Kernkraftwerke Brunsbüttel, Isar 1, Krümmel und Philippsburg Eine Indiziensammlung

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Transkript:

ZUSAMMENFASSUNG Schwachstellenbericht Siedewasserreaktoren Baulinie 69 Kernkraftwerke Brunsbüttel, Isar 1, Krümmel und Philippsburg Eine Indiziensammlung Wolfgang Kromp 1 Roman Lahodynsky 1 Norbert Meyer 2 Wilfried Rindte 3 Emmerich Seidelberger 1 Steven Sholly 1 Ilse Tweer 4 Geert Weimann 5 1 Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften Universität für Bodenkultur Wien 3 Fertigungstechnik Battenberg 2 IWE GmbH & Co KG Greifswald 4 Werkstoffsicherheit Buxtehude 5 Nuklearanlagentechnik Wien Studie im Auftrag der Oberösterreichischen Landesregierung, der Niederösterreichischen Landesregierung und der Umweltanwaltschaft Wien Oktober 2010 ISR Report 2010/2

Impressum: Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften Department für Bautechnik und Naturgefahren Universität für Bodenkultur Wien Borkowskigasse 4 1190 Wien Umschlagbild: Blick in den Reaktordruckbehälter des KKW Zwentendorf (Photo:Richard Kromp) wolfgang.kromp@boku.ac.at

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Eine Untersuchung der Schwachstellen in den Kernkraftwerken SWR 69 Brunsbüttel, Isar 1, Krümmel und Philippsburg ergab folgende grundlegende Probleme: Die schwerwiegenden Konstruktionsmängel können durch keinerlei Nachrüstungsmaßnahmen ausgeglichen werden. Das Design des Reaktordruckbehälters erfüllt nicht die Grundbedingungen der Basissicherheit, weder hinsichtlich der Minimierung der Schweißnahtanzahl noch hinsichtlich der ausreichenden Prüfbarkeit. Die grundlegende Forderung des Basissicherheitskonzepts nach einem optimalen Werkstoff kann nicht als erfüllt angesehen werden. Zusätzlich sind folgende vorwiegend technische Mängel zu beanstanden: Die zulässige Meridianspannung der Schweißnaht überschreitet sowohl nach ASME wie auch nach KTA (mit Sicherheitsbeiwert) den zulässigen Wert. Somit ist ein ausreichender Sicherheitsabstand zwischen Kern und Schweißnaht nicht gegeben. Man muss davon ausgehen, dass an der Schweißnaht zwischen Flanschring und Bodenkalotte die Plattierung im Normalbetrieb bis in die Warmstreckgrenze hinein beansprucht wird, d.h. bleibende Verformungen erfährt. Dies kann zur Folge haben, dass Ermüdungsrisse entstehen. Die Tatsache, dass in der Nähe der Pumpenstutzen (im Tellerboden) Schweißnähte angeordnet sind, ist nicht in der Spannungsanalyse berücksichtigt worden, weil die Schweißnähte als volltragend angesehen wurden. Bei der Genehmigung des baugleichen Reaktors Zwentendorf in Österreich zeigte sich, dass das Zwentendorfer Reaktordruckgefäß in konstruktiver Hinsicht nicht einmal den Anforderungen der für gewöhnliche Druckgefäße herkömmlicher Gefahrenklassen geschaffenen österreichischen Dampfkesselverordnung (DKV) und den geltenden Werkstoff- und Bauvorschriften (WBV) genügte [PROFIL 1978]. Neben der niederzyklischen Ermüdung sind weitere Schädigungsprozesse infolge des Dauerbetriebes möglich. Eine überprüfbare, mit dem Regelwerk konforme Ermüdungsanalyse insbesondere auch der kritischen Stellen der Eckschweißnaht mit nachgewiesener Überschreitung der Warmstreckgrenze schon bei Normalbedingungen liegt den Autoren nicht vor. Es gibt nur vereinzelte Informationen über offensichtlich nicht vollständige Ermüdungsanalysen. 5

Für das Kernkraftwerk Krümmel ist aus dem Sicherheitsgutachten [TÜV 1988] zu schließen, dass keine nach heutigem Stand von Wissenschaft und Technik vollständige Thermoschock-Analyse durchgeführt worden ist. Es gibt keine Aussagen zum Kupfer- und Phosphorgehalt des RDB Stahles im KKI1. Eine Prüfung des Zustands der Kerneinbauten im Rahmen der PSÜ ist nur sehr schwer, wenn überhaupt in ausreichendem Maße möglich. Es gibt nur wenige Untersuchungen über die Bestrahlungswirkung an den betroffenen Strukturen 1. Am Reaktordruckbehälter des Siedewasserreaktors wird die Schweißnaht im Übergang zwischen den zylindrischen Schüssen und der tellerartigen Kalotte bis über die Warmstreckgrenze hinaus belastet. Der versteifte Übergang, der zusätzlich eine Stütze für den gesamten Druckbehälter samt Einbauten darstellt, ist eine für den Kesselbau untypische und ungünstige Konstruktion, die zu unüblich hohen Spannungskonzentrationen selbst im Normalbetrieb führt. Bei einer Besichtigung des baugleichen Reaktordruckbehälters im Oktober 2010 im baugleichen Reaktor in Zwentendorf wurde von den Autoren festgestellt, dass diese kritische Schweißnaht durch automatisierte Prüfsysteme (Farbeindringprüfung, Magnetpulverprüfung, US-Prüfung) nicht zugänglich ist. Eine Verlängerung der Lebensdauer dieser Reaktoren ist überhaupt nur denkbar, wenn diese hoch belastete kritische Schweißnaht einer vollständigen Prüfung über das gesamte Volumen sowie der Plattierung von innen auf Oberflächenrisse über die gesamte Fläche unterzogen wird. Die Druckbehälter dieser Bauserie entsprechen demzufolge in keiner Weise den Basissicherheitskriterien, wie sie für spätere Reaktor Generationen durchgesetzt wurden. Eine Lebensdauerverlängerung für diesen Reaktortyp beinhaltet ein nicht akzeptables Risiko. Vom TÜV wird zugestanden, dass weder die Werkstoffwahl, noch die Fertigungsbedingungen den Forderungen des Basissicherheitskonzeptes entsprechen, und zusätzlich durch die Mängel bei Design und Herstellung die Prüfbedingungen eingeschränkt sind, so dass auch die Fehlererkennbarkeit nicht gewährleistet ist [TÜV 2010]. 1 The initial design life of nuclear power plants is normally 40 years. During this time components close to the core, in particular reactor pressure vessel (RPV) internals, accumulate a relatively high fast neutron fluence. Irradiation by neutrons changes the properties of the materials; e.g. the ductility and fracture resistance of the material. As cracking has recently been detected in large and difficult-to-replace RPV internal components, e. g. core shrouds and top guides of BWRs, the need for representative data on irradiated material properties have increased [LAPENA 2003]. 6

Es besteht bei schweren Unfällen eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine frühe Radionuklidfreisetzung in die Umgebung. Das Brennelemente-Lagerbecken für die hoch-radioaktiven abgebrannten Brennstäbe liegt bei der Baulinie 69 im oberen Teil des Reaktorgebäudes außerhalb des Sicherheitsbehälters. Die Gefährdung, die aus dieser Konstruktion insbesondere bei Erdbeben oder äußeren Einwirkungen resultiert, ist offensichtlich. Bei einem schweren Unfall in einem Kernkraftwerk des Typs SWR 69 tritt mit Sicherheit eine große Freisetzung von Radioaktivität in die Umgebung auf. Aus den Ergebnissen folgt, dass die Unfallmanagement-Maßnahmen im Sinn der Reduzierung der Unfallkonsequenzen verändert werden sollten. Die Bestimmung des Bemessungsbebens am Standort Isar erfolgte nicht nach den Richtlinien der IAEA. Vieles deutet darauf hin, dass die tektonischen Störungszonen der Region eine anhaltende Aktivität aufweisen. Im Hinblick auf die alterungsbedingte Schwächung von Strukturen kommt den schwächeren Bebenereignissen eine erhöhte Bedeutung zu. 7