bei der Arbeit zttschauen



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Transkript:

Günter Schiepek, lgor Tominschek, Heiko Eckert, Conrad Caine Monitoring: Der Psyche bei der Arbeit zttschauen Eine neue Methode könnte die Psychotherapie revolutionieren: Das so genannte Real-Time Monitoring ermöglicht es, die oft sehr komplexen und überraschenden Veränderungsprozesse bei Patienten während einer Therapie in,,echtzeit" zu beobachten und darauf zu reagieren Am 7. Mai 2005 sollte sich das Leben rituale wie ständigeswaschen und Reinigen nahmen deutlich ab. Solche Stra- von Maria S. grundlegend ändern. Sie trennte sichvon ihrem langjährigen Lebenspartner, und zugleich wurde sie eimie wenigstens teilweise aufrechtzuertegien, die helfen sollten, ihre Autonone Zwangsstörung los, unter der sie jahrelang gelitten hatte. Die Tiennung war braucht. halten, wurden nun nicht mehr ge- ihr nicht leicht gefallen und hatte sie Bemerkenswert war, wie überraschend, umfassend und sprunghaft sich Monate und Iahre beschaftigt, begleitet von Schuldgeftihlen und Ambivalenzen. Im Rahmen einer stationären schiedlicheaspekte ihres Erlebens,Ver- der Wandel vollzog. Er betraf unter- Psychotherapie vollzog sie jedoch diesen Schritt, und zwar bereits nach wepierend ist, dass sich die wesentliche haltens und ihrer Lebensführung. Frapnigen Paartherapiesitzungen, die sie gewünscht hatte. Anhand einer dramati- Einsatz der eigentlichen Behandlungs- Veränderung yor und nicht nach dem schen Szene wurde ihr deutlich, wie sehr technik ereignete. Solche Reaktionen sie sich immer darum bemüht hatte, es werden unter der Bezeichnung rapid ihrem Lebenspartnerecht zu machen early responses in der Therapieforschung diskutiert: BestimmteVerände- - ihm wie allen anderen Menschen, mit denen sie zu tun hatte -, und wie sehr rungen, wie sie von einschlägigen Behandlungstechniken beabsichtigt sind, dies auf Kosten ihrer Autonomie gegangen war. Eigene Gefuhle kannte sie treten nicht s eltenauf,bevordiese Techniken überhaupt eingesetzt werden. kaum mehr. Die Psychotherapie hatte ihr für diesen Entscheidungsprozess einen Rahmen gegeben - oder besser: Sie hatte sich diesen Rahmen gesucht, weil sie einem starken Veränderungswunsch gefolgt war. Faszinierend war, wie ihre Zwangssymptomatik unmittelbar nach dieser Lebensentscheidung zurückging. Die Angst, sich mit Krankheitserregern zu infizieren, und entsprechende Abwehr- Und - vielleicht am erstaunlichsten: Die Veränderung hätte vorhergesagt werden können. Nicht nur in diesem Fall konnten wir feststellen, dass sich kritische Übergänge im Denken, Fühlen und Verhalten von Patienten anktindigen - durch eine zunehmende Instabilität der bisherigen Dynamik. Wenn man Patienten um tägliche Selbsteinschätzungen ihres Befindens während einer Therapie bittet, erhält man Zeitreihenprotokolle, in denen sich haufig eine Zunahme in der Frequenz und Amplitude der Messwerte zeigt. Diese auffälligen,,ausschläge" im Therapieverlauf lassen sich mit einem mathematischen Indikator (der so genannten dynamischen Komplexitat) erfassen. In Abbildung I auf Seite 44 sieht man dieses Phänomen sehr deutlich: Die Spitze der dynamischen Komplexität des Therapieverlaufs liegt genau Die neue Methode gründet auf zwei Säulen: zum einen auf einer besonderen, leicht handhabbaren Kommunikationstechnik, zum anderen auf der Erkenntnis, dassich entscheidende Veränderungen in der menschlichen Psyche häufig,,chaotisch" anbahnen und in Sprüngen und Schüben vollziehen - und dass eine gewünschte Veränderung oft schon zu Beginn der Therapie in Gang kommt 42 P;YCHoLoGtE HrurE JANUAR 2oo7

vor dem drastischen Rückgang der Zwangssymptomatik, deren Ausprägung hier wöchentlich mit einem gängigen Symptomfragebogen erfasst wurde. Aus der Forschung über die Selbstorganisation lebendiger Systeme wissen wir: Übergänge in der Dynamik eines Systems kundigen sich durch kritische Instabilitäten an und führen meist zu dramatischen Veränderungen. Solche Phasenübergänge sind in Therapien nicht selten, sie gehören vielmehr zum normalen Geschehen. Ungewöhnlich ist zwar, dass das,,neue Leben" mit einem Schlagbeginnt. Aber es ist typisch, dass fast jede Psychotherapie als eine Folge von mehr oder weniger dramatischen Übergängen abläuft. Das entspricht der Erfahrung von Praktikern und konnte auch in einem groß angelegten Forschungsprojekt am Universitätsklinikum Aachen nachgewiesen werden. Insbesondere langfristig erfolgreiche Therapien weisen zu individuell sehr unterschiedlichen Zeitpunkten kritische Instabilitäten auf, in denen sich die Dynamik inhaltlich und strukturell verändert.,,kritische Instabilität" bedeutet, dass sich bisher bestimmende Muster beim Patienten auflösen und 0,12 0,1 0,08 0,06 0,04 0,02 0 Dynamische KomplexiGt Bewegung in das Geschehen kommt. Befindlichkeiten (und entsprechend deren subjektive Einschätzung) unterliegen dabei starken Schwankungen. Nach solchen Übergängen ändert sich die Welt- und Problemsicht des Patienten, und es werden andere psychische Verarbeitungsmuster aktiv. Wir denken undhandeln zum Beispiel in einem vorwiegend von Arger geprägten Zustand ganz anders als in einem von Tiauer geprägten, wir gehen anders auf die Welt und die Menschen zu, haben andere Bedürfnisse und machen andere Erfahrungen, und wir erinnern uns an andere Geschichten in unserem Leben. Und im Gehirn laufen andere neuronale Aktivierungsmuster ab. Solche Übergangsphasen sind also wertvolle und filigrane Momente, Risiko und Chance zugleich ftir die Therapie. In Phasen der Instabilität sind Systeme leicht zu beeinflussen. Minimale Eingriffe können hier große Wirkung erzielen (beispielsweise Suggestionen, Übungen, kognitive Umstrukturierungen), während in Phasen ausgeprägter Stabilität die besten Interventionen auch erfahrener Therapeuten beim Patienten nicht,,ankommen". Es ist deshalb sehr wichtig in der Therapie, den osososososos+soooof *r$."$.n$xr$iuoo*s*oo*sopsoars+s s(] s$ * ru { ts.p rb,p sa'o6 os $ $ {'as d5'rb as d\' Abbifdung 1: Der Veränderung der Zwangssymptomatik (blaue Linie) geht eine ausgeprägte Phase kritischer lnstabilität im Erleben der Patientin voraus. Diese wird durch die dynamische Komplexität (rote Kurve) erfasst. Das Maximum der Kurve liegt in der Anfangsphase der Behandlung, in der die Zwangssymptome noch stark ausgeprägt sind Überblick über die Stabilität oder Instabilität des Prozesses zu bekommen. auch weil diese Übergänge thematisch wie zeitlich sehr individuell auftreten. Diesen Überblick verschaffen wir uns mit einem neuen Verfahren, bei dem die Patienten einmal täglich - mit einem Zeitaufwand von wenigen Minuten - ihre Befindlichkeit. die Therapiefortschritte, die Beeinträchtigung durch die Symptome, die Qualitat der Beziehung zu ihrem Therapeuten und andere Aspekte des Therapieerlebens einschätzen. Daraus resultieren Protokolle, die dem Therapeuten ein detailliertes und feinmaschiges Bild über die Entwicklung des Patienten geben (Abbildung 2). Am Beginn der Behandlung erhalten die Patienten einen kleinen Taschen- PC, oder sie benutzen ein Handy zur Dateneingabe. Einmal am Tag also denkt der Patient kurz, aber intensiv über den Therapieprozess nach und unterstützt so den Veränderungspro- ZESS. Dieses Vorgehen wird als Real-Time Monitoringbezeichnet - es ist ein Feedback über den Verlauf der Therapie,,in Echtzeit". Die von uns entwickelte Technik tragt den Namen synergetisches N av igation ssy stem.,,syner getik" ist die von dem Physiker Hermann Haken begründete Theorie der Selbstorganisation, und ein,,navigationssystem" ist das Verfahren, weil der Therapeut damit durch die Turbulenzen selbstorganisierender Prozesse steuern kann. Es ist mit dieser Methode möglich, den Therapieverlauf und die Befindlichkeit der Patienten detailliert (wenn man will: taglich) nachzuvollziehen. Zudem geben die ZeitrelhenAuskunft darüber, ob das,system Patient" stabil oder instabil ist und ob sich die erwähnten Übergänge ankündigen. Eines dieser Verfahren berechnet das Ausmaß der dynamischen Komplexität und klärt parallel dazu schon ab, ob der Wert statistisch bedeutsam wird.ist dies der Fall, dann wird dies durch ein Kästchen markiert. Auf diesem Weg erhält 44 PsYCHoLoGtE HEUTE JANUAR 2oo7

#f man Diagramme, anhand derer man leicht ablesen kann, ob sich das,,system" auf dem Weg in eine kritische Instabilitat befindet. Auch kann man sehen, welche Aspekte des Erlebens betroffen sind. Man erkennt das an den säulenartigen Strukturen, die zeigen, ob und wo sich die Fluktuationen im Sys- -v Y r 3 5 r 91181517192rA2527A!1 tr333791r.3a517.95tss5?9 ln Bezug auf meine persönlichen Ziele erlebte ich mich heute als erfolglos - erfolgreich Heute habe ich zwangsauslösende Situationen vermieden tem gegenseitig resonanzartig aufschaukeln. Solche Diagramme sind wie Praxisforschung im großen Stil, aber handlung ausgefullt werden), ist damit eine Art Fingerabdruck jeder einzelnen ohne großenaufi,rrand realisierbar. Jede Therapie. Therapie wird zu einer eigenen Verlaufs- und Erfolgsstudie. Besondere Da das System auch noch die Möglichkeit eröffnet, den Behandlungserfolg zu messen (etwa mit Fragebögen, können dann mit dem Behandlungs- Merkmale des Behandlungsverlaufs die am Beginn und am Ende der Beergebnis in Beziehung gesetzt werden. So lässt sich herausfinden, ob sich erfolgreiche Behandlungen schon früh durch andere Verlaufsmuster ankündigen. Der Einsatz des synergetischen Navigationssystems ist übrigens nicht auf l=nml die Psychotherapie begrenzt,sondern kann auch in der Beratung, in der Teamentwicklung oder im Veränderungsmanagement von Organisationen einge- Abbifdung 2: Beispiel für zwei Zeitreihen, die aus setzt werden. täg I ichen E i nschätzu ngen Die in Psychotherapien auft retenden wä h re nd des Thera pi everlaufs resultieren. ben inzwischen zu einer neuen Sicht- Phänomene der Selbstorganisation ha- Oben:,,ln Bezug auf meine weise von Therapie geftihrt, die im täglichen Ziele erlebte ich Grunde eine sehr alte ist,,medicus curat, natura sanat", wusste schon Para- mich heute als erfolglos (1) vs. ertoqreich (7)". celsus. In moderner Diktion: Psychotherapie besteht darin, Bedingungen ftir Unten:,,Heute habe ich zwa n gsa us I öse n d e S itu ati o- das Auftreten von Selbstorganisationsprozessen zu schaffen. Diese Prozesse nen vermieden (3: sehr stark vs. -3: gar nicht)" werdenvom System selbst, autonom, ei- PsYCHoLoGtE HEUrE JANUAR 2oo7 ls

gendynamisch und nur begrenzt vorhersehbar erzeugt. Dabei handelt es sich vor allem um Übergänge von einer Ordnung des Denkens, Fühlens und Handelns in eine bessere. neue Ordnung - meist mit mehreren dazwischenliegenden Ordnungsübergängen. Therapie kann als eine,,kaskade" solcher Ordnungsübergänge interpretiert werden. Sie unterscheidet sich nicht grundsätzlich von anderen Lern- und Entwicklungsprozessen, die ebenfalls in Form kaskadenartiger Selbstorganisation stattfinden - etwa motorischen Bewegungsabläufen, Wahrnehmung, Entscheidungsprozessen, Lernen neuer Fertigkeiten, Veränderung sozialer Entwicklungen. Das Gehirn: Einldealfall der Selbstorganisation All dies ist gut nachzuvollziehen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass das menschliche Gehirn geradezu ein Idealfall eines sich selbst organisierenden Systems ist. Es besteht aus mehreren hundert Milliarden dicht verschalteter Neuronen, die in Netzwerken unterschiedlicher Größenordnung organisiert sind. Nichtlineare Vorgänge finden innerhalb und zwischen Neuronen statt, wobei diese Neuronen darauf spezialisiert sind, Resonanzeffekte sowohl innerhalb des Gehirns (zwischen Neuronenverbänden) als auch zwischen Gehirnen herzustellen (man denke an die berühmten Spiegelneuronen). Zahherche Schaltkreise und Netzwerke weisen eine Kombination aus positiven (aufschaukelnden) und negativen (dämpfenden) Rtickkopplungen auf. Damit wird Chaos erzeugt, was wohlgemerkt nicht Unordnung bedeutet, sondern eine hochflexible Vielfalt komplexer Formen dynamischer Ordnung. So ist es nicht erstaunlich, dass psychische Funktionen, die von einem selbstorganisierenden, hochgradig nichtlinear operierenden System hervorgebracht werden, selbst alle Merkmale von Selbstorganisation aufweisen: spontane Strukturbildung und Strukturwandel, Eigendynamik, Gestalthaftigkeit, Stabilität und Instabilitat in zeitlicher Folge, begrenzte Vorhersehbarkeit, Abhängigkeit von Randbedingungen und Kontrollparametern sowie beschränkte Steuerbarkeit durch Input von außen. Erstaunlich ist vielmehr, dass diese so menschlichen, allzu menschlichen Merkmale auch schon von nicht lebenden Systemen hervorgebracht werden können. Physikalische Systeme wie Konvektionsströmungen in Flüssigkeiten, der Laser, die Anordnung des Videofeedbacks oder bestimmte zyklisch ablaufende chemische Reaktionen weisen diese Merkmale auf. Dort wurden sie allerdings schon früher untersucht, sodass sie jetzt - welche Ironie des Schicksals - zu einerverständnishilfe frir die Erforschung der Psyche geworden sind. Die Gestaltpsychologen der ersten Hälfte des 20.Iahrhunderts hätten sich über diesen Fortschritt gefreut! Systeme unterschiedlichster Art, lebende wie nicht lebende, psychologische wie biologische, können mithilfe der Modellvorstellungen und der Mathematik komplexer dynamischer Systeme besser verstanden werden. Selbstorganisation ist ein universelles Prinzip. Wie die Technik des Real-Time Monitoring zeigt,liegen hier die praktischen Konsequenzen sehr nahe. Während sich die Fachwelt noch streitet, welche praktischen Früchte die boomende Neuroforschung ftir die Psychotherapie trägt, un deher zurzurückhaltung mahnt, lassen sich die Befunde zur Selbstorganisation von Psyche und Gehirn in eine ganz konkrete Technologie übersetzen - die computerbasierte synergetische Navigation. Unsere Vision: Moderne Psychotherapie ist synergetisches Prozessmanagement unter Nutzung von Empathie, Fachwissen und neuer Technologie. 46 I psycholocte HFUTE JANUAR 2007

Das konkrete Vorgehen wird von einigen Regeln und Entscheidungskriterien getragen, die die wichtigsten Bedingungen ftir das Zustandekornmen selbstorganisierter Ordnungsübergänge beinhalten. Wir bezeichnen sie als genuische Prinzipien.Esind Regeln, die das therapeutische Handeln strukturieren und bei der Entscheidunghelfen, welche einzelnen Methoden und Behandlungstechniken wann im Behandlungsverlauf eingesetzt werden sollen. Hier einige Beispiele: Veränderungen, die ja haufig mit Türbulenzen undverunsicherungen fiir den Einzelnen verbunden sind, müssen von einem Geftihl der Sicherheit und Stabilität getragen sein. Menschen, die psychotherapeutische Hilfe aufsuchen, haben oft traumatische Erfahrungen hinter sich oder befinden sich in einer chaotischen, keine Unterstützung bietenden Umgebung. Deshalb muss die Therapie selbst oft ftir stabile Bedingungen sorgen. Die Atmosphäre der Therapie, die Rahmenbedingungen, aber ganz besonders die Beziehung zum Therapeuten spielen hier eine wichtige Rolle (Stabilisierung von außen). Hinzu kommen Maßnahmen, die dem Patienten seinen Selbstwert und seine verftigbaren Ressourcen deutlich machen (Stabilisierung von innen). Aus der Erfahrung mit kleinen Kindern wissen wir, dass emotionale Sicherheit (zum Beispiel in der Bindung zur Mutter) Lern- und Entwicklungsprozesse fördert. Selbstorganisation kann nur dann stattfinden, wenn ein System energetisch angeregt ist. Das gilt in der Physik und erst recht in der Psychologie. Das System muss aus seinem Gleichgewichtszustand herausgetrieben werden, dann ändern sich die Bewegungsmuster und Strukturen. In der Psychotherapie und beim Lernen sind die intrinsische Motivation und der emotional getragene Wunsch nach Veränderung die Tieibsätze. Darum ist diearbeit mit den Anliegen und Zielen der Patienten so wichtig. Bei beginnender Destabilisierung Zeitreihenanalysen betrifft. Aber auch greifen therapeutische Interventionen ohne diese Elemente kann ein Feedback besonders gut - vorausgesetzt, sie passen zum System, was in der Therapie be- nützlich sein. Die Arbeitsgruppe um über den Behandlungsverlauf sehr deutet, dass der Patient sie versteht und den amerikanischen Psychotherapieforscher Michael J. Lambert hat Er- in sein Werte- und Bezugssystem einordnen kann. Therapeutische Interventionen haben oft die Funktion, Prosammelt, die die Patienten jeweils in der fahrungen mit Rückmeldungen geblemmuster zu destabilisieren und beginnende Fluktuationen zu verstärken. um die Frage, ob Patienten im Rahmen Therapiesitzung abgeben. Es geht dabei der Entwicklungslinien anderer vergleichbarer Behandlungsverläufe liegen oder ob sie,,von der Spur" abweichen. TherapieAufgrund solcher Rückmeldungen können Therapeuten spezielle Maß- ergreifen, um den Patienten zu als Managementnahmen unterstützen. synergetischersystematisches Feedback mithilfe neuer Technik, insbesonder e dem Real- ProzesseTime Monitoring, könnte der Beginn einer neuen fua in der Psychotherapie sein. Es hilft, die Praxis zu verbessern, es kann die Forschung beflügeln und Das gesamte therapeutische Vorgehen muss zeitlich auf das Denk-, Fühl- es lässt die alten Streitigkeiten zwischen dient dem Qualitätsmanagement. Und und Entwicklangstempo des Patienten Therapieschulen hinter sich. Ein weiterer wesentlicher Schritt auf dem Weg abgestimmt sein. Resonanz und Synchronisation sind entscheidende Prinzipien, damit ein gemeinsamer Prozess der Psychotherapie (aber auch von Be- von der,,konfession" zur,,profession" entstehen kann, der therapeutisch wirksam wird. wicklung) ist getan. ratung, Coaching, Organisationsent- Mit dem synergetischen Ansatz werden sowohl ein sehr praktikables Ver- lm kommenden Oktober wird eine internationafe Konferenz an der Forschungseinrichtung für Dynamische Systeme die bestefahren des Qualitätsmanagements als auch umfassende Möglichkeiten ftir die henden Techniken und Erfahrungen zum Praxisforschung eingeftihrt. Vor allem Real-Time Monitoring einer interessierten liegt damit eine schulenübergreifende Öffentlichkeit vorstellen (7.-9. 10. 2007, Kongresszentrum Konzeption der Psychotherapie vor. Auf Pörtschach am Wörthersee, Anmeldung unter elfriede.schaunig@uniklu.ac.at ). der Ebene des konkreten therapeutischen Tuns kann jede und jeder seinen Präferenzen folgen-was ftir die Glaubwürdigkeit und Authentizität des The- Umfassende Darstellung in: Hermann Haken, Günter Schiepek Synergetik in der Psychologie. Selbstorganisation verstehen rapeuten wichtig ist. Aber auf der Ebene der datenbasierten Prozesssteuerung Weitere Literatur bei den Autoren und gestalten. Hogrefe, Göttingen 2006 und der theoretischen Begründung kommen entscheidende neue Elemente dazu. Autorenkontakt: Fonchungseinrichtung für Dynamische Systeme, Institut für Psychologie, Universität Klagenfurt, Das synergetische Navigationssystem operiert auf einem hohen Level, Universitätsstr. 65-67, A-9020 Klagenfurt oder was die theoretische Begründung, die Frequenz der Datenerfassung (täglich) und die Methodik der eingebauten Center for Complex Systems, Friedrich-List-Str. 34, D-73750 Ostfildern, E-Mail: guenter.schiepek@ccsys.de PsYcHoLoGtE HEUrE JANUAR 2oo7 al