LESEPROBE
Es gibt wohl kein Wort, dem man mehr unterschiedliche Bedeutung gegeben hätte als dem Wort Freiheit. Kein Wort hat die Geister so vielfältig gefesselt. Charles-Louis Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 1748, 11. Buch, 2. Kapitel. Einleitung Nach deutschem Verständnis geht es beim Datenschutz nicht allein darum, in Ruhe gelassen zu werden, vielmehr soll jeder grundsätzlich über Preisgabe und Verwendung seiner Daten bestimmen. So hat die Journalistin Katja Gelinsky in einem vergleichenden Beitrag zum Datenschutz aus amerikanischer und deutscher Sicht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1 zusammenfassend den Hintergrund des deutschen Datenschutzrechts dargestellt. Gerade im Gegensatz zum amerikanischen Recht zeichnet sich das deutsche Datenschutzrecht dadurch aus, dass es sich am höchsten Schutzgut der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG orientiert und somit eine Maßnahme bei Verletzung des Menschenwürdekerns keiner Rechtfertigung mehr zugänglich ist. Bei den Deutschen besteht, geprägt durch die historischen Erfahrungen, ein stärkeres Bewusstsein für die Gefahren, die durch staatliche Überwachung entstehen können. Aufgrund der Anschläge des 11. 9. 2001 ( 9/11 ) auf das Welthandelszentrum in New York, auf das Pentagon in Washington und des Absturzes des Flugzeugs in Pennsylvania hat sich das Gefühl der Angst vor neuen Anschlägen auf der ganzen Welt verstärkt. Mit der Suche nach der absoluten Sicherheit geht jedoch auch die Aufgabe der eigenen Anonymität einher, da immer mehr Daten beim Staat mit dem Ziel gesammelt werden, Kriminelle oder Terroristen zu ermitteln. Nach den Terroranschlägen vom 11. 9. 2001 und den U-Bahn Anschlägen in Madrid und London hat sich auch die Datenschutzwelt in Deutschland deutlich verändert. Das Bundesministerium des Inneren reagierte auf die sich neu insbesondere auch durch die direkten Terrordrohungen gegen Deutschland entwi- 1 K. Gelinsky, FAZ vom 28.05.2010, S. 10. 1
ckelte Sicherheitslage mit etlichen Gesetzesentwürfen, die sowohl präventiv als auch repressiv gegen die Terrornetzwerke wirken sollten. So wurden mehrere Sicherheitspakete vorgelegt und vom Bundestag beschlossen 2, die sodann die Debatte auslösten, inwiefern Freiheit für Sicherheit weichen müsse. 3 Die immer voranschreitende Datensammlung, die der Staat monopolartig für sich bereithalten will, wie dies beispielsweise bei der Online-Durchsuchung, der Vorratsdatenspeicherung oder der Kfz-Kennzeichenerfassung der Fall ist, steht gerade für diese Entwicklung, die sich vom absoluten Freiheitsgedanken also der Freiheit des Einzelnen, selbst über seine Daten zu verfügen zu verabschieden scheint. Es ist mittlerweile fast selbstverständlich geworden, dass auf öffentlichen Plätzen gefilmt wird, ein Mobiltelefon an jeder beliebigen Stelle geortet werden kann und sowohl Anrufe abgehört als auch die Umstände der Telekommunikation ohne größeren technischen Aufwand ermittelt werden können. Das Erstellen von Persönlichkeitsprofilen ist damit ein Leichtes und führt zu deutlich stärkeren Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht, als etwa die Volkszählung im Jahr 1983, die noch auf großen Widerstand stieß. In der Folge führt dies dazu, dass Rückzugsräume für die Bürger schwinden, an denen sie sich ihrer Daten und ihrer persönlichen, auch intimen, Freiheit sicher sein können. Andererseits begibt sich der Bürger auch freiwillig auf nicht mehr eigens zu beherrschendes Terrain: die Nutzung des sog. Cloud Computing ist eine Entwicklung, die es ermöglichen soll, zu jeder Zeit und (sofern technisch möglich) von jedem Ort auf die gespeicherten Daten zugreifen zu können und sich dadurch in einer virtuellen Datenwolke bewegen zu können. 4 Mancher spricht sogar davon, dass die gespeicherten Daten einen solchen Grad an Intimität erreichen können, wie er in einer Fa- 2 Die ersten Pakete waren dabei das Anti-Terror-Paket I, das insbesondere die Strafbarkeit terroristischer Vereinigungen in 129b StGB vorsah (BGBl. I 2001, S. 3319) und das Anti-Terror-Paket II, das allgemein als Terrorismusbekämpfungsgesetz (BGBl. I 2002, S. 361) normiert wurde und die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden ausdehnte. Darauf folgten dann mehrere einzelne Ermächtigungen für die Staatsschutzorgane, wie beispielsweise das Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder (BGBl. I 2006, S. 3406); vgl. hierzu auch das Dokument des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zu den Maßnahmen nach dem 11. September 2011, abrufbar unter: http://www.bundestag.de /dokumente/analysen/2007/terrorismusbekaempfung_kor.pdf (Stand: März 2012). 3 Dies betrifft beispielsweise die Rasterfahndung, die zur Ermittlung sog. Schläfer angewandt wurde. 4 Vgl. B. Mester, DuD 2010, S. 675. 2
milie üblich ist. 5 Dieses Speichern von persönlichen bis hin zu intimen Daten in einem nicht eigens beherrschbaren System oder Raum birgt vielerlei Missbrauchsgefahren und stellt die Rechtsprechung vor immer größere Herausforderungen. Es müssen neue Wege gefunden werden, einen effektiven Schutz gegen Eingriffe in die persönlich gespeicherten Daten zu gewährleisten. Auch ein angemessener Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit muss aufgrund der sich immer weiter entwickelnden Informationsgesellschaft gefunden werden. Diese Entwicklung bringt jedoch grundrechtliche Probleme mit sich. Insbesondere im Rahmen der Internet- und Telekommunikationssachverhalte stellt sich sowohl durch die Konvergenz der Medien als auch durch den schnellen technischen Fortschritt die Frage, ob und wenn ja inwieweit an den bisherigen Schutzbereichsdefinitionen festgehalten werden kann. Insbesondere muss das Festhalten an veralteten Technikmaßstäben in Frage gestellt werden, da bei derselben präventiven oder repressiven Maßnahme, wie z. B. einer E-Mail Überwachung, unterschiedliche Grundrechte betroffen sein können, je nachdem, an welcher Stelle der Eingriff erfolgt. Diese unterschiedliche Behandlung gilt es zu vereinheitlichen, so dass vergleichbare Sachverhalte gleich behandelt werden. Die folgende Abhandlung soll anhand von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Schutzbereiche der jeweils im Kontext des Datenschutzes einschlägigen Grundrechte darstellen und einen Ein- und Ausblick schaffen, wie den zukünftigen technischen Gegebenheiten und daraus erwachsenden Gefahren für die Datensicherheit verfassungsrechtlich entgegengetreten werden kann. Im Einzelnen soll untersucht werden, inwieweit die datenschutzrelevanten Sachverhalte unter Art. 10 Abs. 1 Alt. 3, Art. 13 Abs. 1 und/oder Art. 2 Abs. 1 i.v.m. Art. 1 Abs. 1 GG subsumiert werden können und ob die Rechtsprechung hier konsequente, denklogisch notwendige und zukunftsorientierte Wege geht. Ob die Sachverhalte der neuartigen Ermittlungsmethoden tatsächlich Eingriffe in Art. 13, Art. 10 oder Art. 2 Abs. 1 i.v.m. Art. 1 Abs. 1 GG darstellen, ist nicht nur akademischer Natur. Die Schranken der Grundrechte sind unterschiedlich ausgestaltet: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung untersteht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes der Schrankentrias 5 Vgl. J. Rux, JZ 2007, S. 285 (293). 3
des Art. 2 Abs. 1 GG, mithin einem einfachen Gesetzesvorbehalt 6, Art. 13 GG hingegen statuiert in den Absätzen 3 ff. qualifizierte Grundrechtsschranken (z.b. den Richtervorbehalt in Art. 13 Abs. 3, 4 GG) für die Überwachung von Wohnungen, wodurch weitaus höhere Hürden für Eingriffe in dieses Grundrecht aufgestellt werden. 7 Art. 10 GG hingegen ist ein Grundrecht, das nach Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden darf. Somit liegt auch hier eine nicht qualifizierte Schranke vor. Im Verhältnis zu Art. 2 Abs. 1 i.v.m. Art. 1 Abs. 1 GG ist aber Art. 10 GG lex specialis. 8 In einem ersten Schritt soll die Darstellung der verfassungsrechtlichen Fragen erfolgen, die insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit des Bürgers verdeutlicht (1. Kapitel). Darauf folgen die Darstellung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (2. Kapitel) und die kritische Beurteilung (3. Kapitel). Abschließend wird ein eigener Lösungsvorschlag entwickelt (4. Kapitel). 1. Kapitel Sicherheit versus Freiheit Im Volkszählungsurteil 9 die erste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum verfassungsrechtlichen Datenschutz hat das Paradigma der Freiheitssicherung hinsichtlich persönlicher Daten Eingang in das deutsche Verfassungsrecht gefunden. Hiernach soll jeder frei über seine Daten verfügen können, wenn diese unmittelbaren Personenbezug haben und damit Teil der Persönlichkeit sind. Vom Schutz der Daten ist dementsprechend die autonome Entscheidung über den Datenzugang und die Datenverwendung umfasst. Diese Selbstbestimmung und ein darauf aufbauendes Recht zum Selbstschutz stellen dabei die 6 BVerfGE 65, 1 (44); M. Kutscha, in: Roggan/Kutscha (Hrsg.), Handbuch zum Recht der inneren Sicherheit, S. 38 f. 7 Vgl. zu den Gesetzesvorbehalten J.-D. Kühne, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 13 Rn. 25 ff. 8 Vgl. C. Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Art. 10, Rn. 103; G. Hermes, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Band I, Art. 10, Rn. 94. 9 BVerfGE 65, 1. 4