Überwachung der Umweltradioaktivität



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Transkript:

Überwachung der Umweltradioaktivität Markus Lachmann Wiesbaden, 2012 Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie

Impressum Reportagen aus der Umwelt ISSN 1869-3903 ISBN 978-3-89026-521-6 Überwachung der Umweltradioaktivität Redaktion: Martin Riepenhausen (HLUG) Helmut Weinberger (HLUG) Layout: Melanie Görgen (HLUG) Titelbild: In-Situ Gammaspektrometer im Feldeinsatz (HLUG) Herausgeber, und Vertrieb: Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie Rheingaustraße 186 65203 Wiesbaden Telefon: 0611 6939-0 Telefax: 0611 6939-555 E-Mail: vertrieb@hlug.hessen.de www.hlug.de Nachdruck auch auszugsweise nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers.

Inhalt Vorwort...4 1 Entstehung der Erde und Strahlung aus dem Weltall die natürliche Radioaktivität...5 2 Atomwaffentests und Medizin die künstliche Radioaktivität...6 3 Eine Katastrophe und die Folgen...8 4 Aus der Luft zum Menschen...9 5 Lehren aus Tschernobyl Arbeitsteilung bei der Messung...11 6 Von der Kartoffel bis zum Babybrei - das Routine-Messprogramm...12 7 Gerüstet für den Ernstfall das Intensivprogramm...15 8 Drei Fragen an Martin Riepenhausen...16

Reportagen aus der Umwelt Vorwort Das Ziel des Schreibens ist es, andere sehen zu machen, hat der Schriftsteller Joseph Conrad einmal gesagt. Mit der Publikationsreihe Reportagen aus der Umwelt wollen wir ganz in diesem Sinne den Leserinnen und Lesern einen Blick auf die vielfältigen Aufgaben des Umweltschutzes ermöglichen, die im Hessischen Landesamt für Umwelt und Geologie wahrgenommen werden. Und weil es auch eine Kunst ist, dieses Sehen durch das geschriebene Wort zu ermöglichen, lassen wir in dieser Reihe Menschen zu Wort kommen, deren Beruf und Berufung es ist zu schreiben. Ich wünsche Ihnen daher, dass Sie durch den vorliegenden Text eine neue Sicht auf das vorgestellte Thema gewinnen. Dr. Thomas Schmid Präsident des Hessischen Landesamtes für Umwelt und Geologie Der Autor Markus Lachmann, Jahrgang 1972, studierte in Gießen Journalistik, Geschichte, Politik und Germanistik. Seine journalistische Laufbahn begann er beim Wiesbadener Kurier. Er arbeitet als Redakteur mit den Schwerpunkten Landespolitik und Fluglärm bei der Allgemeinen Zeitung in Mainz. 4

Überwachung der Umweltradioaktivität Im Zusammenhang mit Radioaktivität fallen vielen Menschen sicher zunächst die Stichworte Fukushima und Tschernobyl ein. Aber Radioaktivität in unserer Umwelt hat noch weit mehr Quellen wie zum Beispiel natürliche Radionuklide, terrestrische und kosmische Direktstrahlung, nuklearmedizinische Diagnostik oder oberirdische Kernwaffenversuche. Daher lässt sich sagen: Radioaktivität und ionisierende Strahlung sind Teil unseres Alltags. Ihre Überwachung in unserer Umwelt gehört zu den Aufgaben des Hessischen Landesamtes für Umwelt und Geologie. 1 Entstehung der Erde und Strahlung aus dem Weltall die natürliche Radioaktivität Der Mensch ist einer ständigen natürlichen Radioaktivität ausgesetzt. Einige Radionuklide wie Uran 238, Thorium 232 oder Kalium 40 existieren seit der Geburt der Erde. Kalium 40 beispielsweise hat eine Halbwertszeit von 1,3 Milliarden Jahren. Das wichtige Spurenelement ist in allen Nahrungsmitteln enthalten sowohl in Obst und Gemüse als auch im Fleisch - und somit auch im Menschen selbst. Durch die Strahlung aus dem Weltall entstehen auch Nuklide wie Kohlenstoff 14, Beryllium 7 oder Tritium in der Atmosphäre. Über die Atemluft gelangt zudem Radon 222 in den menschlichen Körper und trägt mit seinen Zerfallsprodukten wesentlich zur natürlichen Strahlenbelastung bei. Ist der Mensch diesem Edelgas in hohen Mengen ausgesetzt, erhöht sich das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken. Radon wird bei dem Zerfall von Uran 238 gebildet und kommt in jedem Gestein und Boden vor. Das geruchslose Gas tritt an der Erdoberfläche aus und ist in geschlossenen Räumen und insbesondere in Kellern nachweisbar. Insgesamt trägt in Deutschland die natürliche Radioaktivität zu etwas mehr als der Hälfte der mittleren Strahlenbelastung des Menschen bei. Radionuklide Darunter versteht man instabile Atome, die radioaktiv zerfallen. Man unterscheidet häufig zwischen künstlichen und natürlichen Radionukliden. Zu den künstlichen zählen Strontium 90 und Cäsium 137 sie sind ein Spaltprodukt aus Kernreaktoren. Natürliche Radionuklide kommen, wie der Name schon sagt, in der Natur vor, zum Beispiel in der Erde. Beispiele sind etwa Uran 235 oder Radon 222. 5

Reportagen aus der Umwelt 2 Atomwaffentests und Medizin die künstliche Radioaktivität Künstliche Radionuklide wie Strontium 90 und Cäsium 137 gelangten mit der Erfindung der Kernspaltung in die Umwelt. So führten Großmächte wie die USA und die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg rund 500 oberirdische Atomwaffentests aus. Der Schwerpunkt lag in den Jahren 1951 bis 1962. Die radioaktiven Stoffe gelangten damals in die Atmosphäre und wurden durch die Luft auch nach Deutschland transportiert. Hessen wurde mit durchschnittlich 3,4 Kilo-Becquerel Cäsium pro Quadratmeter belastet. Nach 1963 nachdem oberirdische Kernwaffentests fast vollständig eingestellt worden waren gingen die Werte in der Bundesrepublik wieder zurück. Zur weiteren Kontamination in Hessen kam es erneut nach der Tschernobyl-Katastrophe von 1986. Radioaktives Material wurde bis zu 1500 Meter hoch in den Himmel geschleudert und gelangte durch die Luft nach Deutschland. Je nach Niederschlag lagerte es sich auch in Hessen ab. Dort wurden nach dem Unfall durchschnittlich 1,7 Kilo- Becquerel pro Quadratmeter gemessen. Die Mengen an Radioaktivität, die aus dem laufenden Betrieb von Atomkraftwerken (AKW) in die Umwelt gelangen, sind winzig. Sie haben einen Anteil an der Jahresdosis von weniger als 0,01 Milli- Sievert. Die Umgebung von AKW, beispielsweise im südhessischen Biblis, wird ständig untersucht; die Ergebnisse werden vom Bundesumweltministerium veröffentlicht. Radioaktive Stoffe gelangen auch zu einem geringen Anteil aus Medizin, Forschung und Technik in die Umwelt. Dazu zählt beispielsweise die nuklearmedizinische Diagnostik. Becquerel Einheit für Radioaktivität. Mit Becquerel, kurz Bq, wird die Anzahl der Atome angegeben, die pro Sekunde zerfallen. Sie ist nach dem französischen Physiker Antoine Henri Becquerel (1852 bis 1908) benannt, der 1903 zusammen mit Marie Curie den Nobelpreis für die Entdeckung der Radioaktivität erhielt. Sievert Darunter wird eine Maßeinheit für die Strahlendosis verstanden. Sie ist nach dem schwedischen Physiker und Mediziner Rolf Sievert (1896 bis 1966) benannt. Sievert (Sv) wird als Einheit für die Äquivalentdosis oder effektive Dosis verwendet. Diese wird oft in Milli-Sievert (msv) angegeben. 6

Überwachung der Umweltradioaktivität Direktstrahlung, terrestrisch: Strahlung der radioaktiven Bodenbestandteile (z.b. Kalium-40, Radium-226, Thorium-232 aus der Zeit der Erdentstehung) 0,4 1,7 Röntgendiagnostik: z.b. Computertomographie medizinische Anwendung 1,8 msv mittlere effektive Jahresdosis in msv natürliche Quellen 2,1 msv 0,3 Direktstrahlung, kosmisch: Strahlung aus Kernprozessen im Weltall 0,3 Ingestion natürlicher Radionuklide: Die im Boden vorhandenen Radionuklide werden über unterschiedliche Pfade mit der Nahrung aufgenommen Nuklearmedizinische Diagnostik: z.b. Funktionsszintigraphie diverser Organe mit Technetium-99m 0,1 < 0,01 < 0,011 < 0,01 1,1 Inhalation von Radon: und seinen Zerfallsprodukten Oberirdische Kernwaffenexplosionen Reaktorunfall Tschernobyl Emissionen kerntechnischer Anlagen Abb. 1: Mittlere effektive Jahresdosis (Quelle: BMU, Radioaktivität und Strahlenbelastung. Jahresbericht 2010, Stand April 2012) 7

Reportagen aus der Umwelt 3 Eine Katastrophe und die Folgen Tschernobyl ist weit weg und doch nahe. Denn noch heute können Wissenschaftler mit Hilfe empfindlicher Messmethoden Radioaktivität in der Umwelt nachweisen, die ihren Ursprung im Reaktorunfall von 1986 hat wenn auch nur in äußerst geringen Mengen. In der Wissenschaft wird hier von künstlicher Radioaktivität gesprochen. Davon unterschieden wird die natürliche Radioaktivität, die seit der Entstehung der Erde existiert. Da beides in der Umwelt des Menschen vorkommt, spricht man von Umweltradioaktivität. Die Bundesrepublik hat aus der Katastrophe von Tschernobyl Lehren gezogen: Sie verfügt heute über ein gut organisiertes und dichtes Messnetz. Im erneuten Ernstfall können die Behörden schnell reagieren. So haben nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima, Japan, im März 2011 die Behörden in Deutschland intensiv Luft und Niederschlag auf künstliche Radioaktivität untersucht und dabei nur sehr geringe Aktivitätskonzentrationen nachgewiesen. Die Umweltradioaktivität wird in Hessen auch vom Hessischen Landesamt für Umwelt und Geologie (HLUG) regelmäßig überwacht. Tschernobyl Der Name steht für viele für eine der schlimmsten Umweltkatastrophen aller Zeiten. Am 26. April 1986 kam es im Atomkraftwerk Tschernobyl bei Kiew zur Kernschmelze und Explosion im Kernreaktor. Große Mengen an radioaktiven Stoffen wurden in die Luft geschleudert. Diese gelangten bis zu tausende Kilometer weit. Große Teile Europas waren betroffen, auch Deutschland. Vor allem wenn die radioaktiven Stoffe durch Regen aus der Luft auf den Boden gelangten, kam es zur Kontamination der Umwelt mit Jod 131, Cäsium 134, Cäsium 137 und Strontium 90. Noch heute sind Pilze, Wildfleisch und Waldbeeren in einigen Regionen Süddeutschlands deutlich höher belastet als in anderen Teilen Deutschlands. Radioaktivität Damit wird die Eigenschaft instabiler Atomkerne bezeichnet, die zerfallen. Das heißt, sie wandeln sich ohne äußere Einflüsse in andere Atomkerne um. Bei dem Zerfall wird Energie in Form von Alpha-, Beta- oder Gammastrahlung abgegeben. Man spricht auch von ionisierender Strahlung. Sie kann für den Menschen gefährlich sein. Die Halbwertszeit bezeichnet den Zeitraum, in dem durchschnittlich die Hälfte der instabilen Atomkerne zerfallen ist. Fukushima Im Kernkraftwerk Fukushima in Japan wurden am 11. März 2011 durch ein starkes Erdbeben mit anschließendem Tsunami betriebswichtige Anlagenteile zerstört. Nach Ausfall der Kühlung kam es zur Kernschmelze und Explosionen. Mehrere Reaktorgebäude wurden schwer beschädigt und erhebliche Mengen radioaktiver Stoffe in die Umwelt freigesetzt. Spuren davon konnten anschließend auch in der Atmosphäre über Mitteleuropa festgestellt werden. Die in Deutschland nachgewiesenen Aktivitätskonzentrationen lagen im Bereich von wenigen Tausendstel Becquerel je Kubikmeter Luft. 8

Überwachung der Umweltradioaktivität 4 Aus der Luft zum Menschen Radioaktivität gelangt über verschiedene Träger zum Menschen Wissenschaftler sprechen von Umweltmedien. In der Luft findet sich vor allem Radon; künstliche Radionuklide wie Cäsium 137 können dort nur in sehr geringen Mengen nachgewiesen werden. Dies gilt auch für Oberflächen- und Grundwasser, in denen sich natürliche Nuklide wie Uran, Radium und Kalium 40 finden. Der Boden hat für den Menschen eine doppelte Bedeutung: Zum einen nimmt er Nuklide auf, die aus der Luft dorthin gelangen. Zum anderen ist er die Grundlage für die Nahrungsmittelproduktion. Die Strahlenbelastung des Menschen hängt also stark von der Belastung der Böden ab. Bei der Tschernobyl-Katastrophe 1986 gelangte radioaktives Material in die Luft und - in Verbindung mit Regen auch auf Wiesen und Äcker. Tiere wiederum nahmen über Pflanzen Radionuklide auf. Da Kühe nach dem Reaktorunfall mit kontaminiertem Heu gefüttert wurden, kam es zu einem Anstieg der Cäsium 137-Werte in der Milch. Messungen von Cäsium 137 oder Strontium 90, die für Milch aus Südhessen seit 1960 vorliegen, zeigen deutliche Ausschläge bis Anfang 1964 und erneut wieder im Jahr 1986. Im Mai und Juni 1986 lag dort der Wert für Cäsium im Mittel bei etwa 15 Becquerel pro Liter Milch. Heute liegen die Cäsium- und Strontium- Werte bei deutlich unter einem Becquerel und damit weit unter dem von der EU vorgegebenen Grenzwert. Auch Rindfleisch liegt unter einem Becquerel pro Kilogramm. Cäsium 137 findet sich noch heute in hessischen Böden. Dabei existieren je nach Ort deutliche Unterschiede. Die Werte liegen zwischen fünf und 70 Bequerel pro Kilogramm Trockenmasse. Von der Bodenoberfläche verlagert sich Cäsium nur sehr langsam in die tieferen Schichten. In Böden, die nicht bearbeitet werden etwa Weiden und Wiesen wandern die Isotope mit einer Geschwindigkeit von wenigen Millimetern pro Jahr nach unten. Aus diesem Grund befindet sich das aus Tschernobyl stammende Cäsium 137 noch im oberen Bereich der Böden. In Ackerböden gelangt das Radionuklid durch Pflügen in tiefere Schichten und wird gleichmäßig verteilt; die Belastung ist in der Regel niedriger als auf einer Wiese. Dies erklärt auch die geringen Aktivitäten in Ackerfrüchten wie etwa Getreide. Hier liegen die Werte meist unterhalb der Nachweisgrenze von 0,2 Becquerel pro Kilogramm. Anders verhält es sich in Waldböden: In der Laubund Nadelschicht auf dem Boden werden große Teile der Radionuklide zunächst gebunden. Sie bewegen sich erst nach unten, wenn sich das Laub zersetzt. Im Boden kommen die radioaktiven Stoffe daher zeitverzögert an. Im Falle des Cäsiums und Strontiums aus Tschernobyl wurde deshalb das Maximum der Radioaktivität im Waldboden erst bis zu sechs Jahre später erreicht. Aufgrund der besonderen Bedingungen in Wald-Ökosystemen weisen Speisepilze wie etwa der Maronenröhrling oder Wildschweinfleisch höhere Werte als etwa Gemüse aus der Landwirtschaft auf. In Hessen wurden 2001 und 2002 im Wildschweinfleisch Cäsium-Werte gemessen, die von weniger als einem bis zu 335 Becquerel pro Kilogramm reichten. Damit lagen sie deutlich unter dem EU-Grenzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm. Im Klärschlamm in hessischen Kläranlagen sind wesentlich höhere Werte von Cäsium 137 als in Lebensmitteln zu finden; auch Iod 131 findet sich dort. Es handelt sich dabei um ein Radionuklid mit kurzer Halbwertszeit, das in der Medizin eingesetzt und vom Menschen wieder ausgeschieden wird. Höhere Werte als in Lebensmitteln finden sich auch im Kompost und in Schlacke aus Verbrennungsanlagen. Selbst in Seen und Teichen lässt sich noch Radioaktivität aus den 50er und 60er Jahren und dem Jahr 1986 nachweisen. Dadurch nehmen auch Fische Cäsium auf; der Wert liegt in Hessen im Schnitt unter 0,5 Becquerel pro Kilogramm. Über Fleisch und Pflanzen nimmt auch der menschliche Körper natürliche und künstliche radioaktive Stoffe auf. Seit etwa 15 Jahren liegt die tägliche Cäsium 137-Zufuhr zum menschlichen Körper im Mittel bei weniger als 0,5 Becquerel. 1987 lag sie bei über drei Becquerel. 9

Reportagen aus der Umwelt 7 Bq/l Cäsium -137-Konzentration in Milch aus Südhessen 2-Monatsmittelwerte aus Stichprobenmessungen, ab 2005 monatliche Einzelwerte Zeitraum 1963 bis 1988: Wiesbaden-Delkenheim, ab 1989: Bad Schwalbach 15 Bq/l 10 Bq/l 6 5 4 3 2 1 Messwert Nachweisgrenze 0 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 Abb. 2: Cäsium 137-Konzentration in Milch aus Südhessen Grenzwert In den Ländern der Europäischen Union beträgt der Höchstwert für die Belastung in Lebensmitteln mit radioaktivem Cäsium 600 Becquerel pro Kilogramm. Für Milch und Babynahrung beträgt dieser Wert 370 Becquerel pro Kilogramm. Lebensmittel, die diesen Wert überschreiten, dürfen nicht in den Handel gebracht werden. Strahlendosis Es gibt verschiedene Methoden, um die Dosis der Strahlung auf den Menschen zu berechnen. Die Äquivalentdosis beispielsweise verrechnet die Wirkung unterschiedlicher Strahlung mit einem biologischen Faktor. Der Grenzwert für Menschen, die beruflich einer Strahlenbelastung ausgesetzt sind, liegt in Deutschland bei 20 Milli-Sievert (msv) pro Jahr. Eine Einzeldosis von 6000 msv führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod. Die so genannte effektive Dosis berücksichtigt auch die Empfindlichkeit von Organen gegenüber Strahlung. Die mittlere effektive Jahresdosis aus der Strahlung, die aus natürlicher und künstlicher Radioaktivität resultiert, beträgt in Deutschland zurzeit etwa vier msv. Strahlenexposition Die Einwirkung ionisierender Strahlung auf den Menschen wird Strahlenexposition genannt. Man unterscheidet zwischen der äußeren und der inneren Einwirkung von Strahlungsquellen beim Menschen (innere und äußere Strahlenexposition). Radioaktive Stoffe können auf unterschiedlichem Wege in den menschlichen Körper gelangen: Über die Nahrung, das Atmen oder durch die Haut. 10

Überwachung der Umweltradioaktivität 5 Lehren aus Tschernobyl Arbeitsteilung bei der Messung Bei der Überwachung der Umweltradioaktivität teilen sich Bund und Länder die Arbeit. Grundlage dafür ist das Strahlenschutzvorsorge-Gesetz von 1986. In Hessen übernimmt das Hessische Landesamt für Umwelt und Geologie diese Aufgabe. Der Bund misst die Radioaktivität in der Luft, in Niederschlägen, Bundeswasserstraßen sowie in der Nord- und Ostsee. Auch die Messung der Gamma-Ortsdosisleistung zählt zu seinem Aufgabenfeld; er betreibt zu diesem Zweck rund 100 Sonden in Hessen. Die Daten von Bund und Ländern fließen in ein gemeinsames Integriertes Mess- und Informationssystem (IMIS) ein. Aufgrund von IMIS kann sich die Bundesregierung im Falle eines erneuten Unglücks rasch ein Bild über die radioaktive Belastung in Deutschland machen und schnell reagieren. Nach dem Gesetz sind die Länder zu einem Routine-Messprogramm verpflichtet und müssen Vorsorge für den Ernstfall treffen dann würde das Intensivprogramm starten. Geschichte der Messungen Begonnen wurde mit der Überwachung der Umweltradioaktivität durch Behörden in der Bundesrepublik im Jahr 1955. Damals begann der Deutsche Wetterdienst, die Atmosphäre auf Radionuklide zu untersuchen. Mit der Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) 1957 wurden die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Radioaktivität in Luft, Wasser und Boden zu überwachen. 1961 wurde die Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern geregelt der Bund überwachte die Luft, Nord- und Ostsee sowie die Bundeswasserstraßen, die Länder beispielsweise Seen, Trink- und Abwasser, Wald und Wiesen, Futtermittel und Lebensmittel. In den 70er Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt der Messungen von der Umwelt auf die Emissionen von Atomkraftwerken. Nach dem Unfall von Tschernobyl 1986 wurde die Überwachung der Radioaktivität neu geregelt: Erfassung und Bewertung erfolgen seitdem nach einheitlichen Kriterien. Strahlenschutzvorsorgegesetz Das Bundesgesetz stammt vom 19. Dezember 1986 und entstand in Folge der Katastrophe von Tschernobyl. In ihm wird festgelegt, dass Bund und Länder die Radioaktivität in der Umwelt messen. Die Länder handeln dabei im Auftrag des Bundes, an den sie auch ihre Daten übermitteln. Das Bundesumweltministerium muss jährlich dem Bundestag und dem Bundesrat über die Umweltradioaktivität berichten. Neben einem Routine- Messeprogramm legt das Gesetz auch ein Intensivprogramm für den Fall fest, dass bei einem Ereignis große Mengen an radioaktivem Material in die Umwelt gelangen. Ziel des Gesetzes ist es, in einem solchen Fall die Strahlenbelastung des Menschen und die Kontamination der Umwelt so niedrig wie möglich zu halten. HLUG Das Hessische Landesamt für Umwelt und Geologie (HLUG) ist eine technisch-wissenschaftliche Umweltbehörde, die dem Hessischen Umweltministerium angeschlossen ist. Das HLUG sammelt, bewertet und veröffentlicht Daten aus Wasser, Boden und Luft. Es erstellt Konzepte, Handlungsempfehlungen und Gutachten für Ministerien und andere Behörden. Das Landesamt hat seinen Sitz in Wiesbaden mit Außenstellen in Kassel und Darmstadt sowie in Ebsdorfergrund, Hünstetten und Villmar. 11

Reportagen aus der Umwelt 6 Von der Kartoffel bis zum Babybrei - das Routine-Messprogramm Bis zu 600 Proben werden in Hessen unter Federführung des HLUG jährlich entnommen: etwa aus Gemüse und Obst, Getreide, Kartoffeln, Fleisch, Fisch, Geflügel, Milch, Trinkwasser und Babynahrung. Proben entstammen auch aus Futtermittel, Regen, Pflanzen, Äckern, Weiden und Waldböden, Grundwasser, Seen, Kompost, Klärschlamm, Mülldeponien sowie Müllverbrennungsanlagen. Dabei arbeitet die Landesbehörde eng mit den Lebensmittelkontrolleuren und Veterinär-Ämtern der Kreise und kreisfreien Städte zusammen. Zu den Partnern des HLUG bei der Messung der Umweltradioaktivität zählen auch die Landwirtschaftsämter der Kreise, das Regierungspräsidium Gießen und der Landesbetrieb Landwirtschaft. Seit vielen Jahren sind die Werte, die in Hessen gemessen werden, unterhalb der Nachweisgrenze etwa in Lebensmitteln. Für die Lebensmittelüberwachung werden die Proben bei den Erzeugern genommen, bei Importen zudem bei den Händlern. Wiesen und Weiden werden auch In-Situ gemessen, also direkt vor Ort. Das In-Situ-Messnetz in Hessen reicht von Lampertheim im Süden bis Trendelburg im Norden. Es umfasst 30 Messorte. Die Landesbehörde für Umwelt und Geologie setzt für dieses Verfahren die gleiche Messtechnik ein, wie sie auch im Labor zum Einsatz kommt. Allerdings werden die Daten direkt vor Ort mit einem Laptop ausgewertet. Die Werte, beispielsweise für Cäsium 137 oder Kalium 40, können dann unmittelbar zum Bundesamt für Strahlenschutz übertragen werden. Die Proben, die von Lebensmitteln und Pflanzen genommen werden, gelangen zu den beiden Radionuklid- und Kernstrahlungs-Messlaboren des HLUG in Darmstadt und Kassel. Spezialisten untersuchen dort zum Beispiel die Milch auf Strontium oder Obst- und Gemüse auf Cäsium. Bei der Messung wendet die Wissenschaft unterschiedliche Verfahren an, etwa das gammaspektrometrische oder das alphaspektrometrische Verfahren, je nach Art der Strahlung, die untersucht werden soll. Im Labor werden die Proben unterschiedlich vorbereitet. Für manche Messungen reicht einfaches Zerkleinern. Andere Proben werden eingedampft, gepresst oder verascht. Gamma-Ortsdosisleistung Die Gamma-Ortsdosis ist die Gamma-Strahlung, die an einem bestimmten Ort auf den Menschen einwirkt. Die Gamma-Ortsdosisleistung beschreibt die Strahlung pro Zeiteinheit und wird in Mikro- oder Nano-Sievert pro Stunde (μsv/h oder nsv/h) angegeben. In Hessen werden im Freien derzeit im Mittel 100 nsv/h gemessen. Der Bund betreibt in Deutschland etwa 1800 Messstellen. In-Situ-Messung In Situ ist ein lateinischer Begriff und bedeutet so viel wie an Ort und Stelle. In der Naturwissenschaft wird darunter eine Untersuchung oder Messung direkt vor Ort, also nicht im Labor, verstanden. Gammaspektrometrische Messung Verfahren, mit dem Radionuklide, die Gammastrahlen aussenden, identifiziert und quantifiziert werden können. Dazu werden ihre Energielinien im Gammaspektrum bestimmt. 12

Überwachung der Umweltradioaktivität Abb. 3: Karte der in-situ-messpunkte in Hessen 13

Reportagen aus der Umwelt Abb. 4: In-Situ Gammaspektrometer im Feldeinsatz 14

Überwachung der Umweltradioaktivität 7 Gerüstet für den Ernstfall das Intensivprogramm Die Behörden haben aus dem Reaktorunglück von 1986 Lehren gezogen. Sollte es eines Tages zu einem Ereignis kommen, beim dem große Mengen an radioaktiven Stoffen in die Umwelt gelangen, sind Bund und Länder gewappnet und müssen es auch sein. Ein Intensiv-Messprogramm liegt deshalb in Hessen bereits in der Schublade. Im Ernstfall könnten die Labore in Darmstadt und Kassel ihre Kapazitäten hochfahren. Aus 600 Proben im Jahr könnten auf diese Weise rasch bis zu 100 Proben am Tag werden. Dabei wird nicht nur schneller und häufiger gemessen - das gesamte Messnetz wird verdichtet. Für den Fall, dass eine radioaktive Wolke über die Bundesrepublik zieht, senden die Messsysteme des Bundes (Gamma-Ortsdosis-Leistung) alle zehn Minuten ihre Daten über das IMIS-System an das Bundesumweltministerium. Unmittelbar, nachdem die Wolke durchgezogen ist, ermitteln die Länder die aktuelle Lage. Die In-Situ- Messungen sowie die Entnahme von Proben auf Weiden und Wiesen, bei Blattgemüse, Milch, landwirtschaftlichen Produkten, Trink- und Oberflächenwasser beginnen dann sofort. Bald folgen Fleisch (auch Wildfleisch), Fisch, weitere Futtermittel, Pilze, Beeren, Klärschlamm und Reststoffe. Solange eine erhöhte Konzentration von radioaktiven Stoffen gefunden wird, werden die intensiven Messungen beibehalten. Damit nicht Radioaktivität aus dem Ausland eingeschleppt wird, gibt es am Frankfurter Flughafen zudem Einfuhrkontrollen. Die tierärztlichen Kontrollstellen am Airport schicken ihre Proben an die Messstellen des Landes. Das Berliner Ministerium entscheidet im Ernstfall nach Rücksprache mit den Landesbehörden, ob Warnungen für bestimmte Lebensmittel ausgesprochen werden, Futtermittel verboten werden oder die Bevölkerung aufgerufen wird, zu Hause zu bleiben. Denn die Strahlenbelastung des Menschen soll im Notfall so niedrig wie möglich gehalten werden. Der Bundesumweltminister informiert auch den Bundestag und die Medien. Das Intensivprogramm, das einmal im Jahr geübt wird, ist ohne die Routinemessungen nicht denkbar: Denn aufgrund der Daten aus den normalen Jahren lässt sich der Anstieg der Radioaktivität in der Umwelt präzise bestimmen, und dies dient letztlich dem Schutz der Menschen. 15

Reportagen aus der Umwelt 8 Drei Fragen an Martin Riepenhausen Frage: Ist die Radioaktivität in der Umwelt für den Menschen gefährlich? Riepenhausen: Die Radioaktivität in der Umwelt ist zum größten Teil natürlichen Ursprungs. Sie begleitet die Entwicklung unserer Ökosysteme und damit auch des Menschen seit Anbeginn. Welchen Einfluss sie auf diese Entwicklung genommen hat, lässt sich nicht ermitteln. Es fehlt schlichtweg an Vergleichsmöglichkeiten. Wir wissen aber, dass ionisierende Strahlung gesundheitsgefährdend sein kann. Solange nichts Gegenteiliges bewiesen ist, müssen wir auch davon ausgehen, dass selbst geringe Dosen statistisch das Risiko einer gesundheitlichen Beeinträchtigung erhöhen. Wenn wir uns aber vor Augen führen, dass in Deutschland heute die mittlere effektive Dosis nur zu etwa einem Prozent aus den künstlichen radioaktiven Stoffen in der Umwelt herrührt, sehen wir auch, dass die Einflussmöglichkeiten in diesem Bereich nicht groß sind. Frage: Lassen sich noch heute radioaktive Stoffe, die aus Tschernobyl stammen, in Hessen nachweisen? Riepenhausen: In Hessen finden wir Spuren dieser Stoffe noch in unterschiedlicher Konzentration beispielsweise im Boden, im Klärschlamm und in Reststoffen der Müllverbrennung. Die Messwerte der von uns untersuchten Lebensmittel aus hessischer Erzeugung liegen dagegen fast ausschließlich unterhalb der Nachweisgrenze. Frage: Die in Hessen gemessenen Werte zeigen seit vielen Jahren keine größeren Schwankungen, größtenteils sind sie unter der Nachweisgrenze. Warum muss dann überhaupt gemessen werden? Riepenhausen: Im Falle eines Ereignisses, bei dem große Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt werden und vielleicht auch auf Hessen niedergehen, müssen wir sehr kurzfristig die aktuelle Situation erfassen können. In diesem Fall arbeiten viele Institutionen und Personen zusammen. Allein an der landesweiten Entnahme von Proben sind etwa 50 Dienststellen beteiligt. In den Messstellen müssen nicht nur Laborprozesse und Verfahren beherrscht werden. Auch die situationsangepasste Beauftragung zu den Probennahmen, der Transport der Proben und die schnelle Berichterstattung der Messwerte müssen funktionieren. Die Abläufe im Intensivbetrieb sind die gleichen wie im Routinebetrieb, aber die Anzahl der Messungen wird um ein Vielfaches größer sein. Wir führen das Routinemessprogramm deshalb auch aus dem Grund fort, damit alle Beteiligten im Falle eines möglichen Ereignisses unverzüglich ihre Aufgabe wahrnehmen und zusammenarbeiten können. Nur so ist sichergestellt, dass jederzeit auch eine plötzlich veränderte Lage schnell erfasst werden kann. Deren genaue Kenntnis ist deshalb sehr wichtig, damit gegebenenfalls Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergriffen werden können. Martin Riepenhausen ist im HLUG zuständig für die Koordination der Aufgaben nach dem Strahlenschutzvorsorgegesetz Medientipps www.hlug.de Seite des Hessischen Landesamtes für Umwelt und Geologie. Rubrik Strahlenschutz http://www.hlug.de/?id=540 Seite des Hessischen Landesamtes für Umwelt und Geologie mit aktuellen Messergebnissen zur Überwachung der Umweltradioaktivität in Hessen http://atlas.umwelt.hessen.de Angebot des Landes Hessen mit Informationen zur Umweltsituation. Rubrik Radioaktivität http://www.hmuelv.hessen.de Hessisches Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Dort findet sich auch eine Broschüre zum Thema Radon http://www.bfs.de Bundesamt für Strahlenschutz mit Jahresberichten über Umweltradioaktivität, Rubrik Ionisierende Strahlung http://www.bmu.de Seite des Bundesumweltministeriums. Rubrik Strahlenschutz http://www.umweltbundesamt-daten-zur-umwelt.de Daten zur Umwelt, etwa zu ionisierenden Strahlen 16