Palästinas Aufnahme als Mitgliedstaat des Internationalen Strafgerichtshofs

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Transkript:

Palästinas Aufnahme als Mitgliedstaat des Internationalen Strafgerichtshofs Ignaz Stegmiller* Abstract 435 I. Einleitung 435 II. Palästina und der IStGH 436 III. Völkerrechtlicher Status Palästinas 438 IV. Fazit: IStGH Weltgerichtshof quo vadis? 442 Abstract Der Beitritt Palästinas zum Vertragswerk des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) wirft völkerrechtliche und rechtspolitische Fragen auf. Nach erfolglosen Versuchen Palästinas seit 2009, den Konflikt Israel- Palästina beim IStGH anhängig zu machen, erfährt dieses Ersuchen mit der Anerkennung der Staatlichkeit im Rahmen des IStGH-Statuts nun eine Zäsur: Als vollwertiges Mitglied kann Palästina zumindest für die Zukunft Staateneigenüberweisungen tätigen. Allerdings wurde die (umstrittene) Staatlichkeit Palästinas nicht ausreichend durch die IStGH-Vertragsstaaten thematisiert. Der völkerrechtliche Status Palästinas, insbesondere auch die Einordnung der Resolution der VN-Generalversammlung 67/19, wird in diesem Beitrag aufgeworfen, um abschließend mögliche Folgen für den IStGH zu diskutieren. I. Einleitung Der Beitritt des 123. Staates zu Beginn des Jahres 2015 birgt für den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) politischen Sprengstoff. Ob Palästina die Voraussetzungen für einen Beitritt erfüllt, ist alles andere als klar und wurde durch die Staatenversammlung des IStGH nicht offen thematisiert. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Aufnahme von Ermittlungen durch den IStGH an den * Dr. iur., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für öffentliches Recht und Völkerrecht, Prof. Dr. Thilo Marauhn, Justus-Liebig-Universität Gießen. Ich bedanke mich für wertvolle Kommentare bei Sven Simon und Susanne Raidt., 435-443

436 Stegmiller fortwährenden Versuchen Palästinas seit 2009, den Gerichtshof mit dem Israel-Palästina-Konflikt zu beschäftigen, nachzuzeichnen (II.), anschließend den umstrittenen Status Palästinas aufzuwerfen (III.) und schließlich das Für und Wider eines IStGH-Beitritts und die Auswirkungen für den Gerichtshof als solchen zu diskutieren (IV.). II. Palästina und der IStGH Bereits im Jahre 2009 reichte die Palästinensische Autonomiebehörde eine Erklärung als Nichtvertragspartei nach Artikel 12 (3) des IStGH-Statuts ein, 1 welche die Jurisdiktionsgewalt des IStGH anerkennt. 2 Artikel 12 (3) des Statuts sieht die nachträgliche Anerkenntnis seitens Nichtmitgliedstaaten vor. Bisher machten die Elfenbeinküste und die Ukraine von dieser Möglichkeit Gebrauch. Neben dieser eher atypischen Unterwerfungserklärung sieht das Statut drei prozessuale Wege vor, um den Gerichtshof anzurufen: (i) Staatenüberweisungen nach den Artikeln 13 (a) und 14 des IStGH- Statuts, (ii) Überweisungen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) nach Artikel 13 (b) des IStGH-Statuts sowie (iii) ein sog. proprio motu-verfahren durch die Anklagebehörde nach Artikeln 13 (c) und 15 des IStGH-Statuts. Die Erklärung Palästinas stellte den ehemaligen Chefankläger Luis Moreno-Ocampo vor die politisch und rechtlich heikle Frage, wie mit diesem Ersuchen nach Artikel 12 (3) des IStGH-Statuts umzugehen sei. Nach einem umfangreichen Konsultationsprozess und Eingaben zahlreicher Experten und Staaten 3 lehnte Moreno-Ocampo die Einleitung von Ermittlungen ab. Eine Einordnung als Staat i. S. d. Artikels 12 (3) des Statuts durch seine Behörde sei nicht vorgesehen, Palästinas Status sei völkerrechtlich unklar und eine Einstufung als Staat erfolge entweder durch den VN-Generalsekretär in Abstimmung mit der VN-Generalversammlung oder sei durch die IStGH-Staatenversammlung nach Artikel 112 (2) (g) des Statuts möglich. 4 Diese Einordnung des Chefanklägers greift zu kurz (vgl. III.) und es 1 Artikel 12 (3) lautet: Ist nach Absatz 2 die Anerkennung der Gerichtsbarkeit durch einen Staat erforderlich, der nicht Vertragspartei dieses Statuts ist, so kann dieser Staat durch Hinterlegung einer Erklärung beim Kanzler die Ausübung der Gerichtsbarkeit durch den Gerichtshof in Bezug auf das fragliche Verbrechen anerkennen. ( ). 2 Declaration recognizing the Jurisdiction of the International Criminal Court, Ali Khashan, Minister of Justice, 21.1.2009, abrufbar unter: <http://www.icc-cpi.int>. 3 Hierzu online abrufbar <www.icc-cpi.int>. 4 Vgl. Situation in Palestine, Office of the Prosecutor, 3.4.2012, abrufbar unter: <www.icccpi.int>.

Palästinas Aufnahme als Mitgliedstaat des Internationalen Strafgerichtshofs 437 stellt sich die Frage, wieso beinahe drei Jahre vergehen mussten bis diese zweiseitige (negative) Entscheidung ergehen konnte. Nichtsdestotrotz war damit die Situation Palästinas für den IStGH vorerst beendet. Im Mai 2013 hatte sich der IStGH erneut mit Palästina, genauer mit einer Hilfslieferung durch Schiffe in den Gazastreifen am 31.5.2010, zu beschäftigen. Diese Situation wurde durch einen IStGH-Mitgliedsstaat, die Komoren, nach Artikel 13 (a), 14 des IStGH-Statuts an den Gerichtshof überwiesen. 5 Hier war die Zuständigkeit des IStGH hinsichtlich begangener Verbrechen auf den Schiffen gegeben, ging es ja um drei IStGH-Mitgliedstaaten. Die Schiffe fuhren unter kambodschanischer, komorischer und griechischer Flagge. Aus diesem (Flaggen-)Prinzip ergibt sich eine Zuständigkeit aus Artikel 12 (2) (b) des IStGH-Status. 6 Allerdings führte die limitierte Zuständigkeit auf eben genau diesen einzelnen Zwischenfall unter jurisdiktionsgeschuldeter Ausblendung des Gesamtkonflikts Israel-Palästina zu einer Nichtfortführung der Ermittlungen nach Artikel 53 (1) des IStGH-Status mangels Schwere der Verbrechen. 7 Nach den beiden erwähnten erfolglosen Versuchen trat Palästina mit dem Jahreswechsel 2014/2015 dem IStGH Statut bei. Eine Beitrittserklärung i. S. d. Artikels 125 (3) des IStGH-Statuts ging beim VN-Generalsekretär am 2.1.2015 ein, welcher das Inkrafttreten hinsichtlich Palästinas nach Artikel 126 (2) des IStGH-Statuts mit Ablauf von 60 Tagen feststellte. 8 Eine Pressemitteilung vom 7.1.2015 bestätigt den Beitritt Palästinas durch den Präsidenten der IStGH-Vertragsstaatenversammlung, Sidiki Kaba, und begrüßt den Beitritt: Each ratification of the Rome Statute constitutes welcomed progress towards its universality. I call on all members of the United Nations to join this permanent and independent system of international justice to fight against impunity 5 Staatenüberweisung der Komoren, 14.5.2013, abrufbar unter: <www.icc-cpi.int>. 6 Artikel 12 (2) des Statuts lautet (in Auszügen): Im Fall des Artikels 13 Buchstabe a oder c kann der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit ausüben, wenn einer oder mehrere der folgenden Staaten Vertragspartei dieses Statuts sind oder in Übereinstimmung mit Absatz 3 die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs anerkannt haben: a) der Staat, in dessen Hoheitsgebiet das fragliche Verhalten stattgefunden hat, oder, sofern das Verbrechen an Bord eines Schiffes oder Luftfahrzeugs begangen wurde, der Staat, in dem dieses registriert ist; ( ). 7 Article 53 (1) Report, Situation on Registered Vessels of Comoros, Greece and Cambodia, Office of the Prosecutor, 6.11.2014, abrufbar unter: <www.icc-cpi.int>. 8 State of Palestine: Accession, Rome Statute of the International Criminal Court, Depositary Notification, Secretary-General of the United Nations (C.N.13.2015.TREATIES- XVIII.10).

438 Stegmiller and prevent the most serious crimes under international law, which is based on the principle of complementarity with domestic jurisdictions. (...) 9 Zeitgleich gab Palästina eine (erneute) Erklärung gem. Artikel 12 (3) des IStGH-Statut ab, um die Jurisdiktionsgewalt des IStGH auf palästinensischem Gebiet seit dem 13.6.2014 zeitlich auszudehnen. 10 Diese Erklärung nahm der Registrator des IStGH, Herman von Hebel, nach Regel 44 (2) der IStGH-Prozessregeln an und leitete sie an die Chefanklägerin weiter. 11 Diese wiederum leitete am 16.1.2015 Vorermittlungen mit Bezug auf die Gesamtsituation in Palästina ein. 12 Prozessual handelt es sich mithin um zwei zu unterscheidende Erklärungen: (i) Der Beitritt zum IStGH-Statut nach Artikeln 125, 126 des IStGH- Statuts, sowie (ii) eine (temporale) Erklärung der Jurisdiktionsanerkennung seit dem 13.6.2014 nach Artikeln 12 (3), 11 (2) in fine des IStGH-Statuts. Beide werfen die Frage nach der Staatlichkeit Palästinas auf, denn nur ein Staat i. S. d. IStGH-Statuts kann diesem beitreten und nur ein Staat i. S. d. Artikels 12 (3) des IStGH-Statuts kann eine dementsprechende Erklärung wirksam abgeben. III. Völkerrechtlicher Status Palästinas Erstaunlich ist, dass die Problematik der Staatlichkeit Palästinas nur durch die Chefanklägerin, und dies eher kurz und knapp, abgehandelt wurde. Hatte der vormalige Chefankläger eine Staatlichkeit nicht positiv feststellen können und sich dieser Frage entzogen, so erfährt dieser Ansatz nun eine Kehrtwende. 13 Fatou Bensouda bezieht sich auf die Resolution der VN-Generalversammlung 67/19 vom 29.11.2012, welche Palästina einen Beobachterstatus als Nichtmitgliedstaat zuspricht und hält fest: The Office examined the legal implications of this development for its own purposes and concluded, on the basis of its previous extensive analysis of and 9 The State of Palestine Accedes to the Rome Statute, Pressemitteilung vom 7.1.2015 (ICC-ASP-20150107-PR1082). 10 Declaration Accepting the Jurisdiction of the International Criminal Court, Mahmoud Abbas, President of the State Palestine, 31.12.2014. 11 Letter to H. E. Mr Mahmoud Abbas, President of Palestine, Herman Hebel, The Registrar, 7.1.2015 (2015/IOR/3496/HvH). 12 The Prosecutor of the International Criminal Court, Fatou Bensouda, opens a preliminary examination of the situation in Palestine, Pressemitteilung vom 16.1.2015 (ICC-OTP- 20150116-PR1083). 13 Wenngleich der Verfasser auch diese Entscheidung aufgrund des langen Zeitfensters bis zur Veröffentlichung sowie einer eher fragmentarischen Begründung kritisch bewertet.

Palästinas Aufnahme als Mitgliedstaat des Internationalen Strafgerichtshofs 439 consultations on the issues, that, while the change in status did not retroactively validate the previously invalid 2009 declaration lodged without the necessary standing, Palestine would be able to accept the jurisdiction of the Court from 29 November 2012 onward, pursuant to articles 12 and 125 of the Rome Statute. The Rome Statute is open to accession by all States, with the UNSG acting as depositary of instruments of accession. 14 Ferner hätten sowohl der VN-Generalsekretär als auch der Präsident der Vertragsstaatenversammlung den Beitritt angenommen. Die Anklagebehörde sehe Palästina daher als Staat i. S. d. IStGH-Statuts an: The Office considers that, since Palestine was granted observer State status in the UN by the UNGA, it must be considered a State for the purposes of accession to the Rome Statute. 15 Kritisch erscheint zunächst der Umgang mit dem Beitritt, insbesondere eine fehlende offene Diskussion über den Status Palästinas in der Vertragsstaatenversammlung des IStGH. Statt der bloßen Feststellung des Präsidenten der Versammlung wäre bei einer Entscheidung mit solch weitreichenden politischen Folgen für den IStGH eine Diskussion und Abstimmung in der Vertragsstaatenversammlung erstrebenswert gewesen. Eine Hintertür öffnet Artikel 119 (2) des IStGH-Statuts; 16 sollte ein Staat nicht einverstanden sein mit der Auslegung des Statuts in diesem Fall der Definition Palästinas als Staat i. S. d. IStGH-Statuts könnte dieser die Streitigkeit der Vertragsstaatenversammlung vorlegen. Der Status Palästinas ist völkerrechtlich ungeklärt. Die Staatlichkeit Palästinas wird derzeit zwar durch die Mehrzahl der VN-Mitgliedstaaten anerkannt. Ob Palästina jedoch die Kriterien eines Staates nach dem Völkerrecht erfüllt, ist umstritten. Auch die (völkerstrafrechtliche und menschenrechtliche) Fachliteratur schließt sich der von der Chefanklägerin vertretenen Ansicht nicht einhellig an, wenngleich prominente Fürsprecher mit unterschiedlicher Begründung eine Staatlichkeit herzuleiten versuchen. 17 Re- 14 F. Bensouda (Anm. 12), 2. 15 F. Bensouda (Anm. 12), 3. 16 Auch Artikel 112 (2) (g) des IStGH-Statuts ( Die Versammlung... nimmt alle anderen Aufgaben wahr, die mit diesem Statut oder der Verfahrens- und Beweisordnung vereinbar sind. ) eröffnet einen prozessual denkbaren Weg, siehe D. Akande, The ICC Prosecutor Decides that He Can t Decide on the Statehood of Palestine. Is He right?, EJIL Talk!, 5.4.2012. 17 Gegen eine Staatlichkeit argumentieren D. Benoliel/R. Perry, Israel, Palestine, and the ICC, Mich. J. Int l L. 32 (2010), 80 ff.; J. Crawford, The Creation of the State of Palestine: Too Much Too Soon?, EJIL 1 (1990), 307 ff.; R. Weston Ash, Is Palestine a State? A Response to Professor John Quigley s Article The Palestine Declaration to the International Criminal Court: The Statehood Issue, Rutgers Law Record 36 (2009), 186 ff. Anders hingegen J. Quigley, Palestine Is a State: A Horse with Black and White Stripes Is a Zebra,

440 Stegmiller solution 67/19 der Generalversammlung führt zwar zu einer gewissen Zäsur, indem Palästina der Status als Non-Member Observer State zugesprochen wird, 18 eine Staatlichkeit Palästinas allein auf diese Resolution zurückzuführen greift aber zu weit. 19 Direkte rechtliche Auswirkungen hat die Resolution nicht, da die Generalversammlung keine Staatlichkeit zuerkennen kann, sondern lediglich für eine Mitgliedschaft im Rahmen des Systems der Vereinten Nationen zur Voraussetzung macht. Allein das Stimmverhalten der einzelnen Staaten könnte implizit herangezogen werden, nicht jedoch die Resolution als solche. Aber auch das Stimmverhalten der Mitgliedstaaten führt zu keiner entscheidenden Kehrtwende: 138 Staaten stimmten für die Resolution, 9 dagegen und 41 Staaten enthielten sich. Die Zahl der Befürworter einer Staatlichkeit Palästinas steigt demnach von 132 vor Verabschiedung der Resolution um 6 Staaten auf nun insgesamt 138 Staaten. 20 Festzuhalten bleibt, dass die Resolution 67/19 ein Baustein bei der zukünftigen Begründung der Staatlichkeit Palästinas sein mag, Palästina für sich allein genommen jedoch weder de jure noch de facto in die Staatlichkeit erhebt. Eine solche Schlussfolgerung zieht allerdings die Chefanklägerin, die sich allein auf die Resolution 67/19 stützt und Palästina damit erst zu einem IStGH-Beitrittsersuchen ermutigt hatte. 21 Klassische Kriterien für die Be- Mich. J. Int l L. 32 (2011), 749 ff.; K. Ambos, Palestine, UN-Non-Member Observer Status and ICC Jurisdiction, EJIL Talk!, 6.5.2014; W. Schabas, The Prosecutor and Palestine: Deference to the Security Council, 8.4.2012, abrufbar unter: <humanrightsdoctorate.blogspot.de>; V. Azarov/C. Meloni, Disentangling the Knots: A Comment on Ambos Palestine, Non- Member Observer Status and ICC Jurisdiction, EJIL Talk!, 27.5.2014; F. Boyle, The Creation of the State of Palestine, EJIL 1 (1990), 301 ff. Vgl. ferner die zahlreichen Stellungnahmen von Experten als Annex zum Bericht Summary of Submissions on Whether the Declaration Lodged by the Palestinian National Authority Meets Statutory Requirements, 3.5.2010, u. a. E. Mendes, Statehood and Palestine for the Purpose of Article 12 (3) of the ICC Statute, 30.3.2010, 45 ff. (für eine Anerkennung als Staat ); The International Association of Jewish Lawyers and Jurists, Opinion In the Matter of the Jurisdiction of the ICC with Regard to the Declaration of the Palestinian Authority, 9.9.2009, 9 ff. (gegen eine Anerkennung als Staat ); European Centre for Law and Justice, Legal Memorandum Opposing Accession to ICC Jurisdiction by Non-State Entities, 9.9.2009, 12 ff. (gegen eine Anerkennung als Staat ); alle abrufbar unter: <www.icc-cpi.int>. 18 Resolution 67/19, VN-Generalversammlung, 4.12.2012 (A/RES/67/19). 19 So auch J. Vidmar, Does General Assembly Resolution 67/19 Have Any Implications for the Legal Status of Palestine?, EJIL: Talk!, 4.12.2012; anders J. Dugard, Palestine and the International Criminal Court, Institutional Failure or Bias?, Journal of International Criminal Justice 11 (2013), 567 f. Zur Staatlichkeit und der Rolle der Generalversammlung J. Crawford, The Creation of States in International Law, 2 nd ed. 2011, 441. 20 Vgl. J. Vidmar (Anm. 19). 21 Statement of the Prosecutor of the International Criminal Court, F. Bensouda, The Public Deserves to Know the Truth about the ICC s Jurisdiction over Palestine, Pressemitteilung vom 2.9.2014, 2; auch K. Ambos (Anm. 17).

Palästinas Aufnahme als Mitgliedstaat des Internationalen Strafgerichtshofs 441 stimmung der Staatlichkeit finden sich hingegen in Artikel 1 der Konvention von Montevideo: The state as a person of international law should possess the following qualifications: (a) a permanent population; (b) a defined territory; (c) government; and (d) capacity to enter into relations with the other states. 22 Eine Anerkennung durch andere Staaten ist völkerrechtlich keine zwingende Bedingung von Staatlichkeit, 23 Staaten können aber die Anerkennung mit realpolitischen Auswirkungen verweigern. Problematisch erscheint im Fall Palästina insbesondere das o. g. definierte Staatsgebiet, bzw. die Ausübung effektiver Kontrolle über das Staatsgebiet. 24 Die Folgen für den IStGH sind gerade vor diesem umstrittenen Aspekt unabsehbar. Dessen Zuständigkeit definiert sich nämlich nach Artikel 12 (2) (a) IStGH-Statut über das Hoheitsgebiet eines Staates. Die Gebietshoheit Palästinas müsste folglich in den stockenden Verhandlungen thematisiert werden. Wenn sich der IStGH jedoch in die Rolle eines Vermittlers oder Entscheidungsgremiums drängt, überschreitet er seine Kompetenzen. Festzuhalten bleibt, dass der Beitritt Palästinas zum IStGH-Statut rechtliche Fragen aufwirft. Im Rahmen des IStGH-Statuts als Vertragswerk ist eine eigene Auslegung des Begriffes Staat durchaus möglich. Palästina ist bereits zahlreichen internationalen Abkommen beigetreten, z. B. der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO). 25 Die Definition ist nicht zwangsläufig an eine völkerrechtliche Klärung gebunden, sofern das Vertragswerk einen Beitritt ermöglicht und die jeweiligen Mitgliedstaaten zustimmen. Der IStGH-Beitritt weicht aber vom UNESCO-Beitritt gravierend ab. Bei der UNESCO sprachen sich die Mitgliedstaaten mit einer Mehrheit von 107 zu 14 (bei 52 Enthaltungen) für einen Beitritt Palästinas aus. Hingegen wurden die IStGH-Mitgliedstaaten nicht offen konsultiert. 22 Konvention von Montevideo, 26.12.1933. Hierzu detailliert J. Crawford (Anm. 19), 45 ff., 436 ff. 23 J. Crawford, State, in: MPEPIL, Januar 2011, Abs. 42 ff.; J. Crawford (Anm. 19), 28; anders D. Benoliel/R. Perry (Anm. 17), 95, die sich auf die constitutive theory of statehood berufen und eine Anerkennung durch relevante Parteien als zwingende Voraussetzung bezeichnen. 24 E. Kontorovich, Israel/Palestine The ICC s Uncharted Territory, Journal of International Criminal Justice 11 (2013), 979 ff.; J. Crawford (Anm. 19) 52, 437 f. Zurückhaltend bzgl. vorschneller territorialer Festlegungen (in Bezug auf den Bau israelischer Sperranlagen) äußert sich auch der IGH, Legal Consequences of the Construction of the Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, 9.7.2004, Abs. 121 ff. 25 General Conference admits Palestine as UNESCO Member, Pressemitteilung vom 31.10.2011, UNESCO Media Service, abrufbar unter: <www.unesco.org>.

442 Stegmiller Es können auch keine (direkten) Rückschlüsse durch die Aufnahme Palästinas in den Kreis der IStGH-Mitgliedstaaten auf eine allgemein anerkannte Staatlichkeit Palästinas gezogen werden. Die Nichtanerkennung durch gewichtige Staaten und die Rolle des VN-Sicherheitsrates können nicht einfach ausgeblendet werden. 26 Allenfalls lässt sich eine (indirekte) Anerkennung der zustimmenden Staaten ableiten, welche jedoch beim IStGH fehlt. Die Institution IStGH als solche kann jedenfalls nicht über die Staatlichkeit Palästinas befinden. Es wäre zumindest eine breitere Diskussion der IStGH-Vertragsstaaten geboten gewesen. 27 IV. Fazit: IStGH Weltgerichtshof quo vadis? Die Klärung der Gebiets- und Zuständigkeitsfrage wird den IStGH vor Kontroversen stellen und völkerrechtspolitisch in eine schwierige Lage manövrieren. So erstrebenswert eine weltweite Jurisdiktion und Verfolgung von Kernverbrechen auch sein mag, der IStGH ist gut beraten, politisch zurückhaltender zu agieren. Neben der fehlenden Unterstützung durch gewichtige Staaten wie die USA, Russland und China nimmt auch die Zustimmung in der afrikanischen und arabischen Hemisphäre ab. Das Vertragswerk des IStGH beruht auf einem freiwilligen Beitritt und der Jurisdiktionsunterwerfung von Staaten. Andere Institutionen oder Territorien können dem IStGH nicht beitreten. Völkerrechtlich bleibt der Status Palästinas unklar, auch wenn die Einstufung als Staat i. S. d. IStGH-Statuts möglich ist. Allerdings ist zumindest die territoriale Reichweite Palästinas höchst umstritten und stellt den IStGH vor weitreichende Zuständigkeitsprobleme. 28 Dass der IStGH als neutrale Instanz Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen zwischen Israel und Palästina bringen könnte, 29 erscheint fragwürdig. In ersten Reaktionen versucht Israel dem IStGH finanzielle Unterstützung durch Drittstaaten abzugraben und empfindet dessen Eingreifen als Provokation. 30 26 So lehnte der VN-Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf zu Palästina (erneut) ab, vgl. Jordan: Draft Resolution, 30.12.2014 (S/2014/916); UN Security Council Action on Palestinian Statehood Blocked, UN News Centre, 30.12.2014. 27 Zum Versuch, die Vertragsstaatenversammlung 2012 einzuschalten, J. Dugard (Anm. 19), 567. 28 Vgl. III. 29 So R. Ramsahye, Palestine s Accession to the Rome Statute: An Impediment to Peace?, BOFAXE Nr. 464E., 19.1.2015. 30 Israel Lobbies Foreign Powers to Cut ICC Funding, Reuters, 19.1.2015, abrufbar unter: <www.reuters.com>.

Palästinas Aufnahme als Mitgliedstaat des Internationalen Strafgerichtshofs 443 Der IStGH befindet sich immer noch in einer jungen Phase seines Bestehens und muss den Spagat zwischen Akquise neuer Staaten und politisch breiter Unterstützung bewerkstelligen. Seine Verfahren müssen hohen juristischen Standards genügen und Kritik erfolgt von allen Seiten. Eine Konzentration auf eine geringere Anzahl an Konfliktsituationen im Rahmen der vorgegebenen Zuständigkeitsregelungen erscheint daher sinnvoll. Zudem sollten Postkonfliktsituationen den Regelfall bilden. Ein Eingreifen des IStGH in laufende Konflikte überfrachtet diesen mit zu hohen Erwartungen. Der IStGH ist weder Vermittler zwischen Staaten noch ein Streitschlichtungsgremium. 31 Diese Rolle kommt anderen völkerrechtlichen Institutionen und Staaten zu. Der IStGH ist gut beraten es zu vermeiden, für andere Zwecke als strafrechtliche Verfahren instrumentalisiert zu werden. Treffend formuliert das European Centre for Law and Justice in seiner Stellungnahme an den (ehemaligen) Chefankläger: Among our concerns is that the ICC, to be effective, must not become the battleground for political disputes rather than a forum for ensuring justice. Were the ICC to permit non-state entities like Palestine to recognize the jurisdiction of the Court, it would insert itself into a political conflict that requires diplomacy and negotiations between the parties. We fear also that it could open a Pandora s Box, leading to a flood of similar declarations by other non-state entities, thereby diluting the effectiveness of the Court and disrupting its activities. 32 Es scheint, als habe der IStGH diese Büchse der Pandora nun geöffnet. 31 Zur vorgesehenen Streitschlichtung im Fall Palästina vgl. D. Benoliel/R. Perry (Anm. 17), 96 f. 32 European Centre for Law and Justice (Anm. 17), 1.