Autobahn-Stadt Europa ohne Gesundheitsversorgung?

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Transkript:

ACCADEMIA ED ISTITUTO PER LA RICERCA SOCIALE VERONA PALAZZO ISTITUTO NAZIONALE DELLE ASSICURAZIONI STUDIO GERMA CORSO PORTA NUOVA 11 I 37122 VERONA Autobahn-Stadt Europa ohne Gesundheitsversorgung? Prof. (Gast) Albrecht Goeschel Staatliche Universität Rostov Beitrag zur Fachkonferenz Autobahn-Stadt Europa ohne Gesundheitsversorgung? Soziale und medizinische Probleme im europäischen Transportsektor Ver.di Bildungszentrum Brannenburg 14. Februar 2014

1. Mobilitätsleitbild und Autobahn-Stadt 1 Der aktuelle ADAC-Skandal ist auch für diese Konferenz von Interesse. Er ist interessant, weil er viel mehr ist als eine der üblichen Lobbyisten- und Korruptionsaffären in Großorganisationen. Dieser Skandal signalisiert vielmehr auch eine tiefe Krise des herkömmlichen Mobilitätsleitbildes nicht nur in Deutschland und Europa. Jahrzehntelang war der Motorisierte Individualverkehr (MIV) auch der industrielle Kern und der materielle Maßstab für den westlichen Wohlfahrtskapitalismus. Die seit Jahren anhaltende Finanz- und Realkrise belehrt uns aber über das Ende dieser Variante von Kapitalismus. Die ADAC-Krise ihrerseits passt zum schwindenden Interesse der Jüngeren an fetten Protzautos. Es ist geradezu eine Ironie der Geschichte, dass erst Anfang Oktober 2013, nur ein paar Monate bevor der Skandal des Automobilclubs losgegangen ist, dieser Automobilclub einen internen Workshop zur Zukunftsmobilität veranstaltet hat. Die Akademie und Institut für Sozialforschung hat dazu das Konzept der Mobilitäts- Milieus und die Idee der Autobahn-Stadt beigesteuert. Was heißt das alles nun für die gesundheitliche und soziale Lage der Transport-, insbesondere der Fahrarbeit in Europa? Es heißt, dass zur Zeit die seltene, vielleicht sogar die einmalige Chance besteht, Transport und Logistik aus ihrem Schattendasein, ihrer jahrzehntelangen Nichtachtung und Missachtung herauszuholen und besonders der Fahrarbeit die Achtung, Beachtung und Aufmerksamkeit zu verschaffen, die ihr zustehen. Es sind die Konzepte, Strategien und Qualifikationen, die im Sektor Transport und Logistik seit Jahrzehnten entwickelt, ausprobiert und eingeübt worden sind, die helfen könnten, den von allen Fachleuten vorausgesagten Infarkt des Individualverkehrs zu vermeiden. Man muss sich bitte nur einmal den Unterschied vor Augen halten, der zwischen der unumgänglichen grundsätzlichen Fahrdisziplin eines Durchschnittstrucker und der keineswegs ausgeschlossenen Geschwindigkeitskriminalität mancher Limousinenraser besteht. Also: Die psychologisch-kommunikative Lage ist günstig und man sollte sie mit der Forderung nach einem Milliardeninvestitionsprogramm für die Gesundheitsversorgung im Sektor Transport und Logistik nutzen. Es ist sicherlich nicht falsch, den MIV Motorisierten Individualverkehr und den Straßengüter-Fernverkehr als eine Art kommunizierende Röhren zu verstehen. Aus ökologischen, ökonomischen und psychologischen Gründen flacht der MIV mittlerweile ab und wird in wachsendem Maße durch Logistik ersetzt Stichwort: Amazon statt Shopping-Tour. Gleichzeitig wachsen Transport und Logistik, weil die räumliche Zerlegung von Produktion, Distribution und Konsumtion Gewinnsteigerung bringt. Transport und Logistik wachsen stärker als die Gesamtwirtschaft. Man kann es bildhaft formulieren: In den vergangenen Jahrzehnten waren es die Ferienreiseströme, die das Bild der tausende von Kilometern Autobahnen in Europa nebst angeschlossenen 2400 Autobahntank- und Raststätten, 23000 Campingplätzen etc. bestimmt haben. Mittlerweile sind es die teilweise schon ununterbrochenen Kolonnen fahrender Trucks oder stehender Trucks auf und neben den 68000 Kilometern europäischer Autobahnen nebst Parkzonen, WC-Parkplätzen, Autohöfen, Logistikzentren etc.

2 Die Autobahn-Stadt Europa ist ein ganzjähriger und ein zusammenhängender Transportbetrieb geworden, in dem Millionen Menschen arbeiten und leben. Mit seinem Fernstraßennetz prägt der Straßengüterverkehr längst die Siedlungslandschaft Europas tiefgreifend und nachhaltig. Bestimmte Autobahnen wie z. B. die Milano-Venezia oder Autobahngitterwerke wie im Ruhrgebiet sind längst zu eigenständigen Siedlungssträngen und Siedlungshäufungen geworden mit Einkaufszentren, Gewerbegebieten, Wohncontainersiedlungen, Logistikzentren, Autohöfen etc. Die Autobahn-Stadt Europa als Siedlungsstruktur der räumlichen Arbeitsteilung im globalisierten Kapitalismus ist längst auch in der Filmkunst angekommen siehe den Biennale Venedig - Preis für G.R.A. Grande Raccordo Anulare di Roma. Kartografie: Autobahn-Stadt Europa (Quelle: UTA-Union Tank Eckstein)

Übersicht: Autobahnen in Europa (Quelle: Euro-Stat;*) Neueste Zahlen 3 Land Autobahnen km Spanien 14.554 Deutschland 12.845 Frankreich 11.412 Italien 6.668 Ver. Königreich 3.686 Portugal 2.737 Niederlande 2.631 Schweden 1.891 Belgien 1.763 Österreich 1.799 Ungarn 1.273 Dänemark 1.128 Polen 1.070 Finnland 790 Slowenien 768

4 Land Tschechien 734 Autobahnen km Irland 663 Bulgarien 437 Slowakei 419 Rumänien 350 Litauen 309 Zypern 257 Luxemburg 152 Estland 115 Übrige EU-27 Keine Angaben Accademia ed Istituto per la Ricerca Sociale Verona

Von UTA gibt es einen voluminösen vorzüglichen sozusagen Stadtplan der Autobahn-Stadt Europa. Die Akademie und Institut hat ein paar erste Auswertungen gemacht und man weiß jetzt, wo in der Autobahn-Stadt Europa ganz dringender Sanierungsbedarf besteht: 5 Am traurigsten sieht es im Mutterland von Deregulierung und Privatisierung, in Großbritannien aus. Ein ehemaliges Welt- und Kolonialimperium, das in Schottland praktisch gar keine Autobahnen und an seinen kümmerlichen 3600 Kilometern Autobahnen gerade einmal 152 Autobahntankstellen und 1 Autohof hat ist ein schöner Beweis dafür, dass man mit Finanzindustrie allein ein Land nicht betreiben kann. Und dann gibt es noch Deutschland: Noch zeigt der UTA-Atlas nicht die maroden Strecken und Brücken in Europa, sondern nur die weißen Flecken Frankreichs superdünnes Netz an Autobahntankstellen und erst recht Autohöfen springt ins Auge ebenso wie das exzellente Autobahn-Stadtviertel Italien. Aber für Deutschland hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gerade für die Autobahnen eine Investitionslücke beim Erhaltungsbedarf von ca. 4 Milliarden Euro seit 2006 berechnet. Für 4 Milliarden sind Autobahnbrücken, Autobahndecken etc. heruntergekommen.

2. Strukturen und Elemente der Autobahn-Stadt Europa Was macht die Autobahn-Stadt Europa aus? Es wurde schon angedeutet: Neben den puren Fernstraßenstrecken sind es vor allem die europäischen Logistik-Zentren. 6 Kartografie: Die zwanzig bedeutendsten Logistik-Zentren in Europa (Quelle:DGG-Deutsche GVZ Gesellschaft mbh) Diesbezüglich gibt es in der Autobahn-Stadt Europa ein paar typische sozusagen Stadtviertel : Beispielsweise Nord-Italien. Nord-Italien hat allein 6 der 20 bedeutendsten europäischen Logistikzentren auf seinem Boden. Eine wichtige Rolle spielt dafür die Suezkanal-Orientierung der italienischen Hafenpolitik. Dünngesät sind dagegen die großen und kleineren Logistikzentren in Frankreich und Spanien. Gehäuft finden sich die großen und kleineren Logistikzentren dann wieder in Deutschland, in Österreich, in der Tschechei und in der Slowakei. Als Ursache darf man hier die Ost-West-Transitfunktion dieses Raumes vermuten.

7 Neben den Logistikzentren sind die Autohöfe ein ganz wesentliches Element der Autobahn-Stadt Europa. Autohöfe haben eigene Autobahnausfahrten und haben ihre Standorte etwas entfernt von den Autobahnen selbst. Sie sind von ihren Serviceangeboten, etwa Lkw-Außenreinigung oder Innenreinigung von Behälter-Lkw besonders auf den Fernstraßengüterverkehr ausgerichtet. Übersicht: Autohöfe in der Europäischen Union 2013 (Quelle: Eigene Auswertungen und UTA-Union Tank Eckstein) Land Anzahl Deutschland 235 *) Polen 156 Schweden 33 Italien 21 Österreich 17 Spanien 13 Niederlande 7 Bulgarien 7 Belgien 6 Frankreich 4 Tschechien 3 Rumänien 3 Kroatien 3 Luxemburg 2 Ungarn 2 Portugal 1 Lettland 1 Litauen 1 Slowenien 1 Irland 1

Land 8 Anzahl Vereinigtes Königreich 1 Finnland 0 Estland 0 Dänemark 0 Slowakei 0 Griechenland 0 Malta 0 Zypern 0 Insgesamt: 518 *) Nach anderen Quellen: 268 Von den Absolutzahlen her sind Deutschland und Polen die sozusagen Autobahn- Stadtviertel mit den meisten Autohöfen. Dass Großbritannien nur einen einzigen Autohof hat wurde schon erwähnt und auch, dass dies tief blicken lässt. Einige europäische Länder haben keinerlei Autohöfe. Dies ist in Fällen wie Malta oder Zypern aus geografischen Gründen durchaus nachvollziehbar. In den osteuropäischen Ländern ist es wohl eine Frage der Zeit, bis das Fernstraßensystem entsprechend ausgebaut ist. Der Fernstraßenwirtschaftsbereich Autohöfe ist deshalb so interessant, weil er gerade in Deutschland die Diskrepanzen und die Segregation der unterschiedlichen Mobilitätsmilieus deutlich erkennbar macht. Die Autohöfe sind nicht nur von der Palette ihrer Leistungsangebote her sondern auch von ihrem Preisniveau her erkennbar auf den Fernstraßengüterverkehr ausgerichtet. Man darf nicht vergessen, dass die Fahrarbeit durch Niedrig- und Niedrigstlöhne geprägt ist. Die Autobahnraststätten sind demgegenüber von der Palette der Leistungsangebote und vor allem vom Preisniveau her bevorzugt auf den Urlaubs- und Geschäftsreiseverkehr, auf eine zahlungskräftige und zahlungsbereite Klientel abonniert. Diese beiden Mobilitäts-Milieus liegen seit Jahren in Fehde. Der Vorwurf wird erhoben, dass der ADAC bei seinen sogenannten Qualitätstests einseitig die Autobahnraststätten bevorzugt.

9 Übersicht: Autobahntankstellen in Europa 2013 (Quelle: Eigene Auswertungen und UTA-Union Tank Eckstein) Land Anzahl Italien 389 Deutschland 388 Österreich 342 Frankreich 328 Spanien 208 Niederlande 152 Belgien 127 Polen 83 Tschechische Republik 66 Kroatien 62 Ungarn 61 Slowenien 41 Bulgarien 40 Vereinigtes Königreich 21 Slowakei 20 Schweden 16 Griechenland 15 Rumänien 13 Dänemark 13 Litauen 12 Portugal 9 Luxemburg 7 Irland 3 Lettland 3

10 Land Anzahl Finnland 0 Estland 0 Malta 0 Zypern 0 Insgesamt: 2419 Bei den Autobahntankstellen führen von den Absolut-Zahlen her hier die Autobahn- Stadtviertel Italien, Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien und die Benelux- Länder. Am interessantesten sind beim Thema Autobahntank- und Raststätten Italien und Polen. Italien hat eine hohe Zahl von Autobahntank- und Raststätten dafür vergleichsweise wenige Autohöfe umgekehrt Polen: Wenig Autobahntank- und Raststätten dafür eine hohe Zahl von Autohöfen. Die Vermutung liegt nahe, dass hier der Tourismus eine entscheidende Rolle spielt. Dann gibt es noch die Autobahn-Stadtviertel Frankreich und Spanien. Beide haben vergleichsweise hohe Zahlen bei den Raststätten und niedrige Zahlen bei den Höfen das gemeinsame Auffällige ist dabei die typische ausgeprägte Konzentration der Fernstraßen, Rasthöfe und Autohöfe auf Metropolräume wie Paris, Lyon, Madrid etc. Das Autobahn-Stadtviertel Deutschland ist zahlenführend bei den Autohöfen. Das Autobahn-Stadtviertel Italien ist zahlen-führend bei den Autobahnraststätten. Zum besseren Verständnis der Autobahn-Stadt Europa haben wir für Deutschland und für Italien die Zahlen von Autohöfen bzw. Autobahnraststätten ermittelt, die auf die einzelnen Autobahnen in beiden Ländern entfallen: In Deutschland führt die Nord-Südachse, d.h. die A 7 (Flensburg Kempten) mit 32 Autohöfen. In Italien bringt es die Nord-Südachse, d.h. die A1 (Milano - Napoli) auf 53 Autobahn- Raststätten. Aus politischen bzw. aus geografischen Gründen sind sowohl die Autobahn-Stadtviertel Deutschland wie auch Italien deutlicher Nord-Süd als Ost- West geprägt.

11 Übersicht: Autohöfe an den Autobahnen in Deutschland 2013

12 Übersicht: Servicebetriebe (Aree di servicio) an den Autobahnen in Italien 2013

13 3. Leben in der Autobahn-Stadt Europa Zu den Lebensverhältnissen in der Autobahn-Stadt Europa hat die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF) eine bedrückende Dokumentation vorgelegt. Selbst wenn man ganz minimalistisch diese Lebensverhältnisse in der Autobahn- Stadt Europa nur mit den Eigenschaften der Autobahnen und zugeordneten Autohöfe und Autobahn-Raststätten in Europa nachzeichnet, die der exzellente UTA- Diesel-Atlas aufführt, wird klar, dass die Autobahn-Stadt Europa vor allem eine Stadt der Hochgeschwindigkeit und eine Rund-um-die-Uhr-Stadt ist. Der UTA-Atlas verzeichnet sämtliche Hochleistungszapfsäulen an den Autobahnen ebenso wie sämtliche 24-Uhr-Tankstellen. Ebenso verzeichnet er sämtliche elektronischen Pforten zum Betreten dieser Autobahn-Stadt : Die Mautterminals für Deutschland, die Go-Box-Vertriebsstellen für Österreich. Es gibt zusätzlich Eigenschaften der Autobahn-Stadt, die die Pflege und Erhaltung von Maschinen und von Menschen betreffen. Allein 4 Merkmale beziehen sich auf eine gesicherte und zeitsparende Treibstoffversorgung, 4 Merkmale betreffen die Art des zur Verfügung stehenden Treibstoffes (Diesel, Gas etc.) und 5 Merkmale betreffen die Außen- und Innenreinigung der Transportfahrzeuge. Weitere 3 Merkmale der Autobahnen betreffen die Möglichkeiten zum Abstellen der Transportfahrzeuge während der Ruhe- bzw. Nichtfahrzeiten. Soweit es die Fahrarbeiter betrifft sind nur 3 ortsgebundene Eigenschaften für die Autobahn-Stadt Europa zu finden: Erfrischungen/Schnellimbiss, Restaurant und Duschmöglichkeiten.

14 Übersicht: Arbeiten und Leben in der Autobahn-Stadt Europa (Quelle: UTA-Union Tank Eckstein) Merkmale der Autobahnen 24-Stunden-Tankstellen Hochleistungs-Zapfsäulen Maut-Terminals Go-Box-Verkaufsstellen Autogas-Tankstellen Erdgas-Tankstellen AD Blue-Zapfsäulen AD Blue-Kanisterverkauf Außenreinigung Lkw Innenreinigung Tank-Lkw Innenreinigung Silo-Lkw Innenreinigung Kühl-Lkw Innenreinigung Lebensmittel-Lkw Autohöfe Autobahntankstellen Lkw-Parkplätze Restaurants Schnellimbiss-Theken Duschen

15 Übersicht: Mobilitätsmilieu Fernfahrer Autobahnwüsten EU- Peripherie Strecken und Ziele mit erhöhten Sicherheitsrisiken D Autobahnverfall Transitland Strecken und Ziele mit wachsenden Verzögerungsrisiken Parkraummangel EU- Zentrum EU-Normierung der Fahrarbeit Fernstraßenbegleitflächendefizit Regulierungsverdichtung für Fahrverhalten Niedriglohnsektor Transport Export von Niedriglohnfahrarbeit aus der EU-Peripherie ins EU-Zentrum Qualifikationsanforderungen Steigender kommunikativerund technischer Kompetenzbedarf Arbeitsplatzbelastungen Überdurchschnittliche physische, psychische und soziale Beanspruchung Konflikthaltigkeit Konkurrierende Verkehrsraumansprüche PKW/LKW, Verladende/Aufladende Wirtschaft, Inter-Modal- Schnittstellen Männliche Berufsidentität Arbeitsheroisches Selbstbild Ältere Fahrer Ältere Fahrer mit hoher Professionalität als gesuchte Elite Work-Life-Balance Dauerabwesenheit als Belastung von Beziehungen

16 und Familien. Höheres Trennungs- und Scheidungsrisiko Hochmobilität und Frühinvalidität Fernfahrer als gesundheitliche Hochrisikogruppe Gesundheitliche Unter- und Spätversorgung Fehlende autobahnnahe Gesundheitsversorgung Mobilitätsblockaden Ruhe- und Erholungszeiten Mobilitätsabstinenz Häuslichkeitsbedürfnis während der Freizeit Accademia ed Istituto per la Ricerca Sociale Verona 4. Modernisierung der Autobahn-Stadt Europa Im Zusammenhang der seit 2008, also seit sechs Jahren anhaltenden Finanz-, Realund Budgetkrise sind mittlerweile allein in Deutschland bald ein Dutzend Konzepte und Programme für eine aktive Investitionspolitik an Stelle der repressiven Sparpolitik vorgelegt worden. In den meisten dieser Konzepte und Programme spielt der Landverkehr, insbesondere der Straßengüterverkehr und seine Infrastruktur eine zentrale Rolle. So vorrangig Investitionen in den deutschen, vor allem aber in den europäischen Straßengüterverkehr behandelt werden, so nachrangig werden Investitionen in die Gesundheitsversorgung und in die Sozialdienste behandelt. Der DGB-Marshallplan ist hier eine Ausnahme. Die Ursachen für diese Unterschiede und auch die Diskussionen, wie Sozialinvestitionen definitorisch und deskriptiv zu fassen sind sollen hier nicht ausgebreitet werden. Im Zusammenhang der Autobahn-Stadt Europa soll lieber daran erinnert werden, dass es Anfang der 1970er Jahre, in der Zeit, als Reformen noch einen guten Ruf hatten, in (West-)Deutschland auch eine ganze Palette von Investitionsprogrammen gegeben hat. Die Modernisierung und die Sanierung der Städte in (West- )Deutschland einerseits und die Modernisierung und Sanierung der Krankenhäuser in (West-)Deutschland andererseits waren damals zwei Hauptaufgabenfelder. Stichworte: Städtebauförderungsgesetz und Krankenhausfinanzierungsgesetz.

Infrastrukturmodernisierung und Gesundheitsverbesserung waren ganz selbstverständlich gleichwertige Aufgabenstellungen. 17 Auch bei der unbestreitbar boden-, bau- und verkehrswirtschaftlich dominierten Städtebauförderung standen Sozialbelange an zentraler Stelle. Im Städtebauförderungsgesetzt waren soziale sogenannte Vorbereitende Untersuchungen zwingend vorgeschrieben. Eigentlich müssen wir nur dieses Konzept der sozial ausgerichteten Stadtmodernisierung und Stadtsanierung auf die Autobahn-Stadt Europa übertragen. Dann haben wir die Leitlinie, mit der wir die schon laufenden und vor allem die geplanten enormen Investitionen der EU in das Transeuropäische Verkehrsnetz TEN-V von einem nur technischen und ökologischen Vorhaben zu einem auch medizinischen und sozialen Vorhaben weiterentwickeln können. Bis 2020 sollen mittlerweile 26 Milliarden Euro in u.a. 58.000 Kilometer neue Fernstraßen investiert werden. Die Autobahn-Stadt Europa wird sich fast verdoppeln. Einige der Hauptvorhaben sind: 1. Die Strecke Patra Budapest 2. Die Strecke Irland Großbritannien Benelux 3. Die Strecke Westküste Großbritannien Edinburg/Glasgow-Liverpool-London 4. Die Magistrale Europa Paris-Straßburg-Stuttgart-München-Wien-Bratislava- Budapest 5. Die Autobahnachse Danzig Wien. Zu all diesen Vorhaben gibt es vielfältige und ausgefeilte Vorarbeiten.

18 Kartografie: Transeuropäische Verkehrsnetze-Prioritäre Achsen und Projekte

19 Ganz anders steht es mit den Gesundheits- und Sozialverhältnissen in der Autobahn-Stadt Europa. Die EU-Kommission hat zwar Anfang 2013 ein sogenanntes Sozialinvestitionspaket vorgelegt. Dieses Sozialinvestitionspaket gibt aber keinen Aufschluss darüber, was Sozialinvestitionen überhaupt sein sollen. Vor allem aber erweckt dieses Sozialinvestitionspaket den Eindruck, dass es vor allem darum geht, durch Änderungen in der bisher vorherrschenden nationalen Finanzierung des Gesundheits- und Sozialbereiches eine Europäisierung mit der bekannten Tendenz zur Anpassung nach unten zu erreichen. Erkennbar ist auch die Absicht einer forcierten Privatisierung des Gesundheits- und Sozialbereiches. Damit verbunden ist die Absicht, immer weitere Bereiche von Gesundheit und Sozialem zu vergewerblichen und damit als Mehrwertsteuerquelle zu erschließen. Wenn man also eine gesunde und eine soziale Autobahn-Stadt Europa will, muss man wohl drei strategische Ziele verfolgen: 1. Pseudo- und Alibilösungen in der Gesundheits- und Sozialversorgung der Fahrarbeit abwehren. 2. Nachhaltige Gesundheits- und Sozialinfrastrukturen (Zentren für Kraftfahrergesundheit) fordern und fördern. 3. Nationale und europaweite Programme für eine eigenständige Gesundheits- und Sozialversorgung der Autobahn-Stadt Europa entwerfen. Diesen Zielen dient auch die heutige Fachkonferenz.