Sprachen Heike Dilger Interpretation der Textstelle Ovid, Met. 8, 183-235 Studienarbeit
Ruprecht- Karls-Universität Heidelberg Seminar für Klassische Philologie Fachdidaktik Latein SS 2004 Interpretation der Textstelle Ovid, Met. 8, 183-235 (Dädalus und Ikarus) Heike Dilger Lat./Germ. Lehramt 1
Aufgabe 1: Beschreiben Sie an einem repräsentativen Textabschnitt (Ovid: ca. 10 Verse) die Vorgehensweisen der behandelten Satz- bzw. Texterschließungsmethoden (Konstruieren und Analysieren, Lineares Decodieren, Dreischritt- Methode, ganzheitliches Erschließen nach den Erscheinungen, die die Kohärenz eines Textes bestimmen: Kategorien der Textgrammatik (Textsyntax und Textsemantik). Beim Übersetzen wendet man meistens eine Mischung der behandelten vier Satz- bzw. Texterschließungsmethoden an, denn ich finde, es gibt keine Sätze, die nur auf eine einzige Methode zugeschnitten sind. Ich persönlich kann mich allerdings mit der Drei- Schritt- Methode von Dieter Lohmann nicht so richtig anfreunden, und beim Übersetzen würde ich am ehesten auf sie verzichten. Denn ich fasse nämlich anders als er das Prädikat nicht als ambivalent auf. Deshalb rät Lohmann, jedes Satzglied der Reihe nach zu übersetzen, weil so der Verstehensprozess entlang des Satzfadens sichergestellt würde. Die Information, die das Prädikat beinhaltet, erübrigt sich deshalb für Lohmann nahezu, weil der Inhalt des Satzes schon so gut wie klar sei. Ich hingegen würde genau gegensätzlich zu Lohmann argumentieren und behaupten, dass seine Methode sich nur für solche lateinische Sätze anbietet, die in ihrer Satzstellung dem deutschen Satz nahe kommen. Das sind für mich eben nicht die zyklischen Hauptsätze, da bei ihnen das Prädikat des lateinischen Satzes immer am Schluss steht, was in deutschen Hauptsätzen nur bei zusammengesetzten Verbformen teilweise der Fall ist. Für mich ist das Prädikat Dreh- und Angelpunkt jeden Satzes, und deshalb beginne ich weiterhin bei der Satzanalyse mit dem Prädikat. So wurde es mir auch beigebracht. Lohmanns Methode versagt automatisch bei längeren Satzgefügen, wie noch zu zeigen ist. Für deren Entschlüsselung bietet sich die Methode des linearen Decodierens an, bei der systematisch mit der Sicherung der Grundelemente eines Satzes begonnen wird und nach und nach die weniger wichtigen Satzglieder eingearbeitet werden. Man beginnt mit den Prädikatformen, entscheidet auch mit Blick auf den Modus, wo der Hauptsatz ist, wozu auch die einleitenden Wörter zu beachten sind. Bei abgehackten Teilsätzen und vielen Einschüben dürfte sich das der- Reihe- nach- Übersetzen eventuell als schwierig gestalten, wenn es sich nicht um beiordnende Sätze handelt. Innerhalb der Passage von Daedalus und Icarus (Met. VIII, 183-235) kommen nun keine langen Perioden wie bei Cicero oder anderen Prosaautoren (z.b. Velleius Paterculus) vor. Die längsten Sätze umfassen gerade mal sechs Verse (z.b. V.195-200, V.211-216) Ebenfalls 2
untergliedert schon das Metrum des Epos, der Hexameter, mit vielen Zäsuren die Sätze, was eine Übersetzung, vor allem auch in Kasusfragen, erheblich erleichtert. Die Methode des Konstruierens und Analysierens bildet immer die erste Stufe bei der Satzerschließung. Schon beim Lesen des Satzes setzt man Konstruktionsklammern und ordnet die Konstruktionen zu. Nach der Betrachtung der Prädikate (Tempus, Modus, Person, Numerus, Diathese, eventuelle Valenzen) versucht man, die Einzelelemente innerhalb eines Satzabschnitts zusammenzusetzen. Danach überlegt man, in welchem Verhältnis die Satzabschnitte zueinander stehen, um die Periode richtig übersetzen zu können. Für diesen großen Zusammenhang ist dann, wie schon erwähnt, die Methode des linearen Decodierens heran zu ziehen. Beschreibung der Verse 195-205: Wort für Wort kann man nur bis pericla übersetzen, danach muß man erst einmal das zweite Hauptsatzverb captabat finden, von dessen Akkusativobjekt der eingeschobene, vorzeitige Relativsatz quas vaga moverat aura abhängt. Somit kann man zuerst nach Lohmann verfahren, danach muß man aber konstruieren und den analysierten Abl. Abs. ore renidenti dem Hauptsatzverb captabat zuordnen und ihn nicht auf den erweiterten Infinitiv beziehen. Dieser hängt von ignarus ab, denn der Abl. abs. steht außerhalb dieser Wortklammer, die von ignarus bis pericla reicht. Modo modo verbindet das zweite mit dem dritten Hauptsatzverb mollibat, das vierte, impediebat, wird mit que angehängt. Auch das dritte und vierte Hauptsatzverb sind transitiv und werden durch zwei instrumentale Ablative ergänzt. Dieser letzte Satzabschnitt ist somit nahezu parallel konstruiert, beide Akkusativobjekte und ihre Adjektivattribute stehen durch Hyperbata getrennt voneinander. Allerdings ist in den Klammern jeweils ein anderes Satzglied eingeschlossen, einmal der instrumentale Ablativ, im andern Fall sind es das Genitivattribut und das Verb impediebat. Lusuque opus steht außerhalb dieser Klammer, weil inhaltlich ein Gegensatz besteht: das Spiel des Knaben steht der Arbeit des Vaters beeinträchtigend gegenüber. Wie schon erwähnt, wäre hier Lohmanns Methode wieder denkbar, da die Syntax der Verse 198-200 einfach ist. Das Imperfekt der Hauptsatzverben drückt die Dauer der Verbalhandlungen aus. Die Sätze sind allesamt einfach, auch der nächste macht keine Schwierigkeiten: Im mit postquam eingeleiteten Nebensatz kann der Reihe nach übersetzt werden, da man aufgrund der eindeutigen Kürze im 5. Takt ultima als Nominativ ausmachen kann. Somit bezieht sich ultima auf manus, das mit Blick aufs Prädikatsnomen eindeutig das Subjekt ist. Die Endungsgleichheit von geminas und alas weist beide Wörter als Akkusativformen aus, doch das Akkusativobjekt von libravit ist suum corpus. Das zweite Hauptsatzverb pependit ist intransitiv. 3