Rollenspiele im Rahmen des Linzer Konzepts der Klassenführung

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Transkript:

Rollenspiele im Rahmen des Linzer Konzepts der Klassenführung Anregungen und Materialien für Aus- und Fortbildungsveranstaltungen Johannes Mayr, Alpen- Adria- Universität Klagenfurt, 2017 Oft wird unterstellt, Lehrkräfte würden insbesondere in Konfliktsituationen lediglich jenes Lehrerverhalten reproduzieren, das sie in ihrer eigenen Schulzeit erlebt haben. Theoretisches Wissen aus dem Studium würde jedoch von ihnen ignoriert, begründete Handlungsempfehlungen von Lehrerbildner/innen würden nicht aufgegriffen und auch eine nachträgliche systematische Reflexion des eigenen Handelns unterbliebe. Zu schnell würden Lehrkräfte die Ursachen für ihre Schwierigkeiten im Umgang mit den Schüler/innen in bildungsfernen Elternhäusern oder überbordenden Schulreformen suchen, statt sich bewusst zu machen, dass sie selbst einer der wirkmächtigsten Einflussfaktoren auf das Veralten der Schüler/innen sein. Lehrerbildung im Allgemeinen, insbesondere aber die Förderung der Kompetenz von Lehrkräften zur Führung von Schulklassen wäre daher ein schwieriges und wenig ertragreiches Unterfangen. Möglicherweise tritt dieser Eindruck der Folgenlosigkeit von Lehrerbildung besonders dann auf, wenn einer oder mehrere der folgenden Faktoren auf ein Aus- oder Fortbildungsprogramm zutreffen: (1) Es werden pädagogische Handlungsstrategien propagiert, die sich in einem anderen Kontexten bewährt haben (z. B. in therapeutischen Einzelsitzungen mit freiwilligen Klienten), jedoch die spezielle Ökologie des Schulunterrichts (große Gruppen, Verpflichtung der Schüler/innen zu bestimmten Fächern etc.) nicht angemessen berücksichtigt. (2) Es wird von Lehrkräften erwartet, dass sie Handlungen setzen, die ihrer Persönlichkeit und ihren Überzeugungen deutlich widersprechen (z. B. einem introvertierten und wenig Vertrauen in die Schüler/innen setzenden Lehrer zu empfehlen, er solle einen Konflikt mit seiner Klasse in einer Lehrer- Schüler- Konferenz bearbeiten). (3) Es werden die Erfahrungen der Lehrkräfte ignoriert oder abgewertet (z. B. indem als gelungen erlebte eigene Handlungsweisen oder positiv in Erinnerung behaltene Praktiken von Lehrpersonen aus der eigenen Schulzeit vorschnell als problematisch klassifiziert werden). (4) Es wird implizit oder explizit angenommen, dass pädagogisches Wissen eine notwendige oder sogar hinreichende Bedingung für gelungenes pädagogisches Handeln ist (und dass es daher z. B. ausreicht, Lehrkräfte über wirkungsvolle Strategien der Klassenführung zu informieren). Das Linzer Konzept der Klassenführung (LKK) versucht die ersten drei dieser Fallen zu vermeiden: Es wird (1) ein breites Spektrum an pädagogischen Handlungsstrategien angeboten, die für den schulischen Kontext relevant sind, (2) die Persönlichkeit der betreffenden Lehrkraft wird berücksichtigt, indem ihr unterschiedliche Wege der Klassenführung aufgezeigt werden, und (3) die Alltagspraxis erfolgreicher Lehrkräfte wird gewürdigt, indem deren Handeln als Orientierungshilfe für die Reflexion des eigenen Handelns genutzt wird (Lenske & Mayr, 2015). Um die vierte der oben skizzierten Fallen zu vermeiden, haben sich Rollenspiele bewährt. Sie stellen eine von mehreren Möglichkeiten dar, wie man implizites und explizites Wissen auf der einen Seite und Handeln auf der anderen Seite zusammenbringen kann: sich wechselseitig bestätigend, einander ergänzend oder sich reibend (Petzold, 1984; Havers, 2010). Die im Folgenden vorgestellten Vorgangsweisen und Materialien sind teilweise direkt mit dem Linzer Konzept der Klassenführung verknüpft, teilweise sind sie von ihm unabhängig, jedoch gut auf dieses beziehbar. Die Beschreibungen sind absichtlich persönlich formuliert in der Absicht, den Leser/ die Leserin zur persönlichen Adaptierung und Weiterentwicklung zu ermutigen.

Szenario 1: Pädagogisch herausfordernde Situationen aus der eigenen Unterrichtspraxis Teilnehmer/innen an Fortbildungen und Studierende, die bereits Praktika absolviert haben oder sich gerade in einem Praktikum befinden, kennen meist aus eigener Erfahrung Situationen, in denen sie mit pädagogischen Herausforderungen konfrontiert waren: eine Schülerin weigerte sich z. B. demonstrativ, einen Arbeitsauftrag zu erfüllen, eine Schülergruppe wollte einen Mitschüler nicht in ihrer Arbeitsgruppe mitmachen lassen oder eine Schülerin schleudert der Lehrkraft einen deftigen Ausdruck entgegen. In meinen Aus- oder Fortbildungsveranstaltungen sammle ich zunächst solche Situationen auf einem Plakat und wähle danach je nach der zur Verfügung stehenden Zeit einige prototypische Situationen aus, z.b. eine Situation, in der eine einzelne Schülerin ein Problem hat, zu dessen Lösung die Lehrperson und/oder die Klasse beitragen kann, eine Situation, in der die Lehrperson attackiert wird und eine Situation, in der es um kollektives Desinteresse am Unterricht geht. Ein Kriterium für die Auswahl der Situationen ist neben ihrer Repräsentativität für einen bestimmten Typus an Schwierigkeit die voraussichtliche Spielbarkeit der Situation. Entscheidend ist dabei, dass die Situation ausreichend prägnant ist, um in einem kurzen Spiel plastisch dargestellt zu werden bzw. dass sich falls es sich um eine längere Aktionskette handelt eine Sequenz daraus für das Rollenspiel herausnehmen lässt. Der Fallbringer fungiert dabei jeweils als Regisseur : Er arrangiert die Requisiten (z. B. die Anordnung der Tische), er lädt ihm passend erscheinende Gruppenmitglieder zur Übernahme der Hauptrollen ein und er instruiert sie über ihre Aufgaben. Die übrigen Gruppenmitglieder spielen in der Regel die anderen Schüler/innen der betreffenden Klasse. Der Fallbringer sitzt etwas abseits der Spielenden und beobachtet. Ich selbst sitze neben ihm, notiere Beobachtungen, die für die Nachbesprechung des Spiels relevant sein könnten und stoppe das Spiel, sobald sich der Handlungsbogen soweit entfaltet hat, dass sich das Geschehen sinnvoll interpretieren lässt. In einer ersten Auswertungsphase berichten die Akteure noch in ihrer Rolle verbleibend, was sie während einzelner Spielsequenzen gedacht, empfunden und welche Handlungstendenzen sie verspürt haben. Oft löst es bei Teilnehmer/innen Verblüffung aus, wie unterschiedlich sie als Schüler/innen auf ein und dasselbe Verhalten einer Lehrkraft reagieren: von Solidarisierung mit der Lehrperson bis zu schroffer Ablehnung ihres Vorgehens und wie stark unter Umständen die Sichtweisen der Akteure und der Beobachtenden voneinander abweichen. Im nächsten Schritt steigen die Akteure aus ihrer Rolle aus und sind wieder Studierende bzw. Teilnehmende an einer Fortbildung. Nun erst darf akademisch über die Situation gesprochen werden z. B. Verbindungen zu Theorien hergestellt oder eigene, ähnliche Erfahrungen eingebracht werden. Oft entstehen dabei Ideen für alternative Handlungsweisen und einer der Teilnehmer meint z. B.: Ich würde in dieser Situation eher.... An dieser Stelle unterbreche ich ihn und bitte ihn noch ehe er seine Alternative genannt hat sie einfach vorzuspielen. Die anderen schlüpfen dazu rasch wieder in ihre zuvor zugewiesenen Rollen. Das Spiel startet erneut, und zwar meist in gekürzter Form, da wir den einleitenden Teil des Spiels weglassen und gleich an der betreffenden Stelle einsteigen können. Diese Abfolge von Spielen kann sich mehrfach wiederholen. Der Fallbringer nimmt als Letzter Stellung, meist indem er Vergleiche zu der Situation anstellt, wie er sie in seiner Klasse erlebt hat. Manchmal spielt er auch noch selbst vor, wie er gehandelt hat, oder beschreibt es für die anderen. Als Abschluss bildet eine von mir geleitete Zusammenfassung der Erkenntnisse der Teilnehmer/innen, fallweise auch eine theoretische Einordnung. 2

Szenario 2: Rollenspiele zu Fallstudien über erfolgreiche Lehrkräfte In meinen Lehrveranstaltungen biete ich häufig den Seminarteilnehmer/innen an, ihre Seminarnote über das Abfassen einer Fallstudie zu erwerben, in der sie eine Lehrperson aus ihrer Schulzeit beschreiben, deren Art der Klassenführung sie schon damals geschätzt hatten oder zumindest rückblickend betrachtet für vorbildlich halten. Als Grundlage für diese Fallstudie sollen sie ihre Erinnerung an konkrete Handlungsweisen dieser Lehrerkraft aktivieren, mit ihr über ihre Philosophie und Praxis der Klassenführung sprechen und eine aktuell von ihr unterrichtete Klasse mit dem LDK befragen. In den Fallstudien werden die dabei gewonnen Einsichten mit erziehungswissenschaftlichen Informationen aus dem Seminar und aus ergänzender Lektüre verknüpft und Folgerungen für das eigene pädagogische Handeln formuliert. Besonderen Wert lege ich auf eine detaillierte Beschreibung von schwierigen Situationen, die diese Lehrkraft gut gemeistert hat: Eine solche Schilderung handelte z. B. davon, wie ein Lehrer auf einer Klassenfahrt seine unverschuldet ohne Ticket in die U- Bahn geratenen Schüler/innen vor dem Kontrolleur beschützte und damit das Vertrauen der Klasse gewann. In einer anderen ging es darum, wie eine Lehrerin so elegant auf einen Störenfried reagierte, dass er sein Verhalten ohne beschämt zu werden einstellte und zugleich allen Schüler/innen verdeutlicht wurde, dass die Klassenregeln einzuhalten sind (für Beispiele siehe Mayr, 2008a,b). Solche Szenen lasse ich im Seminar nachspielen, wobei die Autorin der Fallstudie als Regisseurin fungiert; der weitere Ablauf ist weitgehend identisch mit dem in Szenario 1 beschriebenen. Es wird jedoch der für die Fallstudie ausgewählten erfolgreichen Lehrkraft eine besonderes Augenmerk gewidmet: Sie dient dabei sowohl als Modellperson für wirkungsvolles Handeln als auch als Reibebaum, an dem sich Widerspruch entzünden kann, der den Seminarteilnehmer/innen bei der Klärung eigener Positionen hilft. Wichtig erscheint mir jedenfalls, dass schlussendlich nicht eine bestimmte Art des Verhaltens als das einzig richtige erscheint, sondern dass ein Prozess der Sensibilisierung für die Stimmigkeit des Handelns mit der eigenen Person und der Situation einsetzt, zu dem auch wissenschaftliche Sichtweisen einen Beitrag leisten können (vgl. Schulz von Thun, 2010). Das zusätzliche Durchspielen von alternativen Handlungsweisen aufgrund von Ideen der Teilnehmer/innen kann diesen Reflexionsprozess unterstützen. Szenario 3: Vier Wege der Klassenführung Während in den oben vorgestellten Szenarien 1 und 2 reale Situationen den Ausgangspunkt bilden und aus dem Spiel heraus die Anknüpfung an Theorien und wissenschaftliche Befunde sowie an das LKK gesucht wird, folgt Szenario 3 dem umgekehrten Prinzip: Am Beginn stehen die Annahme bzw. der Befund aus dem LKK, dass es viele unterschiedliche Muster erfolgreicher Klassenführung gibt und sich diese zu vier typische Wegen der Klassenführung verdichten lassen. Diese Wege unterscheiden sich in der unterschiedlichen Ausprägung des Handelns in den Kategorien Beziehungsförderung, Verhaltenskontrolle und Gestaltung des Unterrichts, keine dieser Kategorien wird jedoch völlig vernachlässigt (Mayr 2007; Mayr, Lenske & Pflanzl, 2017). Die Idee des Spiels besteht darin, die Teilnehmer/innen es können Studierende ebensogut wie Lehrer/innen sein in die Rolle einer Lehrkraft zu versetzen, die einen der vier Wege in Reinform repräsentiert. Das ermöglicht zum einen das Kennenlernen und Erleben der enstprechenden Wege, zum anderen erleichtert es, bisher unbekannte, vielleicht sogar tabuisierte Handlungsmöglichkeiten spielerisch zu erproben. Die Teilnehmer/innen sollen sich vorstellen, sie wären Lehrkräfte an einer fiktiven Schule, die in der Region aufgrund ihrer kompetenten und engagierten Lehrkräfte einen hervorragenden Ruf genießt. In letzter Zeit hätten sich jedoch Vorfälle von Vandalismus gehäuft: Wände wurden beschmiert, Haken in der Garderobe abgebrochen und Toiletten verstopft. Der Schulleiter kündigt deshalb dem Kollegium eine pädagogische Konferenz an, um diese Vorfälle zu beenden, ehe diese an die Öffentlichkeit dringen ( Es geht nicht nur um den Ruf der Schule, auch Dienstposten sind in Gefahr, meint er). 3

Jeder Seminarteilnehmer kann sich einen Weg der Klassenführung aussuchen, den er spielen möchte. Er soll sich entweder für einen entscheiden, dem er auch im Alltag zuneigt oder für einen ihm bisher weniger vertrauten, ihm vielleicht sogar unpassend erscheinenden Weg. Ersteres ist die einfachere Variante, das Heimspiel, wie man es mit Schulz von Thun (2010) bezeichnen könnte. Ich ermutige dazu, die zweite Variante, das Auswärtsspiel, zu riskieren. Letzteres hat den Überlegungen Schulz von Thuns folgend den Vorteil, dass auch einmal die sonst weniger gelebten Schwestertugenden erprobt bzw. auch einmal die Ersatzspieler des Inneren Teams zum Einsatz kommen und Spielpraxis sammeln können. Jeder Spieler erhält die Beschreibung seines Weges als Rollenanweisung 1 und wird gebeten, sich zunächst alleine in diese zu vertiefen und in die betreffende Rolle einzutauchen. Sobald er damit fertig ist, soll er sich als Vorbereitung auf die Konferenz zu einer Vorbesprechung mit Gleichgesinnten also Exponenten desselben Weges in einer der vier Ecken des Raumens treffen; solche informelle Treffen sind ja oftmals üblich, um später die eigenen Interessen und pädagogischen Vorstellungen wirksamer vertreten zu können. In dieser Phase der Einstimmung gehe ich von Gruppe zu Gruppe und unterstütze sie in ihrer Suche nach Handlungsmöglichkeiten, die gut zum betreffenden Weg passen. Wenn ich dabei den Eindruck gewinne, dass eine Gruppe zu Übertreibungen neigt (also z. B. nicht nur die Einhaltung von Regeln urgieren, sondern diese auch pedantisch ausgestalten und mit überharten Sanktionen durchzusetzen möchte), dann erinnere ich daran, dass sie erfolgreiche Lehrkräfte wären und als solche innerhalb der für erfolgreiches Handeln charakteristischen Bandbreite bleiben sollten. In der danach folgenden pädagogischen Konferenz die Teilnehmenden sitzen nun wieder gemischt auf ihren susprünglichen Plätzen - skizziere ich einleitend nochmals die Ausgangsproblematik (Vandalismus an der Schule) und erwähne meine Beobachtung, dass sich schon Kolleg/innen im Vorfeld Gedanken über Lösungen gemacht hätten. Ich lade diese und die anderen ein, ihre Vorschläge vorzustellen, diese aber zunächst noch nicht zu diskutieren. Die Vorschläge werden von mir symbolisch auf einem Zeittel notiert. Ich lasse es zu, dass sich Lehrkräfte bei ihren Äußerungen auf andere beziehen ( Was Frau Berger sagt, finde ich zu streng, man sollte vielmehr... ), Diskussionen unterbinde ich jedoch mit dem Hinweis, dass ich vorläufig nur Ideen sammeln, diese aber erst danach eingehend erörtern lassen möchte. Erfahrungsgemäß argumentieren die Lehrer/innen bei der Konferenz meist sehr lebendig bis hitzig dafür, dass man die schwierige Situation der Jugendlichen verstehen sollte (Weg A), dass es nötig wäre, klare Grenzen aufzuzeigen (Weg B), dass es gelingen könne, die Schüler/innen durch attraktivere Lernangebote von destruktiven Ideen abzuhalten (Weg C) bzw. dass wir aufpassen müssten, uns selbst nicht zu überfordern, es gäbe schließlich auch Schulpsycholog/innen, die für solche Probleme zuständig wären (Weg D). Im Lauf dieses Brainstormings kommt mit einiger Wahrscheinlichkeit der Hinweis eines Repräsentanten von Weg D, dass wir die Konferenzzeit nicht überziehen sollten, er hätte heute auch noch anderes vor. Mit würdigendem Bezug auf diese Wortmeldung beende ich nach einiger Zeit die Ideenfindung und kündige an, dass ich die Vorschläge zusammenfassen und den Kollegium zusenden werde, ehe wir zu einer gemeinsamen Abstimmung, Konkretisierung und Umsetzung des endgültigen Vorgehens schreiten werden. In der anschließenden Besprechung der Erkenntnisse aus dem Spiels wird deutlich, dass jede der vier Positionen ihre Berechtigung hat und nachhaltige Problemlösungen häufig erst durch eine Kombination aller dieser Zugänge gefunden werden können. Vor diesem Hintergrund wird es sehr plausibel, dass es gut ist, an einer Schule Lehrkräfte mit unterschiedlichen Handlungspräferenzen zu haben (Mayr, 2015). Die subjektiv beeindruckendste Erfahrung machen oft jene Seminarteil- nehmer/innen, die sich entsprechend meiner Anregung auf ein ungewohntes Handlungsmuster 1 Die Rollenanweisungen sind auf Seite 6 wiedergegeben. Sie können beim Verfasser (johannes.mayr@aau.at) in unterschiedlicher Farbgebung als Datei angefordert werden, die auf die Präsentation Wege der Klassen- führung abgestimmt ist wahlweise passend zur Folie 8 oder zu den Folien 16-18. 4

eingelassen haben ( echt toll, einmal den Hardliner zu spielen, ich hatte gar nicht gewusst, dass das auch in mir steckt! ). Auf diese Weise den eigenen Aktionsraum zu erweitern kann helfen, in realen Konfliktfällen wirkungsvoller zu handeln. Das Erleben, dass durch das Zusammenwirken von Lehrer/innen mit unterschiedlichen Präferenzen und Kompetenzen eine bessere Lösung möglich wird, kann überdies das Zutrauen in die kollegiale Kooperation stärken. Um das Spiel in sehr großen Gruppen (z. B. über 100 Teilnehmenden) durchführen zu können, kann es hilfreich sein, eine der folgenden Varianten anzuwenden: Variante 1: Statt in einer pädagogischen Konferenz treffen sich je ein bis zwei Vertreter jedes Weges insgesamt höchstens sechs Personen zu einer Besprechung des Klassenlehrerteams (oder einer vergleichbaren Kleingruppenbesprechung). Diese Variante lässt sich auch anwenden, wenn die Veranstaltung in einem Hörsaal mit fixer Möblierung stattfindet; die Vorbesprechung kann man dann ggf. durch eine intensivere individuelle Einstimmung ersetzen). Variante 2: Es werden je zwei Vertreter der einzelnen Wege gebeten, auf dem Podium Platz zu nehmen. Die pädagogische Konferenz findet dann vor Publikum statt. Es ergibt sich in der Regel eine überraschend realitätsnahe Darbeitung, die von der durch die vorbereitenden Übungen bereits bestens eingestimmten Zuhörerschaft mit Vergnügen verfolgt wird. Literatur Havers, N. (2010). Lässt sich effiziente Klassenführung lehren? Das Potenzial der Lehrertrainings. In J. Abel & G. Faust (Hrsg.), Wirkt Lehrerbildung? Antworten aus der empirischen Foraschung (S. 283-290). Münster: Waxmann. Lenske, G. & Mayr, J. (2015). Das Linzer Konzept der Klassenführung (LKK). Grundlagen, Prinzipien und Umsetzung in der Lehrerbildung. In Jahrbuch für Allgemeine Didaktik 2015 (S. 71-84). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Mayr, J. (2007). Führungskräfte im Klassenraum. Erfolgreiche Strategien der Klassenleitung erkennen und entwickeln. In G. Becker, A. Feindt, H. Meyer, M. Rothland, L. Stäudel & E. Terhart (Hrsg.), Guter Unterricht. Maßstäbe & Merkmale Wege & Werkzeuge. Friedrich Jahresheft XXV (S. 8 11). Seelze: Friedrich. Mayr, J. (2008a). Forschungen zum Führungshandeln von Lehrkräften: Wie qualitative und quantitative Zugänge einander ergänzen können. In F. Hofmann, C. Schreiner & J. Thonhauser (Hrsg.), Qualitative und quantitative Aspekte. Zu ihrer Komplementarität in der erziehungswissenschaftlichen Forschung (S. 321-341). Münster: Waxmann. Mayr, J. (2008b). Klassen kompetent führen. Ergebnisse aus der Forschung und Anregungen für die Lehrerbildung. Seminar, 14 (1), 76-87. Mayr, J., Lenske, G. & Pflanzl, B. (2017). Chaos in der 7c: Gute Klassenführung ist kein Allheilmittel, aber sie wirkt. In B. Nieskens & F. Nieskens (Hrsg.), Persönliche Krisen im Lehrerberuf: erkennen, überwinden, vorbeugen (S. 137-152, Gesamtliteraturverzeichnis S. 153-160). Berlin: Cornelsen. Petzold, H. (1984). Die ganze Welt ist Bühne. Das Psychodrama als Methode der Klinischen Psychologie. In H. Petzold (Hrsg.), Wege zum Menschen. Methoden und Persönlichkeiten moderner Psychotherapie, Bd. 1 (S. 111-216). Paderborn: Junfermann. Schulz von Thun, F. (2010). Miteinander reden, Bände 1-3. Reinbek: Rowohlt. 5

Weg A: Beziehungsorientiertes Handeln Mir ist die persönliche Beziehung zu den Schüler/innen wichtig, und ich möchte, dass auch die Schüler/innen gut mit einander auskommen. Sicher sind die heutigen Kinder und Jugendlichen nicht immer einfach es ist ja auch nicht leicht, in einer Zeit wie der unsrigen aufzuwachsen! Aber ich mag sie einfach so wie sie sind, und ich versuche sie zu verstehen, auch wenn sie dann und wann Schwierigkeiten bereiten. Wenn es einen Konflikt gibt, dann spreche ich ihn offen an und versuche mit den Schüler/innen gemeinsam eine für alle akzeptable Lösung zu finden. Die Schüler/innen kommen auch immer wieder mit privaten Problemen zu mir oder wenn es Schwierigkeiten mit anderen Lehrkräften gibt, leider zählt für manche Kolleg/innen ja nur der Lehrstoff. Auch ich möchte natürlich, dass die Schüler/innen viel vom Unterricht profitieren und Interesse am Fach gewinnen im Zweifelsfall ist mir aber immer der Mensch wichtiger als der Stoff. Die positiven Rückmeldungen von Schüler/innen und Eltern bestätigen mich auf diesem Weg! Weg B: Kontrollorientiertes Handeln Die heutigen Schüler/innen sind nicht einfach zu führen, dennoch komme ich recht gut mit ihnen zurande. Man muss als Lehrkraft einfach die Schüler/innen von Anfang an klar wissen lassen, welches Verhalten man von ihnen erwartet. Außerdem gilt es, immer die ganze Klasse im Auge zu behalten, und wenn ein Schüler zu stören beginnt, dann greift man am besten sofort ein, ehe er auch andere zu Unfug verleitet. Bei gröberen Verstößen soll man keine Scheu zeigen, Sanktionen zu verhängen. Wichtig ist auch, dass es im Unterricht keine Leerläufe gibt, sondern dass die Schüler/innen immer beschäftigt sind. Und wenn sie ordentlich arbeiten, dann haben sie sich auch einmal ein Lob verdient. Manchmal komme ich mir mit diesem Unterrichtsstil zwar wie ein Dompteur vor, aber dafür habe ich auch in schwierigen Klassen keine Disziplinprobleme, wie leider so manche andere Lehrkräfte! Weg C: Unterrichtsorientiertes Handeln Ich bin in der glücklichen Lage, ein sehr interessantes Fach zu unterrichten. Es hat mich schon während meiner eigenen Schulzeit und im Studium fasziniert. Und jetzt habe ich als Lehrkraft die Chance, dieses Fach jungen Menschen nahe zu bringen! Meinem Eindruck nach gelingt mir das auch mit einigem Erfolg. Wichtig finde ich, dass man den Unterricht fachlich und methodisch sehr gut vorbereitet. Dann geht man schon mit Freude in die Klasse kann sich sicher sein, dass man den Schüler/innen Interessantes zu bieten hat, dass sie sich im Unterricht gut auskennen und viel profitieren. Meine Schüler/innen sind dann meist wirklich ganz toll bei der Sache und ihre Leistungen fallen entsprechend aus, so dass ich ihnen oft Anerkennung aussprechen kann. Unterrichtsstörungen kommen bei mir kaum vor, ich würde die Unruhe und die Konflikte auch gar nicht aushalten, die es bei manchen Kolleg/innen im Unterricht gibt! Weg D: Arbeitsökonomisches Handeln Ich glaube, dass ich im Umgang mit den Schüler/innen keine besonders markanten Eigenheiten aufweise weder besonders ausgeprägte Vorlieben noch ins Gewicht fallende Schwächen. Ich denke aber, dass ich meine Sache ganz gut mache: Die Schüler/innen arbeiten im Unterricht ordentlich mit, und der Spaß kommt nicht zu kurz. Den Schülern gefällt offensichtlich meine Art des Unterrichtens, auch wenn ich nicht die Lehrkraft bin, die sich für die Schule zerfransen! Vielleicht ist es ihnen sogar ganz recht, dass ich nicht nur die Schule im Kopf habe, wie so manche andere Lehrpersonen, und dass ich das Ganze auch mit einer gewissen Lockerheit nehme. Wenn ich heute nochmals wählen müsste, ich würde sofort wieder Lehrer werden es ist ein schöner Beruf mit viel Abwechslung, und vor allem: Er lässt noch genügend Zeit für private Interessen! 6