Internationaler Terrorismus: Wie können Prävention und Repression Schritt halten?

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Transkript:

Internationaler Terrorismus: Wie können Prävention und Repression Schritt halten? BKA-Herbsttagung vom 18. - 19. November 2015 Was treibt jihadistischenterrorismus? eine wissenschaftliche Perspektive zu Ursachen/Einstiegsbedingungen Kurzfassung Prof. Dr. Olivier Roy European University Institute in San Domenico, Fiesole/Italien

Es gibt keine allgemein zugängliche Datenbank über militante Islamisten, die sich in Europa al-qaida oder dem IS anschließen. Eine quantitative Analyse ist daher wissenschaftlich schwer durchführbar; es gibt jedoch zahlreiche individuelle Lebensgeschichten, die den Weg zur Radikalisierung beschreiben. Tatsächlich sind die meisten Kämpfer, die sich diesen Organisationen angeschlossen haben, identifiziert; außerdem sind ihre Lebensläufe und Hintergründe recht gut dokumentiert, nicht nur durch polizeiliche Ermittlungen, sondern auch durch Journalisten. In Frankreich zum Beispiel waren MERAH, die Brüder KOUACHI sowie KOULIBALY der Polizei bereits als "radikal" bekannt, bevor sie ihre Taten verübten. Die von uns verwendeten Daten stammen aus den erwähnten öffentlich zugänglichen Quellen. Hinter der Erhebung einzelner Lebensgeschichten steht das Ziel, den Radikalisierungsprozess nachvollziehbar zu machen, um Strategien zur Prävention und Bekämpfung der Radikalisierung umzusetzen. Dieser Prozess besteht aus zwei Schritten: im Erkennen der Radikalisierung des Einzelnen, bevor er eine Tat begeht, sowie im Verstehen der allgemeinen Ursachen der Radikalisierung zwecks Entwicklung eines umfassenderen Konzepts, das auf eine breitere Bevölkerung abzielt. Das Problem besteht darin, dass Radikalisierung offenbar mehr mit individuellen Lebenswegen als mit der Radikalisierung einer ganzen Gemeinschaft zu tun hat, wobei dies allerdings auch eine gute Nachricht ist. Die Untersuchung einzelner Lebenswege ermöglicht es uns, eine Reihe wiederkehrender Muster zu erkennen (aber auch das Fehlen von Mustern, die man eigentlich erwartet hätte). Hierbei bestehen zwei Einschränkungen. Erstens: Auch wenn in ganz Europa gemeinsame allgemeine Muster bestehen, sind diese doch je nach Land unterschiedlich ausgeprägt (beispielsweise haben in Frankreich nur wenige Radikale Verbindungen zu einer Moschee, wohingegen in Österreich das Gegenteil der Fall zu sein scheint). Zweitens gibt es immer Ausnahmen und Sonderfälle. BKA-Herbsttagung 2015 Seite 2 von 6

Und damit stellt sich die erste Frage: Können wir ein allgemeines Bild des radikalen Islamisten zeichnen? Können wir die Bedingungen und Umstände definieren, unter denen er sich radikalisieren könnte? Gibt es soziologische, psychologische und kulturelle Muster, die radikale Personen kennzeichnen? Zusammenfassend lässt sich festzuhalten: 1) Es bestehen keine speziellen psychiatrischen oder psychologischen Muster in Bezug auf radikale Personen. Manche stammen aus zerrütteten, andere aus "normalen" Familien. Frustration und Ressentiments gegenüber der Gesellschaft scheinen die einzigen "psychologischen" Merkmale zu sein, die alle gemeinsam haben. 2) Es existiert auch kein gemeinsamer soziologischer Hintergrund; genauer gesagt haben radikale Muslime den soziologischen Hintergrund, der allen Muslimen der zweiten Generation gemein ist (manche sind nicht integriert, andere haben Bildungsabschlüsse und sind berufstätig); Konvertiten stammen aus unterschiedlichen Milieus (hauptsächlich aus der Arbeiterklasse und der unteren Mittelschicht). 3) Viele waren in der Vergangenheit kleinkriminell oder im Drogenhandel aktiv. Bevor sie "wiedergeborene Muslime" wurden oder zum Islam konvertierten, hatten sie eine gemeinsame "Jugendkultur", die nichts mit dem Islam zu tun hatte. Bei den meisten ist jedoch das gemeinsame Muster einer plötzlichen und schnellen "Rückkehr" (oder zum Übertritt) zur Religion zu beobachten. Es gibt einen klaren "Wendepunkt". 4) Es handelt sich eindeutig um eine Jugendbewegung: Fast alle haben sich zum Leidwesen ihrer Eltern und Verwandten radikalisiert (ein enormer Unterschied im Vergleich zu palästinensischen Radikalen). Zudem handelt es sich um ein "Gruppenphänomen": Die Personen radikalisieren sich im Rahmen eines kleinen Netzwerks aus Freunden, unabhängig davon, unter welchen genauen Umständen sie sich kennenlernen (Nachbarschaft, Gefängnis, Internet oder Sportvereine). Dies bringt sie häufig in Konflikt mit dem traditionellen Familien- und Frauenbild des Islam. Die Gruppen setzen sich aus Personen beider Geschlechter zusammen, wobei Frauen häufig BKA-Herbsttagung 2015 Seite 3 von 6

eine wichtigere Rolle spielen, als sie selbst von sich behaupten (BOUMEDIENE in der Charlie Hebdo-Mörderbande). Sie heiraten untereinander ohne Zustimmung ihrer Eltern. In dieser Hinsicht sind sie eher mit den ultra-linken Gruppen der 1970er Jahre zu vergleichen. 5) Nur sehr wenige dieser Personen haben eine militante Vorgeschichte, weder in politischer (Palästinenserbewegung) noch in religiöser Hinsicht (örtliche Moscheen, Tabligh, Muslimbrüder oder sogar im herkömmlichen Salafismus). Kaum jemand war jemals aktives Mitglied einer örtlichen muslimischen Gemeinde. Entgegen weit verbreiteter Meinung haben sie sich nie für Palästina eingesetzt und (fast) nie Zeit mit den Muslimbrüdern verbracht. Kurz gesagt ist ihre Radikalisierung keine Folge eines langfristigen "Reifungsprozesses" im Rahmen einer politischen Bewegung (Palästinenser, extreme Linke, extreme Rechte) oder in einem islamischen Umfeld. Vielmehr handelt es sich um eine relativ plötzliche, individuelle Hinwendung zur Gewalt, häufig nachdem bereits etwas Anderes versucht wurde (MERAH hatte versucht, in die französische Armee einzutreten). 6) Der ungewöhnlich hohe Anteil von Konvertiten ist systematisch übersehen worden, da er dem (kulturalistischen) Gedanken widerspricht, dass die Radikalisierung Einzelner die Radikalisierung einer frustrierten muslimischen Gemeinschaft widerspiegelt. Der Anteil der Konvertiten ist in Frankreich am höchsten (25%), aber auch überall anderswo beträchtlich. Dies ist keineswegs ein neues Phänomen (bei der ersten Radikalisierungswelle 1995 in Frankreich oder auch bei der Hofstad-Gruppe in Holland war das Muster bereits erkennbar). 7) Ein neueres Muster besteht darin, junge Frauen für Eheschließungen mit "Dschihadisten" anzuwerben, anstatt - wie ihre Vorgänger - den Kampfgeist zu teilen. Der Anteil der Konvertiten an allen angeworbenen Rekruten ist in dieser Kategorie wahrscheinlich am höchsten. Dies hat mit dem Aufbau des "Heldenmythos" zu tun (siehe nächster Punkt). BKA-Herbsttagung 2015 Seite 4 von 6

8) Der wichtigste Beweggrund für junge Männer, in den Dschihad einzutreten, besteht in der Faszination, die von folgendem Mythos ausgeht: "der kleinen Bruderschaft von Superhelden, die für die muslimische Umma Rache nimmt". - Diese Umma ist weltumspannend und abstrakt und niemals an eine nationale Sache geknüpft (weder an Palästina noch an die syrische oder irakische Nation). Im Irak identifizieren sich die ausländischen Freiwilligen nicht mit der örtlichen arabischen Bevölkerung, die sie unterstützen sollen (deshalb brauchen sie entweder "importierte" Ehefrauen oder Sex-Sklavinnen). - Der Mythos wird durch Elemente der modernen Jugendkultur geschaffen, nämlich mithilfe von Videospielen (Call of duty, Assassins). - Er wird nicht nur mittels moderner Technik "inszeniert", sondern auch mit einer sehr zeitgemäßen Ästhetik - insbesondere einer speziellen Gewaltästhetik, die auch an Orten ohne Bezug zum Islam in Szene gesetzt wird ( Columbine, mexikanische Narcos). - Zwei "Figuren" sind dabei von besonderer Bedeutung: der Selbstmordattentäter und der "Chevalier" (Ritter), wobei Ersterer mit einem, wie ich es nenne, "generationstypischen Nihilismus" und Letzterer mit Videospielen in Verbindung zu bringen ist. In beiden Fällen geht es um "Selbstverwirklichung" (als Antwort auf Frustration). Für beide gilt: - Es gibt keine theologische Dimension. Sie verfügen über sehr geringes Islamwissen ( Islam für Dummies ), was ihnen aber egal ist - allerdings spielt die religiöse Mystik eine emotionale Rolle. Wir neigen zu sehr dazu, Religion mit Theologie gleichzusetzen (Was sagt der Islam zum Thema Dschihad?). Sicherlich gibt es in der Art und Weise, wie Radikale ihren Kampf erleben, eine wichtige religiöse Dimension; es handelt sich jedoch nicht um eine ideologische Rationalisierung der Theologie. Nicht Theologie, sondern "Religiosität" steht hier im Mittelpunkt. - Sie sind keine Vorreiter einer europäischen (oder nahöstlichen) muslimischen Gemeinschaft, die sie als Helden betrachten könnte. Im Gegenteil: Sie haben nur BKA-Herbsttagung 2015 Seite 5 von 6

wenige Bezüge zu dieser Gemeinschaft; sie haben mit ihren Familien gebrochen (dass sie verzweifelt versuchen, ihre Familien zum Konvertieren zu bewegen, verdeutlicht den Grad ihrer Entfremdung, nicht ihre Nähe zur Familie) und sind nicht auf Begeisterung gestoßen, außer natürlich bei Gleichgesinnten. Sie nehmen nicht einmal Verbindung zu einer realen muslimischen Gesellschaft in Syrien oder im Jemen auf. Schlussfolgerung: Es ist unsinnig, einen "moderaten Islam" zu fördern, um Radikale zum "herkömmlichen Islam" zurückzubringen. Sie lehnen Mäßigung grundsätzlich ab. Es macht ebenfalls keinen Sinn, die "muslimische Gemeinschaft" dazu aufzufordern, diese Menschen in ein normales Leben zurückzuführen. Menschen, die sie für "Verräter", "Abtrünnige" oder "Kollaborateure" halten, sind ihnen einfach gleichgültig, solange sie sich nicht für denselben Weg entscheiden. Neben der Schaffung eines ausgefeilteren Informationssystems muss es oberstes Ziel sein, den Heldenmythos zu entlarven, der "Erfolgsgeschichte" des vermeintlich unbesiegbaren IS ein Ende zu setzen (u.a. am Boden) und den Islam in Europa als normale Religion erscheinen zu lassen. Kurzum sollte der Umgang mit dem Islam nicht in erster Linie als Sicherheitsproblem gesehen werden: Sonst wird sich die Faszination der "nach einem Motiv suchenden Rebellen" für das, was der Westen als den "Erzfeind" konstruiert, noch verstärken. Anstatt die "Andersartigkeit" hervorzuheben, sollten wir uns um "Normalisierung" bemühen. Radikale hassen normale Menschen. Wenn Imame als muslimische Gefängnisseelsorger eingesetzt werden, sollte dies geschehen, um auf die geistlichen Bedürfnisse der Insassen einzugehen und nicht, um Radikalismus zu bekämpfen. Langfristig wird sich dies auf die Radikalisierung auswirken; um jedoch ernst genommen zu werden, müssen Imame auch Imame bleiben und dürfen nicht zu Hilfspolizisten werden. BKA-Herbsttagung 2015 Seite 6 von 6