Religionskritik in der Antike

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Transkript:

Annette Pohlke Religionskritik in der Antike Zwischen Pantheismus, Agnostizismus und Atheismus

Impressum Annette Pohlke Engadiner Weg 4 12207 Berlin annette@pohlke.de www.pohlke.de 1. Auflage, August 2013

Inhaltsverzeichnis Einleitung... 4 Der Religionsbegriff in der Antike... 6 Griechenland... 7 Rom... 8 Antike Religionskritik... 13 Der Beginn der griechischen Philosophie als Ausgangspunkt antiker Religionskritik... 14 Der Mensch als Maß aller Dinge... 17 Philosophische Religionskritik im Zeitalter des Hellenismus... 18 Die Rezeption griechischer Religionskritik in Rom... 27 Religionskritik in der Spätantike... 30 Gesellschaftliche Reaktionen auf Religionskritik in der Antike... 32 Abwehr der Religionskritik... 32 Abwertung der traditionellen Religion und wachsendes Interesse an neuen Kulten... 35 Intellektuelle Bewältigungsstrategien... 36 Zusammenfassung und Ausblick... 38 Verwendete Literatur... 41 3

Einleitung Der vorliegende Text entstand in seiner frühesten Form in einem Seminar zum Thema Religionskritik am Institut für Evangelische Theologie der Freien Universität Berlin. Insofern hat er das Anliegen, zu betrachten, welche grundlegenden religionskritischen Argumente bereits in der Antike bekannt waren und wo Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Kritik wie auch im Umgang mit ihr zwischen der Antike und unserer Zeit bestehen. Dabei soll vor allem ein Überblick gegeben werden. Was durch diesen Ansatz entstanden ist, ist ein kurzer Durchgang durch die antike Literatur- vor allem aber Philosophiegeschichte unter dem speziellen Blickwinkel, was einzelne Autoren oder Schulen kritisches über die Religion zu sagen wussten. Es wurde also jeweils eine sehr spezielle Auswahl getroffen und der Leser sollte unbedingt bedenken, dass die vorgestellten Gedankengänge in Kontexte gehören, die in der vorliegenden, knapp gefassten Darstellung weg gelassen wurden. Insofern setzt der Text eine gewisse Vertrautheit mit antiker Literatur und Philosophie voraus, im Literaturverzeichnis finden sich aber auch eine Reihe von Standardwerken, die diesen Kontext liefern, auf sie sei an dieser Stelle verwiesen. 4

Zu Beginn der Arbeit stellte sich die Frage, ob einer chronologischen oder einer systematischen Gliederung des Stoffes der Vorzug zu geben sei. Da auch in der Religions- und Philosophiegeschichte das Jüngere auf dem Älteren aufbaut und dieses somit häufig voraussetzt, schien zunächst ein chronologischer Aufbau der Arbeit der naheliegendste. Im Verlauf der Arbeit stellte sich allerdings heraus, dass einem streng chronologischen Aufbau zwei Dinge entgegenstanden, nämlich einerseits die Quellenlage, andererseits die Rezeptionsgeschichte einzelner Gedanken innerhalb der antiken Philosophie Insbesondere für die frühen griechischen Denker sind keinerlei Zeugnisse aus erster Hand erhalten. Dies trifft zum Beispiel auf die sogenannten Vorsokratiker 1 insgesamt, aber etwa auch für einzelne der sokratischen Schulen zu und setzt sich als Problem bis in die hellenistische Philosophie fort. So sind uns zahlreiche Lehrmeinungen früherer Philosophen nur aus Paraphrasierungen und Zitaten bei jüngeren, häufig römischen Autoren bekannt. Dabei ist es dann oft schwierig, das ursprüngliche Gedankengut sauber von den im Laufe der Rezeptionsgeschichte hinzugetretenen Weiterbildungen zu trennen. Dabei wird zugleich deutlich, dass einzelne Gedanken und Motive oft eine lange Rezeptionsgeschichte inner- 1 Röd 16. 5

halb der Philosophiegeschichte aufweisen. Bei einer streng chronologischen Darstellung müsste unter den einzelnen philosophischen Richtungen immer wieder auf ähnliche Motive verwiesen werden. Ich habe mich daher für eine chronologisch orientierte, aber systematische Darstellung entschieden. Bei den Quellen zu Leben und Werk der Vorsokratiker habe ich mich, soweit sie in der Sammlung von Diels-Kranz enthalten sind, mit dieser Ausgabe begnügt. Als Belegstelle ist jeweils die Nummer des Zitates bei Diels-Kranz angegeben, die Originalstelle ist nach den Angaben bei Diels-Kranz in Klammern hinzugefügt. Der Religionsbegriff in der Antike Unser moderner Begriff der Religion entsteht erst in der Frühen Neuzeit im Gefolge der Reformation. Daraus folgt, dass unser moderner Begriff der Religion ebenso wie der der Religionskritik nicht unkritisch auf die Antike übertragen werden darf. Die Existenz eines allgemeinen Religionsbegriffs ist die Voraussetzung für eine allgemeine Religionskritik. Wo ersterer fehlt, darf man letztere nicht erwarten. Um also schon im Vorfeld abzuklären, welche Möglichkeiten, aber auch Grenzen sich der Religionskritik in der Antike boten, müssen wir zuerst betrachten, wie in der Antike über 6

das gesprochen wurde, was wir für gewöhnlich als "Religion" bezeichnen. Griechenland Es gibt im Griechischen keinen adäquaten Begriff für unsere Bezeichnung "Religion" 2. Eine Annäherung muss daher über verschiedene Termini aus der religiösen Sphäre erfolgen. An erster Stelle ist die Formulierung θεοὺς νοµίζειν (theous nomizein) zu nennen. Sie ist von besonderem Interesse, da sie offenbar eine entscheidende Formulierung im attischen Asebieprozess (s.u.) darstellte 3. Dabei ist zu beachten, dass θεοὺς νοµίζειν ursprünglich nicht so sehr die Bedeutung "an die Existenz von Göttern glauben" hatte, als vielmehr die Bedeutung "die Götter verehren, wie es Brauch ist". Deren Existenz wurde dabei als selbstverständlich vorausgesetzt 4. Seit der hellenistischen Zeit wird statt νοµίζειν zunehmend πιστεύειν (pisteuein) verwendet 5, wodurch eine zunehmende Verinnerlichung der Religion zum Ausdruck kommt. 2 Fahr 5. 3 Plat.Ap.Sok. 26 b - 228a; 29a; 35d 4 Fahr 2. 5 Bultmann/Weiser 179f. 7

Weiterhin wichtig sind hier die verschiedenen Ableitungen des Stammes σεβ- (seb-). Beispiele dafür sind: ἀσέβεια (asebeia, Gottlosigkeit), εὐσέβεια (eusebeia, Frömmigkeit), σεβαστός (sebastos, verehrungswürdig). Die Grundbedeutung des Stammes σεβ- ist "zurückweichen" 6. Εὐσέβεια wäre somit ursprünglich als fromme Scheu zu interpretieren. Dabei ersetzt εὐσέβεια in der Bedeutung "Frömmigkeit" auch das altere δεισιδαιµονία (deisdaimonia), das unter dem Einfluss der philosophischen Religionskritik zunehmend seine ursprüngliche Bedeutung "ehrfürchtige Scheu vor den Göttern" verliert und auf die Bedeutung "Aberglaube" eingeschränkt wird 7. Rom Anders als im Griechischen können wir in der lateinischen Sprache auf den ersten Blick eine Entsprechung zu unserem Wort Religion" finden: religio. Die Etymologie von religio ist umstritten. Die Ableitungen des Begriffes von religare (anbinden) und religere/relegere (wieder lesen, durcharbeiten) sind bereits in der Antike vertre Ende der Leseprobe 6 Foerster 175. 7 Calderone 378. 8