plötzlich ein Mann mit Ziegenbart neben mir. Eine übel zugerichtete Kollegin hatte missmutig den Laden betreten.»hab mich geprügelt. Mit so ner Nuttä!«Die Frau war um die fünfzig. Sie hatte ein violettes Auge und eine Wunde über der Hakennase. Ich musste an die Szene in Kill Bill denken, in der Uma Thurman einem Sarg entsteigt und total verstaubt eine Kneipe betritt.»scheiße!«, raunzte ein Vollbart mit Zopf.»Egal!«, bellte Beate.»Ich hab ihr dafür voll mit de Stiefels inne Fotze getreten.«plötzlich hatte ich eine Erscheinung. Diese Beate leuchtete wie eine Neonreklame für Michelin-Reifen und bewegte sich in Zeitlupe, wie in einem überstrahlten Stummfilm, bei dem sich die Hitze des Projektors langsam durch die Bilder frisst. Die Truckerin kam mir auf einmal wie ein vollkommenes, göttliches Wesen vor. Ich
erkannte die gesamte Macht eines unermesslichen Schöpfers in dieser ramponierten Frau. Ich hatte die wichtigste Lehre unseres Gurus in absoluter Vollkommenheit begriffen: Gott macht vor nichts halt. In diesem Moment wurde mir plötzlich alles klar: Würde ich derbe Frauen mit geschwollenen Augen, Narben und Tätowierungen anhimmeln, wäre Beate mein Guru. Es war eine gesellschaftliche Konvention, dass ich an die Göttlichkeit eines zotteligen Inders glaubte. Nirgends stand geschrieben, wie ein Erleuchteter auszusehen hatte oder wo er herkommen müsste. War der ganze Erleuchtungs- Hokuspokus nur eine Illusion? Der Guru hätte mir zugestimmt, dass Beate genauso erleuchtet war wie er selbst. Auch hätte er zugegeben, dass sie bestimmt besser
Fußball spielen konnte. Wozu also dieses Theater um den Guru, dieses Huldigen, diese Erhöhung? Ich schaute Beate vollkommen selbstverloren, erleuchtet und ein bisschen verliebt an.»was n mit dem?«, fragte Beate meinen ziegenbärtigen Nachbarn.»Is n Heiliger oder so«, antwortete er nicht ohne Respekt. Ich trank Schluck um Schluck meinen Kaffee aus und sagte beim Hinausgehen:»Danke, Beate. Danke!«Ich schritt mit möglichst viel Würde über den verregneten Asphalt, als ich den Guru im Tankstellenshop entdeckte. Er stand vor einem Fußball, der an einem Faden von der Decke hing. Der Ball hieß nicht Teamgeist, sondern Bolzmann und trug das Tankstellen- Logo wie ein Tattoo auf seiner Lederhaut. Als der Guru sah, dass ich ihn beobachtete, setzte er ein Lächeln auf und winkte mich zu sich.»very dangerous is it, those toys?«ob solche
Spielzeuge gefährlich wären, fragte er in seiner eigentümlichen Aussprache und der indischen Grammatik.»Es kommt drauf an, wer sie benutzt«, erwiderte ich. Er schaute mich scheinbar verwundert an. Aber dann wirkte es, als blickte er durch mich hindurch. Oder gar in mich hinein. Obwohl es brütend heiß war, lief ein eiskalter Schauer meinen Rücken hinunter. Der Guru wandte sich ab. Ich blieb verwirrt zurück. Welche Macht hatte der Guru über Menschen, insbesondere über mich? Wie weit trug mein Glaube an seine übersinnlichen Fähigkeiten zu dem Schauer bei? Was hatte er wirklich drauf? Wenn er Gott war, sollte seine Göttlichkeit gefälligst auf mich abfärben. Davon war nichts zu spüren. Jahre später muss ich mir und allen anderen eingestehen, dass ich den Guru
liebte. Ich bewunderte ihn. Und ich hasste ihn. Ich war eifersüchtig und neidisch. Ich gierte nach seiner Erleuchtung. Seine Wollust und Maßlosigkeit machten mich wütend. Sein Hochmut und seine Faulheit widerten mich an. Seine Großzügigkeit ließ mich meinen eigenen Geiz erkennen. Ich projizierte alle extrem menschlichen Gefühle auf ihn. Er bildete den Mittelpunkt meines Lebens. Alles hing nur von ihm ab. Wie schrecklich. Alle Namen in diesem Buch, die in direkter Verbindung mit dem Ashram stehen, habe ich geändert; denn erstens weiß ich jetzt, wozu der Guru und seine Gefolgschaft fähig sind, zweitens wahre ich damit die Privatsphäre der auftretenden Personen und drittens möchte ich mit diesem Buch niemanden verletzen oder gar bekehren. Ein paar Belege aus der Zeit mit ihm gibt