Ethik - Geschlecht - Wissenschaft Der "ethical turn" als Herausforderung für die interdisziplinären Geschlechterstudien von Ursula Konnertz, Hille Haker, Dietmar Mieth 1. Auflage mentis 2006 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 89785 434 5 Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG
Einleitung Der seit einigen Jahren zu beobachtende»ethical turn«in den Wissenschaften stellt die interdisziplinären Geschlechterstudien vor eine große Herausforderung: zentrale ethische Begriffe und Konzepte, die auch in der Geschlechtertheorie eine wichtige Rolle spielen, verlangen nicht nur eine vorsichtige und differenzierte Revision, sondern die philosophisch-ethischen Begriffe müssen, und damit potenziert sich die Herausforderung, mit dem transdisziplinären Anspruch der Geschlechterstudien zusammen gedacht werden.»geschlecht«als analytische Kategorie ethischer Forschung muss dabei in einem noch in den Anfängen sich befindenden offenen Arbeitsprogramm von der philosophischen Ethik auf die inter- und transdisziplinäre Ebene der Ethik in den Wissenschaften transferiert werden. Beispiele der Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftskritik, der Biologie, der Hirnforschung, der Theologie und Philosophie, der Reproduktionsmedizin und Gendiagnostik zeigen, dass der»ethical turn«nicht unabhängig von der Analyse konkreter Praxisfelder gelingen kann. Im vorliegenden Band wird daher der Problemzusammenhang von Moralphilosophie, Geschlechterstudien und Wissenschaften in drei unterschiedlichen Themenschwerpunkten beleuchtet: Im interdisziplinären Gespräch werden geschlechtertheoretisch ausgerichtete Ethiken, wissenschaftstheoretische Ansätze in einzelnen Wissenschaften, die mit der Kategorie Geschlecht arbeiten, und Ansätze einer Ethik in den Wissenschaften exemplarisch zusammengeführt. Damit verfolgt dieser Band, der auf ein internationales Symposion des Projekts»Geschlechterstudien und Ethik in den Wissenschaften«an der Universität Tübingen zurückgeht, das Ziel, eine Modifizierung des Konzepts von»ethik in den Wissenschaften«sowie eine Revision traditioneller feministisch-ethischer Ansätze zu erreichen. Der erste Teil des Buches»Geschlechterforschung und Ethik«führt in die komplizierte Beziehung von Geschlechterforschung und Ethik ein. Ausgehend von einer genauen Lektüre eines der letzten Texte von Simone de Beauvoir, dem Artikel»Chatila oder der Fährmanntest«von 1982 werden die Grundbegriffe der existentialistischen Moral, so wie Beauvoir sie in ihrem Frühwerk entworfen hat, mit ihren Ausführungen zur Geschlech-
8 Einleitung terdifferenz in Das andere Geschlecht auf mehreren Textebenen miteinander in Beziehung gesetzt. Damit wird auf die ethische Grundlegung eines der wirkmächtigsten Gründungstexte der Geschlechtertheorie hingewiesen und für das neue Arbeitsprogramm einer Geschlechterethik in den Wissenschaften begrifflich und methodisch ein Anknüpfungspunkt in Beauvoirs Denken aufgezeigt. Im Mittelpunkt der Analyse steht dabei die Re-vision des Begriffs der Situation, dessen Bedeutung für die zeitgenössische Ethik und Geschlechterforschung noch nicht ausgeschöpft ist. Die radikale Ablehnung jeglichen Substanzdenkens als erkenntnistheoretischer Prämisse in ihrem Text ist für Beauvoir zugleich grundlegende ethische Forderung. Ihre zentrale These aus dem anderen Geschlecht von 1949, dass nämlich die Geschlechter als Mann und Frau nicht geboren, sondern erst dazu werden, weist die geschlechterdifferenten (Körper)-Existenzen als den bevorzugten Ort aus, an dem die Geschichtlichkeit der Geschlechterdifferenz und die Grenzen von Kultur und Natur immer wieder neu in Frage gestellt werden. So ist für Beauvoir jedes Denken, jedes Sprechen über die Geschlechterdifferenz in den Geistes- und in den Naturwissenschaften, in der sozialen Welt und in der Literatur und Kunst zugleich immer ein ethisches. Dieses Denken zeigt sich in einer kritischen Haltung, in der Enthaltung oder dem Hinterfragen von gewaltsamen Zuschreibungen, die eine Einschränkung von Freiheit und eine Schließung der Situation bedeuten, beides eine moralische Verfehlung oder ein moralisches Übel. Judith Butlers Adorno-Vorlesungen»Kritik der ethischen Gewalt«, in denen sie einen»ethical turn«vollzogen hat, werden von Christine Hauskeller zum Anlass genommen, die Frage der Subjektkonstituierung in ihrem Verhältnis zur Körperlichkeit und der Struktur des Begehrens neu zu stellen. Butlers Subjektverständnis, das früher, so Hauskeller, die sprachliche Konstruktion in den Mittelpunkt der Überlegungen stellte und dabei die Körperlichkeit nahezu ausblendete, wird in den neuen Arbeiten völlig anders thematisiert. Die ethische Beziehung zur Anderen wird mit Bezug auf Adriana Cavarero aus der frühkindlichen, eben auch körperlichen Begegnung mit einem anderen entwickelt. Ethisch relevant ist die der Subjektwerdung inhärierende»überwältigung«, die von Butler mit Gewalt identifiziert wird. Diese unhintergehbare Gewalt in verschiedenen Formen wird zu einem Schlüsselbegriff von Butlers Ethik eine Ethik, die gerade wegen der Unhintergehbarkeit der Gewalt der Moral auf der Notwendigkeit einer noch auszuarbeitenden Kritik der ethischen Gewalt beharrt. Butlers Buch bietet Anlass zu einer kontroversen Diskussion, etwa über das Verhältnis von Körperlichkeit und Reflexion, von Liebe und Anerkennung, von Besonderem und Allgemeinen, so Christine Hauskeller, oder allgemein von Ethik und Gewalt. Dagegen thematisiert die französische Philosophin und
Einleitung 9 Psychoanalytikerin Monique David-Ménard in ihrer Replik auf Hauskeller die Schwierigkeit, die die psychoanalytische Theorie mit einer zu schnellen Verknüpfung des Subjekts»des Genusses, der Trauer und des Begehrens«mit dem Subjekt der Ethik hat. Damit stellt sie zugleich die Dominanz von Macht und Gewalt im Konstitutionsprozess des Subjekts grundsätzlich in Frage. Brigitte Rauschenbach spitzt die Frage nach Geschlechterforschung und Ethik in zwei Hinsichten zu, wobei sie als heuristische Methode für ihre Argumentation die Vision einer»postgender-gesellschaft«nutzt. Zum einen fordert sie eine feministische Kritik der tragenden Systeme und Institutionen von Politik, Ökonomie und Wissenschaft und warnt vor vorschnellen Erwartungen an die Veränderung dieser Systeme durch die bloße Einbeziehung von Frauen. Hier erweist sich die Vision einer»postgender- Gesellschaft«als Schein, der einzig durch die individualistische Engführung, keineswegs aber durch den Blick auf die tragenden Institutionen nahe gelegt wird. Feministische Kritik an den geschlechtlich strukturierten Institutionen bliebe somit Bestandteil auch der ethischen Kritik. Zum anderen stellt Rauschenbach die Frage, was denn geschehen würde, wenn sich die»postgender-gesellschaft«durchsetzen ließe. Hier knüpft sie an psychoanalytische Vorstellungen von der Wiederkehr des Verdrängten an. In diesem Deutungshorizont verweist die Metapher vom»geist des Vaters«auf die Gefahren seines unbedacht verdrängten Verlustes. Rauschenbach versucht im Anschluss an Derrida die Notwendigkeit des Trauerns auch über den Verlust der von Frauen verkörperten Werte als ethische Dimension im Feminismus fruchtbar zu machen. Die polnische Literaturwissenschaftlerin Boxena Cho«uj nimmt in ihrer kritischen Entgegnung auf Rauschenbach die feministische Kritik an den geschlechtlich strukturierten Institutionen positiv auf, wendet diese aber nun gegen die zentrale These der»postgender-vision«. Nicht Trauerarbeit ist der Ansatz für eine Ausarbeitung einer ethischen Reflexion im Feminismus und der Geschlechterforschung, weil diese nämlich von der Mitverantwortung»für die bestehenden Geschlechterverhältnisse jetzt und hier, was Rauschenbach eigentlich nicht beabsichtigt«, ablenkt. Demgegenüber plädiert Cho«uj für Interventionen in die gegenwärtige Geschlechterpolitik, die ihres Erachtens eher gegen die Auflösung der Geschlechterdifferenz spricht. Im zweiten Themenschwerpunkt»Wissenschaft, Geschichte und Geschlecht«wird die Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftskritik zur Grundlagenreflexion, um die Schnittstelle zwischen Geschlechterforschung und den theoretischen Konzepten und Erkenntnismodellen der Einzelwissenschaften angemessen thematisieren zu können. Dies erweist sich als unverzichtbar für die Theoriebildung der Wissenschaftsethik, welche ihre
10 Einleitung impliziten anthropologischen, moralphilosophischen, epistemologischen und methodologischen Vorannahmen vor allem in der interdisziplinären Zusammenarbeit ausweisen muss. Die französische Philosophin Geneviève Fraisse nähert sich den epistemologischen Fragen, die mit ihrer Bestimmung der Geschlechterdifferenz als»leerer«wissenschaftlicher Kategorie einhergehen, über die beiden Begriffspaare»Identität«und»Differenz«sowie»Gleichheit«und»Freiheit«.»Leer«ist die Kategorie der Geschlechterdifferenz deshalb, weil sie sich einer Definition verweigert. Stattdessen gilt es, so Fraisse, die Historizität der Geschlechterdifferenz an ihren Wirkungen abzulesen. Fraisse zeigt dies paradigmatisch am Wandel des Begriffs der (ontologischen) Gleichheit von der Zeit des vorrevolutionären Frankreichs über das (politische) Gleichheitspostulat der französischen Aufklärung und seiner Verankerung in der französischen Verfassung bis zu den Diskussionen um die»parité«im französischen Parlament am Ende des 20. Jahrhunderts. Sie weist darauf hin, dass dieser Wandel sich in Wechselwirkung mit einem sich verändernden Wissen über Körper, Geschlecht und Fortpflanzung vollzieht. Astrid Deuber-Mankowsky unterstreicht die Produktivität des methodischen Konzepts, das mit der Definition der Differenz der Geschlechter als einer»leeren Kategorie«einhergeht. Sie stellt exemplarisch am Beispiel der Lebenswissenschaften die Frage, wie das Wissen über Leben und Tod, über Körper, Natur und Fortpflanzung sich auf die Geschlechterdifferenz beziehen lässt und ihr neue Bedeutungen gibt. Hiermit deutet sich ein Instrument an, das für die Methodik einer»geschlechter-ethik in den Wissenschaften«eine zentrale Rolle spielt. In ihrem Beitrag zum Verhältnis von Wissenschaft und dem epistemologischen Begriff des Geschlechts zeigen die Biologin Sigrid Schmitz und die Soziologin Andrea-Leone Wolfrum an zwei Beispielen, wie sich langlebige Dichotomien in den neueren Wissenschaftsbereichen auswirken (Hirnforschung, Stammzellforschung). Die anhaltende Beschäftigung mit dem Thema»Körper«und die darin enthaltenen Dichotomien von Natur und Kultur ist in der interdisziplinären Zusammenarbeit zunehmend zum Problem geworden, weil die Disziplinen sich als sehr viel starrer erweisen als die Anfänge der interdisziplinären Geschlechterforschung es erwarten ließen. Eine Lösung schlägt Sigrid Schmitz mit dem Konzept des»embodiment«vor, das sie mit der»verkörperung von Erfahrung«übersetzt und auf das Phänomen der Plastizität des Gehirns anwendet. Die Kategorie des Geschlechts löst sich entgegen der populärwissenschaftlichen Verbreitung deterministischer Erklärungen von Geschlechterunterschieden an der Stelle auf, an der unser Denken, Handeln und Verhalten sich in ständiger Wechselwirkung zwischen Umwelt und Körper verändert. Das zweite Bei-
Einleitung 11 spiel für die notwendige Dekonstruktion der wissenschaftlichen Dichotomien sieht Andrea-Leone Wolfrum in der Statusdiskussion zum Extrakorporalen Embryo. Die nach ihrer Auffassung starre Gegenüberstellung naturwissenschaftlich geprägter»sachaussagen«und der geisteswissenschaftlich orientierten»wertaussagen«muss zugunsten einer größeren Durchlässigkeit zwischen den Disziplinen überwunden werden, darüber hinaus aber auch die Unterscheidung von Natur und Kultur, Künstlichkeit und Natürlichkeit aufgegeben werden. Sollte sich die Kategorie Geschlecht für die Analyse, bzw. Konstitution eines Wissenschaftsgegenstandes als bedeutungslos erweisen, ist aber nicht nur ihre anhaltende faktische Bedeutung interpretationsbedürftig, sondern darüber hinaus auch die anhaltende Selbstreflexion der ForscherInnen über die Reifikation der Geschlechterdifferenz bzw. über das durch die Fragestellung an den Gegenstand herangetragene»re-gendering«als wissenschaftsethische Forderung zu stellen. So reflektiert die Historikerin Bettina Wahrig in ihrem Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte die Notwendigkeit sowie die Ambivalenz, die sich aus der Verwendung von»kategorien«ergibt:»aufstellung und Gebrauch von Kategorien haben immer etwas mit Ordnung zu tun, im Umgang mit Kategorien schaffen wir Hierarchien, Ein- und Ausschlüsse, ermöglichen und verunmöglichen denkend Verbindungen zwischen den Gegenständen unseres Denkens und Handelns. Kategorien legen Unterschiede und Grenzen fest. Damit ist ihr Gebrauch eine Voraussetzung für das, was Sabine Hark auch und gerade in Bezug auf die feministische Debatte als Identitätspolitik bezeichnet.«ausgehend von dieser Einsicht untersucht Bettina Wahrig an drei Beispielen, inwiefern die»kategorie«geschlecht in der Spannung von Dekonstruktion und Iteration eine produktive kritische Kraft entfalten kann und fragt zugleich nach der Rolle der Wissenschaftsgeschichte für die feministische Wissenschaftskritik. Aristoteles Kategorienlehre ist Anlass, nach der feministischen Rezeption zu fragen. Die Geschichte der Entstehung der Geschlechterdifferenz (Laqueur, Schiebinger) erweist sich als ein Diskurs, bei dem auch die feministische Kritik nicht den Konstruktionsmerkmalen entkommen kann und insofern als kritische Wissenschaftsgeschichte auf sich selbst anzuwenden ist. Schließlich erweist sich die These vom Ausschluss von Frauen aus den Wissenschaften als überaus anfällig für einen»opferdiskurs«, der implizit der»wiederholung patriarchaler Mythen«das Wort redet. Auf der anderen Seite zeigt Wahrig aber die enge Verknüpfung von Herrschaftsinteresse und Wissenschaft, welche in»verknappungsdiskursen«verschleiert wird und dazu beiträgt, dass insbesondere die Geschlechterdifferenz wirkmächtig bleibt. Die kritische Analyse konkreter Diskurse und Argumentationsstrategien, so ihr Fazit, muss notwendiger Bestandteil innerhalb und in
12 Einleitung Bezug auf die feministische Wissenschaftskritik sein, gerade auch in den Wissenschaftsfeldern, die scheinbar unbeeindruckt von gesellschaftspolitischen Inhalten und Intentionen argumentieren. Im dritten Themenschwerpunkt»Ethik, Wissenschaft, Geschlecht«werden geschlechterethische Fragestellungen aus exemplarischen Einzelwissenschaften heraus diskutiert. Eine der zentralen Fragestellung der Ethik wie auch der politisch orientierten Geschlechterforschung ist die Handlungsermächtigung des Subjekts (agency). Während die Ethik eher die Frage nach der Verantwortung des Handlungssubjekts stellt, geht es in der Geschlechterforschung darum, die Handlungsfähigkeit als solche in den Blick zu nehmen. Ausgangspunkt für eine Bestandsaufnahme der jüngeren Reflexion zur geschlechtertheoretisch orientierten Literaturwissenschaft ist für die Anglistin Eveline Kilian Foucaults Konzeptualisierung der Dynamik von Diskurs, Macht und Widerstand. Von besonderer Bedeutung ist in der Fokussierung dieses Ansatzes auf das Geschlecht de Lauretis Konzept des»eccentric subject«sowie die Vorstellung einer randständigen Diskursposition als Ort des Widerstandes und der Subversion. Dieses Denkmodell dient Kilian als Leitfaden zur Erörterung von drei Praxisbereichen: Die gender-orientierte Analyse von individuellen Texten und die Möglichkeiten einer kritischen Textpraxis; die Frage nach dem Gegenstandsbereich der Literaturwissenschaft; und der Ort einer gender-orientierte Literaturwissenschaft im Kontext einer interdisziplinären Geschlechterforschung. Für die säkularen Wissenschaften wie auch für die feministische Kritik erscheint das Begriffspaar Theologie und Geschlechterforschung in der gegenwärtigen Diskussion als marginal. Anders ist dies, wenn die Rezeptionsgeschichte der feministischen Ethik in den Blick genommen wird und die kulturelle Wirkmacht religiöser Bilder für das kollektive Gedächtnis explizit gemacht wird. Die Theologin Regina Ammicht Quinn fragt vor diesem Hintergrund nach der Rolle der Ethik innerhalb der Theologie und nach der Rolle der Kategorie Geschlecht innerhalb der theologischen Ethik. In der christlichen Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte sind Eva und Maria zwei konträre und komplementäre Weiblichkeitsentwürfe. An diesen Weiblichkeitsentwürfen werden zum einen zentrale theologische Themen wie Schuld und Erlösung behandelt und diese damit implizit oder explizit in einen Geschlechter-Zusammenhang gestellt; zum anderen werden diese Weiblichkeitsentwürfe zum Ausgangspunkt normativer Geschlechterrollen und Lebenskonzepte. Die beiden Bilder werden zu paradigmatischen Ausgangspunkten der Reflexion darauf, wie eine die Geschlechterforschung integrierende theologische Ethik entworfen werden kann und zwar im Blick auf die Tradition und Theoriebildung, die Institution und bestehenden
Einleitung 13 Machtverhältnisse und die moralischen Subjekte. Dabei thematisiert Ammicht Quinn auch die konstruktiven Möglichkeiten des Dialogs zwischen Theologie und Geschlechterforschung, insofern theologische Ethik eine standortgebundene Wissenschaft mit prekärem wissenschaftstheoretischem Status ist, die die Selbstreflexion auf eben den Status des Wissens notwendig mit sich führt. Insofern ist eine kritische wissenschaftsgeschichtliche Analyse zentraler Themen der theologischen Ethik mit der Methodik, die Bettina Wahrig in ihrem Beitrag gefordert und exemplarisch durchgeführt hat, eine sinnvolle Weiterführung. Genau dies führt der theologische Ethiker Dietmar Mieth mit einem etwas anderen Blick auf die Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte vor. In seinem Beitrag geht er von einem»heuristischen«begriff des Geschlechts aus, der sich aus der gegenwärtigen Geschlechterforschung ergibt, und fragt, wie in denjenigen theologischen Texten der mittelalterlichen Mystik, die Frauen in den Mittelpunkt stellen, die Kategorie Geschlecht thematisiert wird. So führt er in einer Interpretation der so genannten Frauenpredigten von Meister Eckhart und der Schriften von Marguerite Porete die Frage der theologischen Anthropologie im Mittelalter als eine Frage nach Gleichheit und Differenz bzw. Subordination der Geschlechter sowie als Frage nach der Subjektkonstituierung ein. Dabei versucht Mieth, den Unterschied zwischen sozialhistorischen Fakten, den Kontexten und der metaphorischen Bedeutung von Sprachelementen in Texten zu beachten und in den Einzelanalysen den jeweiligen, durchaus unterschiedlichen Zusammenhang zu klären. Auf einer anderen Ebene sind die historischen Zeugnisse der mittelalterlichen Frauenbewegung, insbesondere des Beginentums und der Frauenmystik, angesiedelt. Der historische Blick offenbart dabei allerdings auch das politische Machtgefälle zwischen dem geistlichen Lehrer Eckhart, der Schwierigkeiten mit der geistlichen Obrigkeit hatte, und der bürgerlichen Marguerite Porete, die aufgrund eines Urteils der Inquisition demgegenüber als Ketzerin verbrannt wurde. Insofern, so Mieth, ist die theologiegeschichtliche Analyse weder indifferent gegenüber der Geschlechterkategorie noch gegenüber dem ethischen Anspruch auf Gerechtigkeit. Eines der zentralen Felder für eine»geschlechter-ethik in den Wissenschaften«ist die so genannte Bioethik, die in verschiedenen Beiträgen mit ihren Bezugnahmen auf die Lebenswissenschaften und modernen Naturwissenschaften schon gestreift wurde. Im letzten Teil des Buches geht es nun darum zu untersuchen, welche Anschlussstellen es hierzu gibt, und auszuloten, wie das bisherige Denken die Geschlechterforschung und die Ethik in den Wissenschaften zusammengeführt hat.