Islamismus in Österreich. Hintergründe, Aktivitäten und Akteure

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Islamismus in Österreich Hintergründe, Aktivitäten und Akteure Wien im Oktober 2014

Impressum 2015 Österreichische Gesellschaft für Politikanalyse Alle Rechte vorbehalten Autor: Dr. Helmut Pisecky Österreichische Gesellschaft für Politikanalyse Austrian Society for Policy Analysis Schulerstraße 7 1010 Wien 1 2

ÖGP Country Reports Islamismus in Österreich Hintergründe, Aktivitäten und Akteure 3

4

Über die Österreichische Gesellschaft für Politikanalyse Die Österreichische Gesellschaft für Politikanalyse (ÖGP) ist eine nicht universitäre Forschungseinrichtung, die sich mit Extremismus-, Konflikt- und Sicherheitsthemen auseinandersetzt. Ein besonderer Forschungsschwerpunkt der ÖGP liegt im Bereich Islamismus, da sich diese Thematik angetrieben durch geopolitische Entwicklungen in den letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt hat. Alle Experten die sich im Rahmen der ÖGP engagieren, haben langjährige und einschlägige Erfahrung auf ihren jeweiligen Fachgebieten und beraten in- und ausländische Experten in Sicherheitsfragen. Die ÖGP will mit ihrer Arbeit Diskussionsanreize setzen und Entscheidungsträgern solide recherchierte Grundlagen aufbereiten. About the Austrian Society for Policy Analysis The Austrian Society for Policy Analysis (ÖGP) is a research institute that deals with extremism, conflict, and security issues. A special focus of ÖGP s research is on Islamism, since this political challenge driven by international developments has changed significantly in recent years and become concern to many policy makers and academics. All the experts involved in the context of ÖGP have many years of relevant experience in their respective fields and advise domestic and foreign experts in security issues. The ÖGP wants to contribute to a lively and professional political debate, based on solid expertise. 3 5

Inhalt Introduction... 8 Vorwort... 10 1. Der Begriff Islamismus... 14 2. Der Islamismus als politische Ideologie... 18 3. Antisemitismus... 22 4. Erscheinungsformen des Salafismus... 25 4.1. Missionarischer Salafismus... 28 4.2. Propagandistischer Salafismus... 29 4.3. Djihadistischer Salafismus... 30 5. Ideologische Wurzeln des Islamismus... 34 5.1. Ibn Abd el-wahhab... 36 5.2. Gamal ad-din al-afghani... 38 5.3. Raschid Rida... 40 5.4. Sayyid Qutb... 41 5.5. Taqi ad-din an-nabhani... 43 5.6. Necmettin Erbakan... 46 6. Islamismus in Österreich... 48 6.1. Die Muslimbruderschaft... 48 6.2. Milli Görüs... 54 5 6

6.3. Hizb ut-tahrir (HuT)... 56 6.4. Aktivna Islamska Omladina (AIO)... 59 7. Erscheinungsformen des Salafismus in Österreich... 61 7.1. Missionarischer Salafismus... 61 7.2. Propagandistischer Salafismus... 62 7.3. Djihadistischer Salafismus... 64 Literatur... 72 6 7

Introduction In the Annual Report 2012, the Austrian Federal Agency for State Protection and Counter Terrorism says: "The Federal Republic is home to a number of young followers of the Salafi Jihadism ideology. The willingness of a possible use of force and active engagement in the Salafist-Jihadist cause could be found in the reporting period. The focus of activities was in the radicalization and recruitment of new members and the strengthening of existing structures. " Significantly, the issue of Islamism by the Austrian Ministry of Interior is discussed under the heading "terrorism" whilst the chapter "extremism" deals exclusively with left- and right-wing extremism and militant animal rights activists. The lack of interest in Islamism is surprising given how Austria has become an important hub for Islamist activities between the Balkans and Western Europe, with Vienna firmly positioned as a centre for political Islam following the establishment of several mosques in the city. In addition, the Annual Report 2013 6 8

highlights not only how the influence of Islamic extremism is supported, but exacerbated as a result of conflict against ISIS in Syria and Iraq. This overview focuses on the manifestations of Islamism in Austria and its historical and theoretical foundations. The time reference also allows to show how Islamist groups could spread their radicalisation agenda through local civic structures (e.g. NGOs) by utilizing other topics such as human rights or democratic development for their means. It will be shown that Islamism is anti-democratic and in its most extreme form violent, with special attention on Islamist driven anti-semitism. Islamism is primarily studied as a political phenomenon. It is based on the theory of extremism by Uwe Backes. This defines political extremism on the basis of characteristics which he places in contrast to the democratic and constitutional features. Because of its various forms Islamism is a clear antithesis to democracy and the rule of law and can be understood and illustrated as a form of extremism. 7 9

Vorwort Im Verfassungsschutzbericht 2012 stellt das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung fest: Im Bundesgebiet halten sich junge Anhänger des salafistischen Jihadismus auf. Die Bereitschaft einer möglichen Gewaltanwendung in Richtung aktives Engagement in der salafistisch-jihadistischen Causa konnte auch im Berichtszeitraum festgestellt werden. Der Fokus der Aktivitäten lag in der Radikalisierung und Rekrutierung neuer Mitglieder sowie im Ausbau bereits bestehender Strukturen. 1 Bezeichnenderweise wird das Thema Islamismus vom österreichischen Innenministerium unter der Überschrift Terrorismus abgehandelt während sich das Kapitel Extremismus ausschließlich mit Links- und Rechtsextremismus sowie militanten Tierschützern beschäftigt. Das mangelnde Interesse im staatlichen - und wissenschaftlichen Bereich auf 1 Bundesministerium für Inneres Österreich 2012, S. 35 8 10

das der Islamismus hierzulande stößt, ist insofern erstaunlich als dass gerade Österreich als wichtige Drehscheibe für islamistische Aktivitäten zwischen dem Balkan und Westeuropa gilt und sich insbesondere in Wien mehrere Moscheen als Zentren des politischen Islam etabliert haben. Auch im Verfassungsschutzbericht 2013 wird diese Systematik beibehalten, allerdings unter stärkerer Berücksichtigung der Rekrutierung österreichischer Staatsbürger für die Konflikte in Syrien und im Irak 2. Diese Übersicht widmet sich den Erscheinungsformen des Islamismus in Österreich sowie deren historischen und theoretischen Grundlagen. Es soll gezeigt werden, dass der Islamismus antidemokratisch ist und in seiner extremsten Form auch gewalttätig sein kann, besonderes Augenmerk gilt dabei dem islamistisch motivierten Antisemitismus. Dabei wird der Islamismus primär als politisches Phänomen untersucht. Grundlegend dafür ist die Extremismustheorie von Uwe Backes 3. Dieser definiert politischen Extremismus anhand von Merkmalen 2 vgl. Bundesministerium für Inneres Österreich 2013, S. 27-36 3 vgl. Backes 2006 9 11

die er in Gegensatz zu den demokratischen und rechtsstaatlichen Merkmalen stellt 4. Da der Islamismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen eine deutliche Antithese zu Demokratie und Rechtsstaat bildet kann er als eine Form des Extremismus verstanden und dargestellt werden. 4 vgl. Backes, 2006, S. 13 10 12

11 13

1. Der Begriff Islamismus In der öffentlichen Diskussion werden die Begriffe politischer Islam, Islamischer Integralismus, Islamofaschismus und islamischer Fundamentalismus trotz verschiedener Bedeutungsinhalte und Betrachtungsweisen oft synonym verwendet. Der Begriff des Integralismus leitet sich aus dem französischen Kontext ab und bezeichnet Bewegungen die eine Integration religiöser Werte in die Politik und das Alltagsleben fordern. Islamofaschismus wird meist im Zuge politischer Debatten als zugespitzer Kampfbegriff verwendet, ist insgesamt allerdings wenig präzise. Der klassische Faschismus zielt in der Regel auf die gewalttätige Neugründung der jeweiligen Volksgemeinschaft und die Weiterentwicklung der Nation ab 5. Die meisten islamistischen Bewegungen lehnen aber den Begriff Nation strikt ab, da lediglich die Gemeinschaft aller Gläubigen, die umma, als Bezugspunkt akzeptiert wird. 5 vgl. Paxton 2006, S. 321 12 14

Der Begriff politischer Islam wird in der Regel für Bewegungen verwendet, die den Islam politisch interpretieren, im Übrigen aber ideologisch höchst heterogen sind 6. Die religiösen Inhalte werden aus dieser Perspektive oft ausgeblendet, sodass diese Strömungen in der Öffentlichkeit meist durch politische Führungspersönlichkeiten repräsentiert und als politische Bewegungen wahrgenommen werden. Konkrete Beispiele wären etwa die aktuelle Regierungspartei AKP in der Türkei sowie die Muslimbruderschaft in Ägypten. In diesen Fällen richten sich die politischen Inhalte nach religiösen Grundsätzen, unterliegen aber politischen Notwendigkeiten und Sachzwängen. Da religiöse und politische Ziele oft nicht klar zu trennen sind legen diese Fälle auch den Schluss nahe dass der Islam keine Trennung von Religion und Staat zulässt 7. Islamistische Strömungen lehnen im Gegensatz zu Vertretern des politischen Islam demokratische Strukturen teilweise offen ab. Dies betrifft insbesondere die sogenannten neo-salafistischen Bewegungen, die eine Rückbesinnung auf die frommen 6 vgl. Pentz et al. 2008, S. 16 7 vgl. Riedel 2003, S. 16 13 15

Altvorderen propagieren. Strömungen wie etwa die Takfiristen 8 lehnen die Vermengung von Religion und Politik schon deshalb ab, weil diese notwendigerweise die reine Lehre verwässert und Kompromisse notwendig macht. Islamismus im Sinne dieser Studie wird deshalb als das Bestreben verstanden den Islam zu politisieren und diesem eine Transformation hin zu einer Ideologie aufzuzwingen. Zentral ist dabei der Anspruch, dass der Islam stets zugleich Religion und Politik bedeutet. Damit ist auch die Forderung nach Rückkehr zu den reinen Ursprüngen des Islam verbunden, d.h. auf die normativen Quellen des Korans, der Sunna 9 und den Hadithe 10. Als Vorbilder fungieren hierbei die frommen Altvorderen (as-salaf as-salih), von denen sich auch der Begriff Salafisten herleitet 11. 8 Die Takfiristen fordern die Abkopplung ihrer (rechtgläubigen) Anhänger von der Mehrheitsgesellschaft die sich ihrer Ansicht nach vom wahren Glauben schon zu weit entfernt hat. 9 Arab. Brauch oder überlieferte Norm. Die Sunna bezeichnet die Gesamtheit aller wegweisenden und nachahmenswerten religiösen und profanen Taten des Propheten Mohammed. 10 Hadith (Arab. Mitteilung, Erzählung ) bezeichnet eine Überlieferung über Mohammed, vor allem Zitate und Handlungen die im Koran nicht enthalten sind. Die Hadithe sind besonders für die gottgefällige Gestaltung des Alltagslebens von Bedeutung. 11 vgl. Schulze 2003, S. 32 14 16

Diese Präzisierung erscheint auch insofern als notwendig, als dass sich in der öffentlichen Debatte in den letzten Jahren der Begriff Salafist als Sammelbezeichnung für ein breites Spektrum von Islamisten etabliert hat und auch häufig als Kampfbegriff verwendet wird. In der Praxis stellen sich die islamistischen Bewegungen höchst komplex und heterogen dar, von seiner religionsgeschichtlichen Einordnung bis zu seiner politischen Bewertung ist an diesem Phänomen fast alles umstritten 12. Die Typologien und Kategorisierungen stellen deshalb auch nur Annäherungsmöglichkeiten dar. 12 vgl. Reissner 2002, S. 28 15 17

2. Der Islamismus als politische Ideologie Aufgrund seiner politischen Ausrichtung ist das Gedankengut islamistischer Gruppen mit der demokratischen Grundordnung im westlichen Verständnis nicht kompatibel. Vor allem die Forderung nach Errichtung eines religiösen Staates widerspricht den Grundsätzen und Erkenntnissen der (westlichen) Moderne und der Aufklärung 13. Zunächst ist der politische Islam antifeministisch, homophob, antisemitisch und antidemokratisch. Dies bedeutet nicht, dass alle Strömungen des politischen Islam jede Form von Demokratie ablehnen würden. [ ] Allerdings liegt die Souveränität letztlich nicht bei der Bevölkerung, sondern bei Gott. Wie sich die Souveränität Gottes ausdrücken mag, [ ] ist dabei bei den verschiedensten Gruppierungen des politischen Islam umstritten. Einigkeit besteht jedoch in der beschränkten Souveränität des Menschen [ ] Liberalismus und Sozialismus sind geistige Strömungen der Aufklärung und deren Nachkommen. Mit ihrem Menschenbild, das den 13 vgl. Farschid 2003, S. 78-79 16 18

Menschen selbst zum Gestalter seiner Geschichte macht, stehen sie dem Bild eines allmächtigen Gottes, der über eine teleologisch gedachte Geschichte wacht, entgegen. 14 Ein zentrales Problem besteht hierbei in Bezug auf den Grundsatz der Volkssouveränität. Im westlichen Verständnis gibt sich das Volk als Souverän im Zuge des politischen Prozesses qua Delegation an ein gewähltes Parlament selbst seine Gesetze. Einschränkungen bestehen lediglich durch die (ebenfalls demokratisch zu legitimierende) Verfassung, internationale Konventionen sowie unveräußerliche Grundrechte. Die Menschenrechte ihrerseits beruhen auf den Grundsätzen des Naturrechts, das auf die griechische Antike zurückgeht und seinerseits die christlichen und aufklärerischen Rechtsvorstellungen maßgeblich prägte. Dem steht der islamische Grundsatz gegenüber, laut dem lediglich Gott souverän sein kann und dementsprechend jede Herrschaft nur auf religiöser Basis Legitimität erlangen kann. Die 14 Pentz et al. 2008, S. 20 17 19

Gesetze werden aus Koran und Sunna abgeleitet da ausschließlich in dieser göttlichen Offenbarung und in den Überlieferungen des Propheten die endgültige Wahrheit liegt 15. Viele Salafisten sprechen sich deshalb grundsätzlich gegen eine Teilnahme an demokratischen politischen Prozessen aus 16. Im politischen Kontext lässt sich der Islamismus deshalb als Extremismus definieren. In der Regel steht der Extremismus im Widerspruch zu einer Politischen Mitte, die durch eine Mischung von Verfassungselementen, Gewaltensteuerung und sozialem Interessensausgleich gekennzeichnet ist 17. Extremisten agieren hingegen auf der Basis eines exklusiven Wahrheits- und Deutungsanspruchs der sich auch in Gewaltanwendung manifestieren kann. Die Berufung auf unanfechtbare Autoritäten, d.h. religiöse Grundsätze, verhindern dabei die substanzielle Annäherung an andere Positionen 18. Im Islamismus spiegelt sich dieser Ansatz etwa in offen frauenfeindlichen Argumentationen oder in der Ablehnung der 15 vgl. Dekmeijan 1985 16 vgl. Riedel 2003, S. 16 17 vgl. Backes 2006, S. 20 18 vgl. ebd., S. 22 18 20

Volkssouveränität als verbotene Neuerung ( bida ) wieder. Personen, welche die von Menschenhand gemachten Gesetze befolgen, werden als muschrik ( jene, die neben Allah noch etwas anderes anbeten ) diskreditiert. Personen, die an der demokratischen Gesetzgebung mitwirken, werden als taghut ( jemand, der es wagt, neben Allah Gesetze zu entwerfen ) verurteilt. Teilnehmer am demokratischen Prozess betreiben deshalb schirk ( Gleichstellung mit dem Göttlichen ) und dienen somit nicht Allah alleine 19. 19 vgl. Halm 2001, S. 60 19 21

3. Antisemitismus Integraler Bestandteil des modernen Salafismus sind antisemitische Stereotype. Diese lassen sich sowohl auf religiöse als auch auf politische Motive zurückführen wobei letztere teilweise aus Europa importiert und adaptiert worden sind. Berücksichtigt man nun den traditionell im Islam verankerten Antijudaismus, so wird schnell klar, dass die von den Europäern eingebrachten Antisemitismen bei den unter Kolonialherrschaft stehenden Muslimen im Wandel ihrer gesellschaftlichen Ordnung auf ein System trafen, das im Stande war, die neu vermittelte Ideologie nur zu gerne in dieses einzubetten. 20 Eine zentrale Rolle spielte im 20. Jahrhundert der Mufti von Jerusalem, Amin al-husseini, der als einer der wichtigsten Vertreter der arabisch-nationalsozialistischen Bündnispolitik gilt. Al-Husseini suchte seit den 1930er Jahren den Schulterschluss mit dem nationalsozialistischen Regime in Deutschland und arbeitete auch mit der ägyptischen Moslembruderschaft zusammen 21. 20 Wind 2005, S. 24 21 vgl. Puschnerat 2006, S. 49 20 22

Stein des Anstoßes war dabei vor allem die jüdische Siedlungsbewegung in Palästina, die sowohl antijüdische als auch arabisch-nationalistische Reaktionen hervorrief. In weiterer Folge ging der Antisemitismus der salafistischen Bewegungen eine Symbiose mit antikolonialistischen Einstellungen ein, die sich insbesondere nach dem Sechstagekrieg von 1967 gegen Israel richteten. Seitens der Islamisten widmete sich insbesondere der ägyptische Vordenker Sayyid Qutb, dessen Schriften u.a. die Ideologie der Al- Qaeda maßgeblich prägen sollte, dem Kampf gegen die Juden. Einige seiner diesbezüglichen Schriften wurden 1970 von der saudi-arabischen Regierung nachgedruckt und in anderen arabischen Ländern verteilt. In seinem Text Unser Kampf gegen die Juden stellte Qutb den Antijudaismus auf eine religiös fundierte Basis und legte damit den Grundstein für eine bis heute verbreitete Sichtweise innerhalb der salafistischen Szene bzw. weiterer Bevölkerungskreise in der arabischen Welt. So bezeichnete etwa der Großscheich der Al-Azhar-Universität in 21 23

Kairo, Muhammad Sayyid Tantawi, in einer Predigt im Jahr 2002 die Juden als Nachkommen von Affen und Schweinen 22. Aufgrund der Migrationsströmungen der letzten Jahrzehnte hat sich der islamistisch motivierte Antijudaismus mittlerweile auch in Europa fest etabliert. Für Deutschland belegt etwa eine Studie, die das Bundesministerium des Inneren 2007 in Auftrag gab, dass antisemitische Einstellungen bei jungen Muslimen signifikant weiter verbreitet sind als bei Nichtmuslimen mit oder ohne Migrationshintergrund 23. In einigen west- und nordeuropäischen Staaten wächst mittlerweile die Sorge über die Folgen des importierten Antisemitismus für Politik und Gesellschaft 24. 22 vgl. Solnick 2002, S. 3 23 vgl. Brettfeld 2007, S. 275 24 vgl. Die Welt, 2010 22 24

4. Erscheinungsformen des Salafismus Der Salafismus propagiert die Orientierung an den frommen Altvorderen (as-salaf as-salih) aus der Frühzeit des Islam und stellt die wichtigste Strömung innerhalb des weitgehend heterogenen Islamismus dar. Der Salafismus entwickelte sich hauptsächlich in Ägypten als eigenständige Strömung in der Auseinandersetzung mit der westlichen Moderne. Hauptbestrebung der klassischen Salafis war zunächst eine friedliche Erneuerung der Gesellschaft aus dem Islam heraus, insofern stellt der ursprüngliche Salafismus eine gewisse Entsprechung zur europäischen Reformation dar. Der Salafismus verstand sich in diesem Zusammenhang auch als Widerstandsbewegung zum europäischen Kolonialismus: Im Unterschied zum türkischen Kemalismus wollte man die Kolonialmächte nicht kopieren und übertreffen sondern der westlichen Moderne ein Alternativkonzept entgegenstellen. Der moderne Salafismus ist eine maßgebliche Folge des Versagens des Arabischen Sozialismus in den 1960er Jahren. Vor allem die Niederlage der arabischen Staaten im Sechstagekrieg von 1967 gegen Israel wurde von vielen Arabern als offenkundige 23 25

Widerlegung der säkularen Ideologien verstanden und öffnete dem politischen Islam neue Wirkungsmöglichkeiten. Die sowjetische Besetzung Afghanistans (1979 bis 1989) und der daraus erwachsende religiös motivierte Widerstand, die Revolution im Iran (1979) und der Krieg in Bosnien und Herzegowina (1992 bis 1995) stellten weitere wichtige Meilensteine in der Entwicklung dieser Strömung dar. Der moderne Salafismus fordert vor allem die Wiederbelebung der verlorengegangenen ursprünglichen islamischen Werte, da diese in der Vergangenheit die zivilisatorische Vorreiterrolle der islamischen Welt begründet hätten. Die Bewegung stützt sich dabei nicht auf ein bestimmtes Territorium ab sondern wendet sich an alle Muslime weltweit 25. Auffallend ist dabei die Bezugnahme auf das mythische goldene Zeitalter der Abbasidenherrschaft (750 bis 1258), wobei die Authentizität dieser Überlieferung in der Regel nicht hinterfragt wird. 25 vgl. Roy 2006, S. 254 24 26

Im Hinblick auf die Gewaltbereitschaft der Akteure erscheint hierbei die Einteilung in missionarischen, propagandistischen und djihadistischen Salafismus zweckmäßig 26. 26 vgl. Schmied 2009, S. 37 25 27

4.1. Missionarischer Salafismus Diese Spielart zielt sowohl auf Ungläubige ab als auch auf Muslime die sich vom wahren Glauben abgewandt haben. Den Anhängern dieser Bewegung ist meist eine apolitische, quietistische und puristische Einstellung zur Religion und Lebensführung eigen. Eine typische Gruppierung, die diesen Ansatz vertritt ist die Bewegung Tabligh-i Jama at. Diese wurde 1927 von Mawlana Muhammad Ilyas in Britisch-Indien (wieder)gegründet und stellt mittlerweile eine weltweit aktive Massenbewegung dar. Ideologisch rekurriert sie auf die verbreiteten Vorstellungen vom frühen Islam zur Zeit des Propheten und der rechtgeleiteten Kalifen 27. Die Angehörigen der Bewegung sehen die aktive Missionierung ( dawa ) als Pflicht jedes Muslims. Dabei orientiert man sich an der Vorstellung, dass jeder Mensch zum Islam gehören kann so man ihn nur daran erinnert 28. 27 Als rechtgeleitete Kalifen gelten die ersten vier Nachfolger von Mohammed, d.h. Abu Bakr (632-634), Umar (634-644), Uthman (644-656) und Ali (656-661). 28 vgl. Bundesministerium für Inneres Österreich 2006, S. 61 26 28

4.2. Propagandistischer Salafismus Im Unterschied zum missionarischen Salafismus zielen Vertreter des propagandistischen Salafismus auf breite öffentliche Wahrnehmung und Berichterstattung in den Medien ab. Charakteristische Aktivitäten sind z.b. öffentliche Auftritte in Großstädten, Veranstaltungen in Moscheen oder Videos die im Internet verbreitet werden. Ein typischer Vertreter dieser Richtung ist der deutsche ehemalige Boxer, Konvertit und Starprediger Pierre Vogel. In den letzten Jahren besuchte er mehrmals Österreich um seinen Zuhörern in Form von Vorträgen, Schulungen und Diskussionsforen das wahre Islamverständnis näherzubringen. Besonders beliebt sind hierbei Konversionen vor Publikum 29. Die jüngste aufsehenerregende Aktivität propagandistischer Salafisten war die öffentliche Koranverteilung in Deutschland und Österreich im Frühjahr 2012 30. 29 vgl. Vogel 2009 30 vgl. Die Presse 2012 27 29

4.3. Djihadistischer Salafismus Der djihadistische Salafismus definiert den Kampf gegen die Ungläubigen als Glaubenspflicht jedes Muslims. Dabei steht stets die Aktion im Vordergrund während Äußerlichkeiten und Formen in ihrer Bedeutung zurücktreten. Ziel des Djihad ist die Ausweitung des dar al-islam (Haus des Islam Gebiete in denen der Islam herrscht) durch den Kampf mit militärischen Mitteln auf die ganze Welt. Als Feinde gelten die Ungläubigen, vor allem Juden und Christen ( Kreuzfahrer ), aber auch Muslime, die vom wahren Glauben abgefallen sind 31. Der Begriff des Djihad ist unter islamischen Theologen und Orientalisten heftig umstritten, die Interpretation des Wortes, das eigentlich Anstrengung bedeutet, ist je nach Kontext und Perspektive höchst unterschiedlich. Der Stifter des Islam, der in Medina 622 den ersten islamisch-theokratischen Staat, die umma islamiya als Kampfgemeinschaft der Gläubigen begründete, war zugleich Staatsoberhaupt und oberster Feldherr. [ ] der 31 vgl. Farschid 2005, S. 23 28 30

Endsieg des neuen Glaubens über die Heiden, der Einzug an der Spitze des siegreichen Heeres der Muslime in Mekka, gehören zur geheiligten Tradition des Islam. So wurde der Islam von Beginn an zu einer Religion des Kampfes (Imam Khumaini). 32 Andere Autoren stellen den defensiven Aspekt des Djihad in den Vordergrund oder weisen darauf hin, dass der Begriff eigentlich den inneren Kampf jedes Muslims in der Einhaltung der Glaubenspflichten beschreibt. Was die djihadistischen Salafisten von ihren historischen Vorläufern unterscheidet, ist vor allem die Auslegung des Djihad als individuelle, nicht kollektive Glaubenspflicht. Damit ist die Ausübung des Djihad nicht an die Aufforderung des Kalifen gebunden sondern obliegt dem einzelnen Muslim. Grundlegend für die Legitimation des Djihad ist die behauptete Bedrohung des Islam durch fremde Aggressoren. Seit 2001 stützt sich diese Argumentation vor allem auf die Präsenz westlicher Truppen in Afghanistan und anderen mehrheitlich islamischen 32 Galgow 2001, S. 41 29 31

Ländern ab. Das daraus abgeleitete Feindbild wirkt vor allem auf viele Muslime im Westen identitätsstiftend. Der Begriff des Djihad beruht auf einer Einteilung der Welt in zwei Sphären: das dar al-islam ( Haus des Islam ) und das dar al-harb ( Haus des Krieges ). Aufgrund der politischen Umstände sah sich die zentrale islamische Führungsmacht - das Osmanische Reich - im Lauf der letzten Jahrhunderte allerdings gezwungen, Bündnisse mit christlichen Ländern einzugehen und dies ideologisch-theologisch zu rechtfertigen. Die Folge dieser realpolitischen Erfordernisse war das Konzept des dar al-had ( Haus der Verständigung bzw. des Kompromisses ), das osmanische Gelehrte vor dem Hintergrund der Koalition mit Frankreich gegen das Habsburgerreich entwickelten. Das dar alhad bezeichnet ein Gebiet in dem die Muslime ohne Behinderung ihren Glauben leben konnten obwohl sie nicht die dominierende Religionsgruppe darstellten 33. Bemerkenswert ist dabei, dass das Konzept des dar al-had eine Folge der osmanischen Realpolitik 33 vgl. Heine 2004, S. 25 30 32

war und sich nicht unmittelbar aus der islamischen Rechtslehre ableiten lässt. 31 33

5. Ideologische Wurzeln des Islamismus Der Salafismus in seiner heutigen Form ist ein Kind der Moderne. Eine wesentliche Ursache für die Herausbildung salafistischer Strömungen in der arabischen Welt war die Konfrontation mit der europäischen Aufklärung, die sich vor allem nach der Ägypten- Expedition von Napoleon Bonaparte 1799 stark intensivierte. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung stellten sich vor allem im 19. Jahrhundert zahlreiche Intellektuelle aus Europa und dem Nahen und Mittleren Osten die Frage nach den Ursachen für die Rückständigkeit der Islamischen Welt. Naturgemäß wurden die Gründe für diese Tatsache auch in der Religion gesucht, hatten sich doch auch viele europäische Aufklärer als antiklerikal und atheistisch profiliert. Die Salafisten hingegen sahen das Problem in der weitgehenden Abkehr der islamischen Welt vom wahren Glauben und wollten diesen re-formieren, d.h. in seine ursprüngliche Form bringen. Was zunächst als Gelehrtendebatte begann, erhielt schließlich mit dem Auftreten der Muslimbruderschaft große Breitenwirkung. 32 34

Zu den wichtigsten Vordenkern des modernen Islamismus gehören Muhammad Ibn Abd el-wahhab, Gamal ad Din al- Afghani, Raschid Rida, Sayyid Qutb und Tagi ad-din an-nabhani. 33 35

5.1. Ibn Abd el-wahhab Muhammad ibn Abd al-wahhab wurde 1703 in al-'uyaina (heute Saudi-Arabien) als Sohn eines Juristen und Richters geboren und studierte in Medina und Basra. Abd al-wahhab strebte eine Rückkehr zur Urform des Islam an, was in der Praxis vor allem einen strengen Puritanismus bedeutete, der eine Anpassung an moderne Verhältnisse zurückwies 34. Entscheidend für die Lehre von ibn Abd al-wahhab sollte die Verbindung mit dem Emir Muhammad ibn Saud werden, der ihn 1745 in Diriya aufnahm. Ibn Saud machte sich die strenge Auslegung durch Ibn Abd al-wahhab zu eigen und erhob diese zur Staatsreligion seines Reiches. Befeuert von dieser stammesübergreifenden Religionsauslegung gelang es der Familie Saud in den folgenden Jahrhunderten, einen Großteil der arabischen Halbinsel zu unterwerfen 35. Aufgrund der gewaltigen finanziellen Möglichkeiten Saudi-Arabiens stellt der Wahhabismus heute eine wichtige Strömung im Islamismus dar, die vor allem durch großzügige Spenden aus Saudi-Arabien 34 vgl. Küng 2004, S. 531 35 Nach mehreren Rückschlägen begründete Emir Abd al-aziz II. ibn Saud 1932 den modernen Staat Saudi-Arabien. 34 36

gefördert wird 36. In Saudi-Arabien selbst wird die Bezeichnung Wahhabismus abgelehnt, man sieht sich dort als Anhänger des wahren Islam schlechthin. Auf dem Balkan werden mit dem abgeleiteten Begriff vehabiye pauschal mehrere Spielarten des politischen Islam bezeichnet. 36 vgl. Küng 2004, S. 532 35 37

5.2. Gamal ad-din al-afghani Sayyid Muhammad ibn Safdar al-husaini, bekannt als Gamal ad- Din Al-Afghani, wurde 1838 in Asadabad, Iran geboren. Al- Afghani kam 1871 nach Ägypten, wo er unmittelbar mit dem Einfluss der europäischen Moderne konfrontiert wurde. Er trat einer Freimaurerloge bei und unterhielt u.a. Beziehungen mit dem französischen Philosophen Ernest Renan (1823-1892). Während für Renan der Islam das wesentliche Hindernis für die Modernisierung der arabischen Welt darstellte, ging al-afghani davon aus, dass der Islam durch seine modernistische, verwässerte Auslegung verfälscht sei 37. Vor diesem Hintergrund begann al-afghani eine moderne Identität der Muslime zu definieren um an der Moderne teilhaben zu können 38. Ziel dieser Bemühungen war es, durch eine entsprechende Neudefinition der eigenen Identität dem europäischen Imperialismus erfolgreich entgegentreten zu können 39. 1879 wurde er des Landes verwiesen und musste Ägypten verlassen. Anlass waren seine Bemühungen, den ägyptischen 37 vgl. Schulze 2003, S. 31-32 38 vgl. ebd., S. 31-32 39 vgl. Sonnleitner 2004, S. 19 36 38

Khediven 40 Tawfiq Pascha von der Notwendigkeit einer Verfassung zu überzeugen, welche die Macht der Regierenden eingeschränkt hätte. Nach einem Aufenthalt in Indien ging er zunächst 1883 nach Paris und kehrte schließlich 1890/91 in den Iran zurück. Al-Afghani war einer der wesentlichen Förderer von Mohammed Abduh, der wiederum Hassan al-banna, den Gründer der Muslimbruderschaft, wesentlich beeinflusste 41. 40 Khedive: Titel der osmanischen Vizekönige von Ägypten. 41 vgl. Sonnleitner 2004, S. 21 37 39

5.3. Raschid Rida Raschid Rida (1865-1935) war ein Schüler von Mohammed Abduh und gründete die einflussreiche Zeitschrift Al-Manar ( Der Leuchtturm ), die von Hassan al-banna nach dem Tod von Rida weitergeführt wurde. Wie seine Vorläufer wandte sich Rida vor allem gegen den Einfluss der Kolonialmächte auf die islamische Welt und wollte diesen durch eine Wiederbelebung des wahren Islam brechen. Er setzte dabei auf den Einsatz moderner Kommunikationsmittel wie Radio und Presse 42. Rida sprach sich auch für die Gründung einer politischen Partei aus um seine Ziele zu verfolgen, dies gelang allerdings erst seinem Schüler al-banna. Ein wichtiges Verdienst von Raschid Rida lag darin, dass er die ägyptische Salafiya mit der saudi-arabischen wahhabiya verband. Obwohl beide Strömungen ihre Eigenständigkeit bewahrten, kam dem saudi-arabischen Herrscher Ibn Saud die Unterstützung durch die Salafiya in anderen arabischen Ländern sehr gelegen 43. 42 vgl. Sonnleitner 2004, S. 24 43 vgl. Schulze 2003, S. 96-97 38 40

5.4. Sayyid Qutb Sayyid Qutb Ibrahim Husein Shadhili wurde 1906 im Dorf Musha bei Assiut in Mittelägypten geboren und 1966 hingerichtet. Er studierte zunächst an der Pädagogischen Hochschule in Kairo und schloss 1933 das Lehramtsstudium ab, in den folgenden Jahren war er als Lehrer und Journalist tätig. Die entscheidende Wende in seinem Leben trat 1951 ein als er sich nach einem längeren Aufenthalt in den USA von der westlich-dekadenten Moderne abund dem Salafismus zuwandte. 1952 wurde er Mitglied im Führungsbüro und Leiter der Propagandaabteilung der ägyptischen Muslimbruderschaft 44. Nach dem Attentat auf Gamal Abdel Nasser im Oktober 1954 wurde Qutb verhaftet und zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Der Gefängnisaufenthalt gab Qutb die Möglichkeit mehrere Bücher zu schreiben und diese in Ägypten zu veröffentlichen 45. Zu seinen wichtigsten Publikationen zählt das Buch Wegzeichen, das später auch in Englisch, Türkisch, Urdu, Malaysisch und Persisch publiziert wurde und eines der bedeutendsten Werke islamistischer Bewegungen ist. 44 vgl. Hein 1997, S. 34 45 vgl. Kepel 2004, S. 42 39 41

Laut Qutb hat die Welt den wahren Glauben längst verworfen und befindet sich im Zustand der jahiliyya. Als jahiliyya wird im Allgemeinen das Stadium der Unwissenheit vor dem Wirken des Propheten Mohammeds bezeichnet. Laut Qutb muss der wahrhafte Muslim deshalb die in der jahiliyya lebende Gesellschaft verachten, mit ihr brechen und sie zu verändern trachten. Die von Qutb inspirierten Bewegungen, die vor allem in den 1970er Jahren in Ägypten entstanden, forderten deshalb den Rückzug aus der Gesellschaft und den gewalttätigen Widerstand gegen unislamische Regime 46. Obwohl Qutb teilweise traditionalistisch argumentiert befürwortet er auch den materiellen Fortschritt 47. Er gilt als einer der Vordenker des Panislamismus, seine Werke haben auch auf die modernen jihadistischen Bewegungen einen maßgeblichen Einfluss ausgeübt. Wegzeichen wurde zwar in Ägypten verboten, ist aber in Europa in vielen Moscheebibliotheken erhältlich 48. 46 vgl. Bergmann 1998, S. 32-33 47 vgl. Heine 2004, S. 99-104 48 vgl. Lachmann 2004, S. 85 40 42

5.5. Taqi ad-din an-nabhani Taqi ad-din an-nabhani wurde 1909 im damaligen britischen Mandatsgebiet in Haifa (heute Israel) geboren und studierte ab 1928 islamisches Recht an der Al-Azhar-Universität in Kairo. In Ägypten kam er mit der Muslimbruderschaft in Kontakt und gründete 1952 die Hizb ut-tahrir ( Befreiungspartei ) 49. Ein Motiv für die Gründung einer eigenen Partei war an-nabhanis Kritik an der Muslimbruderschaft: diese erschien ihm zu nationalistisch und borniert. An-Nabhani forderte demgegenüber eine neue Ideologie als Grundlage für ein Gesellschafts- und Rechtssystem eines islamischen Staates. Dieser sollte weite Gebiete der Welt einschließen und als Kalifat strukturiert sein 50. Dabei setzte er explizit auf die Gründung einer politischen Partei um zunächst die Muslime zu einigen und dann zur weltweiten D awa 51 fortzuschreiten 52. 49 vgl. Schulze 2003, S. 179 50 vgl. ebd., S. 179-180 51 Der Begriff D awa (arab., Aufruf, Einladung ) bezeichnet im Allgemeinen islamische Missionierungsbemühungen. 52 vgl. Islam-Projekte 2009 41 43

An-Nabhani befürwortet in seiner Schrift Nafahim Hizb ut-tahrir (Konzeptionen der Hizb ut-tahrir) auch ausdrücklich den Einsatz von Gewalt: Beispielsweise legten sie [die Muslime] den Djihad so aus, als ob es sich bei diesem um einen bloßen Verteidigungskrieg handeln würde und keinesfalls um einen Angriffskrieg. Sie widersprachen damit der Wahrheit des Djihad. Denn der Djihad ist ein Krieg gegen alle, die der Dawa für den Islam im Wege stehen, unabhängig davon, ob diejenigen den Islam angreifen oder sich passiv gegenüber diesem verhalten. Mit anderen Worten: der Djihad stellt die Beseitigung aller Hindernisse dar, die sich der islamischen Dawa entgegenstellen 53 Laut Deutschem Verfassungsschutz befindet sich die Europazentrale der Hizb ut-tahrir in London. Die Bewegung rekrutiert ihre Mitglieder vorwiegend im universitären Bereich, diese verhalten sich streng konspirativ. Der Jihad nimmt in der 53 An-Nabhani 1953, S. 14-15 42 44

Ideologie der Hizb ut-tahrir eine bedeutende Rolle ein 54, ebenso wie antisemitische Stereotype. 54 vgl. Innenministerium Nordrhein-Westfalen 2002, S. 56 43 45

5.6. Necmettin Erbakan Necmettin Erbakan wurde am 29. Oktober 1926 in Sinop an der türkischen Schwarzmeerküste geboren. Vom 28. Juni 2996 bis 20. Juni 1997 amtierte er kurz als Ministerpräsident der Türkei bevor er von den türkischen Streitkräften zum Rücktritt gezwungen wurde. Erbakan, der die islamistischen Strömungen in der Türkei in den letzten Jahrzehnten maßgeblich beeinflusste, sieht den Islam als einzige Lösung für die Probleme der Menschheit. Dabei strebt er eine Verbindung von türkischem Nationalismus, wirtschaftlichem Fortschritt und Islamismus an was auch in der Bezeichnung Milli Görüs ( Nationale Sicht ) der von ihm gegründeten Bewegung zum Ausdruck kommt 55. Erbakan lehnt die europäische/westliche Demokratie ab und fordert deren Bekämpfung 56. Ein Dauerthema in seinen Äußerungen sind antisemitische Stereotype und Verschwörungstheorien 57. Neben seinem Werk adil düzen ( Gerechte Ordnung ) erfreuen sich auch Übersetzungen seiner 55 vgl. Ministerium für Inneres un44d Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen 2006 56 vgl. Innenministerium des Landes Berlin 2006, S. 238 57 vgl. Islaminstitut 2006 44 46

Reden bei seinen Anhängern großer Beliebtheit. Die Milli Görüs soll in Deutschland ca. 27.000 Mitglieder zählen 58. Erbakans Verhältnis zum Einsatz gewalttätiger Mittel zur Islamisierung Europas ist zumindest unklar. Die deutsche Konrad- Adenauer-Stiftung stuft das Weltbild Erbakans und seiner Anhänger eindeutig als nationalistisch und islamistisch ein 59. 58 vgl. Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein- Westfalen 2006 59 vgl. Schönbohm 2004 45 47

6. Islamismus in Österreich Der Islamismus in Österreich umfasst organisatorisch wie ideologisch ein breites Spektrum von Vereinen und Bewegungen. In diesem Kapitel sollen einige der wichtigsten Organisationen kurz vorgestellt werden, darüber hinaus sind aber noch zahlreiche andere Gruppierungen aktiv. 6.1. Die Muslimbruderschaft Die Muslimbruderschaft wurde 1928 von Hassan al-banna in Ägypten gegründet. Al-Banna war von Ideologen wie Gamal ad- Din Al-Afghani, Raschid Rida und Mohammed Abduh maßgeblich beeinflusst worden und wollte den bis dahin auf einige Akademiker beschränkten Gelehrtendiskurs zu einer Massenbewegung ausbauen. Das Zentrum der Muslimbruderschaft befindet sich nach wie vor in Kairo. Zu Beginn des Jahres 2012 erzielten die Muslimbrüder bei den Parlamentswahlen in Ägypten eine deutliche Mehrheit und stellten vorübergehend auch den ägyptischen Präsidenten, Mohammed Morsy. Nach dessen Sturz im Jahr 2013 drängte die erneut vom Militär dominierte Regierung die Muslimbruderschaft wieder in den Untergrund. 46 48

In Europa ist die Muslimbruderschaft schwer zu fassen, da sich ihre Mitglieder nur in Ausnahmefällen offen zu ihr bekennen. Die österreichischen Behörden unterstellen daher niemandem öffentlich eine Nähe zur oder Mitgliedschaft bei der Muslimbruderschaft. Eine der wichtigsten Methoden der Muslimbruderschaft besteht im strukturierten Vernetzen von Personen und Institutionen mit gemeinsamen Zielen und Überzeugungen. Der Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen benannte hingegen z.b. in seinem Bericht von 2006 mehrere Institutionen die von Muslimbrüdern betrieben werden 60. Aus den zugänglichen Informationen lässt sich ableiten, dass die Muslimbruderschaft teilweise als Vermittler zwischen Muslimen und dem Staat auftritt und sich so als wichtiges institutionelles Verbindungsglied zwischen den Muslimen und den Mehrheitsgesellschaften etabliert. Eine wichtige Rolle scheint hierbei auch die Ausbildung von Imamen als Religionslehrer zu 60 vgl. Innenministerium Nordrhein-Westfalen 2007, S. 202 47 49

spielen, wodurch die Jugendlichen im Sinne der islamistischen Ideologie beeinflusst werden können 61. In Österreich wird die Muslimbruderschaft z.b. im Staatsschutzbericht des Jahres 1998 erwähnt. Darin wird erwähnt, dass mehrere Mitglieder ägyptischer Terrororganisationen aufgrund des starken Verfolgungsdrucks ins Exil gehen würden, unter anderem auch nach Österreich: In den letzten Jahren gelangten einige Mitglieder diese Organisation unerkannt nach Österreich. Diese Aktivisten, die auf eine bestehende Infrastruktur der Muslimbruderschaft in Österreich zurückgreifen konnten, sind mittlerweile eigenständig organisiert. Sie sind hauptsächlich in Wien, aber auch in einigen Bundesländern vertreten, unterhalten Verbindungen in die gesamte islamische Welt, beschäftigen sich mit Problemen der moslemischen Minderheiten in verschiedenen Ländern und geben finanzielle Hilfe. 62 61 vgl. Hessisches Ministerium des Inneren und für Sport 2005, S. 26 62 Bundesministerium für Inneres Österreich 1999, S. 63-64 48 50

2005 stellt das BMI kurz dar, wie sich die Muslimbruderschaft in Österreich organisiert: Die Muslimbruderschaft ist in Österreich, wie in ganz Europa, stark vertreten. Sie verfügt im Bundesgebiet über keine deklarierten Organisationen, doch finden sich ihre Anhänger in zahlreichen Moscheen, islamischen Vereinen und Organisationen. 63. Als ein Beispiel für die Arbeitsweise der Muslimbruderschaft soll hier der Fall von Amir Zaidan kurz dargestellt werden. Der Journalist Stefan Apfl veröffentliche 2006 im der Wochenzeitung Der Falter einen Artikel der sich mit Zaidan beschäftigt 64. Die deutsche CDU bezeichnete Zaidan im Jahr 2003 in einer Bundestagsanfrage als Islamist und Muslimbruder, laut dem Verfassungsschutz von Baden-Württemberg ist Zaidan ein ultraorthodoxer Muslim. Zaidan gründete die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen (IRH), die vom hessischen Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich bezeichnet wird. Ein 63 Bundesministerium für Inneres Österreich 2006, S. 62 64 vgl. Apfl 2006 49 51

Antrag der IRH, der Organisation die Koordination des Religionsunterrichts in Hessen zu überlassen, wurde 2001 aus diesem Grund abgelehnt. Auch eine Wochenschrift, die Zaidan herausgab, wurde vom hessischen Verfassungsschutz eingestellt. Nachdem der Druck der deutschen Behörden auf Zaidan immer stärker wurde, kam dieser auf Einladung der IGGiÖ 65 nach Österreich. Seit 2003 leitet Zaidan das Islamische Religionspädagogische Institut (IRPI), das in dieser Zeit für die Weiterbildung von mehreren hundert islamischen Religionslehrern in Österreich verantwortlich war 66. Im Interview mit Apfl wies Zaidan darauf hin, dass er in Österreich mit seinen Leuten wunderbare Pionierarbeit für die Verbreitung des Islam in Europa leisten könne 67. Dies kann bedeuten, dass Zaidan nicht alleine in Österreich arbeitet, er selbst stellte eine Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft allerdings stets in 65 Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich 66 vgl. ebd. 67 vgl. Apfl 2006 50 52

Abrede 68. Bisher schmetterte Zaidan alle dahingehenden Vorwürfe mit dem Hinweis auf Islamophobie ab 69. Einen weiteren Hinweis auf Aktivitäten der Muslimbruderschaft bietet der Besuch des ägyptischen Muslimbruders Saad al- Katatny in Wien im Jahr 2007. In Wien hielt er auf Einladung der Islamischen Liga der Kultur einen Vortrag. Deren Vorstandsmitglied, der syrische Muslimbruder Aiman Morad, ist zugleich Finanzdirektor der Islamischen Religionspädagogischen Akademie (IRPA), der Ausbildungsstätte islamischer Religionslehrer der offiziellen Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ). 70. Saad al-katatny wurde schließlich von Kamel Mahmoud nach Graz geholt, welcher, als Repräsentant der Islamischen Liga der Kultur in Graz, die Vortragsreihe Der Islam in Österreich und Europa koordinierte 71. Saad al-katatny ist ein führender Funktionär der ägyptischen Muslimbruderschaft und fungierte vorübergehend auch als ägyptischer Parlamentspräsident. 68 vgl. Abdelkarim 2008, S. 277 69 vgl. Islamophobia 2010 70 Schmidinger 2007, S. 1 71 vgl. ebd. 51 53

6.2. Milli Görüs Die islamistische Ausrichtung der Milli Görüs wird vor allem darin deutlich, dass sie eine Islamisierung aller Lebensbereiche propagiert. Die MG strebt eine Islamisierung der Moderne an und versteht den Islam als gesellschaftspolitischen Ansatz gegenüber dem Staat 72. In den deutschen Verfassungsschutzberichten wird die Milli Görüs (MG), die dort als Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) auftritt, als islamistisch eingestuft 73. In Österreich ist die MG kein Verein sondern ein Bündnis von Moscheen, die in der Avusturya Islam Federasyonu Österreichische Islamische Föderation in Wien (AIF) zusammengeschlossen sind und eng mit der IGMG in Deutschland kooperieren 74. Neben der AIF existiert noch die Islamische Föderation in Wien (IFW). Die beiden hängen organisatorisch nicht zusammen, eine Verbindung der IFW zur IGMG kann aber nachgewiesen werden 75. 72 vgl. Aydin et al. 2003, S. 20 73 vgl. Innenministerium von Nordrhein-Westfalen 2007, S. 208 74 vgl. Schmidinger, Larise 2008, S. 157-158 75 vgl. Beig 2009, S. 2 52 54

Die IFW weist einen direkten Zusammenhang mit der IGMG aber stets zurück, möglicherweise da die IGMG in Deutschland seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Der umstrittene Autor Ernst Hofbauer beschreibt in seiner Publikation Inshallah Österreich (2009) die Aktivitäten der Milli Görüs in Österreich und beruft sich dabei auf Informationen aus Polizeikreisen 76. So soll die Milli Görüs in Österreich ein Gymnasium betreiben und eng mit der IGMG zusammenarbeiten. Das Verhältnis zur ideologisch verwandten Muslimbruderschaft sei allerdings eher kühl, so Hofbauer 77. 76 vgl. Hofbauer 2009, S. 174-175 77 vgl. Hofbauer 2009, S. 231 53 55

6.3. Hizb ut-tahrir (HuT) Der Verfassungsschutzbericht des österreichischen Innenministeriums für das Jahr 2005 beschreibt die HuT in Österreich als vergleichsweise kleine islamistische Organisation zu deren wichtigsten Aktivitäten das Verteilen von Flugblättern gehört 78. In Deutschland ist die HuT seit 2003 wegen Gewaltbefürwortung und Verhetzung verboten 79. Darüber hinaus dürfte Österreich der HuT auch als Basis für Aktivitäten im gesamten deutschsprachigen Raum dienen, wie ein im Internet verfügbares Interview mit Shaker Assam deutlich macht. Assam, der einer der wichtigsten Repräsentanten der HuT in Österreich sein soll, spricht in diesem Text über seine Integrationserfahrungen in Österreich und Deutschland 80. Assem wurde 1964 als Sohn eines Ägypters und einer Österreicherin in Kairo geboren und besuchte dort die deutsche evangelische Oberschule. 1980 kehrte seine Mutter mit ihm nach Österreich zurück, wo Assem nach dem Schulabschluss Maschinenbau studierte. Anschließend arbeitete er von 2002 bis 78 vgl. Bundesministerium für Inneres Österreich 2006, S. 75-76 79 vgl. Bundesministerium des Inneren Deutschland 2008, S. 204-205 80 vgl. Integrationsnet 2010, S. 1 54 56

2005 in Deutschland und lebt derzeit mit seiner Familie in Wien 81. Laut dem deutschen Autor Udo Ulfkotte stand Assem unter anderem mit der Hamburger Islam AG in Verbindung, die 2001 von einem der Todespiloten von 9/11, Mohammed Atta, gegründet worden war. In einem Interview soll Assem auch den Einsatz von Gewalt zur Errichtung des Kalifats eindeutig befürwortet haben, die Vernichtung der Juden bezeichnete er als eines der wichtigsten Ziele der HuT 82. In der Tat ziehen sich gewaltbefürwortende, anti-jüdische und israelfeindliche Aussagen durch zahlreiche Publikationen der Hizb ut-tahrir. Die HuT stützt sich in Österreich auf eine konspirativ aufgebaute Organisation ab, laut dem österreichischen Innenministerium erhöht die zwiespältige Haltung der HuT zu Gewalt und Terrorismus die Gefahr der Radikalisierung einzelner Aktivisten oder Untergruppen der HuT. Dabei wird vor allem befürchtet, dass sich einzelne Mitglieder transnational agierenden terroristischen Gruppen anschließen könnten 83. 81 vgl. ebd. 82 vgl. Ulfkotte 2003, S. 93-94 83 vgl. Bundesministerium für Inneres Österreich 2006, S. 63 55 57

Laut einigen Autoren bedient sich die HuT in Österreich der Organisation FOKUS - Forum für Kulturelle und Soziale Interaktion als Vorfeldorganisation 84. 84 vgl. Schmidinger, Larise 2008, S. 133 56 58

6.4. Aktivna Islamska Omladina (AIO) Die Aktivna Islamska Omladina, zu Deutsch Aktive Islamische Jugend ist eine salafistische Organisation, die in Bosnien beheimatet ist. Die AIO ist laut dem Verfassungsschutzbericht 2005 in Österreich stark vertreten und vor allem in Wien, Linz und Graz aktiv. Die Niederlassung in Wien fungiert dabei als europäisches Zentrum der AIO, der Imam dieses Zentrums ist gleichzeitig auch der für Europa zuständige Funktionär. Laut Verfassungsschutz widmet sich die AIO in Wien vorwiegend der Produktion und Verbreitung von islamistischen Schriften, Tonund Datenträgern sowie von diversem Propagandamaterial, die wichtigste Zielgruppe ist die bosnische Diaspora in Österreich und Europa. Die Behörden heben besonders hervor, dass die AIO die Radikalisierung von Jugendlichen fördert 85. Auffallend ist dabei, dass zahlreiche Anhänger dieser islamistischen Organisationen nicht in Bosnien-Herzegowina sondern erst in Österreich in den Bannkreis der Islamisten gerieten 86. 85 vgl. Bundesministerium für Inneres Österreich 2006, S. 71 86 vgl. Salzburger Nachrichten 2009, S. 7 57 59

Laut dem deutschen Publizisten Jürgen Elsässer soll die bosnische Botschaft 1993 Osama bin Laden einen Reisepass ausgestellt haben. Bemerkenswert ist dabei, dass der damals zuständige Botschaftsrat, Hussein Zivalj, zugleich Vizepräsident der Third World Relief Agency (TWRA) war, die in den vergangenen Jahren wiederholt mit der Finanzierung islamistischer Terrorgruppen in Zusammenhang gebracht wurde. Gemeinsam mit bin Laden soll auch der Tunesier Adouni Mehrez einen Pass erhalten haben. Mehrez war 1998 an den Attentaten auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania beteiligt 87. 87 vgl. Elsässer 2005, S. 64-65 58 60

7. Erscheinungsformen des Salafismus in Österreich 7.1. Missionarischer Salafismus Salafistische Missionierungsaktivitäten sind in Österreich wesentlich weniger verbreitet als in anderen europäischen Ländern. Als eine der aktivsten Gruppen gilt hierzulande die Tabligh-i Jama at. Das Europazentrum dieser Gruppe befindet sich in Großbritannien, wo sie seit 1978 Niederlassungen unterhält, als wichtigster deutscher Stützpunkt gilt Friedrichsdorf bei Frankfurt/Main 88. Österreichische Medien berichteten 2005 von einem Zentrum der Tablighis in Linz. Deutsche Verfassungsschützer sollen in diesem Zusammenhang vor der Propagierung des Djihad gewarnt haben 89. 88 vgl. Reetz 2007, S. 117-136 89 vgl. News 2005 59 61

7.2. Propagandistischer Salafismus Ein typischer Vertreter des propagandistischen Salafismus ist der konvertierte Österreicher Muhammed Ismail Suk, geb. 1949, ein ehemaliger Diskothekenbesitzer. Laut eigenen Angaben hat er nach seiner Bekehrung seinen Lebenswandel von Grund auf geändert. Er verbrachte mehrere Jahre in Pakistan bevor er wieder nach Wien zurückkehrte wo er seither als Prediger wirkt 90. Suk unterhält auch gute Kontakte zum deutschen Prediger Pierre Vogel und trat mit diesem gemeinsam in Wien auf 91. Die meisten Vertreter dieser Richtung des Salafismus treten in der Öffentlichkeit mit den typischen Attributen traditioneller Muslime auf, also kinnlangem Bart und althergebrachter orientalischer Kleidung. Maßgeblich hierfür sind vor allem die tradierten Vorstellungen über die islamische Frühzeit und das Leben des Propheten Mohammed. Diese Äußerlichkeiten unterliegen ebenso wie die propagierten Glaubensinhalte sehr stark den Eindrücken, die zahlreiche Propagandisten des Salafismus während ihrer Ausbildung in Saudi-Arabien gesammelt 90 vgl. Podcast 2009 91 vgl. Suk 2008 60 62