Beziehungsreiches Leben Nachdenken über Inklusion in theologischer Perspektive Prof. Dr. Ulf Liedke 12.07.2014 1. Mittendrin statt außen vor: Das Modell der Inklusion 2. Beziehungsreiches Leben: Zur Inklusionsgeschichte Gottes 3. Inklusive Verhältnisse: Sozialtheoretische Konkretisierungen 4. Inklusive Kirche: Praktisch-theologische Profilierungen Liedke 2 1
1. Mittendrin statt außen vor Das Modell der Inklusion Inklusion unmittelbare Zugehörigkeit jedes Menschen zu einer Gesellschaft der Vielfalt Ebenen: unmittelbares soziales Zugehörigsein (Familie, Gruppe, Gemeinschaft etc.) Eingeschlossensein (unmittelbare gesellschaftlicher Zugehörigkeit und uneingeschränkte Teilhabe an ihren Kommunikationsformen) (vgl. Theunissen 2011, 57) Liedke 4 2
Integration Eingliederung der Gruppe von Menschen mit Behinderung in die bestehende Gesellschaft Inklusion Ziel ist das Miteinander unterschiedlichster Mehr und Minderheiten darunter auch Menschen mit Behinderung (Hinz 2002, 355) Liedke 5 Bilder von Ursus Wehrli Ordnung auf dem Parkplatz / auf der Badewiese Liedke 6 3
2. Beziehungsreiches Leben Zur Inklusionsgeschichte Gottes Inklusion und Theologie Das Thema Inklusion kommt als Herausforderung von außen auf die Kirchen und die Theologie zu. (Schweiker 2011, 131) Beobachtung, dass Kirche und Theologie in dem neuen Leitthema Inklusion zunehmend ihr ureigenes Thema wiederentdecken. (ebd.) Liedke 8 4
Inklusion in theologischer Perspektive 1. Die Praxis Jesu ist inklusiv Jesus rehabilitiert Stigmatisierte in ihrer unmittelbaren Zugehörigkeit zum Volk Gottes wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein (Lk 14,13) Liedke 9 Inklusion in theologischer Perspektive 2. Die Gottebenbildlichkeit ist inklusiv Die Gottesebenbildlichkeit begründet die Würde eines jeden Menschen, die nicht verloren gehen kann oder durch menschliche Vereinbarungen definiert werden könnte (Müller-Friese 2011,100). Liedke 10 5
Inklusion in theologischer Perspektive 3. Die Gemeinde als Leib Christi ist inklusiv wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt. Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele. (1 Kor 12,13f). Solidarität in der Verschiedenheit (Schweiker 2011, 299). Liedke 11 Inklusion Inklusion ist ein Relationsbegriff. Er charakterisiert die Beziehung zwischen Personen als ein Verhältnis wechselseitiger Anerkennung, durch das eine Gemeinschaft der Verschiedenen in der Achtung des individuell Besonderen konstituiert wird. Liedke 12 6
Inklusion theologisch Trinität Gott in Beziehung Wechselseitige Beziehung der drei Seinsweisen Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist Die Trinität kann als Modell einer Verschiedenheit betrachtet werden, die die Einheit nicht zerstört, und einer Einheit, die die Verschiedenheit nicht um der Einheitlichkeit willen erstickt. (ÖRK 1991, Nr. 224) Liedke 13 Inklusion theologisch Gottebenbildlichkeit der Mensch existiert in Entsprechung zu Gottes Sein in Beziehung. Menschen sind dazu bestimmt, in ihrem humanen Lebensbeziehungen dem trinitarischen Beziehungsreichtum Gottes zu entsprechen. zu Gott zur sozialökologischen Umwelt zu sich selbst Liedke 14 7
Sünde Sünde: Verletzung der relationalen Grundstruktur des Menschseins selbstverschuldete Beziehungslosigkeit (Jüngel 2002, 22) Liedke 15 Inklusion theologisch Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber (2 Kor 5,19) Wiederherstellung von Gemeinschaft Re-Inklusion Der dreieinige Gott versöhnt die Menschen mit sich, indem er als Vater die ursprüngliche Bestimmung seiner Schöpfung wiederherstellt, sich als Sohn gibt und als Geist Gemeinschaft mit sich schafft. Liedke 16 8
Inklusion theologisch Das Evangelium der versöhnten Gemeinschaft mit Gott Zentrum des theologischen Nachdenkens über Inklusion. Gottesdienst als zentraler Ort, an dem die inklusive Gemeinschaft mit Gott verkündigt, gefeiert und angeeignet wird. Glaube als Lebensform, in der die inklusive Gemeinschaft mit Gott anerkannt und wiederholt wird. Liedke 17 3. Inklusive Verhältnisse Sozialtheoretische Konkretisierungen 9
Inklusive Verhältnisse Die Forderung eines durchgängigen Eingeschlossen- Seins aller in die Kommunikation mit allen ist sozial widersprüchlich. Der theologische Inklusionszusammenhang ist sozialtheoretisch auszulegen (Zwei-Regimenten-Lehre) Liedke 19 Inklusive Verhältnisse Menschsein in Beziehungen unter den Bedingungen der Praxissituation endlicher Freiheit (Herms) Kommunikation zwischen Personen unter spezifischen kontextuellen, zeitlichen und räumlichen Bedingungen Gruppen Milieus Organisationen Funktionssysteme Mit je spezifischen Codes und Zugangsregeln Liedke 20 10
Inklusive Verhältnisse An der Spannung zwischen der inklusiven Einladung an alle, der unvermeidlichen Selektivität sozialer Ordnungsgestalten und den veränderlichen sozialen Zugangsnormen setzt das Konzept inklusiver Gemeindeentwicklung an. Mit ihm verbindet sich das Ziel, unter den Bedingungen selektiver Ordnungsbildung Kirche als einen Prozess der Gemeinschaft zu gestalten, der für alle Menschen ohne Diskriminierung offen ist und zu dem alle eingeladen sind. (ÖRK, Kirche aller, Nr. 85) Liedke 21 4. Inklusive Kirche Praktisch-theologische Profilierungen 11
Liedke 23 Liedke 24 12
Inklusive Kirche Inklusion ist theologisch von der Gemeinschaft her zu denken, die Gott mit sich herstellt und die zu einer inklusiven Gemeinschaft untereinander inspiriert. Inklusion ist ein durchgängiges Charakteristikum aller kirchlicher Lebensäußerungen in Martyria, Leiturgia, Diakonia und Koinonia. Liedke 25 Inklusive Kirche Entdiakonisierung der Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung (und anderer Personengruppen) Sie sind Glieder und nicht Klienten der Gemeinde Liedke 26 13
Bad-Saarow-Memorandum 1978 Was Christus in der Taufe in seinem Leib zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. (I.4) Die volle und unbedingte Annahme der Behinderten muß mitten im Zentrum kirchlichen Lebens geschehen und darf nicht an den Rand gedrängt oder in eigene Arbeitsfelder abgeschoben werden. (I.2) Liedke 27 Inklusive Kirche 1. Martyria oder: Kirche als inklusive Zeugnis- und Erzählgemeinschaft 2. Leiturgia oder: der Gottesdienst als Inklusionsfest 3. Diakonia oder: Kirche leistet Inklusionsassistenz 4. Communio oder: Kirche als inklusive Gemeinschaft Liedke 28 14
Martyria Kirche als inklusive Erzählgemeinschaft Christliche Gemeinde als Erzählgemeinschaft, in der die gefährliche Erinnerung der entstigmatisierenden Praxis Jesu wachgehalten, gefeiert und mit aktuellen Lebensgeschichten verschränkt wird hermeneutische Horizontverschmelzung : biblische Erzählungen [können] zum Deutungshorizont persönlicher Geschichten werden und umgekehrt. (Schneider-Harpprecht 2001, 278). Inklusive Erzählräume wechselseitige Teilhabe an Lebens- und Glaubenserfahrungen Liedke 29 Leiturgia oder: der Gottesdienst als Inklusionsfest Der Gottesdienst ist ein Inklusionsfest und begründet die unmittelbare Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft anerkannter Vielfalt in Christus. gilt allen Menschen unabhängig von Milieuzugehörigkeit, ethnischer Herkunft, Behinderungserfahrungen etc. Liedke 30 15
Leiturgia oder: der Gottesdienst als Inklusionsfest Auf dem Gebiet des Gottesdienstes ist der kleinste gemeinsame Nenner der Milieus so groß wie in kaum einem anderen Bereich kirchlichen Handelns. (Schulz) Orte Sprache und Sinne Beteiligung Liedke 31 Diakonia oder: Kirche leistet Inklusionsassistenz aktive Förderung von Teilhabe und Zugehörigkeit Nachbarschaft herstellen und Netzwerke stärken informelle Formen nachbarschaftlicher Unterstützung Gemeindliche Aktivitäten, Projekte und Initiativen Inklusionspartnerschaften mit diakonischen Diensten und Einrichtungen Advokatorische Assistenz: Einsatz für gerechte Rahmenbedingungen Liedke 32 16
Koinonia oder: Kirche als inklusive Gemeinschaft Möglichkeit der Kirchgemeinden, systematisch Nachbarschaftsmentalität wach zu küssen (Dörner 2007, 114) Kirchgemeinden sind als lokale Sozialräume geeignete Nachbarschaftsräume und geeignete Orte zur Entwicklung und Festigung von Netzwerken Entdecken von Gemeinsamkeiten und Ermöglichung bereichernder Erfahrungen in der Begegnung zwischen unterschiedlichen Gruppen und Milieus zu ermöglichen. Liedke 33 17