Rechtswissenschaftliches Institut. Willkürverbot/Treu und Glauben
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- Bastian Fried
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1 Willkürverbot/Treu und Glauben
2 Willkürverbot (Art. 9 BV) Sachlicher Schutzbereich Willkürverbot schützt vor willkürlichem Verhalten der Behörden, unabhängig vom betroffenen Lebensbereich oder Rechtsgebiet in Rechtsetzung und Rechtsanwendung Willkür in der Rechtsetzung Erlass ist willkürlich, wenn er sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützen lässt oder sinn- und zwecklos ist sinn- und zwecklos sind Gesetze, die an einer tiefgreifenden Widersprüchlichkeit leiden Seite 2
3 Willkürverbot (Art. 9 BV) Sachlicher Schutzbereich Willkür in der Rechtsanwendung wenn «der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft.» Konstellationen 1. Auslegung und Anwendung von Rechtssätzen 2. Ausübung von Ermessen 3. Feststellung des Sachverhalts Seite 3
4 Willkürverbot (Art. 9 BV) Sachlicher Schutzbereich 1. Auslegung und Anwendung von Rechtssätzen Willkür liegt vor, wenn die Behörde a. ohne triftige Gründe von einem klaren Wortlaut abweicht b. der anzuwendenden Norm einen Sinn beimisst, der sich durch kein anerkanntes Auslegungselement stützen lässt c. mit der Auslegung und Anwendung unumstrittene höherrangige Normen oder Rechtsgrundsätze klar verletzt d. in sich tiefgreifend widersprüchliche Verfügungen oder Entscheidungen trifft oder e. einen klaren Subsumtionsfehler begeht Seite 4
5 Willkürverbot (Art. 9 BV) Sachlicher Schutzbereich 2. Ausübung von Ermessen Willkür liegt vor, wo der Ermessensentscheid sich a. Nicht auf sachliche Gründe stützt b. Klar gegen unumstrittene höherrangige Normen oder Rechtsgrundsätze verstösst oder c. schikanös oder klar ungerecht ist Seite 5
6 Willkürverbot (Art. 9 BV) Sachlicher Schutzbereich 3. Feststellung des Sachverhalts Willkür liegt vor, wenn a. Sachverhaltsfeststellungen klar den Tatsachen widersprechen oder b. Beweiswürdigungen im Lichte der Tatsachen nicht haltbar sind. Seite 6
7 Willkürverbot (Art. 9 BV) Einschränkungen Keine Einschränkung zulässig Botschaft Bundesverfassung, BBl 1997 I S. 144: «kein öffentliches Interesse, und sei es noch so stark, rechtfertigt eine willkürliche Handlung des Staates.» Schutzbereich = Kerngehalt (Art. 36 Abs. 4 BV) Seite 7
8 Bundesgericht: Willkürliches Urteil des Bezirksgerichts Dietikon und des Obergerichts (BGer. 6B_1024/6B_1033/2015, Urt. v ) - «Willkür liegt [ ] vor, wenn der angefochtene Entscheid auf einer schlechterdings unhaltbaren Beweiswürdigung beruht, d.h. wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen.» - «Der Schluss der Vorinstanz von der durch den Beschwerdegegner eingereichten verstümmelten Originalquittung auf die Verheimlichung eines unerlaubten körperlichen Übergriffs durch die Beschwerdeführer ist mit sachlichen Gründen nicht haltbar.» - Zunächst ist schon unerfindlich, weshalb nur die Beschwerdeführer als Urheber der Verstümmelung in Frage kommen sollten. Die Vorinstanz schliesst dies daraus, dass die Beschwerdeführer ihre Identifizierung hätten behindern wollen. Damit setzt die Vorinstanz als erstellt voraus, was erst zu beweisen wäre.» Seite 8
9 Bundesgericht: Willkürliches Urteil des Bezirksgerichts Dietikon und des Obergerichts (BGer. 6B_1024/6B_1033/2015, Urt. v ) - «Selbst wenn die Beschwerdeführer als Urheber der Verstümmelung der Bussenquittung in Frage kämen, liesse sich daraus nicht zwingend ableiten, sie hätten sich eines unerlaubten Übergriffs auf den Beschwerdegegner schuldig gemacht und hätten diesen verheimlichen wollen.» - «Bei dieser Ausgangslage erweist sich das angefochtene Urteil in Bezug auf die Schuldsprüche der mehrfachen Amtsmissbrauchs und der einfachen Körperverletzung als willkürlich.» Seite 9
10 Schutz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) Persönlicher Schutzbereich Alle natürlichen und juristischen Personen Sachlicher Schutzbereich Keine generelle Definition von Treu und Glauben, sondern Fallgruppen: o Schutz des Vertrauens in behördliche Auskünfte und Zusicherungen o Verbot des Rechtsmissbrauchs o Verbot widersprüchlichen Verhaltens o Grundsatz: Nur Anwendung auf Rechtsanwendung, nicht auf Rechtsetzung (Gesetzgeber) Ausnahme: Echte Rückwirkung = Anwendung von Normen auf in der Vergangenheit abgeschlossene Sachverhalte nur bei überwiegendem öffentlichem Interesse zulässig Seite 10
11 Schutz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) Vertrauensschutzprinzip «Nach dem in Art. 9 BV verankerten Grundsatz von Treu und Glauben kann eine (selbst unrichtige) Auskunft, welche eine Behörde dem Bürger erteilt, unter gewissen Umständen Rechtswirkungen entfalten. Voraussetzung (...) dafür ist, dass: a) es sich um eine vorbehaltlose Auskunft der Behörden handelt; b) die Auskunft sich auf eine konkrete, den Bürger berührende Angelegenheit bezieht; c) die Amtsstelle, welche die Auskunft gegeben hat, hiefür zuständig war oder der Bürger sie aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte; d) der Bürger die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres hat erkennen können; e) der Bürger im Vertrauen hierauf nicht ohne Nachteil rückgängig zu machende Dispositionen getroffen hat; f) die Rechtslage zur Zeit der Verwirklichung noch die gleiche ist wie im Zeitpunkt der Auskunftserteilung; g) das Interesse an der richtigen Durchsetzung des objektiven Rechts dasjenige des Vertrauensschutzes nicht überwiegt». Seite 11
12 Schutz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) Vertrauensschutz gegenüber dem Gesetzgeber Grundsätzlich sind rechtsetzende Normen im Verfahren der Gesetzgebung jederzeit abänderbar - Aber gewisse Schranken: - Rückwirkungsverbot - Übergangsfristen - Wohlerworbene Rechte (=Ansprüche, welche von der gesetzlichen Entwicklung nicht betroffen sind) - Verbot von rückwirkenden Strafnormen Seite 12
13 Schutz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) Einschränkungen o Treu und Glauben keiner Einschränkung zugänglich o Schutzbereich = Kernbereich (Art. 36 Abs. 4 BV) Ausführliche Behandlung in der Vorlesung Allgemeines Verwaltungsrecht Seite 13
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