Gesundheitswesen aktuell 2013

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Bundestagswahl Gesundheitswesen aktuell 2013 Behandlung Beiträge und Analysen Vorhofflimmern herausgegeben von Uwe Repschläger, Claudia Schulte und Nicole Osterkamp Jörg Schröder Die PKV und die Portabilität von Altersrückstellungen: Eine Anmerkung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juni 2009 Kosten AUSZUG aus: BARMER GEK Gesundheitswesen aktuell 2013 (Seite 84-99)

Jörg Schröder Die PKV und die Portabilität von Altersrückstellungen Eine Anmerkung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juni 2009 Die PKV steht aufgrund der Beitragssteigerungen der letzten Jahre in der Diskussion. Bürgerversicherungskonzepte verschiedener Parteien fordern die Abschaffung der PKV oder die Integration in einen einheitlichen Versicherungsmarkt. Der Beitrag untersucht, inwieweit eine Abschaffung oder Integration der PKV in einen einheitlichen Versicherungsmarkt vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts problematisch sein kann. Prekäre Situation der PKV Die wirtschaftliche Situation der Privaten Krankenversicherung (PKV) ist nicht rosig. Sie muss sich mit Kostensteigerungen, Prämiensteigerungen und Beitragsausfällen auseinandersetzen (Ärzte Zeitung 2013). Diskutiert wurde seinerzeit sogar ein Nichtzahlertarif für Versicherte der PKV, die ihre steigenden Prämien nicht mehr zahlen können (Handelsblatt 2012). Ruf nach Abschaffung In dem Maße, wie die Probleme der PKV offenbar werden, intensiviert sich die Diskussion um verschiedene Modelle einer integrierten Krankenversicherung (in der öffentlichen Diskussion unter dem Begriff Bürgerversicherung zusammengefasst). Dabei entsteht bisweilen der Eindruck, als gäbe es nur eine einzige Lösung des Problems: die Komplettabschaffung der PKV, weil der für ihr Überleben erforderliche gesellschaftliche, sozialphilosophische Grundkonsens abhandengekommen sei (GID 2012: 2 ff., 10). Es werden aber auch differenzierte Stimmen laut. Diese fordern anstelle einer Komplettbeseitigung der PKV die ebenfalls als Bürgerversicherung bezeichnete Schaffung von Wettbewerb zwischen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der PKV nach gleichen Spielregeln 84

(Handelsblatt 2013) sowie vorrangig die Schaffung gleicher Spielregeln innerhalb der PKV (FAZ 2013). Verfassungsrechtliche Zweifel Die Befürworter einer Komplettabschaffung der PKV (PKV hier immer in der Form der substitutiven Krankenversicherung verstanden; zur Definition 12 Absatz 1 Versicherungsaufsichtsgesetz VAG) sind sich offenbar einig, dass einer wie auch immer gearteten Abschaffung keinerlei nennenswerte rechtliche Schranken im Wege stehen. Gegner der Abschaffung verweisen darauf, dass beispielsweise eine Bürgerversicherung, die Beamte, Selbstständige und Besserverdienende den gesetzlichen Krankenkassen zuweist, verfassungsrechtlich problematisch wäre. Die Zuweisung dieser Personenkreise zur GKV würde faktisch das Ende der Privaten Krankenversicherung bedeuten (Der Spiegel 2013). Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die bisherige Haltung des Bundesverfassungsgerichts zur Weiterentwicklung des Krankenversicherungssystems der Bundesrepublik Deutschland zu betrachten. Diese Haltung ist vornehmlich im Urteil vom 10. Juni 2009 (Aktenzeichen 1 BvR 706/08) zum Ausdruck gekommen. In dieser richtungsweisenden Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht mit wichtigen Begründungsansätzen und Weichenstellungen (Wenner 2009: 230) zu Fragen der Aufgabenverteilung zwischen GKV und PKV sowie zur Herstellung von Wettbewerbsgleichheit innerhalb der PKV Stellung genommen. Anhand der Aussagen im Urteil soll hinterfragt werden, ob einer vollständigen Abschaffung der PKV quasi schon der verfassungsrechtliche Freibrief erteilt worden ist oder ob sich der Entscheidung nicht auch Gesichtspunkte entnehmen lassen, die gegen die sofortige Komplettabschaffung sprechen. In diesem Zusammenhang wird gleichermaßen der Frage nachgegangen, ob die Einführung einer umfassenden Portabilität von Altersrückstellungen innerhalb der PKV nur noch eines entsprechenden Gesetzesbeschlusses bedarf oder ob aus verfassungsrechtlicher Sicht zuvor weitere Überlegungen angestellt werden müssen. 85

Die Haltung des Bundesverfassungsgerichts Dem Urteil lagen mehrere zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundene Verfassungsbeschwerden zugrunde. Die Beschwerdeführer, fünf Unternehmen und drei Versicherte der Privaten Krankenversicherung, hielten Vorschriften des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz GKV-WSG) vom 26. März 2007 und des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (im Folgenden VVG-ReformG) vom 23. November 2007 für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Unter anderem standen Vorschriften auf dem Prüfstand, die eine Verbesserung der Wahlrechte und Wechselmöglichkeiten in der Privaten Krankenversicherung bezweckten, und zwar mittels Einführung eines Basistarifs und mittels Einführung der teilweisen Übertragbarkeit (Portabilität) der Altersrückstellungen. Die Verfassungsbeschwerden blieben ohne Erfolg. Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich der PKV Private Krankenversicherungsunternehmen mit Sitz im Inland, welche die substitutive Krankenversicherung betreiben, sind durch das GKV-WSG und das VVG-ReformG mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 erstmals verpflichtet worden, dem in 12 Absatz 1b Satz 1 VAG und 193 Absatz 5 Satz 1 VVG genannten Personenkreis Versicherungsschutz in einem sogenannten Basistarif zu gewähren. Die Bezeichnung Basistarif sollte offenbar sowohl den Charakter des Tarifs als privatversicherungsrechtliche Grundsicherung als auch die Annäherung an den Versicherungsschutz der GKV deutlich machen. Dementsprechend sieht das Gesetz vor, dass die Vertragsleistungen des Basistarifs in Art, Umfang und Höhe den Leistungsansprüchen nach dem Dritten Kapitel des SGB V vergleichbar sein müssen ( 12 Absatz 1a VAG). Die Einführung des Basistarifs war nicht nur insoweit bedeutsam, als den privaten Krankenversicherungsunternehmen ein Tarifangebot verpflichtend vorgeschrieben wurde, obwohl sie typischerweise über ihr Leistungsangebot selbst bestimmen sollen und dürfen. Ähnliches war zuvor in Form des Standardtarifs nach 257 Absatz 2a SGB V in der bis 86

zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung praktiziert worden (zum Standardtarif Peters in: KassKomm 2012 257 Randnotiz 14). Bedeutsam war vielmehr auch, dass der Basistarif branchenweit ein und denselben Leistungsumfang haben musste und dass die privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet wurden, Interessenten, die die Zugangsvoraussetzungen erfüllten, in dem Basistarif zu versichern (Kontrahierungszwang), und zwar grundsätzlich ohne die für sie typischen Möglichkeiten zur Risikoprüfung und -ablehnung, zu Leistungsausschlüssen oder zur Erhebung von Risikozuschlägen ( 12 Absatz 1b Satz 1 VAG, 193 Absatz 5 Satz 1 VVG, 203 Absatz 1 VVG). Diese für die PKV untypischen Eingriffe in ihr Geschäftsmodell legten es nahe, dass durch die neuen Vorschriften Grundrechte privater Krankenversicherungsunternehmen tangiert sein konnten. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht Eingriffe in das Grundrecht auf Eigentum (Artikel 14 Absatz 1 Grundgesetz) und in das Grundrecht der Berufsfreiheit (Artikel 12 Grundgesetz) geprüft. Während es einen Eingriff in das Grundrecht aus Artikel 14 Absatz 1 Grundgesetz verneint hat, bejahte es einen Eingriff in die Berufsfreiheit. Allerdings hat es diesen Eingriff im Ergebnis als gerechtfertigt angesehen. Nachstehend sollen die diesbezüglichen Kernaussagen des Urteils dargestellt werden. Sie vermitteln einen Eindruck, wo aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts Grenzen der Zumutbarkeit eines Eingriffs in die Berufsfreiheit privater Krankenversicherungsunternehmen liegen können. Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers Gemäß Artikel 74 Absatz 1 Nummer 11 Grundgesetz zählt die Regelung des privatrechtlichen Versicherungswesens zum Recht der Wirtschaft. Das Recht der Wirtschaft gehört zur konkurrierenden Gesetzgebung, für die die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung haben, soweit nicht der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit durch Gesetz Gebrauch gemacht hat (Artikel 72 Absatz 1 Grundgesetz). 87

Für das privatrechtliche Versicherungswesen hat der Bund zwar von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht. Allerdings hatten die Beschwerdeführer in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren kritisiert, die von ihnen angegriffenen Gesetze wichen inhaltlich so weit vom typischen und herkömmlichen Bild des privatrechtlichen Versicherungsvertrages ab, dass sie in ihrer Gesamtheit nicht mehr als Regelungen des privatrechtlichen Versicherungswesens qualifiziert werden könnten. Letztlich handele es sich bei den angegriffenen Vorschriften um Mischformen von Privat- und Sozialversicherung, die nicht von der Bundeskompetenz erfasst seien (zitiert nach BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2009, Randnotiz 57). In den Entscheidungsgründen betont das Bundesverfassungsgericht, dass die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers Weiterentwicklungen des privatrechtlichen Versicherungswesens nicht von vornherein verschlossen ist. Der Bundesgesetzgeber könne sich vielmehr auch dann auf Artikel 74 Absatz 1 Nummer 11 Grundgesetz berufen, wenn er für einen von ihm neu geschaffenen Typ privatrechtlicher Versicherung Regelungen des sozialen Ausgleichs vorsieht, die das privatwirtschaftliche Versicherungswesen prägende Merkmale nur begrenzt wirken lassen (a. a. O., Randnotiz 155 unter Hinweis auf BVerfGE 103, 197, 216 f.). Die Vorschriften über den Basistarif halten sich nach Meinung des Gerichts in diesem Rahmen. Denn sie beschränkten sich auf die Einführung eines einzelnen, staatlich regulierten Tarifs in ein ansonsten unverändertes Versicherungsrecht der Privaten Krankenversicherung, bringen aber keine grundlegende Neugestaltung des Rechts der Privaten Krankenversicherung (a. a. O., Randnotiz 156). Gemessen an diesem Hinweis des Gerichts darf bezweifelt werden, ob die komplette Abschaffung des privatrechtlichen Krankenversicherungswesens gleichermaßen eindeutig in die Kompetenz des Bundesgesetzgebers aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 11 Grundgesetz fällt. Denn die Abschaffung der PKV oder eine Aushöhlung ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit, die einer Abschaffung faktisch gleich käme, wäre zweifellos als grundlegende Neugestaltung des Rechts der Privaten 88

Krankenversicherung anzusehen, die das Bundesverfassungsgericht wohl als Grenze für die derzeitige Gesetzgebungskompetenz des Bundes erachtet hat. Falls das Bundesverfassungsgericht diese Grenze als überschritten ansieht, müsste eine eindeutige Kompetenzregelung zugunsten des Bundes erst noch in der Verfassung verankert werden. Andernfalls wäre nicht der Bundesgesetzgeber, sondern die Gesetzgeber der jeweiligen Länder für eine Abschaffung der PKV zuständig, denn nach Artikel 70 Grundgesetz haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Verhältnismäßigkeit des Eingriffs Das Bundesverfassungsgericht hat die Einschränkungen der Berufsfreiheit der PKV durch den Kontrahierungszwang im Basistarif am Maßstab der Verhältnismäßigkeit überprüft. Reine Berufsausübungsbeschränkungen können nach ständiger Rechtsprechung des Gerichts grundsätzlich durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls legitimiert werden. Beschränkungen der Berufswahl sind dagegen nur zum Schutz überragend wichtiger Gemeinwohlgüter zulässig (BVerfG, a. a. O., Randnotiz 165 mit weiteren Nachweisen). Nach Auffassung des Gerichts liegt eine Beschränkung der Berufswahlfreiheit, die nur zum Schutz überragend wichtiger Gemeingüter zulässig ist, in Bezug auf die Einführung des Kontrahierungszwangs im Basistarif nicht vor. Weder werde der Zugang zum Beruf eines Versicherers verhindert noch eine Pflicht zur Aufgabe des Berufs bestimmt. Eine sinnvolle Ausübung des Berufs eines privaten Krankenversicherers werde auch nicht durch die mit dem Kontrahierungszwang einhergehenden wirtschaftlichen Folgen unmöglich gemacht (BVerfG, a. a. O., Randnotiz 166 f.). Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführer vom Kontrahierungszwang in einer der Berufswahlbeschränkung gleich- oder nahekommenden Weise beeinträchtigt werden. Zwar verändere der Basistarif in Teilbereichen die Marktbedingungen der Privaten Krankenversicherung. Er lasse ihr grundsätzliches Geschäftsmodell aber unberührt. Dass es 89

hierdurch langfristig zu erheblichen, für die Beschwerdeführer nicht verkraftbaren Wechselbewegungen kommen könne, sei derzeit nicht vorhersehbar. Die diesbezügliche Prognose des Gesetzgebers, der von derartigen Auswirkungen des Gesetzes nicht ausgehe, sei als vertretbar anzusehen. Das gelte auch, wenn sich die Prognose später ganz oder teilweise als Irrtum erweise (a. a. O., Randnotiz 169 f.). In diesem Falle sei der Gesetzgeber allerdings gegebenenfalls zu einer Korrektur verpflichtet (a. a. O., Randnotiz 170). Im Ergebnis hat das Gericht die im Kontrahierungszwang liegende Berufsausübungsbeschränkung zwar als durch vernünftige Erwägung des Gemeinwohls legitimiert angesehen. Den vorstehend geschilderten Korrekturhinweis des Gerichts wird man aber so verstehen können, dass das Bundesverfassungsgericht für den Fall, dass sich entgegen der Prognosen des Gesetzgebers doch noch wirtschaftlich für die PKV nicht verkraftbare Auswirkungen der Gesetzesregelungen zeigen, eine Rechtfertigung durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls nicht sieht. Andernfalls hätte es dem Gesetzgeber die Verpflichtung zur Korrektur der Gesetzesregelungen nicht ausdrücklich ins Stammbuch geschrieben. Wenn es insofern offenbar bereits an der vergleichsweise leichter vorzunehmenden Rechtfertigung durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls fehlt, dürfte die wesentlich schwerer zu leistende Rechtfertigung mit dem Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts um so genauer zu prüfen sein (ebenso Hufen 2009: 651). Eine solche Rechtfertigung wird bei einer Abschaffung der PKV oder einer Aushöhlung ihres bisherigen Tätigkeitsspielraums aber erforderlich sein, wie sie derzeit etwa in Form einer Zuweisung von Beamten, Selbstständigen und Besserverdienenden zur GKV diskutiert wird (Der Spiegel 2013). Denn es liegt auf der Hand, dass die Abschaffung des PKV- Geschäftsmodells nicht nur eine bloße Berufsausübungsbeschränkung, sondern eine Berufswahlbeschränkung wäre, die eben nur durch den Schutz überragend wichtiger Gemeinwohlgüter gerechtfertigt werden kann. 90

Vor diesem Hintergrund wird man nicht umhin kommen, sorgfältig alle die Gründe zusammenzutragen, die die Beseitigung des Geschäftsmodells der PKV zum Schutze überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter rechtfertigen können. Verfassungsrechtliche Verankerung des dualen Systems? In diesem Zusammenhang wird auch geprüft werden müssen, ob eine Abkehr vom Geschäftsmodell der PKV überhaupt geeignet ist, den aktuellen Problemen Herr zu werden und dem derzeit in der Privaten Krankenversicherung versicherten Personenkreis, soweit er von Kostensteigerungen betroffen ist, auch künftig einen ausreichenden und bezahlbaren Krankenversicherungsschutz zu gewährleisten (zur Prüfung der Eignung des Kontrahierungszwangs BVerfG, a. a. O., Randnotiz 172). Zur Beantwortung dieser Frage werden die intensive Analyse der aktuellen Situation und die fundierte Prognose der weiteren Entwicklung erforderlich sein. Dabei wird vor allem auch die bisherige Haltung des Gesetzgebers zum dualen System genauer betrachtet werden müssen. Denn im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hatte die Bundesregierung eigens das Ziel des Gesetzgebers betont, das bestehende duale System von gesetzlicher Krankenversicherung und privater Krankenversicherung aufrechtzuerhalten, ohne den notwendigen Schutz der sozialen Belange außer Acht zu lassen. Der Basistarif verwirkliche ein wesentliches Ziel des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes, beide Säulen der Krankenversicherung so auszugestalten, dass jede Säule für die gesamte Lebensbiografie ihrer Versicherten einen hinreichenden und bezahlbaren Versicherungsschutz bereitstelle (zitiert nach BVerfG, a. a. O., Randnotiz 86, 91). Das Bundesverfassungsgericht hat an diese Argumentation angeknüpft und seine Überlegungen gerade auch ausgehend von dem dualen System einer Vollversicherung in der GKV und in der PKV entwickelt. So hat es betont, dass der Gesetzgeber, wenn er eine Volksversicherung aus zwei Versicherungssäulen schafft, diesen beiden Säulen Personengruppen in einer ausgewogenen Lastenverteilung zuordnen kann (a. a. O., Randnotiz 91

175). Ferner hat es die von der Öffnung des Basistarifs für bestimmte Personengruppen ausgehende Stärkung von Wahl- und Wechsel möglichkeiten begrüßt, weil sie den dualen Aufbau der Krankenversicherung aus gesetzlichen und privaten Trägern festigt (a. a. O., Randnotiz 178). Auch das Verbot für private Versicherungsunternehmen, den Basistarif zu kündigen ( 206 Absatz 1 Satz 1 VVG), gewinnt laut Bundesverfassungsgericht seine Rechtfertigung aus dem Zusammenhang zwischen der durch das GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz eingeführten Versicherungspflicht in der Privaten Krankenversicherung und der damit verbundenen Intention des Gesetzgebers, die Versicherungssysteme von gesetzlicher und privater Krankenversicherung dauerhaft voneinander abzugrenzen. Der Gesetzgeber wolle das duale Krankenversicherungssystem erhalten und stärken; dabei solle auch die private Säule zur Vollfunktionalität gelangen und ihre Mitglieder in gleicher Weise wie die öffentlich-rechtliche Versicherung umfassend, rechtssicher und dauerhaft absichern (a. a. O., Randnotiz 190). Diese Ausführungen des Gerichts rechtfertigen den Schluss, dass sich das Bundesverfassungsgericht den Gedanken einer Stärkung gerade auch der privaten Säule des Krankenversicherungssystems zu eigen gemacht hat (ebenso Hufen 2009: 651 f.) und die Frage einer Eignung der Abschaffung des Geschäftsmodells der PKV einer kritischen Prüfung unterziehen wird. Milderes Mittel: Herstellung verbesserter Wettbewerbsbedingungen Im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung wird insbesondere auch untersucht werden müssen, ob nicht ein milderes Mittel als die Komplettabschaffung des Modells Vollversicherung in der PKV in Betracht kommt (zur Prüfung eines milderen Mittels als des gesetzlich angeordneten Kontrahierungszwangs im Basistarif siehe BVerfG, a. a. O., Randnotiz 173). Als milderes Mittel wäre vor allem eine Intensivierung des Wettbewerbs innerhalb der PKV durch Herstellung verbesserter Wettbewerbsbedingungen zu diskutieren. Ein verstärkter Wettbewerb wirkt sich regelmäßig auf die Prämienhöhe und den Leistungsumfang aus und macht die Versicherung für die Versicherten bezahlbarer. 92

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil die Öffnung des Basistarifs für bestimmte Personengruppen unter anderem deshalb als gerechtfertigt angesehen, weil von ihr eine Stärkung von Wahl- und Wechselmöglichkeiten zwischen den Unternehmen der Privaten Krankenversicherung ausgeht (a. a. O., Randnotiz 178). Insofern hat das Gericht den Gedanken einer Intensivierung des Wettbewerbs durch Herstellung verbesserter Wahl- und Wechselmöglichkeiten grundsätzlich als geeignetes Mittel zur Erreichung einer bezahlbaren privaten Krankenversicherung anerkannt. Portabilität von Altersrückstellungen Die Herstellung verbesserter Wettbewerbsbedingungen innerhalb der PKV kann grundsätzlich über die Portabilität von Altersrückstellungen erreicht werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil unter Berufung auf die Ziele des Gesetzgebers ausdrücklich akzeptiert. Danach verfolgt der Gesetzgeber mit der Portabilität von Altersrückstellungen das Ziel, im Markt der privaten Krankenversicherungen einen funktionierenden Wettbewerb herzustellen und den Versicherten einen Wechsel zu einem anderen Versicherungsunternehmen zu erleichtern (a. a. O., Randnotiz 203; zur entsprechenden Gesetzesbegründung siehe Bundestagsdrucksache 16/3100: 3, 92). Für Bestandskunden der Privaten Krankenversicherung ab einem gewissen Alter sei es bisher praktisch unmöglich gewesen, ihre Krankenversicherung zu wechseln. Der damit verbundene Verlust der Altersrückstellungen habe dazu geführt, dass ein neuer Versicherer seine Kalkulation ohne diese Rücklage vornehmen musste und deshalb erhöhte Prämien verlangt habe. Der bei Wechsel in eine andere Versicherung dem Versicherungsnehmer drohende Verlust der Altersrückstellungen schirme den Versicherer praktisch gegen Kündigungen ab und mindere zugleich die Chancen anderer Versicherer, neue Kunden zu gewinnen. Zugleich hindere ein Fehlen der Portabilität mit zunehmendem Alter den Versicherten daran, zu einem anderen Versicherungsunternehmen zu wechseln (a. a. O., Randnotiz 203; im Anschluss an: Unabhängige Expertenkommission 1996: 42 ff. und Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts 2004: 143 f.). 93

Eine Beeinträchtigung des Eigentums der beschwerdeführenden PKV- Unternehmen aus Artikel 14 Absatz 1 Grundgesetz durch die Herstellung der Portabilität von Altersrückstellungen hatte das Gericht zuvor verneint. Die Altersrückstellung hat nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht den Charakter eines konkreten, dem Inhaber nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts zugeordneten Eigentumsrechts. Bei der Bildung von Altersrückstellungen handele es sich nicht um einen individuellen Sparvorgang, sondern um eine auf kollektiver Risikokalkulation beruhende Kapitalsicherstellung zur Finanzierung des Risikos einer altersbedingten Verschlechterung des Gesundheitszustandes und erhöhter Krankheitskosten (a. a. O., Randnotiz 202 unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 11. Mai 2006, Aktenzeichen III ZR 228/05). Anders als bei der Überschussbeteiligung und beim Rückkaufswert in der kapitalbildenden Lebensversicherung, bei denen neben dem Risikoanteil ein beständig wachsender, individueller Sparanteil aufgebaut wird, der während der gesamten Vertragslaufzeit in konkreter Höhe beziffert werden kann und zum Abschluss der Vertragslaufzeit ausgezahlt wird, stelle die Altersrückstellung lediglich einen nicht dem Eigentumsschutz unterfallenden Kalkulationsposten dar (a. a. O., Randnotiz 202; andere Auffassung beispielsweise Knab 2009: 88, 116). Zwar hatten sich nur die beschwerdeführenden Unternehmen auf den Eigentumsschutz des Artikels 14 Grundgesetz berufen. Durch seine Ausführungen hat das Gericht aber zugleich deutlich gemacht, dass die Altersrückstellung auch nicht dem Eigentumsschutz der Versicherten der Privaten Krankenversicherung unterfallen kann. Insgesamt hält das Bundesverfassungsgericht die Herstellung einer Portabilität der Altersrückstellung für geeignet, Wechselmöglichkeiten der Versicherungsnehmer und damit den Wettbewerb zwischen den Unternehmen zu verbessern (BVerfG, a. a. O., Randnotiz 204). Die gegenwärtige Lage schaffe Fehlanreize für die Unternehmen, die sich um ihre Bestandskunden praktisch nicht zu kümmern bräuchten. Die Portabilität von 94

Altersrückstellungen fördere insofern mehr Kundenorientierung, führe zu mehr Vertragsparität und stärke die Selbstbestimmung der gegenüber den Versicherern benachteiligten Versicherungsnehmer (a. a. O., Randnotiz 209 f.). Portabilität der vollen kalkulierten Altersrückstellung? Unter Berücksichtigung der vorstehend geschilderten Haltung des Bundesverfassungsgerichts kann die Frage, ob die derzeit geforderte Herstellung einer vollständigen Portabilität von Altersrückstellungen innerhalb der PKV (FAZ 2013) als milderes Mittel zur Abschaffung des Geschäftsmodells in Betracht kommt, grundsätzlich bejaht werden. Allerdings ist insofern nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch ein weiterer Punkt zu bedenken. Das Bundesverfassungsgericht hatte untersucht, ob die Einführung einer Portabilität der Altersrückstellung wegen der Gefahr einer Risikoselektion im Bestand der Unternehmen einen unzumutbaren Eingriff darstellt. Es hat die Unzumutbarkeit des Eingriffs letztlich mit der Begründung verneint, dass es sich um die Einführung einer nur teilweisen Portabilität und nicht um die Übertragung der vollen kalkulierten Altersrückstellung handelt. Zwar setze die dauerhafte Erfüllbarkeit der Krankenversicherungsverträge durch die Unternehmen der PKV jedenfalls im Grundsatz voraus, dass sich unter ihren Versicherungsnehmern in ausreichendem Maße solche mit guten Risiken befinden. Ein stetiges Abwandern von Versicherten mit guten Risiken und der Folge, dass in einem Unternehmen nur noch Menschen mit schlechten Risiken und hohen Krankheitskosten versichert sind, könne insofern letztlich bis hin zur Insolvenz des Unternehmens führen. Daher seien in der Reformdiskussion der Vergangenheit Modelle abgelehnt worden, die eine Übertragbarkeit der vollen kalkulierten Altersrückstellung vorsahen, weil sie die Gefahr einer unvertretbaren Risikoselektion und Entmischung in sich tragen würden (a. a. O., Randnotiz 206 f. unter Bezugnahme auf die Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts 2004: 143 ff.). Das durch die Beschwerdeführer angegriffene 95

GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz sehe jedoch nicht die Übertragung der vollen kalkulierten Altersrückstellung vor, sondern lediglich deren Übertragung im Umfang der dem Basistarif entsprechenden Leistungen. Bei einem Versichertenwechsel werde daher ein erheblicher Anteil der für den Versicherungsnehmer in seinem Normaltarif gebildeten Altersrückstellung bei dem bisherigen Unternehmen verbleiben (a. a. O., Randnotiz 208). Überträgt man diese Überlegungen auf die Frage, ob die Herstellung einer vollen Portabilität der Altersrückstellung ein geeignetes und milderes Mittel gegenüber einer Komplettabschaffung sein kann, sind noch einige Hausaufgaben zu erledigen. Dabei wird insbesondere zu prüfen sein, ob nur eine Übertragung der kalkulierten Altersrückstellung in Betracht kommt oder nicht auch andere Übertragungsmodelle heranzuziehen sind, wie beispielsweise die im Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004 angesprochene individuelle prospektive Altersrückstellung (a. a. O., Randnotiz 148 ff.; dazu auch Eekhoff und Arentz 2013: 106 ff.). Insgesamt kann dem Abschlussbericht nach wie vor in der Einschätzung zugestimmt werden, wonach es der Öffentlichkeit kaum noch überzeugend vermittelt werden kann, dass GKV-Versicherte ihre Krankenkasse frei wählen können, PKV-Versicherte ihre Krankenversicherung die ja als substitutive Krankenversicherung die gesetzliche zu ersetzen hat hingegen nur unter teilweise unüberwindbaren Hindernissen (a. a. O., Randnotiz 154). Ausblick Gemessen an der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts ist es keineswegs klar, dass die sofortige Abkehr vom Geschäftsmodell der substitutiven Krankenversicherung in verfassungsrechtlicher Hinsicht ohne Weiteres umsetzbar ist. Um für eine künftige verfassungsgerichtliche Überprüfung gerüstet zu sein, wird der Gesetzgeber unter anderem eine umfassende und sorgfältige Einschätzung dazu liefern müssen, ob eine Beseitigung des PKV-Geschäftsmodells zum Schutz überragend wichtiger Gemeinwohlgüter gerechtfertigt ist oder ob nicht schon eine Herstellung der vollen Übertragbarkeit der Altersrückstellung innerhalb der PKV ein 96

geeigneterer Schritt zur Bewältigung der aktuellen Probleme sein kann. Zwar wird man nicht so weit gehen müssen, zu behaupten, dass das Bundesverfassungsgericht sich einem Abschied vom Zwei-Säulen-Modell oder schon einer Gefährdung des PKV-Geschäftsmodells wahrscheinlich in den Weg stellen wird (Hufen 2009: 651 f.). Sicherlich kann aber der Einschätzung zugestimmt werden, dass ein Abrücken des Gesetzgebers von seiner bisherigen, das duale System festigenden Argumentation durch die Urteilsbegründung nicht erleichtert worden ist (Wenner 2009: 234). Vor diesem Hintergrund bleibt die spannende Frage, ob das Bundesverfassungsgericht nicht sogar dazu tendieren könnte, den Gesetzgeber als verpflichtet anzusehen, die Absicherung bestimmter Personenkreise in der PKV, insbesondere der für die PKV wirtschaftlich bedeutsamen Gruppe der beihilfeberechtigten Beamten, weiter auszubauen (Wenner 2009: 233 f.). In diesem Fall könnte als Fernziel eine Beschränkung des Aufgabenkreises der PKV auf diese Personengruppen in Betracht kommen. Literatur Ärzte Zeitung (2013): Dauerpatient PKV, 4. Juni 2013. Der Spiegel (2013): Bürgerversicherung verfassungswidrig?, 1. Juli 2013. Eekhoff, J., und C. Arentz (2013): Zur Zukunft der PKV: Probleme und Perspektiven. In: Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2013. S. 106 ff. Gesundheitspolitischer Informationsdienst GID (2012): Mit dem Rücken zur Wand. Die Private Krankenversicherung im Drei-Fronten-Krieg, 27. April 2012. S. 2 ff. Gutachten der Unabhängigen Expertenkommission zur Untersuchung der Problematik steigender Beiträge der privaten Krankenversicherung im Alter vom 18. Juni 1996. Bundestagsdrucksache 13/4945. FAZ (2013): Bahr kritisiert Blockaden in Krankenkassen, 8. Juli 2013. Handelsblatt (2012): Koalitionsstreit um Bad Bank für die PKV, 24. April 2012. Handelsblatt (2013): Die PKV wird selbst zum Patienten, 28. Januar 2013. 97

Hufen, F. (2009): Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Privaten Krankenversicherung ein Freibrief für den Gesetzgeber? In: NZS 2009. S. 649 ff. Knab, M. (2009): Eigentumsschutz in der privaten Krankenversicherung unter besonderer Berücksichtigung der Altersrückstellungen. Berlin. Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (2004): Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004, http://www.hzv-uhh.de/index. php?eid=tx_nawsecuredl&u=0&file=fileadmin/versicherungsrecht/vvg_reform/abschlussbericht_der_vvg-kommission.pdf&t= 1373537901&hash=156d95cfaef32592ff0222b44b3e3807 (Download 16. Juli 2013) Peters, K. (2012): In: Leitherer, S. (Hrsg.): Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Band 1 (Ergänzungslieferung April 2012). 257, München. Wenner, U. (2009): Klare Botschaft vom Bundesverfassungsgericht: Angriffe der privaten Krankenversicherung gegen die Gesundheitsreform erfolglos. In: Soziale Sicherheit 2009. S. 230 ff. 98