Baedeker WISSEN pilsener Von Böhmen um die Welt bäderland Mineralquellen und Kurorte nationalspeise Böhmische Knödel prager frühling Sozialismus mit menschlichem Antlitz TSCHECHIEN
18 HINTERGRUND Natur und Umwelt Beckenlandschaften. Nördlich von Prag erhebt sich das vulkanisch geprägte Böhmische Mittelgebirge mit fruchtbaren Böden und mildem Klima, durchflossen von der Elbe: In grünen geschützten Tälern reifen besonders aromatische Aprikosen, Kirschen und Pfirische, an sonnenverwöhnten Südhängen auch viele Weinreben. In Westböhmen haben Kohlelagerstätten und die Nähe zu den benachbarten Eisenlagerstätten im Erzgebirge zu Beginn des 19. Jh.s die Ansiedlung von Industrie gefördert. Die wichtigsten Lagerstätten in Westböhmen sind die Gebiete um Pilsen und um einiges bedeutender in Kladno. In den Becken Südböhmens, im Budweiser und Wittingauer Becken, hat sich bereits im 11. Jh. aus den Mooren die Teichwirtschaft entwickelt, die bis heute in modernisierter Form fortgeführt wird und das Landschaftsbild prägt. Pflanzen und Tiere Pflanzen Waldsterben Tiere Flora und Fauna Tschechiens sind der in anderen mitteleuropä ischen Ländern sehr ähnlich. Wälder bedecken etwa ein Drittel des Landes. Da man bereits im 18. Jh. den Wald bewirtschaftete und dabei Fichten- oder Kiefern-Monokulturen förderte, bestimmen diese noch heute das Bild der Wälder. In Laub- und Mischwäldern am weitesten verbreitet sind Buchen, Eichen und Ahorn. In den warmen und trockenen Binnenregionen im nördlichen Böhmen und in Südmähren sind lichte Kiefern- und Eichenwälder häufig anzutreffen. Das Bild vieler Flussauen bestimmen Erlen, Pappeln, Eschen und Weiden. In den Mittelgebirgen ist die Pflanzenwelt am artenreichsten. Auf Waldlichtungen und am Wegrand wachsen buschhohe Farne und Fingerhut. Viele botanische Raritäten kommen im Altvater- und Riesengebirge vor. In den den Hochmooren, Karen und auf Bergwiesen überdauerten auch viele endemische Arten, Glazialrelikte aus der letzten Eiszeit. Darunter sind z. B. 30 Arten von Habichtskräutern. Besonders in den nördlichen Mittelgebirgen hatte das Waldsterben bedrohliche Ausmaße angenommen. Mahnend ragten vor 20 Jahren kahle Baumstämme auf den Kämmen von Erz-, Iser- und Riesengebirge in den Himmel. Seit dem EU-Beitritt (2004) hat sich die Situation vielerorts zum Guten gewendet. Die Luft im böhmisch-sächsisch-schlesischen Grenzdreieck ist sauberer, und großflächige Wiederaufforstungen wurden vorgenommen: Überall auf den Kämmen grünt es nun, artenreicher Mischwald wächst heran. In den Wäldern Tschechiens, insbesondere in den Mittelgebirgen und in den Karpaten, sind noch zahlreiche Hirsche, Rehe und Wild- Meister Adebar ist in den Ortschaften ein beliebter Gast.
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20 HINTERGRUND Bevölkerung Politik Wirtschaft schweine zu Hause. Die Vogelwelt ist in Böhmen, mehr aber noch in Mähren verhältnismäßig artenreich. In vielen Ortschaften sieht man Störche brüten, an stehenden Gewässern und Flussufern nisten zahlreiche Wasservögel. Es überrascht nicht, dass das an Flüssen und Teichen reiche Land einen beachtlichen Fischbestand aufweist. Die Teichwirtschaft und die damit verbundene Fischzucht hat vor allem in Süden von Böhmen Tradition. Karpfen, Forellen, Huchen (Donaulachse), Hechte und die schwergewichtigen Welse sind die häufigsten Fischarten, die man auch auf den Speisekarten der Gaststätten wiederfindet. Bevölkerung Politik Wirtschaft Slowaken, Ungarn, Ukrainer Sudetendeutsche Rund 90 % der Bewohner des Landes sind Tschechen. Die größten Minderheitengruppen sind Slowaken, Polen, Ungarn und Ukrainer, Sudetendeutsche sowie Sinti und Roma. Durch die Auflösung der Tschechoslowakei fand sich plötzlich eine verhältnismäßig große Zahl von Slowaken als Minderheit in Tschechien wieder. Die meisten von ihnen machten allerdings von den großzügigen Einbürgerungsangeboten des tschechischen Staates Gebrauch, so dass die Zahl derer, die sich als Slowaken bezeichnen, heute nur noch etwa 300 000, d. h. 3 % der Bevölkerung, beträgt. Etwa 60 000 Angehörige des Nachbarlandes Polen leben in Tschechien. Da Tschechien zu Ungarn und der Ukraine keine Grenze hat, ist der Anteil dieser beiden Nationalitäten verhältnismäßig gering. Die knapp 30 000 in Tschechien lebenden Ungarn und Ukrainer wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in den Industrierevieren Nordböhmens und Nordmährens angesiedelt, in denen nach der Vertreibung der Sudetendeutschen ein großer Arbeitskräftemangel herrschte. Die meisten der rund 3,6 Mio. Sudetendeutschen wurden 1945/1946 vertrieben. Nur technische Fachkräfte, z. B. Ingenieure, durften das Land nicht verlassen. 2001, bei der letzten Volkszählung, bezeichneten sich über 38 000 Einwohner als Deutsche. Wegen der negativen Erfahrungen während und nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen lange Zeit gespannt. So wurde es der deutschen Minderheit z. B. erst nach 1968 gestattet, sich in Verbänden zu organisieren. Auch wenn das gegenseitige Vertrauen noch lange nicht so weit wiederhergestellt ist wie in der Slowakei, wo im Mai 1999 der deutschstämmige Rudolf Schuster zum Präsidenten gewählt wurde, so sind seit dem Fall des Eisernen Vorhangs Besuche Sudetendeutscher bei ihren ehemaligen Nachbarn
Bevölkerung Politik Wirtschaft HINTERGRUND 21 oder deren Nachkommen längst eine Selbstverständlichkeit. Politisch hat Bundeskanzler Schröder 2003 die Vertreibung als Folge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft anerkannt, nachdem die tschechische Regierung 2002 eine Erklärung verfasst hatte, in der die Wirksamkeit der so genannten Beneš-Dekrete als erloschen angesehen wurden. Auf Schröders Stellungnahme hin bezeichnete die tschechische Regierung die Vertreibung der Sudetendeutschen als»aus heutiger Sicht unannehmbar«. Auch Sinti und Roma wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in den verwaisten Industrierevieren Böhmens und Mährens angesiedelt, um dort die Bevölkerungsverluste auszugleichen und um die Angehörigen dieser Volksgruppe sesshaft zu machen. Ihre Zahl ist heute schwer zu schätzen. Aus Angst vor Diskriminierung bekennen sich nur 30 000 als Sinti, inoffiziell geht man aber von 250 000 bis 300 000 aus. Für besonderes Aufsehen sorgte das Vorgehen des Bürgermeisters der Stadt Ústí nad Labem, der um das Viertel eines überwiegend von Sinti bewohnten Stadtteils eine 4 m hohe Mauer ziehen ließ. Weil die EU darin eine Verletzung der Menschenrechte sah, verzögerten sich sogar die Beitrittsverhandlungen Tschechiens. Seit dem Ende der kommunistischen Herrschaft haben gewaltsame Übergriffe auf Sinti und Roma stark zugenommen. Sinti und Roma Staat und Gesellschaft Anders als die Tschechoslowakei ist die Tschechische Republik kein föderaler Staat. Sie setzt sich zwar aus den drei historischen Landesteilen Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien zusammen, doch die beiden Letzteren haben keine eigene Regierung, und so gibt es auch keinen Bundesrat wie in Deutschland. Dennoch ist das parlamentarische System zweigeteilt: Das Abgeordnetenhaus tschechisch Sněmova zählt 200 für vier Jahre über Parteilisten gewählte Mitglieder, dabei gilt die Fünfprozenthürde. Die 81 Senatoren werden mit Mehrheitswahlrecht für sechs Jahre bestimmt, alle zwei Jahre wird jeweils ein Drittel der Sitze neu besetzt. Beide Kammern können ebenso wie natürlich auch die Regierung Gesetze initiieren. Der Staatspräsident wird nicht von den Bürgern, sondern von beiden Kammern des Parlaments für fünf Jahre gewählt. Parlament, Präsident Die treibende Kraft der»samtenen Revolution«war das Bürgerforum, das in den bewegten Novembertagen 1989 entstand. An dessen Spitze stand der Schriftsteller Václav Havel als Symbolfigur, der dann zum ersten Präsident nach der Wende wurde. Dieser»Revolutionsbund«zerfiel bald in mehrere Splittergruppen. Eine neue breite Basis sicherte sich die ODS (bürgerlich-demokratische Partei). Der da- Parteien
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