Der interessante Fall: Standardchaos?



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Transkript:

AWMF-Arbeitskreis Ärzte und Juristen Tagung 15./16.11.2013 in Bremen Der interessante Fall: Standardchaos? Dr. iur. Volker Hertwig 1

Patientin: 67 Jahre alt Diagnose: Coxathrose rechts Therapie: Hüft-TEP rechts zementfrei 1. Operation 12.09.2008 (CAS-A II, Schaft 5, Pfanne Phönix 50 mm, Inlay PE normal, Kopf 28 mm Keramik) 2

(Röntgenbilder vom 12.09.2008) 3

22.09.2008 (10. postoperativer Tag) Schmerzen bei Mobilisierung 25.09.2008 Beckenübersichtsaufnahme (periprothetische Fraktur) 4

(Röntgenbilder vom 25.09.2008) 5

Röntgen 01.10.2008 / 10.10.2008 / 15.10.2008 Frakturdislokationen 20.10.2008 1.Revisionsoperation Schaftwechsel auf MRP-Schaft (Fa. Brehm, 14 x 260 mm, Verlängerungshülse, Prothesenhals ohne Finne mit Anlage einer Cerclage des Femurs) 6

(Röntgenbilder vom 20.10.2008) 7

(Röntgenbilder vom 20.10.2008) 8

10.02.2009 Röntgendiagnostik (Sinterung des Schaftes, Beinlängendifferenz 4 cm) 9

(Röntgenbild vom 10.02.2009) 10

31.03.2009 2. Revisionsoperation - Auszug aus dem Operationsbericht: Der Brehm-Schaft ist gelockert und kann mühelos entfernt werden Hüft-TEP-Wechsel rechts (200er Brehm-Revisionsschaft Größe 19 mit Corpus Größe M und Kopf Keramik Größe L, 32 mm Durchmesser, in zementfreier Technik, Pfannenwechsel auf 50er Wagner-Stützschale mit Schraubenverankerung sowie einem zementierten 48er PE-Inlay) 11

Privatgutachten vom 02.09.2010 - Indikation zur Revisionsoperation am 25.09.2008 eindeutig instabile Situation Abwarten bis zum 20.10.2008 ist nicht nachvollziehbar - OP vom 20.10.2008 Revisionsschaft weist auf ganzer Länge keinen den Markraum ausfüllenden Anteil auf und ist somit nicht stabil verankert 12

14.11.2011 Klage der Krankenkasse Kosten der 2. Revisionsoperation (rund 8.000,00) 13

20.11.2011 gerichtliches Sachverständigengutachten - Operation vom 12.09.2008: Im axialen Strahlengang ist erkennbar, dass der Schaft zu weit ventral eingebracht wurde und den gelenknahen Oberschenkelknochen nicht vollständig ausfüllt. Das Implantat erscheint unterdimensioniert und zeigt insbesondere im metadiaphysären Übergang kein Kortikaliskontakt und eine valgische Abweichung der Implantatlage Röntgenbilder vom 25.09.2008: Bei Vorliegen einer gelockerten Endoprothese und einer proximalen periprothetischen Femurfraktur ist die operative Therapie die einzige sinnvolle Therapieoption Die Fehleinschätzung des Röntgenbildes ist aus objektiver medizinischer Sicht schlechterdings nicht nachvollziehbar. - Operation vom 20.10.2008 Aufgrund der Belichtung der Aufnahmen lässt sich ein guter Kortikaliskontakt zwischen Prothese und kortikalem Knochen nicht eindeutig feststellen. An mehreren Stellen, insbesondere im axialen Röntgenbild zeigt sich ein Abstand zwischen kortikalem Knochen und Langschaftsprothese 14

Fazit des Gerichtsgutachtens: Ursache für die Sinterung des Hüft-TEP-Schaftes ist sicherlich die unzureichende Primärstabilität des verwendeten Revisionsschaftes im Rahmen der Operation vom 20.10.2008 Die Einschätzung der Primärstabilität und die Verwendung des MRP-Schaftes sind schwierig und bedürfen langjähriger Erfahrung. Sowohl die verwendete Länge des Schaftes als auch das fehlende Ausprobieren und Aufraspeln des Schaftes mit verschiedenen Schäften unterschiedlicher Durchmesser sprechen für eine geringe Erfahrung der Operateure. Aber: Ein Behandlungsfehler durch Verwendung einer unzureichenden Dicke kann hier nicht angelastet werden. 15

Mündliche Anhörung des Sachverständigen am 11.07.2013: - Röntgenbild 25.09.2008 Nach der gängigen Literatur besteht in der Regel keine Möglichkeit, dass diese Prothese wieder fest wird und es wird eine operative Behandlung empfohlen. Die Fraktur und die Sinterung der Prothese nicht zu sehen, halte ich für schlechterdings nicht nachvollziehbar. Die Verzögerung hat allerdings keine relevanten Komplikationen für die 2. Operation verursacht Operation vom 20.10.2008 Es ist viel Erfahrung notwendig für die Entscheidung, welche Schaftgröße gewählt wird Es gibt unterschiedliche Längen. Häufig wird der 200er Schaft genommen. Längere Schäfte sind für wenige Brüche, bei denen ein Knochendefekt bis ganz weit nach unten vorliegt, sinnvoll zu verwenden Ein guter Kontakt ist gegeben, wenn der Schaft auf einer Strecke von 6cm der Kortikalis direkt anliegt. Es sind gewisse Hinweise vorhanden, dass der Schaft nicht ganz optimal eingebracht wurde. Auf den Röntgenbildern ist ein dünner Saum lateral der Kortikalis zu sehen. 16

Fazit des Sachverständigen: Ich persönlich hätte, wenn ich diese Bilder sehe, einen anderen Nagel verwendet, der eine andere Konizität aufweist. Dies nicht zu tun, ist aber nicht behandlungsfehlerhaft. 17

Urteil vom 15.08.2013 Abweisung der Klage Die Kammer schließt sich den Ausführungen des Sachverständigen an. Das am 20.10.2008 verwendete Implantat ist zwar nach der nachvollziehbaren Beurteilung des Sachverständigen nicht optimal eingebracht, was aber nicht als behandlungsfehlerhaft zu werten ist. 18

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 19