Spontane Amtshilfe unter der Lupe

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Transkript:

User-ID: andrea.opel@unilu.ch, 17.11.2016 14:43:40 Dokument StR 71/2016 S. 380 Autor Andrea Opel Titel Spontane Amtshilfe unter der Lupe Seiten 380-393 Publikation Steuer Revue Herausgeber Cosmos Verlag AG Frühere Herausgeber Reto M. Aeberli ISSN 1424-0025 Verlag Cosmos Verlag AG StR 71/2016 S. 380 Andrea Opel 1 Ass.-Prof. PD Dr., Universität Luzern,Steuerberaterin/ Konsulentin, Meyerlustenberger Lachenal, Zürich Spontane Amtshilfe unter der Lupe 1 Ihre Habilitationsschrift mit dem Titel «Neuausrichtung der schweizerischen Abkommenspolitik in Steuersachen: Amtshilfe nach dem OECD-Standard Eine rechtliche Würdigung» ist 2015 erschienen.

Ausdruckseite 2 von 15 Automatisierte Spontanität Die spontane Amtshilfe ist etwas in den Hintergrund getreten angesichts der bevorstehenden Implementierung des automatischen Informationsaustauschs. Dies zu Unrecht von Spontanität zu sprechen, erscheint trügerisch, wenn die Abläufe weitgehend automatisiert werden. Nachfolgend wird das neue Amtshilfeinstrument insbesondere mit Blick auf seine BEPS-Konformität untersucht und dessen Anwendungsbereich abgesteckt. Schliesslich sei die Frage aufgeworfen, wie es um den Rechtsschutz der Betroffenen bestellt ist. 1 Begriff der spontanen Amtshilfe Spontane Amtshilfe ist abzugrenzen einerseits von der Amtshilfe auf Ersuchen und andererseits vom automatischen Informationsaustausch (AIA). Nach der Botschaft von 2015 zum Entwurf des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen (MAC 2 ; Amtshilfeübereinkommen) werden bei der spontanen Amtshilfe Informationen, über die eine Vertragspartei verfügt, unaufgefordert an eine andere Vertragspartei übermittelt, wenn die informierende Vertragspartei davon ausgeht, dass die betreffenden Informationen für die andere Vertragspartei von Interesse sind 3. Im Revisionsentwurf zum Steueramtshilfegesetz wird die spontane Amtshilfe sinngemäss definiert als unaufgeforderter Austausch von Informationen, die für die zuständige ausländische Behörde voraussichtlich von Interesse sind 4. Laut Botschaft zum E-MAC ergänzen sich die drei Arten des Informationsaustauschs: Oftmals bilde eine spontan oder automatisch übermittelte Information den Ausgangspunkt für ein Amtshilfeersuchen 5. Spontane Amtshilfe und AIA haben jedenfalls gemein, dass die Datenübermittlung ersuchensunabhängig erfolgt. Im Unterschied zum AIA wird aber nicht im Voraus mit einer oder mehreren anderen Vertragsparteien festgelegt, welche Informationen (bspw. periodische Zinserträge) routinemässig und in regelmässigen Zeitabständen übermittelt werden 6. Die Übermittlung erfolgt vielmehr «spontan». Hinsichtlich des mit der Amtshilfe verfolgten Ziels lässt sich sagen, dass der AIA bereits die abstrakte Gefährdung einer gehörigen Steuerveranlagung unterbinden will, wohingegen die spontane Amtshilfe ebenso wie übrigens die Ersuchensauskunft auf konkrete Verdachtslagen zugeschnitten ist, jedenfalls von der Grundidee her 7. Der spontane Informationsaustausch erweist sich somit grundsätzlich als präziser als der AIA, der systembedingt zur Übermittlung überschüssiger (unerheblicher) Infor- StR 71/2016 S. 380, 381 mationen führt. Wie nachfolgend darzulegen ist, ist das Instrument der spontanen Amtshilfe inzwischen jedoch derart aufgebläht worden, dass es sich dem AIA stark angenähert hat. 2 Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen, abgeschlossen am 1. Juni 2011, BBl 2015 5645 ff. Die Abkürzung MAC (siehe FN 8) rührt aus dem Englischen her und scheint sich in der Literatur durchzusetzen. 3 Botschaft zur Genehmigung des Übereinkommens des Europarats und der OECD über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu seiner Umsetzung (Änderung des Steueramtshilfegesetzes) vom 5. Juni 2015 (Botschaft zum E-MAC), BBl 2015 5585 ff., 5605. 4 Vgl. Art. 3 lit. d E-StAhiG (BBl 2015 5635 ff., 5638). 5 Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5591. 6 Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5605. 7 Vgl. ROMAN SEER/ISABEL GABERT, Der internationale Auskunftsverkehr in Steuersachen, Steuer und Wirtschaft (StuW) 2010, S. 15.

Ausdruckseite 3 von 15 2 Entwicklungen auf internationaler Ebene Obschon die Arbeiten der OECD und anderer überstaatlicher Gremien für die Schweiz nicht verbindlich sind, hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass sich die Schweiz den internationalen Entwicklungen im Amtshilfebereich nicht mehr nachhaltig entziehen kann. Seit 2009 ist die Schweiz dabei, den internationalen Standard, der sich in rasanter Fortentwicklung befindet, sukzessive ins nationale Recht zu überführen. Das gilt auch für das Instrument der spontanen Amtshilfe, wie nachfolgend aufzuzeigen ist. StR 71/2016 S. 380, 382 I Amtshilfeübereinkommen von Europarat und OECD Europarat und OECD haben am 25. Januar 1988 ein multilaterales Amtshilfeabkommen 8 besagtes MAC verabschiedet, das eine Verpflichtung zur Leistung von spontaner Amtshilfe statuiert. Am 27. Mai 2010 wurde das Abkommen durch ein Protokoll revidiert 9, wobei die spontane Amtshilfe weiterhin zum verbindlichen Inhalt gehört. Das neugefasste Abkommen ist inzwischen von mehr als 90 Staaten unterzeichnet worden, darunter auch die Schweiz (dazu sogleich). Es geht übrigens über den Standard gemäss OECD-Musterabkommen resp. Musterkommentar hinaus, das den spontanen und automatischen Informationsaustausch (seit 1977) als blosse Option vorsieht 10. II BEPS-Vorlage Der Aktionspunkt 5 («Wirksamere Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz») des von der OECD und den G20 gemeinsam vorangetriebenen BEPS 11 -Projekts sieht anknüpfend am Bericht über den schädlichen Steuerwettbewerb von 1998 (sog. HTC-Report) 12 als eine Massnahme zur Schaffung von mehr Transparenz den verpflichtend spontanen Austausch von Steuerrulings vor 13. Gemäss dem am 5. Oktober 2015 veröffentlichten Abschlussbericht beschlägt dieser Rulings 14, soweit diese Aussagen über folgende Inhalte beinhalten 15 : 1. Vorzugssteuerregime («Taxpayer-specific rulings related to preferential regimes) 16 8 Convention on Mutual Administrative Assistance in Tax Matters, European Treaty Series (ETS), Nr. 127. 9 Protocol amending the Convention on Mutual Administrative Assistance in Tax Matters, Council of Europe Treaty Series (CETS), Nr. 208. Neu ist insbesondere, dass der Anwendungsbereich auf Bankinformationen erstreckt wurde und eine Rückwirkung im Falle von Steuerdelikten vorgesehen ist. 10 Vgl. OECD-MK 2014 zu Art. 26, Ziff. 9 f. 11 «Base Erosion and Profit Shifting», zu Deutsch Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung. 12 OECD Report 1998: Harmful Tax Competition An Emerging Global Issue. 13 «Compulsory spontaneous exchange of information in respect of rulings». Vgl. BEPS- Schlussbericht zu Aktionspunkt 5, S. 46, zu finden unter: <http://www.oecdilibrary.org/taxation/countering-harmful-tax-practices-more-effectively-taking-into-accounttransparency-and-substance-action-5-2015-final-report_9789264241190-en> (zuletzt besucht am 7. April 2016). Vgl. zum Ganzen etwa auch NELLY IGLESIAS, Échange spontané de Rulings entre états, EF 2016, S. 33 ff.; OLIVER JÄGGI/JASMIN MALLA, Informationsaustausch von Steuerrulings, EF 2016, S. 266 ff., STEFAN OESTERHELT, Spontaner Austausch von Steuerrulings, Anforderungen von BEPS Action 5 an die Schweiz, StR 2016, S. 276 ff.; LAURENZ SCHNEIDER/DANIEL SCHÖNENBERGER/SIMONE HEINRICH, Spontaner Austausch von Steuerrulings, EF 2016, S. 258 ff.; RAOUL STOCKER/ANDREAS FROSS/STÉPHANIE FUCHS, Spontaner Austausch von Steuerrulings Auswirkungen auf Schweizer Unternehmen, EF 2016, S. 251 ff. 14 Im Sinne der Vorlage, vgl. BEPS-Schlussbericht zu Aktionspunkt 5, S. 47 f. 15 Vgl. BEPS-Schlussbericht zu Aktionspunkt 5, S. 48 ff. 16 Nicht erforderlich ist, dass die Regime als schädlich im Sinne des HTC-Reports gelten (BEPS-

Ausdruckseite 4 von 15 2. Grenzüberschreitende Verrechnungspreise («Cross-border unilateral APAs... covering transfer pricing or the application of transfer pricing principles») 3. Reduktion des steuerbaren Gewinns ohne Berücksichtigung im handelsrechtlichen Abschluss («Cross-border rulings providing for a unilateral downward adjustment to the taxpayer's taxable profits...») 4. Betriebsstättefragen («PE-Rulings») 5. Rulings betreffend grenzüberschreitende Leistungsflüsse zwischen Nahestehenden («Related party conduit rulings») Darüber hinaus kann das Forum on Harmful Tax Practices andere Arten von Rulings in die Liste aufnehmen, die BEPS-Bedenken («BEPS concerns») auszulösen vermögen. Während sich der spontane Informationsaustausch im BEPS-Zwischenbericht von 2014 im Lichte des HTC-Reports noch auf Rulings betreffend Vorzugssteuerregime (Kategorie 1) beschränkte 17, ist der Anwendungsbereich nunmehr stark ausgedehnt worden. Er erstreckt sich generell auf Gesellschaften mit örtlich mobilen Aktivitäten im Finanz- und Dienstleistungsbereich 18. Zwar wird im BEPS-Schlussbericht nicht davon ausgegangen, dass die Rulings, die am spontanen Informationsaustausch partizipieren sollen, per se «schädliche» oder BEPS-Bedenken auslösende Steuerpraktiken bezeichnen. Die Erweiterung wird jedoch damit gerechtfertigt, dass der Mangel an Transparenz dazu führen könne, dass es zu Steuerverzerrungen oder doppelten Nichtbesteuerungen komme 19. Solche zu vermeiden, ist ein Grundanliegen des BEPS-Projekts. 3 Rechtslage in der Schweiz I De lege lata De lege lata bietet die Schweiz keine Hand zum spontanen Informationsaustausch. Der OECD-Musterkommentar erwähnt wie gesagt seit dem Update 1977 den spontanen und automatischen Informationsaustausch als Option. Indes hat sich die Schweiz vor der Trendwende im Jahr 2009 nie zum OECD-Amtshilfestandard bekannt. Seither wird in den neuen bzw. revidierten Abkommensprotokollen jeweils standardmässig festgehalten, dass sich die Vertragsstaaten nicht dazu verpflichten, Informationen auf automatischer oder spontaner Basis auszutauschen 20. Zur Frage, ob eine dahinge- StR 71/2016 S. 380, 383 hende Berechtigung vorliegt, äussern sich die Protokolle indes nicht. Dass keine solche besteht, lässt sich jedoch dem ausführenden Steueramtshilfegesetz (StAhiG) 21 entnehmen. Gemäss Art. 4 Abs. 1 StAhiG wird Amtshilfe ausschliesslich auf Ersuchen hin geleistet dies findet sich überdies in der einschlägigen Botschaft bestätigt 22. Schlussbericht zu Aktionspunkt 5, S. 49). Aus schweizerischer Sicht dürften de lege lata Holding-, Domizil- und gemischte Gesellschaften (Vgl. Art. 28 Abs. 24 StHG), Prinzipalgesellschaften (Kreisschreiben Nr. 8 der EStV vom 18.12.2001) sowie die Lizenzbox des Kantons Nidwalden betroffen sein. 17 Bericht vom 16. September 2014, Countering Harmful Tax Practices More Effectively, Taking into Account Transparency and Substance, S. 35 ff. 18 Vgl. BEPS-Schlussbericht zu Aktionspunkt 5, S. 11, 19. 19 BEPS-Schlussbericht zu Aktionspunkt 5, S. 10. 20 Vgl. etwa Änderungsprotokoll zum DBA-DK, BBl 2010 103 ff., 111 (zu Art. 27); Zusatzabkommen zum DBA-F, BBl 2010 1555 ff., 1561 (zu Art. 28); Abänderungsprotokoll zum DBA-GB, BBl 2010 271 ff., 276 (zu Art. 25). Auch die Steuerinformationsabkommen (SIA) sind jeweils auf ersuchensabhängige Amtshilfe beschränkt. 21 Bundesgesetz über die internationale Amtshilfe in Steuersachen vom 28. September 2012, SR 651.1. 22 Botschaft zum Erlass eines Steueramtshilfegesetzes vom 6. Juli 2011, BBl 2011 6193 ff., 6204 f.

Ausdruckseite 5 von 15 II De lege ferenda Die Schweiz steht indes kurz davor, das Instrument der spontanen Amtshilfe zu implementieren. Am 15. Oktober 2013 hat der Bundesrat das bereits erwähnte Amtshilfeübereinkommen (MAC) unterzeichnet, das eine entsprechende Rechtsgrundlage enthält (die Referendumsfrist ist am 9. April 2016 unbenutzt abgelaufen). Am 5. Juni 2015 ist die dazugehörige Botschaft in einer Entwurfsfassung publiziert worden damit genau vier Monate vor der Veröffentlichung der Schlussberichte zur BEPS-Vorlage. Einer Medienmitteilung des Eidgenössischen Finanzdepartements ist zu entnehmen, dass die Schweiz davon ausgeht, mit der Genehmigung des Amtshilfeübereinkommens den BEPS-Anforderungen gerecht zu werden 23. Klarzustellen ist, dass die BEPS-Vorgaben nur insoweit zum StR 71/2016 S. 380, 384 Tragen kommen, als diese im innerstaatlichen Recht auch wirklich abgebildet sind. 4 Geplante Regelung in der Schweiz I Abkommensrechtliche Ebene Die völkerrechtliche Grundlage für spontane Amtshilfe findet sich wie erwähnt im künftigen Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen. Art. 7 Abs. 1 E-MAC lautet wie folgt: «In den folgenden Fällen übermittelt eine Vertragspartei einer anderen Vertragspartei ohne vorheriges Ersuchen Informationen, die ihr bekannt geworden sind: a. wenn die eine Vertragspartei Gründe für die Vermutung einer Steuerverkürzung in der anderen Vertragspartei hat; b. wenn ein Steuerpflichtiger in der einen Vertragspartei eine Steuerermässigung oder Steuerbefreiung erhält, die eine Steuererhöhung oder eine Besteuerung in der anderen Vertragspartei zur Folge haben würde; c. bei Geschäftsbeziehungen zwischen einem Steuerpflichtigen einer Vertragspartei und einem Steuerpflichtigen einer anderen Vertragspartei, die über ein oder mehrere weitere Länder in einer Weise geleitet werden, die in einer der beiden oder in beiden Vertragsparteien zur Steuerersparnis führen kann; d. wenn eine Vertragspartei Gründe für die Vermutung einer Steuerersparnis durch künstliche Gewinnverlagerungen innerhalb eines Konzerns hat; e. wenn im Zusammenhang mit Informationen, die der einen Vertragspartei von der anderen Vertragspartei übermittelt worden sind, ein Sachverhalt ermittelt worden ist, der für die Steuerfestsetzung in der anderen Vertragspartei erheblich sein kann.» In der Botschaft wird hinsichtlich des Vollzugs mitunter wörtlich auf ein von der OECD im Jahr 2006 veröffentlichtes Handbuch verwiesen 24. So liest sich Folgendes: «Der spontane Informationsaustausch gründet naturgemäss auf der aktiven Mitwirkung und Kooperation der lokalen Steuerbehörden (z.b. Steuerinspektoren usw.). Spontan ausgetauschte Informationen erweisen sich erfahrungsgemäss als nützlich (-). Die Wirksamkeit des spontanen Informationsaustausches hängt wesentlich von der Motivation und dem Willen der Beamten des informierenden Staates ab. Es ist deshalb wichtig, dass dessen Steuerbeamte den zuständigen Behörden automatisch diejenigen Informationen übermitteln, die der anderen Vertragspartei von Interesse sein können. 23 Medienmitteilung vom 5. Oktober 2015, Neue obligatorische internationale OECD-Standards bei der Unternehmensbesteuerung: Auch die Schweiz ist gefordert, zu finden unter: https://www.news.admin.ch/message/index.htmllang=de&msg-id=58972 (zuletzt besucht am 7. April 2016). 24 Manual on the Implementation of Exchange of Information Provisions for Tax Purposes, Module 2 on Spontaneous Exchange of Information, 23. Januar 2006.

Ausdruckseite 6 von 15 Die Steuerbehörden müssen deshalb Strategien zur Unterstützung und Förderung des spontanen Informationsaustauschs entwickeln. Es gilt dabei zu berücksichtigen, dass die Übermittlung nützlicher Informationen die Wahrscheinlichkeit erhöht, im Gegenzug selber auch nützliche Informationen zu erhalten» 25. Dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 E-MAC lässt sich entnehmen, dass die spontane Amtshilfe verpflichtend ausgestaltet ist. Den Steuerbehörden steht es nicht etwa frei, ob sie Auskünfte erteilen oder nicht, sondern sie haben in den genannten Fällen aktiv zu werden. Dasselbe geht aus der Botschaft hervor 26. Wird die völkerrechtliche Verpflichtung ernst genommen, geht die spontane Amtshilfe in eine automatische über bzw. lässt sich von Letzterer nicht mehr sinnvoll abgrenzen. Weiter lässt sich feststellen, dass der Grundsatz der (effektiven) Reziprozität 27 staatsvertraglich nicht zur Bedingung erhoben wird. Spontanauskünfte sollen gemäss Botschaft vielmehr in der Hoffnung erteilt werden, dass sich der damit bediente Staat seinerseits erkenntlich zeigt. Dies hat m.e. zur Folge, dass sich die Verweigerung «spontaner» Amtshilfe bei fehlender tatsächlicher Gegenseitigkeit letztlich einzig auf die allgemeinen völkerrechtlichen Grund- StR 71/2016 S. 380, 385 sätze (WÜRV 28 ) stützen lässt, d.h. eine erhebliche Vertragsverletzung des Vertragspartners voraussetzt 29. Gegenstand der «spontanen» Amtshilfe sind gemäss Art. 7 Abs. 1 E-MAC Informationen, die der Vertragspartei bekannt geworden sind. Dies lässt darauf schliessen, dass es ausschliesslich um Informationen geht, die den Behörden vorliegen. Die völkerrechtliche Verpflichtung erschöpft sich folglich hierin im Abkommen nicht geregelt ist die Frage einer allfälligen weitergehenden Berechtigung. II Ausführungsgesetzgebung Die Ausführungsbestimmungen zum Amtshilfeübereinkommen finden sich im Steueramtshilfegesetz. Zu diesem Zwecke soll das Gesetz schon wieder 30 revidiert werden. Art. 3 lit. d E-StAhiG präzisiert, dass sich die spontane Amtshilfe auf bei der EStV oder den kantonalen Steuerverwaltungen vorhandene Informationen beschränkt. Damit dürfte klargestellt sein, dass die Behörden auch nicht dazu berechtigt sind, ergänzende Nachforschungen anzustellen. Das Steueramtshilfegesetz verzichtet auf die Formulierung von Fallgruppen und belässt es gerade beim Massstab des voraussichtlichen Interesses. Laut Botschaft legt jedoch Art. 7 E-MAC den inhaltlichen Anwendungsbereich fest 31. Die Erteilung von Spontanauskünften unmittelbar auf das 25 Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5606. Vgl. Manual 2006 (FN 24), S. 3. 26 Die Rede ist von einem «Müssen»: Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5605. 27 Grundsätzlich sind sämtliche Staaten, die dem Amtshilfeübereinkommen beigetreten sind, zur Erteilung von Spontanauskünften verpflichtet. Das heisst aber noch nicht, dass dieser Verpflichtung alle Vertragspartner auch tatsächlich nachkommen. Denkbar ist neben der Nichterfüllung auch eine Spät- oder Schlechterfüllung. 28 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, SR O.111. 29 Vgl. dazu ANDREA OPEL, Neuausrichtung der schweizerischen Abkommenspolitik in Steuersachen: Amtshilfe nach dem OECD-Standard Eine rechtliche Würdigung, Bern 2015, S. 88 ff. 30 Die erste Revision erfolgte auf den 1. August 2014, d.h. rund eineinhalb Jahre nach dem Inkrafttreten am 1. Februar 2013. Gegenstand der ersten Überarbeitung bildete die Erweiterung auf Gruppenanfragen sowie das Verfahren mit nachträglicher Information der Betroffenen. 31 Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5607.

Ausdruckseite 7 von 15 Steueramtshilfegesetz abzustützen, verbietet sich ohnehin zufolge seines rein ausführenden Charakters (vgl. Art. 1 Abs. 1 StAhiG) 32. In Art. 22a Abs. 1 E-StAhiG wird der Bundesrat ermächtigt, die Pflichten im Zusammenhang mit dem spontanen Informationsaustausch im Einzelnen zu regeln. Er orientiert sich dabei? so heisst es weiter an den internationalen Standards und an der Praxis anderer Staaten. In der Botschaft wird insoweit auf die BEPS-Arbeiten verwiesen; weiterführende internationale Empfehlungen und Präzisierungen der Ver- StR 71/2016 S. 380, 386 pflichtungen unter Art. 7 E-MAC bestünden derzeit nicht 33. Die bundesrätliche Verordnung befindet sich derzeit in Ausarbeitung. Hervorzuheben ist weiter die Regelung von Art. 22b Abs. 1 E-StAhiG, wonach die beschwerdeberechtigten Personen über den geplanten Austausch zu informieren sind. Relativiert wird dies jedoch wiederum durch Abs. 2 der nämlichen Bestimmung, die ausnahmsweise eine Information erst im Nachhinein erlaubt, «wenn der Zweck der Amtshilfe und der Erfolg einer Untersuchung durch die vorgängige Information vereitelt würden». 5 Zwischenergebnis Wie dargelegt, verpflichtet sich die Schweiz mit der Übernahme des Amtshilfeübereinkommens dazu, Informationen auszutauschen, die für die am multilateralen Abkommen beteiligten Staaten erheblich sein könnten. Von Spontanität 34 kann schwerlich noch die Rede sein. Die spontane Amtshilfe geht mithin in eine automatisierte Meldepflicht über. Immerhin: Spontanität versteht sich schwer mit Rechtsstaatlichkeit. Die verpflichtende Natur des «spontanen» Informationsaustauschs trägt der Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen zu, zumal in einem höchst grundrechtssensiblen Bereich. Auch wird der Gefahr unkontrollierter «Auf- und Abschaukelungsprozesse» zwischen den Behörden der beteiligten Vertragsstaaten vorgebeugt. Ob es gelingt, den Anwendungsbereich der spontanen Amtshilfe klar abzustecken, steht freilich auf einem anderen Blatt. 6 Anwendungsbereich I Zeitlicher Anwendungsbereich Gemäss Art. 28 Abs. 6 Satz 1 E-MAC gilt das Übereinkommen für Besteuerungszeiträume oder Steuerforderungen, die am oder nach dem 1. Januar des Jahres beginnen/entstehen, das auf das Jahr folgt, in dem das Übereinkommen für eine Vertragspartei in Kraft getreten ist. Obschon das Amtshilfeübereinkommen multilateral ist, muss also für jedes bilaterale Verhältnis einzeln bestimmt werden, für welchen Zeitraum die Amtshilfe zulässig ist 35. Das Amtshilfeübereinkommen muss für beide Parteien anwendbar sein, somit ist der spätere Zeitpunkt ausschlaggebend, an dem das Amtshilfeübereinkommen in der Schweiz und in der anderen Vertragspartei Gültigkeit 32 So die ganz überwiegende Lehre, vgl. dazu ANDREA OPEL, Fischen in trüben Gewässern Rechtsstaatlich fragwürdige Gruppenauskünfte an die Niederlande, Jusletter 15. Februar 2016, Rz. 25 f. m.w.h. Inzwischen hat sich auch das Bundesverwaltungsgericht in diesem Sinne geäussert: BVGer A-8400/2015 vom 21.3.2016, E. 8.2.5. Dies wiederum dürfte OESTERHELT dazu bewogen haben, seine vormals gegenteilige Ansicht (STEFAN OESTERHELT, Steuerrechtliche Entwicklungen [insbesondere im Jahr 2012], SZW 2013, S. 85 ff., 99) zu revidieren, vgl. nunmehr OESTERHELT (FN 13), S. 288 f. A.A. somit einzig (noch) CHARLOTTE SCHODER, Praxiskommentar zum Bundesgesetz über die internationale Amtshilfe in Steuersachen (Steueramtshilfegesetz, StAhiG), Zürich 2014, Art. 1 N 15. 33 Botschaft zum E-MAC. 34 Laut Duden bedeutet spontan «aus einem plötzlichen Impuls heraus, auf einem plötzlichen Entschluss beruhend, einem plötzlichen inneren Antrieb, Impuls folgend». 35 Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5619.

Ausdruckseite 8 von 15 erlangt 36. In der Schweiz wird das Abkommen, da die Referendumsfrist inzwischen unbenutzt abgelaufen ist, im Jahr 2017 in Kraft treten. Somit erfolgen spontane Datenübermittlungen ab dem 1. Januar 2018 37 unter dem Vorbehalt, dass das Abkommen auch im Empfängerstaat spätestens 2017 in Kraft getreten ist. Gegenstand von Spontanauskünften sind somit Informationen über Besteuerungszeiträume ab dem 1. Januar 2018 oder über Steuerforderungen, die nach diesem Zeitpunkt entstanden sind. Folglich sind der spontanen Amtshilfe nur Rulings zugänglich, die nach dem 1. Januar 2018 (noch) Wirkung entfalten oder die nach diesem Zeitpunkt erst erteilt werden. Entgegen der in der Lehre mitunter vertretenen Ansicht 38 dürfte es demgegenüber irrelevant sein, zu welchem Zeitpunkt diese ausgestellt worden sind. Eine (echte) Rückwirkung sieht das Abkommen somit grundsätzlich nicht vor. Auch die Revisionsvorlage zum Steueramtshilfegesetz enthält keine solche 39. Gemäss Art. 28 Abs. 6 Satz 2 E-MAC bleibt es einzelnen Vertragsparteien jedoch unbenommen, eine Rückwirkung zu vereinbaren. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung und Umsetzung des Amtshilfeübereinkommens sieht in diesem Sinne vor, dass der Bundesrat mit einzelnen Vertragsparteien die Anwendbarkeit des Amtshilfeübereinkommens auf Zeiträume frühestens ab dessen Inkrafttreten (d.h. ab 2017) vereinbaren darf 40. Folglich kann es sein, dass im Verhältnis zu einzelnen Staaten spontane Amtshilfe StR 71/2016 S. 380, 387 bereits Besteuerungszeiträume bzw. Steuerforderungen ab 2017 erfasst. Abgesehen davon sieht Art. 28 Abs. 7 E-MAC im Sinne einer Ausnahme eine Rückwirkung für Steuersachen im Zusammenhang mit vorsätzlichem Verhalten vor, das nach dem Strafrecht der ersuchenden Vertragspartei der strafrechtlichen Verfolgung unterliegt 41. Diese Rückwirkung lässt sich von den Vertragsstaaten auf drei Jahre begrenzen was der Bundesrat zu tun gedenkt 42. Diese Rückwirkung ist gemäss Botschaft nicht so zu verstehen, dass schon vor dem Inkrafttreten Informationen zu sammeln wären, die spontan übermittelt werden könnten 43. Die Wirkung besteht darin, dass eine Vertragspartei nach solchen Informationen ersuchen kann 44. Dies lässt vermuten, dass der spontanen Amtshilfe solche Informationen nicht zugänglich sind. Eine davon abweichende Regelung trifft demgegenüber die BEPS-Vorlage. Auszutauschen sind einerseits zukünftige Rulings, die ab dem 1. April 2016 gewährt werden, andererseits aber auch bestehende Rulings, die am oder ab dem 1. Januar 2010 gewährt werden und am 1. April 2014 noch immer wirksam sind 45. An diese zeitlichen Vorgaben haben sich laut BEPS-Schlussbericht jedoch nur Staaten zu halten, die bereits über eine Rechtsgrundlage für die spontane Amtshilfe verfügen 46 die Schweiz zählt bekanntlich nicht hierzu. Folglich bleibt es dabei, dass spontane Amtshilfe für bestehende Rulings grundsätzlich nur gewährt werden kann, wenn sie am 1. Januar 2018 noch wirksam sind. Auf der anderen Seite fehlt wie gesagt bislang eine 36 Botschaft zum E-MAC, a.a.o. 37 Vgl. Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5620. 38 Zumindest unklar OESTERHELT (FN 13), S. 287, und STOCKER/FROSS/FUCHS (FN 13), S. 256, die davon auszugehen scheinen, dass nur nach dem 1. Januar 2010 ausgestellte Rulings betroffen sind. Diese Limitierung findet sich jedoch soweit ersichtlich bislang einzig im (nicht rechtsverbindlichen) BEPS-Schlussbericht (dazu sogleich). Denkbar ist, dass eine Regelung in der bundesrätlichen Urordnung getroffen wird. 39 Somit fällt auch eine abweichende Regelung im Sinne der sog. Schubert-Praxis ausser Betracht. 40 Art. 4 E-Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Übereinkommens des Europarats und der OECD über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen, BBl 2015 5635 ff. 41 Art. 30 Abs. 1 lit. f E-MAC. 42 Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5620. 43 Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5619. 44 Botschaft zum E-MAC, a.a.o. 45 BEPS-Schlussbericht zu Aktionspunkt 5, S. 53 f. 46 BEPS-Schlussbericht zu Aktionspunkt 5, S. 53, 59 FN 11.

Ausdruckseite 9 von 15 Einschränkung dahingehend, dass die Rulings am bzw. nach dem 1. Januar 2010 erteilt worden sein müssen. II Sachlicher Anwendungsbereich A Umfasste Steuern Art. 2 E-MAC teilt die vom Abkommen erfassten Steuern in zwei Kategorien ein, wobei bezüglich der zweiten Kategorie Vorbehalte möglich sind einen solchen gedenkt die Schweiz anzubringen 47. Nach dem Vorschlag des Bundesrats soll Amtshilfe unter dem Amtshilfeübereinkommen nur folgende Steuern beschlagen 48 : Einkom- StR 71/2016 S. 380, 388 mens-, Vermögens-, Gewinn-, Kapital- und Verrechnungssteuer. Ausgeklammert bleiben folglich insbesondere die indirekten Steuern (u.a. Erbschafts- und Schenkungssteuern 49 ) ebenso wie etwa Steuern, die Grundstücke betreffen (Grundstückgewinnsteuer, Handänderungssteuer etc.) 50. Im Gegensatz zur BEPS-Vorlage beschränkt sich der «fiskalische» Anwendungsbereich gemäss Amtshilfeübereinkommen nicht auf die Besteuerung juristischer Personen, sondern umfasst auch Steuern, die von natürlichen Personen erhoben werden. Diese Erweiterung dürfte praktisch durchaus bedeutsam sein, zu denken ist etwa an internationale tätige Personen- und Einzelunternehmer, an Pauschalbesteuerte etc. B Auszutauschende Informationen Der Anwendungsbereich soll wie dargelegt von Art. 7 Abs. 1 E-MAC abgesteckt werden. Zu übermitteln sind demnach nicht nur Informationen, die zur Aufklärung von Steuerhinterziehungen beitragen können (lit. a), sondern auch etwa Hinweise auf steueroptimierte Strukturen enthalten (lit. c), u.u. genügt sogar die mögliche Erheblichkeit für die Steuerfestsetzung im anderen Vertragsstaat (lit. e). Im Steueramtshilfegesetz erscheint demgegenüber einzig das Kriterium der voraussichtlichen Erheblichkeit und damit derselbe Massstab wie bei der Amtshilfe nach Art. 26 OECD-MA. Da das Steueramtshilfegesetz wie gezeigt rein ausführender Natur ist, kann ihm aber kein konstitutiver Charakter zukommen; es vermag den Anwendungsbereich mithin nicht auszudehnen. In der Literatur wird jedoch auch vertreten, dass Art. 4 Abs. 1 E-MAC den Massstab der voraussichtlichen Erheblichkeit für alle Amtshilfearten, einschliesslich der spontanen Amtshilfe, fixiere 51. Dies würde wohl bedeuten, dass die Berechtigung zur spontanen Amtshilfe weiterginge als die Verpflichtung (geregelt in Art. 7 Abs. 1 E- MAC), nämlich alle voraussichtlich erheblichen Informationen umfasst. Dagegen spricht m.e. jedoch die Abkommenssystematik 52. Entgegenzutreten ist jedenfalls der von Stocker/Fross/Fuchs vertretenen Auffassung, wonach Art. 7 Abs. 1 E-MAC lediglich «exemplarisch» fünf Fälle benenne, in denen Spontanauskünfte zu erteilen 47 Vgl. Art. 30 Abs. 1 lit. a E-MAC. 48 Vgl. Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5601 f., sowie Entwurf des Bundesbeschlusses, wonach keine Amtshilfe bezüglich Steuern nach Art. 2 Abs. 1 lit. b Ziff. iiiv E-MAC geleistet wird. 49 Sofern man diese zu den indirekten Steuern zählen will. 50 Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. b Ziff. iii. E-MAC, dort wiederum B.) 51 JÄGGI/MALLA (FN 13), S. 268 unter Verweisung auf die bundesrätlichen Ausführungen in der Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5591 und 5605. 52 Die Anwendungsbereiche für die drei Amtshilfearten werden erst im Anschluss abgesteckt (Art. 57 E-MAC). Dies zeigt sich bereits an Art. 5 Abs. 1 E-MAC, in welchem der Geltungsbereich für Amtshilfe auf Ersuchen definiert wird unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die in Art. 4 E- MAC erwähnten Informationen. Dieses Verweises hätte es nicht bedurft, würde Art. 4 E-MAC den Anwendungsbereich bereits verbindlich vorgeben.

Ausdruckseite 10 von 15 sind 53. Dies widerspricht nicht nur dem klaren Wortlaut der Norm, sondern würde auch zu einer rechtsstaatlich nicht haltbaren Unbestimmtheit führen. In der Literatur wird vertreten, dass der Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 1 E-MAC hinter jenem der BEPS-Vorlage zurücksteht 54. So sei der Austausch gestützt auf das Amtshilfeabkommen nur möglich, wenn die Vermutung einer Steuerverkürzung oder Nichtbesteuerung im Ausland bestehe, z.b. wenn Verrechnungspreise nicht OECDkonform ausfallen oder die Betriebsstättenausscheidung nicht nach den anerkannten Grundsätzen erfolgt 55. Der Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 E-MAC fällt jedoch äusserst vage aus 56. U.U. dürfte die blosse Möglichkeit einer Steuerersparnis (vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. c E-MAC) genügen, die sich bei international geführten Unternehmen nie ganz ausschliessen lässt, zumal Steueroptimierung eine unternehmerische Pflicht darstellt. Jedenfalls ist derzeit kaum absehbar, wie die Konkretisierung der Fallgruppen effektiv ausfallen wird. Von der spontanen Amtshilfe nicht erfasst sein dürften immerhin Informationen, die einzig im landesinternen Verhältnis von Belang sind, sowie Informationen, über die der andere Vertragsstaat bereits verfügt, und solche, die bereits verjährte Steuer(straf)ansprüche betreffen. Derartiges muss für die auskunftserteilende Behörde aber auch erkennbar sein. Die Gefahr, dass letztlich sämtliche Informationen erteilt werden, die für die anderen Vertragsstaaten nicht offensichtlich unerheblich sind, lässt sich nicht von der Hand weisen. Im Unterschied zur BEPS-Vorlage beschränkt StR 71/2016 S. 380, 389 sich der Anwendungsbereich des Amtshilfeabkommens jedenfalls nicht auf Steuerrulings, die in eine der (derzeit) fünf Kategorien fallen. Auch ist der Austausch im Gegensatz zum AIA nicht auf Finanzdaten beschränkt. C Nur vorhandene Informationen Wie bereits dargelegt, sind nur «bekannte» (Art. 7 Abs. 1 E-MAC) resp. «vorhandene» (Art. 3 lit. d E-StAhiG) Informationen spontan zu übermitteln. Die Behörden dürfen also nicht von sich aus ergänzende Abklärungen vornehmen. Ein Vorgehen nach dem aus dem Rechtshilfebereich bekannten Grundsatz des maximalen Entgegenkommens («utilité potentielle») 57 verbietet sich mithin. III Räumlicher Anwendungsbereich Im Unterschied zum AIA muss der spontane Informationsaustausch nicht jedem Vertragsstaat gegenüber gleichsam «aktiviert» werden. Dieser gehört vielmehr zum verpflichtenden Bestandteil des multilateralen Abkommens, d.h. die Verpflichtung besteht mit dem Abkommensbeitritt sämtlichen Signatarstaaten gegenüber, für die das Abkommen ebenfalls in Kraft steht. Die Bestimmung des Art. 29 E-MAC, wonach jeder Vertragsstaat befugt ist zu erklären, auf welches Gebiet oder welche Gebiete seines Territoriums das Amtshilfeübereinkommen anwendbar ist, erlangt keine Bedeutung für die Schweiz diese Regelung zielt einzig auf Staaten mit 53 STOCKER/FROSS/FUCHS (FN 13), S. 253. Widersprüchlich erscheinen demnach die Ausführungen auf S. 254, wonach Art. 7 Abs. 1 E-MAC für die spontane Amtshilfe hohe Hürden setze und zumindest eine Vermutung der Steuerverkürzung oder Nichtbesteuerung voraussetze. 54 Laut STOCKER/FROSS/FUCHS (FN 13), S. 255 ff., handelt es sich um eine «Light-Version». Siehe auch OESTERHELT (FN 13), S. 288. 55 Vgl. STOCKER/FROSS/FUCHS (FN 13), S. 256 f.; OESTERHELT (FN 13), S. 288. 56 Was unter dem Legalitätsprinzip heikel erscheint. Siehe auch JÄGGI/MALLA (FN 13), S. 268. 57 Vgl. dazu etwa ANDREAS DONATSCH/STEFAN HEIMGARTNER/FRANK MEYER/MADELEINE SIMONEK, Internationale Rechtshilfe unter Einbezug der Amtshilfe im Steuerrecht, 2. Aufl., Zürich 2015, S. 19, 93; PETER POPP, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, Basel 2000, N 189 ff., 409.

Ausdruckseite 11 von 15 Überseegebieten ab 58. Die BEPS-Vorlage würde übrigens weniger weit gehen: Rulings sind nur mit ausgewählten Staaten auszutauschen, nämlich mit den Ansässigkeitsstaaten der Mutter- und Topgesellschaften sowie u.u. mit den Ansässigkeitsstaaten von nahestehenden Gesellschaften 59. 7 Form der Übermittlung Nach Art. 22a Abs. 5 E-StAhiG kann das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) die Ver- StR 71/2016 S. 380, 390 wendung bestimmter Formulare vorschreiben und Weisungen erlassen, etwa dass gewisse Formulare elektronisch einzureichen sind 60. Die BEPS-Vorlage ist diesbezüglich konkreter: Vorgesehen ist ein zweistufiges Verfahren. In einem ersten Schritt sind dem Empfängerstaat lediglich eine Zusammenfassung sowie die Schlüsselinformationen des Rulings bekanntzugeben, wofür auch bereits eine Mustervorlage existiert 61. Auf dieser Basis entscheidet die empfangende Behörde, ob sie in einem zweiten Schritt das Ruling selbst herausverlangt. Wie die sprachlichen Hürden genommen werden, ist derzeit offen. Sollte sich die automatische Meldepflicht auf die Übermittlung eines standardisierten Formulars beschränken, tut der Steuerpflichtige gut daran, den Behörden bei dessen Ausfüllung behilflich zu sein, wodurch sich die Übermittlung etwaiger sensibler Informationen jedenfalls vorerst unterbinden lässt. Gespannt sein darf man ausserdem auf die «Sprachenregelung». Gemäss BEPS- Schlussbericht ist das Formular «idealerweise» in einer der offiziellen Sprachen der OECD (Englisch oder Französisch) oder einer anderen bilateral vereinbarten Sprache auszufüllen 62. Falls dies nicht möglich ist («Where this is not possible»), darf die Amtssprache des auskünfteerteilenden Staates verwendet werden. In welchen Fällen sich die Staaten auf Letzteres berufen können, erscheint fraglich, denn geradezu «unmöglich» dürfte eine Übersetzung kaum je sein. 8 Grenzen der spontanen Amtshilfe Die Grenzen der Amtshilfeverpflichtung werden in Art. 21 E-MAC gezogen sie stimmen grundsätzlich mit denjenigen nach Art. 26 Abs. 3 OECD-MA überein, weshalb sie laut Botschaft auch entsprechend auszulegen sind 63. Vorbehalten bleiben insbesondere das Recht und die Verwaltungspraxis der beiden Vertragsstaaten, Wirtschafts- und Berufsgeheimnisse, der ordre public, auch darf es infolge der Amtshilfeleistung nicht zu einem Verstoss gegen allgemein anerkannte Besteuerungsgrundsätze oder Doppelbesteuerungsabkommen etc. kommen. 58 Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5620. 59 Vgl. BEPS-Schlussbericht zu Aktionspunkt 5, S. 52. Nahestehende Gesellschaften sind solche, an denen eine direkte oder indirekte Beteiligung von mindestens 25% besteht. 60 Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5628. 61 Vgl. BEPS-Schlussbericht zu Aktionspunkt 5, S. 54, sowie Formular im Anhang C (S. 74 ff.). 62 Vgl. Anhang C des BEPS-Schlussberichts zu Aktionspunkt 5, S. 75, 79 (auch zum Folgenden). 63 Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5613. Vgl. hierzu ausführlich OPEL (FN 29), S. 417 ff.

Ausdruckseite 12 von 15 9 Rechtsschutzüberlegungen I Rechtliches Gehör Wie bereits gezeigt, ist grundsätzlich eine Notifikation der Betroffenen vor der spontanen Datenweitergabe vorgesehen (Art. 22b Abs. 1 E-StAhiG). Ausnahmsweise erfolgt die Information erst im Nachhinein. Hierbei handelt es sich um eine rechtsstaatlich äusserst problematische Regelung 64, da dem Betroffenen der Rechtsweg faktisch abgeschnitten wird (dazu sogleich 9II). Das Verfahren der nachträglichen Information soll gemäss Art. 22b Abs. 2 E-StAhiG greifen, «wenn der Zweck der Amtshilfe und der Erfolg einer Untersuchung durch die vorgängige Information vereitelt würden». Die Ausnahmeregelung entspricht somit jener im Bereich der Ersuchensauskunft. Die Interessenlagen sind indes nicht vergleichbar. Da spontane Amtshilfe nicht auf ein Gesuch hin erfolgt und damit nicht im Rahmen einer laufenden Untersuchung durch den ausländischen Staat, besteht insoweit auch keine für die hiesigen Behörden ersichtliche Vereitelungsgefahr. Die spontane Übermittlung beruht auf einer blossen Vermutung der möglichen Erheblichkeit, ohne dass die Notwendigkeit des Datentransfers erwiesen wäre. Es ginge m.e. zu weit, den behördlichen Ermessensspielraum auch noch auf die Gewährung des rechtlichen Gehörs zu erweitern, zumal es sich um eine verfassungsrechtliche Verfahrensgarantie handelt 65. Hinzu kommt, dass für die Ausübung des Ermessens keine wirklichen Orientierungsgesichtspunkte vorhanden sind. Der in der Botschaft erteilte Rat, wonach sich EStV «in die Lage der auslän- StR 71/2016 S. 380, 391 dischen Behörde» versetzen müsse 66, hilft auch nicht viel weiter. Überdies entfällt bei der spontanen Amtshilfe das Ermittlungsverfahren, wodurch die Kollusionsgefahr ohnehin herabgesetzt ist. Angesichts dessen lässt sich m.e. das Verfahren der nachträglichen Information im Bereich der spontanen Amtshilfe noch weniger begründen als im Bereich der Ersuchensauskunft 67. Hinzu kommt, dass dieser Vorbehalt über das international Geforderte hinausgehen dürfte, auch wenn der Bundesrat offenbar gegenteiliger Ansicht ist 68. Ausführungen hierzu finden sich im OECD-Musterkommentar zu Art. 26 OECD-MA. Dort heisst es sinngemäss, dass die Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht dazu führen soll, dass angesichts der besonderen Umstände des Ersuchens dies die Bemühungen des ersuchenden Staates torpedieren würde 69. Die Forderung der OECD nach Ausnahmen von der vorgängigen Gehörsgewährung bezieht sich folglich eindeutig auf die Ersuchensauskunft. Dasselbe im Bereich der spontanen Amtshilfe vorzusehen, leuchtet wie gezeigt schon von der Sache her nicht ein. Selbst in der BEPS-Vorlage wird ohne Weiteres akzeptiert, dass Staaten die Erteilung von Spontanauskünften von einer vorgängigen Gehörsgewährung abhängig machen können 70. 64 Vgl. zum Ganzen ANDREA OPEL, Amtshilfe ohne Information der Betroffenen eine rechtsstaatlich bedenkliche Neuerung, ASA 2014/15, S. 265 ff. 65 Art. 29 Abs. 2 BV. 66 Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5628. 67 Vgl. zum Ganzen auch OPEL (FN 64), S. 291. 68 Vgl. Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5628. Eine Begründung fehlt. 69 OECD-MK 2014 zu A14.26, Ziff. 14.1: «Notification procedures should not, however, be applied in a manner that, in the particular circumstances of the request, would frustrate the efforts of the requesting State» (Hervorhebung hinzugefügt). 70 Vgl. BEPS-Schlussbericht zu Aktionspunkt 5, S. 55 (Ziff. 134).

Ausdruckseite 13 von 15 II Rechtsweg Gemäss Art. 22d E-StAhiG gelten im Bereich der spontanen Amtshilfe dieselben Verfahrensvorschriften wie im Bereich der ersuchensabhängigen Amtshilfe. Die EStV hat grundsätzlich eine Schlussverfügung zu erlassen. Dadurch wird ein Anfechtungsobjekt geschaffen, das den Betroffenen den Rechtsmittelweg ans Bundesverwaltungsgericht 71 und ggf. 72 ans Bundesgericht öffnet. Indem der Gesetzgeber die EStV auf verfügungsmässiges Handeln verpflichtet, trägt er den Rechtsschutzinteressen der Betroffenen Rechnung. Das ist besonders wichtig, weil Amtshilfeleistungen ihrer Natur nach dem tatsächlichen Verwaltungshandeln zuzuordnen sind 73. Gerade bei der ersuchensunabhängigen Amtshilfe liegt verfügungsfreies Handeln besonders nahe, da die Behörden von sich aus tätig werden (ohne ein Ersuchen prüfen und einen Eintretensentscheid fällen zu müssen). Das zeigt sich etwa an der geplanten Regelung zum automatischen Informationsaustausch eine allge- StR 71/2016 S. 380, 392 meine Beschwerdemöglichkeit besteht dort nicht 74, was rechtsstaatlich betrachtet einigermassen schockierend ist. Das Verfahren der nachträglichen Information indes beraubt den Betroffenen jeglichen wirksamen Rechtsschutzes, was sich an der verfassungs- und völkerrechtlich verankerten Rechtsweggarantie stösst 75. Sind die Informationen erst einmal übermittelt, kann nur noch ein Feststellungsurteil erwirkt werden, dessen Wirkung sich regelmässig in der Verschaffung von Genugtuung erschöpft 76. Wirksamer Rechtsschutz hat rechtzeitig einzusetzen, dies insbesondere im grenzüberschreitenden Amtshilfeverfahren 77. Denn «wenn die Daten einmal ins Ausland übermittelt wurden, kann in der Regel nicht mehr erreicht werden, dass von ihnen kein Gebrauch gemacht wird» 78. 10 Datenschutzüberlegungen In Art. 22 E-MAC wird die Geheimhaltung der erlangten Informationen geregelt. Dabei gilt grundsätzlich, dass der empfangende Staat alle Informationen ebenso geheim zu halten und zu schützen hat wie solche, die nach internem Recht erlangt 71 Art. 19 StAhiG. 72 Nach Massgabe von Art. 84a des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG), SR 173.110. 73 Vgl. OPEL (FN 29), S. 501 ff. 74 In Art. 19 Abs. 1 E-AIA-Gesetz (BBl 2015 5565 ff., 5577) werden in Bezug auf die gesammelten Informationen und auf deren Übermittlung vielmehr global die Rechte nach dem Datenschutzgesetz (DSG; SR 235.1) vorbehalten. So umfassend ist diese Verweisung indes doch nicht zu verstehen, wie in Abs. 2 der Bestimmung klargestellt wird. Demnach können meldepflichtige Personen gegenüber der EStV ausschliesslich das Auskunftsrecht nach Art. 8 DSG geltend machen und verlangen, dass unrichtige Daten, die auf Übermittlungsfehlern beruhen, berichtigt werden (Art. 5 Abs. 2 DSG). Das Fehlen einer allgemeinen Beschwerdemöglichkeit wird in der Botschaft mit dem fehlenden Ermessensspielraum der meldenden schweizerischen Finanzinstitute und der EStV begründet (vgl. BBl 2015 5437 ff., 5504 f.). Den Betroffenen müsste m.e. aber immerhin das Verfahren nach Art. 25a des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVG; SR 172.021) zugestanden werden, wonach sich bei Vorhandensein von schutzwürdigen Interessen u.u. Verfügungen über Realakte erwirken lassen, die sodann anfechtbar sind. 75 Vgl. Art. 29a BV sowie Art. 13 EMRK. Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II beschränken sich auf zivil- und strafrechtliche Streitigkeiten und kommen nach geltender Praxis im Amtshilfeverfahren nicht zum Tragen. 76 Vgl. OPEL (FN 29), S. 498 f., 539 f.; DIES. (FN 64), S. 274, 287. 77 Vgl. zum Ganzen OPEL (FN 29), S. 498 f.; DIES. (FN 50), S. 273 ff. 78 BGE 139 II 404, E. 4.3.

Ausdruckseite 14 von 15 worden sind. Sollte dies für die Sicherstellung des erforderlichen Schutzniveaus der personenbezogenen Daten notwendig sein, kann der erteilende Staat die Schutzbestimmungen nach seinem internen Recht als massgeblich bezeichnen. Art. 5a E-StAhiG statuiert eine entsprechende Befugnis zuhanden des Bundesrats. Es handelt sich hierbei jedoch um eine blosse Kann-Bestimmung. Zu Recht wurde im Vernehmlassungsverfahren gefordert, die Berechtigung zu einer Verpflichtung zu verdichten, wenn der Partnerstaat über keine adäquate Datenschutzgesetzgebung verfügt. Auch ohne explizite Regelung ist in diesem Fall m.e. jedoch von einer grundrechtlichen Schutzpflicht auszugehen, die den Bundesrat zum Tätigwerden anhält 79. Gemäss Botschaft zum Amtshilfeabkommen scheint sich der Bundesrat jedoch grosse Zurückhaltung auferlegen zu wollen 80. Grundsätzlich würden alle Staaten spezifische Datenschutzvorschriften für Steuerdaten kennen, da allgemein anerkannt sei, dass solche Daten speziell zu schützen seien 81. Abzustellen sei auf die bisher gesammelten Erfahrungen sowie auf die Beurteilungen im Rahmen der Peer Reviews durch das Global Forum. Zusatzvereinbarungen rechtfertigen sich nach Ansicht des Bundesrats daher nur in bestimmten Fällen. Es scheint somit absehbar, dass die Ermessensausübung vorwiegend in den Dienst eines möglichst effektiven Informationsaustauschs und weniger in den Schutz der Betroffenen gestellt wird, gerade angesichts der «amtshilfefreudigen» Haltung der hiesigen Behörden. 11 Fazit und kritische Würdigung Wie dargelegt, wird die Schweiz in Bälde Hand zu einem weitgehend automatisierten spontanen Informationsaustausch bieten. Der Anwendungsbereich des Amtshilfeübereinkommens greift dabei beträchtlich über den BEPS-Standard hinaus 82, indem er sich weder auf juristische Personen beschränkt noch auf (BEPS-erhebliche) Rulings. Eine klare Grenze lässt sich derzeit immerhin ziehen: Es dürfen nur vorhandene Informationen übermittelt werden; ergänzende Nachforschungen sind nicht statthaft. Somit wird zugunsten der ausländischen Fisci überspitzt formuliert zwar Denunziantentum verlangt, nicht aber eigentliches Spitzeltum. Der spontane Informationsaustausch hat sich weit vom ursprünglichen Ziel entfernt, nämlich als Instrument zur Aufklärung von Steuerdelikten in konkreten Verdachtsfällen zu dienen. Unter grundrechtlichen resp. Verhältnismässigkeitsgesichtspunkten erscheint dies äusserst kritisch. Der spontanen Amtshilfe ist zufolge des Verzichts auf ein StR 71/2016 S. 380, 393 Ersuchen die gesteigerte Gefahr inhärent, dass über das Erforderliche hinausgehende Auskünfte erteilt werden. Dies würde an sich für einen eng gefassten Anwendungsbereich sprechen. Rechtfertigen liesse sich die Erteilung von Spontanauskünften m.e. nur durch besonders gewichtige öffentliche Interessen, namentlich das Strafverfolgungsinteresse (jedoch nicht reine Fiskalinteressen 83 ). Folglich müsste der konkrete Verdacht auf ein (einigermassen gewichtiges) Steuerdelikt zur Bedingung erhoben werden 84. Damit hebt sich die spontane 79 Vgl. OPEL (FN 29), S. 226 f. 80 Botschaft zum E-MAC, BBl 2015 5585 ff., 5615. 81 Insbesondere sei die Liste des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten deshalb nur beschränkt aussagekräftig: Botschaft zum E-MAC, a.a.o. 82 Mag wie gezeigt in einzelnen Punkten aber auch dahinter zurückstehen: 6II.B. 83 Zumal umstritten ist, ob diese überhaupt zu denjenigen öffentlichen Interessen zu zählen sind, die Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen vermögen. 84 So wird das übrigens auch im deutschen Schrifttum vertreten, wo die Diskussion bereits in den 80er- Jahren des 20. Jahrhunderts geführt wurde, inzwischen aber versiegt ist. Vgl. die Nachweise bei OPEL (FN 29), S. 403.

Ausdruckseite 15 von 15 Amtshilfe, die notabene spontane Steuerstrafrechtshilfe einschliesst, übrigens auch von der spontanen Rechtshilfe ab, für die das Rechtshilfegesetz 85 seit mehr als einem Jahrzehnt eine Rechtsgrundlage enthält: Vorausgesetzt wird dort eine bereits eröffnete Strafuntersuchung in der Schweiz und damit ein hinreichender Tatverdacht 86. Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem neuen Amtshilfeinstrument scheint jedoch müssig, da der breite Anwendungsbereich international eingefordert und für die Schweiz damit quasi unausweichlich wird. Zweifelhaft ist jedoch, ob dies auch für das Verfahren der nachträglichen Information gilt, mit dem die Rechtsschutzinteressen der Betroffenen wie aufgezeigt preisgegeben werden. Hier hätte m.e. ein «rechtsstaatlicher» Pflock eingeschlagen werden müssen. Wie auch immer, noch bevor eine vertiefte Reflexion einsetzen kann, wird das Instrument der spontanen Amtshilfe bereits zum schweizerischen Rechtsbestand gehören und kraft Art. 190 BV gegenüber einer verfassungsrechtlichen Überprüfung gleichsam «immun» sein. 85 Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG) vom 20. März 1981, SR 351.1. 86 Vgl. Art. 67a Abs. 1 IRSG. Auch wenn dies vom Bundesgericht contra verba legis und im Widerspruch zur herrschenden Lehre neuerdings relativiert wird: BGE 140 IV 123, insb. E. 5.