Wie Columbus fliegen lernte

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Transkript:

Wie Columbus fliegen lernte Einblicke in eine einzigartige Weltraummission von Thomas Uhlig, Alexander Nitsch, Joachim Kehr 1. Auflage Hanser München 2010 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 446 42161 5 Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

Leseprobe Thomas Uhlig, Alexander Nitsch, Joachim Kehr Wie Columbus fliegen lernte Einblicke in eine einzigartige Weltraummission ISBN: 978-3-446-42161-5 Weitere Informationen oder Bestellungen unter http://www.hanser.de/978-3-446-42161-5 sowie im Buchhandel. Carl Hanser Verlag, München

Das Andocken der Atlantis an die Raumstation»Go«for docking Der 9. Februar 2008 ist nicht nur Peggy Whitsons Geburtstag, sondern auch der Tag des Andockens des Shuttles an die Raumstation. Ganz bewusst wird das schwierige und auch kritische Manöver des Andockens erst am Flugtag drei ausgeführt, um den Astronauten im Space Shuttle die Möglichkeit zu geben, sich an die Schwerelosigkeit zu gewöhnen und die oft auftretende Weltraumkrankheit, von der noch näher zu sprechen sein wird, in den Griff zu bekommen. Für das Docking sollen alle fit und wohlauf sein das ist der Hauptgrund, warum sich die Atlantis auf ihrem Weg zur Raumstation Zeit lässt. Denn eigentlich bräuchte der Shuttle keine drei Tage, um die ISS zu erreichen bei deren Bahnhöhe von etwa 400 Kilometern könnte die Raumfähre schon in wenigen Minuten am Ziel sein. Die Zeit bis zum Andocken wurde von den Shuttle- Astronauten effektiv genutzt. So hat die Besatzung am vergangenen Tag mithilfe des Roboterarms und einer speziellen Kamera die beiden Tragflächen und die Nase der Atlantis auf Schäden untersucht. Seit 2005, nach dem Verlust der Columbia,deren Hitzeschild während der Startphase durch vom Haupttank herabfallende Materialteile beschädigt wurde, steht diese Inspektion des Gleiters fest auf dem Flugplan einmal vor dem Rendezvous mit der Raumstation und noch einmal nach dem Abdocken, um auch kleinste Schäden, die während der Mission durch Minimeteoriten verursacht werden könnten, zu erkennen. Die zahlreichen Bilder der Hitzeschutzkacheln werden dann in mühsamer Arbeit von den Spezialisten in Houston ausgewertet. Und für die Atlantis stellt sich bald heraus: Sie ist ein robustes Raumschiff, es werden keine besorgniserregenden Schäden festgestellt. Dennoch: Was wäre, wenn? Was würde passieren, wenn sich ein Anfangsverdacht erhärten und schließlich bestätigen würde? Mit diesem Shuttle kann eine sichere Landung nicht gewährleistet werden. Zwei Möglichkeiten könnten dann erwogen werden. Zum einen ist ein Notfallreparaturset für den Hitzeschild mit an Bord. Die Astronauten müssten den Ablauf eines der geplanten Außeneinsätze komplett ändern und darauf verwenden, mit einer speziellen Spachtelmasse die fehlerhaften Schutzkacheln an der Unterseite des Orbiters zu reparieren oder schützende Platten über größeren Schadstellen anzubringen. Noch nie ist dies unter realistischen Bedingungen gemacht worden und ob eine solche Reparatur letztlich erfolgreich wäre, würde sich nur mit einem geglückten Landeversuch beweisen lassen. Die psychischen Auswirkungen auf die Besatzung, die sich ihrer Lebensgefahr bewusst ist, lassen sich wohl kaum abschätzen. Der Hitzeschutzschild der Atlantis in Nahaufnahme die Astronauten inspizieren von der Raumstation aus, ob Schutzkacheln beschädigt sind. Das Andocken der Atlantis an die Raumstation / Flight Day 3 87

Safe Haven wörtlich: Sicherer Hafen, sinngemäß: Zufluchtsort Launch on Need wörtlich: Start nach Bedürfnis Die zweite Möglichkeit ist ebenfalls mit erheblichen Risiken verbunden. Die NASA hat Pläne, dass im Fall einer nicht mehr benutzbaren Raumfähre zunächst einmal die Station als Safe Haven herhalten muss und zwar für eventuell über zehn Besatzungsmitglieder und über einen Monat. Diese Zeit wird benötigt, um einen zweiten Space Shuttle für eine Rettungsmission vorzubereiten und auf die Startrampe in Cape Canaveral zu bringen. Parallel dazu werden Astronauten ausgewählt, die als Retter der Raumstation zur Hilfe kommen sollen. Dabei ist geplant, auf die nächste Missionscrew zurückzugreifen, da diese Astronauten bereits voll in ihrem Trainingsprogramm sein sollten. In Houston wird diese Mission dann natürlich mit höchster Priorität bearbeitet werden für den Flugplan werden nur Standardelemente verwendet: Ein praktisch leerer Space Shuttle, als Aktivitäten nur der Start und Aufstieg, die Annäherung und das Andocken an die Station und schließlich, nachdem die»gestrandeten«umgestiegen sind, das Abdocken und die Landung. Einige Komponenten für eine solche, hoffentlich nie notwendige Mission sind bereits vorbereitet diese hat die Arbeitsnummer STS-300 erhalten. Um die Worte»Notfall«oder»Rettung«zu vermeiden, wird die Bezeichnung Launch on Need verwendet. Die ausgewählten Astronauten müsten in einem solchen Fall schnellstens für ihre Aufgabe ausgebildet werden. Während der 35 Tage, die die NASA in ihrem Notfallplan vorsieht, werden sie natürlich kaum Freizeit haben, und auch die Wochenenden können nicht berücksichtigt werden. Aber schließlich geht es auch um die Rettung ihrer Kollegen aus dem Weltall. Noch abenteuerlicher wäre in Klammern angemerkt eine Rettungsaktion für eine der Hubble-Missionen gewesen, bei der der Space Shuttle nicht die Raumstation ansteuerte, sondern Reparaturarbeiten weit draußen am Hubble-Weltraumteleskop durchführte. Hier hätte die ISS nicht als notdürftiges Refugium dienen können, weshalb das Rettungsraumschiff bereits während der normalen Mission fertig in Cape Canaveral auf der Rampe stehen müsste. Natürlich wäre nicht die Zeit geblieben, mit dem Training der Rettungscrew erst nach Eintritt des Notfalls zu beginnen. Daher wurden schon im Voraus Astronauten für diesen STS-400 genannten Flug ausgewählt und geschult insgesamt ein riesiger Aufwand! Auch die eigentliche Rettung wäre hochkomplex gewesen man hätte nicht einfach an der Raumstation andocken und die Kollegen aufnehmen können. Es wurde eine aufwendige Szenerie ersonnen, nach der der Rettungsorbiter den Havaristen mit dem Robotergreifarm gehalten hätte, während die Astronauten sich an einem Drahtseil hin- und hergehangelt hätten. Da das defekte Raumschiff nicht genug Raumanzüge für alle Astronauten an Bord gehabt hätte, wären drei Weltraumausstiege notwendig gewesen, bei denen immer wieder leere Anzüge hätten zurückgeschafft werden müssen, um alle Raumfahrer zu retten. Eine weitere Panne mit den Shuttles hätte wohl unweigerlich das vorzeitige Ende des Space-Shuttle- Programms zur Folge, deswegen wagt niemand bei der NASA, an solche Eventualitäten auch nur zu denken. Und die gerade laufende 1E-Mission in Betracht ziehend, besteht auch gar keine Notwendigkeit, sich mit derartigen Gedanken zu beschäftigen, denn alles läuft bisher beinahe wie im Bilderbuch ab. Das Flight Control Team in Houston ist in der Zwischenzeit auf das Docken der Atlantis konzentriert. Schon kurz nach dem Start finden kurze Manöver mit den Düsen des Shuttles statt, um das Raumschiff an die ISS anzunähern und auf der entsprechenden Trajektorie zu halten. Da der Shuttle sich im luftleeren Raum bewegt, spielt die Aerodynamik keine Rolle. Der Orbiter fliegt nicht zwangsläufig mit der Nase voraus, sondern ineiner Lage, die thermisch oder für die jeweils durchgeführte Operation am günstigsten ist. Weiterhin ist seine Flugbahn bis auf genau festgelegte Zündungen seiner Lageregelungsantriebe durch die himmelsmechanischen Gesetze vorgegeben. Während der als NC1, NC2, NPC and NC3 bezeichneten Bahnmanöver wird der Shuttle jeweils in einer Weise und Richtung so beschleunigt, dass er sich in den folgenden Stunden im freien Drift genau der gewünschten Position annähert. Die letztendlich angestrebte Position bei dieser Grobannäherung, die durch die TDRS-Satelliten und Bodenradargeräte überwacht wird, ist ein virtueller Punkt etwa 65 Kilometer von der ISS entfernt. Aus dieser Position beginnt der letzte Anlauf auf die Raumstation. Um 14:06 Uhr erfolgt der NC4-Burn, der den Shuttle auf einen weiteren Freiflugkurs bringt und ihn auf zwölf Kilometer an die ISS annähert (Infobox Seite 92). Bisher war die Messgenauigkeit von Radar- und Satellitenpeilungen ausreichend, aber für die folgende weitere Annäherung muss der Space Shuttle nun selbst die Lage der ISS und den relativen Abstand messen. Auch die ISS muss nun für das bevorstehende Andocken der Atlantis vorbereitet werden. Einmal werden die empfindlichen und überlebenswichtigen Solarpaneele in eine Konfiguration gebracht, die Schäden an den filigranen Strukturen etwa durch die kurzen Stöße aus den Manövrierdüsen des Space Shuttles 88 Flight Day 3 / Das Andocken der Atlantis an die Raumstation

Die Internationale Raumstation ISS von der Atlantis aus gesehen Columbus ist noch nicht Teil der Station. ausschließt. Da hierunter natürlich die Stromerzeugung etwas leidet, werden dafür einige für diese Phase nicht essenzielle Systeme heruntergefahren. Weiterhin muss die Raumstation in die entsprechende Lage gebracht werden, um für den Andockvorgang richtig ausgerichtet zu sein. Die Anlegestelle, als Pressurized Mating Adapter (PMA) bezeichnet, befindet sich am Node 2 der ISS und muss nun exakt auf den sich annähernden Space Shuttle ausgerichtet werden. Kurz vor dem eigentlichen Docking wird die Lageregelung der Station abgeschaltet, und die ISS geht in eine»free Drift Attitude«über. Ohne diese Maßnahme würden die Computer während des langsamen Andockens des Shuttles versuchen, die Lage der Station permanent konstant zu halten, während die Computer der Atlantis eine ähnliche Reaktion zeigen würden was enorme Kräfte und Momente auf die Verbindungsstelle verursachen würde. Um 15:36 Uhr meldet der STATION FLIGHT:»ISS maneuver to docking attitude completed.das ISS-Manöver zur Lageausrichtung ist abgeschlossen, die ISS ist bereit zum Andocken«. Um 15:37 Uhr schließlich bringen der»ti-burn«und einige weitere kleine Kurskorrekturen den Shuttle auf eine Bahn mit Zielpunkt leicht unterhalb der Raumstation. Die Station ist inzwischen weniger als einen Kilometer vom Shuttle entfernt. Gespannt beobachten die Flight Controller in Oberpfaffenhofen die Videosignale von der Station und vom Space Shuttle. Dessen Kamera zeigt die Raumstation als kleinen Lichtpunkt, der langsam in die filigrane Struktur der Raumstation übergeht ein bisschen erinnert das Bild an eine Libelle. Der Shuttle ähnelt aus der Sicht der Raumstation dagegen einem aufgeschnittenen Flugzeug die offene Ladebucht gibt den Blick auf den silbernen Zylinder des Columbus-Moduls frei. Beim Näherkommen lassen sich immer mehr Details erkennen die externen Experimente SOLAR und EuTEF auf ihrem Sonderplatz in der Nutzlastbucht, dann das Einschalten des Scheinwerfers für das Andocken. Schließlich sind im Dachfenster des Shuttles Bewegungen auszumachen die Besatzung, die konzentriert das Annähern steuert. Im Kontrollzentrum in Houston herrscht angespannte Betriebsamkeit. Während die Flight Controller im Kontrollraum der Raumstation diese für das Docking konfigurieren und Peggy Whitson, Yuri Malenchenko und Dan Tani durch die letzten Schritte der Andockprozedur leiten, sind im benachbarten Shuttle-Kon- Pressurized Mating Adapter (PMA) Kurze Verbindungsstücke der ISS, an der der Shuttle andocken kann Free Drift Attitude Die Lageregelung der Station ist abgeschaltet, die ISS wird den von außen einwirkenden Drehmomenten überlassen. Das Andocken der Atlantis an die Raumstation / Flight Day 3 89

Majestätisch führt die Atlantis ihren Purzelbaum aus, sodass die ISS-Besatzung das Raumschiff auf etwaige Schäden kontrollieren kann. Rendezvous Pitch Maneuver (RPM) Unterhalb der Raumstation dreht sich der Shuttle-Orbiter in einem Flugmanöver um seine Querachse, um der ISS-Besatzung die Möglichkeit zu geben, den Hitzeschild zu inspizieren und zu fotografieren. Rendezvous-Pitch-Manöver (im Bauch des Shuttles ist Columbus zu erkennen) (Bildersequenz Seite 91) trollraum alle auf die Manöver des Shuttles konzentriert. Auf dem großen Projektionsschirm an der vorderen Wand des Kontrollraums ist die Shuttle-Position relativ zur ISS in zwei Kurven aufgetragen. Die erste zeigt den relativen Abstand der beiden Vehikel unter der Annahme, dass sich Shuttle und Raumstation mit der momentanen Geschwindigkeit und Richtung antriebslos weiterbewegen. Die zweite Kurve stellt das gewünschte Annäherungsprofil dar. Bei jeder Zündung verbiegt sich die erste Kurve am Projektionsschirm während des Feuerns der Triebwerke immer mehr und schmiegt sich der gewünschten Kurve an, bis sie endlich beim Abschalten der Triebwerke genau mit dem Annäherungsprofil übereinstimmt zumindest bis zum nächsten geplanten Kurskorrekturmanöver. Wenn das gelungen ist, dann bestätigt der zuständige Flight Controller dem SHUTTLE FLIGHT:»We had agood burn.wir hatten eine erfolgreiche Kurskorrektur.«Direkt unterhalb der Raumstation vollzieht der Space Shuttle nun ein langsames akrobatisches Kunststück. Während Peggy und Yuri von der ISS aus hochauflösende Fotoaufnahmen machen, lässt Kommandant Steve Frick das Raumschiff einen langsamen Salto um die eigene Querachse drehen. Hierbei wird, während die Erde im Hintergrund vorbeizieht, nochmals die Unterseite mit den Hitzeschutzkacheln auf etwaige Schäden untersucht. Dieses Rendezvous Pitch Maneuver (RPM) ist nach wenigen Minuten vorüber, die Atlantis ist mit der offenen Ladebucht wieder Richtung Raumstation orientiert und etwa 200 Meter unterhalb des riesigen Komplexes, bevor der letzte Anlauf beginnt. Nach dem»go«von Houston beschreibt der Space Shuttle nun einen Bogen, der ihn direkt vor die Raumstation bringt. Um 17:47 Uhr meldet der Shuttle-Kontrollraum, dass der»v-bar«erreicht ist dass sich das Shuttle also nun genau in Flugrichtung vor der ISS befindet, nur etwa 100 Meter von ihr entfernt. Nun muss die Shuttle-Crew den Raumgleiter an den PMA- Port heransteuern. Dabei nutzt sie Lasersensoren und spezielle Kameras, um die Position auf den Zentimeter genau zu bestimmen und das Manöver zu kontrollieren. Mit etwa zwei Meter pro Minute nähern sich die beiden Raumfahrzeuge vorsichtig einander an. Um 18:11 Uhr erfolgt das letzte Gegenchecken der Ausrichtung von ISS und Shuttle, und die Bodenkontrollstation kann den Astronauten grünes Licht für das Andocken geben. Langsam schiebt sich der Shuttle 90 Flight Day 3 / Das Andocken der Atlantis an die Raumstation

Das Andocken der Atlantis an die Raumstation / Flight Day 3 91

Rendezvous zwischen Shuttle und Raumstation Der hochkomplexe Docking vorgang zwischen dem Space Shuttle und der Raumstation wird, hier dargestellt in einem Koor dinatensystem, das sich mit der Station mitbewegt. Die vertikale Achse zeigt dabei immer Richtung Erde und gibt somit den Unterschied in der Flughöhe zwischen Shuttle und ISS an. Die horizontale Achse veranschaulicht die Entfernung zwischen den beiden Flugkörpern in Flug - richtung der ISS. Verschiedene Zündungen der Lagere ge - lungs düsen der Atlantis sind als Punkte eingezeichnet, die gestrichelte Linie deutet an, dass dieser Teil der Annä - herung im Erdschatten stattfindet. Zunächst ziehen ISS und Atlantis in einigem Abstand ihre Bahnen. Durch die NC-(N th Central Phasing Burn-) Zündung wird dann die Annäherung eingeleitet: Zunächst fliegt der Shuttle auf gleicher Höhe mit der Raumstation, jedoch über 70 Kilometer hinter ihr. Die Zündung bremst nun die Atlantis ab. Damit hat der Orbiter eine niedrigere spezifische Gesamtenergie, was dazu führt, dass seine Flughöhe im weiteren Verlauf des Umlaufs stärker abnimmt als die der ISS (in Fachworten: Das Perigäum der Shuttle- Bahn liegt etwas niedriger als das der Stationsbahn). Da - durch wird er jedoch auch schneller und holt im Vergleich zur Raumstation immer mehr auf. Am Punkt der Ti-(Ter - minal Intercept-)Zündung sind ISS und Shuttle wieder auf annähernd gleicher Höhe über der Erde, und das Shuttle hat sich bis auf etwa 15 km an die Raumstation ange nä hert. Die Zündung der Triebwerke bringt die Atlan - tis nun endgültig auf einen Rendezvouskurs mit der Raum - station. Die spezifische Gesamtenergie des Shuttles wird erneut vergrößert, sodass seine Flughöhe bei der nächsten Erd um kreisung weniger stark abnimmt und er sich höhenmäßig nur noch wenig von der ISS entfernt, während er weiter aufholt. Verschiedene Midcourse Corrections (MC) bewirken eine Feinkorrektur der Shuttle-Bahn, die den Orbiter genau unter die ISS bringt (vergrö ßerte Darstellung) von jetzt an übernimmt die Shuttle-Besatzung und fliegt die letzte Annäherung manuell. Langsam überholt die Atlantis nun die ISS und führt dabei unmittelbar unter der Raumstation das Rendezvous Pitch Maneuver (RPM) aus, was von der ISS-Besatzung zum Aufnehmen von Bildern der Hitzeschutzkacheln genutzt wird. In der weiteren Folge manövriert sich das Shuttle dann aus der Position wenige hundert Meter unter der ISS in eine Lage wenige Duzend Meter vor der Raumstation, um sich dann langsam zurückfallen zu lassen und schließlich an der Station anzudocken. Die Fachleute für die Trajektorie der Atlantis haben den gesamten Vorgang so geplant, dass für die letzten Meter und Zentimeter der Annäherung sowie für andere kritische Manöver die Lichtverhältnisse ideal sind. ISS v-bar MC4 MC3-10 -20-30 -40-50 -60-70 km Ti NC MC1 r-bar MC2 5 km v-bar 200 ISS 100-100 -200 m RPM NCC 500 m r-bar 92 Flight Day 3 / Das Andocken der Atlantis an die Raumstation