte zum Haushalt seines Großvaters Abdulmuttalib. Abdulmuttalib war der Repräsentant seiner Sippe Banu Haschim und damit Mitglied des Ältestenrats des Stammes Quraisch. Dementsprechend war er mit dem Ablegen intra-tribaler und transtribaler Konflikte vertraut. Es reicht aber nicht zu behaupten, dass Abdulmuttalib zu den großen arabischen Richtern vor dem Islam gehörte, wie das bei Tarih al-yaqubi vorkommt. Abdulmuttalib verfügte wie jeder andere Scheich eines Stammes über eine gewisse juridische Autorität. Das gleiche gilt auch seinem Vater Haschim und seinen Sohn Abu Talib. Auch der Enkelsohn Ali wurde als begabter Richter bekannt, dann aber unter dem Islam. Es ist bis heute in den tribalen Strukturen üblich, dass die Funktion eines tribalen Richters vom Vater zum Sohn geerbt wird. War Muhammad vor der Offenbarung auch ein begabter Richter? Leider kennen wir wenig über das Leben Muhammads vor der Offenbarung. Dennoch ist es genug um sicher zu stellen, dass er in einem Haus heranwuchs, in dem Recht gesprochen wurde und dass er daher ein Kenner des tribalen Rechts war. Er hatte auch genügend Kühnheit und Weisheit, um ein erfolgreicher Stammesrichter zu sein. Allerdings reicht das nicht immer. Einmal erzählte mir ein sudanischer Imam einer Moschee des Stammes der Bidairiyya im Nordkurdufan, deren Moschee oft für die sulh-sitzungen (ǧūdiyya) benutzt wird, dass nicht jeder ǧawīd also Stammesrichter sein kann. Der ǧawīd muss irgendwie für das Vollstrecken seiner Urteile haften. Dafür muss er genügend Geld oder Gewalt haben. Al- ǧawīd yā y ǧūd bi-mālah yā y ǧūd bi-riǧālah. 2 Tribales Recht ist einfach strukturiert. Es basiert auf der Erkennung von drei Grundrechten: das Recht des Schutzes des eigenen Wesens, das Recht des Schutzes des Eigentums und das Recht des Schutzes der Würde. Diese Grundrechte kennen wir im islamischen Rechts als Teil der fünf maqasid Zwecke der Scharia.

Tribales Recht ist ein subjektives Recht. Man muss den Bruch bzw. die Verletzung eines eigenen Grundrechts wahrnehmen und die Wiederherstellung dieses Rechts einfordern, damit die Gerichtsbarkeit dynamisiert wird. Die tribale Gerichtsbarkeit ist weder kodifiziert noch sanktionsorientiert. Sie beansprucht nur die Wiederherstellung gebrochener Rechte durch Ausgleich. Ein Ausgleich kann durch Vergeltung, außergerichtliche Mediation, richterliche Schlichtung oder Rechtsurteil eines Richters angestrebt werden. Die Stammesrichter besitzen unterschiedliche Fachkompetenzen. Kollektive Haftung und Solidarität sind Alpha und Omega des tribalen Rechts. Alle Mitglieder einer tribalen Gemeinschaft sind verantwortlich für die Handlungen einzelner Mitglieder. Sie teilen ihre Schicksale. Diese letzten drei Aspekte sind die entscheidenden Merkmale tribaler 3 Rechtshandlungen. Diese bezeichne ich als Tribalität der Rechtsanwendung. Durch sie kann man zwischen tribaler und islamischer Rechtshandlung unterscheiden. Dies ist aber nicht einfach. Denn das islamische Recht übernahm in seiner Entstehungsphase viele Mechanismen und Prinzipien des vorislamischen tribalen Rechts. Qaṣāṣ, diyya, qasāma usw. sind vorislamische Rechtsbegriffe von Mechanismen, die im islamischen und tribalen Recht zu finden sind. Auch Rechtsprinzipien wie das Abhacken der Hand des Diebes ist eine mekkanische vorislamische Rechtsregel eine spätere mekkanische Entwicklung des tribalen Rechts vor der Offenbarung. In der Regel kauft der Beschuldigte seine Hand für eine bekannte Summe als Entschädigung für die Verletzung der Rechte des Bestohlenen. Dasselbe gilt für die Reglung der Abstammung eines Kindes, die besagt, dass das geborene Kind zum Ehemann gehört. Es wird dabei keine Rücksicht auf die Frage des Erzeugens geübt. Diese Regel ist ebenso vorislamisch und tribal. Im Islam ist es nicht umstritten, dass Muhammad, Friede sei mit Ihm,

viele vorislamische Rechtsregeln übernommen hat. Manche wurden so ohne Änderung behalten. Andere wurden islamisiert, also dem islamischen Verständnis von Recht und Gerichtsbarkeit angepasst. Später wurden dann religiöse Aspekte zugefügt. Es gibt mehrere Überlieferungen, die uns indirekt berichten, dass der Prophet nach der tribalen Rechtstradition gehandelt hat. Das erste Beispiel ist das Abkommen von Medina, von dem Ibn Ishaq in seiner Prophetenbiographie berichtet. In diesem Abkommen erlaubte der Prophet, Friede sei mit Ihm, den Stämmen von Medina ihre bisherigen Bräuche und Sitten des tribalen Rechts weiter anzuwenden. Gleichzeitig schuf er einen neuen vertraglichen Rechtsraum, der die transtribalen und intratribalen Verhältnisse regeln sollte. Solche Abkommen sind bis heute unter den arabischen Stämmen bekannt und werden als ʿamār addamm bezeichnet. Im Abkommen steht: Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen Dies ist ein Schreiben (kitāb) von Muḥammad, dem Propheten (ṣ) für die Gläubigen und Muslime von Quraiš und Yaṯrib und für diejenigen, die ihnen folgen und sich ihnen anschließen sowie denen, die mit ihnen zusammen kämpfen. 4 Sie sind eine Gemeinde (umma) in Unterscheidung zu den anderen Menschen. Die Auswanderer von Quraiš [regeln ihre Angelegenheiten] entsprechend ihrem Brauch (ʿalā ribʿati-him). Sie haften gemeinsam füreinander. Sie lösen denjenigen von ihnen aus, der sich in der Not befindet. Dies werden sie mit der erwarteten Billigkeit und Gerechtigkeit gegenüber den Gläubigen tun. Die Banū ʿAuf [regeln ihre Angelegenheiten] entsprechend ihrem Brauch. Sie haften, wofür sie bisher hafteten. Jede ihrer Untergruppen löst denjenigen von ihnen aus, der sich in der Not befindet. Dies werden sie mit der erwarteten Billigkeit und Gerechtigkeit gegenüber den Gläubigen tun. In einer anderen Überlieferung forderte der Gesandte Gottes diyya und qasama in einem Fall, in dem die Muslime einen getöteten Mann in einem ihm fremden Viertel fanden. Die diyya und qasam gehören bis heute zur tribalen Rechtskultur. Auch die Festlegung der Zahl der qasama mit 50 erwachsenen Männern aus der usba oder ʿāqila entspricht der tribalen Rechtspraxis.

In einem weiteren Fall beschloss der Prophet im Falle einer Fehlgeburt durch Außeneinwirkung die Entschädigung des Vaters der Fehlgeburt mit einer ġurra. Solche Entschädigung gab es bis Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts unter den irakischen Stämmen. Bei solcher Art von Entschädigung wird eine Frau in Form einer Leihehe an die Familie des Opfers gegeben. Die Leihfrau sollte für die Familie des Opfers einen Ersatzsohn gebären und erziehen bis er das Alter erreicht, in dem er die Waffe tragen kann. Damit erfüllt sie ihre Aufgabe und dadurch endet die Eheverhältnisse. Solche Eheformen sind klar und deutlich unislamisch. Dies weist darauf hin, dass nicht alle Handlungen des Propheten im Sinne des heutigen Verständnisses von šarʿ stattfanden. Meiner Ansicht nach unterlag die Entstehung des islamischen Rechts einem langen Prozess, bis sich ein religiöser Sinn der Rechtshandlung und islamisches Bewusstsein entwickelte. 5 In den ersten Jahren in Mekka und in Medina wandten die Muslime das ihnen vertraute säkulare tribale Recht weiter an. Nach und nach wurden den Muslimen die religiösen Aspekte für die Rechtshandlung klar. So wurde das säkulare tribale Recht zum islamischen Recht. Was sind dann die Merkmale der Islamität der Rechtshandlung? Die Entwicklung der Vorstellung Muḥammads von Recht und Gerechtigkeit zu einem Rechtssystem, welches sich von den früheren Rechtspraktiken der Altaraber absonderte, war ein langwieriger Prozess, der wahrscheinlich noch viele Jahrzehnte nach dem Tode des Propheten weiterlief, bis dieses System seine eigene Gestalt bekam. Im Allgemeinen geht man davon aus, dass sich die Betrachtung des Korans mit seinen Befehlen und Geboten als ein göttliches Gesetz erst in Medina entwickelte. Im Koran 5:44 und 45 verkündet Gott: [...] Diejenigen, die nicht nach dem entscheiden, was Gott (in der Schrift) herabgesandt hat, sind die (wahren) Ungläubigen! [ ]

Diejenigen, die nicht nach dem entscheiden, was Gott (in der Schrift) herabgesandt hat, sind die (wahren) Frevler.1 Sure 5 ist wie erwähnt eine der letzten in Medina offenbarten Suren. So bezeichnen die zitierten Verse das Ende eines Prozesses, in dem Muḥammad sich vom sanftmütigen Ermahnenden zum kompetenten Schlichter (muḥakkim) und dann zum von Gott ausgewählten Richter (ḥakam) entwickelte, der nach dem, was Gott im Koran herabgesandt hatte, entscheiden sollte. Die Auffassung von Strafe als Buße und der Individualität der Schuld sind meiner Ansicht nach die entscheidenden Unterscheidungskriterien für das islamische Recht, die ich als Merkmale der Islamität der Rechtsanwendung betrachte. Diese Merkmale der Rechtsislamität harmonisieren selbstverständlich nicht mit der Rechtstribalität des beduinischen Rechts, welches unter anderem dem Zusammenhalt des tribalen Verbands dienen soll. Daher ist die Tribalisierung der Rechtsanwendung bei der Übersetzung islamischer Normen durch die tribalen Gemeinschaften nicht auszuschließen. Dies ist bei der Praxis von, diyya, qasas und qaud zu bemerken. Das gleiche gilt auch bei Ehe- und Frauen-Recht. Hier kehren die Normen zurück zu ihrem alten säkularen Rechtsverständnis nach den Kriterien der Tribalität der Rechtsanwendung. 6 Herzlichen Dank 1 Paret, Der Koran, 263 f.; Vgl. al-qurʾān, 5:44-45.