Berichte aus dem Institut für Konstruktion und Fertigung in der Feinwerktechnik Auszüge aus Andreas Tewald Entwicklung und Untersuchung eines schnellen Verfahrens zur variothermen Werkzeugtemperierung mittels induktiver Erwärmung ISBN 3-922381-13-8 Bericht Nr. 13 Dissertation Stuttgart 1997
15 1 Einleitung Zur Herstellung von Präzisionsspritzgießteilen ist neben einer hochgenauen Werkzeugfertigung eine optimale Materialvorbereitung und eine auf das Werkzeug und den Kunststoff angepasste Parametereinstellung der Spritzgießmaschine wesentlich. Dabei ist die richtige Werkzeugtemperatur von besonderer Bedeutung. Bauteileigenschaften wie Kristallisationsgrad, Elastizitätsmodul, optische Eigenschaften oder auch die Schwindung und der Verzug werden nämlich durch die Temperierung wesentlich beeinflußt. Zum Beispiel bringt eine Erhöhung der Werkzeugtemperatur eine bessere Fließfähigkeit der Schmelze mit sich und bewirkt geringere Entformungskräfte, aber auch die Gefahr des Verklebens und eine geringere Entformungssteifigkeit. Eine wirtschaftliche Bauteilfertigung benötigt folglich einen konstanten Verlauf der Werkzeugtemperatur. Nach einer Aufheizphase, während der sich im Werkzeug ein Gleichgewichtszustand einstellt, ist mit einem gut ausgelegten Temperiersystem eine Temperaturführung in einem Bereich von 1 Kelvin möglich [1]. Ist die optimale Werkzeugtemperatur erreicht, was durch prüfen von optischen, mechanischen und geometrischen Eigenschaften festgestellt werden kann, sollte diese nach Möglichkeit nicht mehr verändert werden. Bei der Auslegung des Temperiersystems hat die Masse des Spritzteils ebenfalls einen wesentlichen Einfluß, denn bei großen Bauteilen muß durch das Temperiersystem die durch die Schmelze bei Einspritzen eingebrachte Wärme abgeführt werden. Bei Bauteilen mit geringer Masse ist diese eingebrachte Wärmemenge im allgemeinen vernachlässigbar. 1.1 Problemstellung Bei dünnen Wandstärken, bei langen Fließwegen oder bei ungünstigen Längen- Querschnittsverhältnissen sowie bei mikrotechnischen Bauteilen besteht in manchen Fällen die Gefahr einer unvollständigen Formfüllung. Durch den Einfluß der im Verhältnis zur Schmelze kühleren Wand der Kavität erstarrt die fließfähige Polymerschmelze von den Rändern zur Mitte hin. Normalerweise bleibt im Inneren der Bauteilwand oder des Fiießkanals eine plastische Seele erhalten, durch die weiterhin Masse nachströmen und durch die der Nachdruck die Bauteilschwindung ausgleichen kann. Bei einer unvollständigen Formfüllung ist das Bauteil zu einem zu frühen Zeitpunkt über den gesamten Querschnitt vollständig erstarrt, d.h. auch im Bereich der plastischen Seele war die Temperatur unter die Noflow-Temperatur abgesunken.
16 Diesem negativen Phänomen des vorzeitigen Erstarrens kann durch eine Erhöhung der Einspritzgeschwindigkeit bzw. des Einspritzdruckes und durch eine bessere Entlüftung der Form entgegengesteuert werden. Als eine weitere Möglichkeit ist die Erhöhung der Werkzeugwandtemperatur zu nennen. Durch diese Maßnahme wird erreicht, daß einerseits aufgrund der geringeren Temperaturdifferenz zwischen Schmelze- und Wandtemperatur die Randschichterstarrung verlangsamt und dadurch die Erstarrung verzögert wird und sich andererseits die Viskosität der Schmelze zu niedrigeren Werten hin verschiebt. Wird die Werkzeugwandtemperatur beim Einspritzen so hoch gewählt, daß dadurch keine ausreichende Bauteilsteifigkeit für eine sichere Entformung vorhanden ist, muß sie nach dem Einspritzen auf die Entformungstemperatur abgesenkt werden. Wir haben es in diesem Fall mit der sogenannten variothermen Temperierung [2] zu tun. Der in dieser Arbeit verwendete Begriff der dynamischen Werkzeugtemperierung wird gleichermaßen für diese Art der Temperierung eingesetzt....
64... 6.2 Externer Induktor Bei der Erwärmung eines Spritzgießwerkzeuges mit einem externen Induktor wird dieser bei geöffnetem Spritzgießwerkzeug zwischen die beiden Formhälften eingeschwenkt [62,63]. Die Spule befindet sich immer vor bzw. oberhalb der Kavität Dadurch werden nur oberflächennahe Bereiche der Werkzeugtrennebene erwärmt. Bei den eingesetzten Induktoren handelt es sich um ein- oder mehrwindige Flächeninduktoren. Die Erwärmung erfolgt ausschließlich im Außenfeld der Induktoren. Die Tabelle 6.2 zeigt die möglichen Varianten, je nachdem ob eine oder beide Formhälften induktiv erwärmt werden müssen. Fall 1 Fall 2 Fall 3 Beschreibung Vorteil Nachteil einseitig wirkender Induktor zwei einseitig wirkende Induktoren zweiseitig wirkender Flächeninduktor Fall 4 ein Induktor, der aber beide Werkzeughälften erwärmt Tab. 6.2 Induktorvarianten einfache Induktorgeometrie beide Werkzeughälften können erwärmt werden, eine optimale Anpassung der einzelnen Induktoren an die Kavität ist möglich einfache Induktorgeometrie Anpassung der Induktorform an die Kavität besser möglich nur eine Werkzeughälfte wird erwärmt, beim Schließen des Werkzeugs findet ein Temperaturausgleich der beiden Werkzeughälften statt elektr. Ankopplung an den Generator schwieriger die zu erwärmenden Bereiche auf beiden Werkzeughälften müssen gleich sein, das Werkzeug muß zum Erwärmen etwas geschlossen werden komplizierte aufwendige Induktorgeometrie, evt. Steifigkeitsprobleme des Induktors Das optimale Ergebnis, d.h. eine gleichmäßige Temperaturverteilung im Werkzeug, ist bei einer Anordnung nach Fall 2 zu erwarten. Bei den durchgeführten Versuchen stand eine
65 solche Induktorvariante nicht zur Verfügung, sondern es wurde ausschließlich ein einwindiger Flächeninduktor nach Fall 1 variabel eingesetzt. Sind größere Bereiche zu erwärmen, wird Bild 6.1 Anpassung eines Flächeninduktors der Einsatz von mehrwindigen Induktoren erforderlich. Um mit einem solchen Induktor eine gleichmäßige Erwärmung im Werkstück zu erhalten, ist eine experimentelle Anpassung der Spule vorzunehmen. Die Abstände der inneren Wicklungen zur Oberfläche sind in der Regel etwas größer zu wählen (Bild 6.1), damit dieser Bereich im Vergleich zum Rand nicht übermäßig erwärmt wird. Die Temperaturverteilung im Werkzeug wird durch mehrere Thermoelemente an definierten Positionen gemessen. Der Wirkungsgrad der Induktoren Iäßt sich durch die Verwendung von Feldkonzentratoren verbessern. Zur Positionierung des externen Induktors zwischen den beiden Werkzeughälften ist eine geeignete Vorrichtung notwendig, Bild 6.2. Bei der Planung dieser Positionierungseinrichtung sind die folgenden Punkte zu berücksichtigen: Die Vorrichtung muß eine ausreichende Steifigkeit auch für die Bewegung größerer Massen besitzen, einen bestimmten Abstand des Induktors zur Oberfläche sicherstellen, eine reproduzierbare Positioniergenauigkeit des Induktors über der Kavität ermöglichen, entweder eine translatorische oder eine rotatorische Zustellbewegung erlauben und eine schnelle Positionierung ermöglichen, d.h. die Verfahrgeschwindigkeit muß hoch sein. Bild 6.2 Externer Induktor, schematisch, [64]
70 6.3 Integrierter Induktor Bei der Erwärmung mit einem integrierten Induktor sind eine oder mehrere Spulen fest im Werkzeug eingebaut. Der Schließvorgang des Werkzeugs wird dadurch nicht behindert, und die Spulen müssen nicht aus dem Werkzeug entfernt werden. Somit ist eine Erwärmung bei geschlossenem Werkzeug möglich. Es ergeben sich die in Tabelle 6.1 aufgeführten Vorteile. An erster Stelle ist die Erwärmung bis zum Beginn und wenn notwendig auch während des Einspritzvorgangs zu nennen. Allerdings kann ein bereits mit einem flüssigem Wärmeträger temperiertes Spritzgießwerkzeug wegen der vorhandenen Temperierkanäle nur in Ausnahmefällen für eine Beheizung mit einem integrierten Induktor umgerüstet werden. Beim integrierten Induktor ist der Kavitätsbereich nicht die wärmste Stelle im Werkzeug, sondern es findet ein Wärmetransport infolge des Temperaturgefälles durch Leitung zwischen dem Formnest und dem induktiv beheizten Werkzeugbereich statt....
71 6.3.2 Konstruktion eines Werkzeugs Die Konstruktion eines Werkzeugs mit integriertem Induktor gestaltet sich etwas aufwendiger, da hier zwei widersprüchliche Forderungen zu erfüllen sind. Einerseits soll eine schnelle Aufheizung des Kavitätsbereichs möglich sein, und andererseits ist nur eine geringe Deformation des Werkzeugs durch den Forminnendruck zulässig. Durch den Einbau ins Spritzgießwerkzeug befindet sich die Spule immer hinter oder unterhalb der Kavität (Bild 6.8). Eine Einbaumöglichkeit vor der Kavität, bei dem die Spule die andere Werkzeughälfte bilden müßte, ist nicht realisierbar. Die Kupferspulen würden weder dem Spritzdruck standhalten noch durch ein entsprechend starkes nichtleitendes Material mechanisch geschützt werden können. Eine Wärmeerzeugung unmittelbar im Kavitätsbereich wie bei einem externen Induktors ist deshalb nicht möglich. Die Wirbelströme bilden sich wegen des Skineffekts nur Bild 6.8 Wärmedurchgang in einer schmalen, dem Induktor zugewandten Oberflächenschicht aus. Von dort wird die Wärme durch Wärmeleitung zur Kavität transportiert. Der Wärmedurchgangskoeffizient k w der Schicht hängt von deren Wärmeleitfähigkeit und der Dicke h ab. k w = h (6.2) Die Dicke h kann nicht beliebig verkleinert werden, denn der zweiten Forderung nach einer ausreichenden Steifigkeit muß ebenfalls entsprochen werden. Für die zwei wichtigsten Konstruktionsfälle, einem hülsenförmigen und einem flächigen Formnest, werden im Folgenden die Gestaltungsrichtlinien beschrieben. Mit Hilfe geeigneter Materialien ist eine feste Positionierung des Induktors in den Nuten bei einer gleichzeitigen elektrischen Isolation gegenüber des Werkzeugs vorzunehmen. Hier kommen vornehmlich keramische Werkstoffe oder glasfaserverstärkte Duroplaste zum Einsatz, vgl. Anhang A4. Entweder wird die Kontur des Induktors in das Isolationsmaterial eingearbeitet, oder der Induktor wird durch Abstandsplättchen positioniert und durch Klemmen oder Schrauben im Werkzeug fixiert.
74 6.4 Transformatorprinzip In diesem Abschnitt wird eine weitere Variante beschrieben, mit der zusätzlich zur Anwendung eines externen und integrierten Induktors eine Erwärmung eines Spritzgießwerkzeugs möglich ist. Die Anordnung wird als Transformatorprinzip bezeichnet, weil in diesem Fall durch eine konstruktive Maßnahme wie bei einem Transformator lediglich der magnetische Fluß im Werkzeug geführt wird. Bild 6.11 verdeutlicht den Aufbau des Spritzgießwerkzeugs. Die Spule befindet sich außerhalb des Werkzeugs. Der Transformatorkern ist in der einen Werkzeughälfte integriert. Der Kern besteht zum größten Teil aus geblechtem oder in seiner Wirkung vergleichbaren weichmagnetischen Material mit einer hohen Permeabilität. Durch die Blechung erfolgt keine Wirbelstromausbildung und damit entsteht auch keine Verlustwärme. Im Bereich der Kavität wird ein massiver Kern verwendet. Dadurch sind hier Wirbelströme möglich, was letztendlich eine Erwärmung zur Folge hat. In der anderen Formhälfte werden im Bereich der Kavität durch die Induktion ebenfalls Wirbelströme induziert. An den übrigen Werkzeugbereichen ist durch eine geeignete Materialauswahl und durch eine Abschirmung die Wirbelstrombildung zu unterbinden. Mit diesem Aufbau ist es denkbar, die Vorteile der integrierten Anordnung, d.h. einer induktiven Erwärmung auch während des Spritzprozesses, mit den Vorteilen der externen Anordnung, die zu einer unmittelbaren Erwärmung direkt im Kavitätsbereich führen, zu verknüpfen. Bild 6.11 Transformatorprinzip