Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg JÖRG STADELBAUER Freiburg aus der Vogelschau gestern und heute Originalbeitrag erschienen in: Ulrich P. Ecker (Hrsg.): Freiburg 1944 1994, Zerstörung und Wiederaufbau : Begleitbuch zur Ausstellung von Stadtarchiv und Augustinermuseum anläßlich des 50. Jahrestages der Zerstörung Freiburg im Luftkrieg am 27. November 1944. Waldkirch: Waldkircher Verl., 1994, S. 8-12
Bild: StadtAF M 7000 Strähle-Laftbild Nr 1961 8
Freiburg aus der Vogelschau Gestern und heute Von Jörg Stadelbauer Wie die bekannte historische Ansicht von Gregorius Sickinger, die das frühneuzeitliche Freiburg aus der Vogelschau wiedergibt, sind Luftbilder, die zu verschiedenen Zeitpunkten von der Freiburger Innenstadt gemacht worden sind, bestens geeignet. in die Problematik von Zerstörung und Wiederaufbau einzuführen. Es sei dabei betont, daß der Blick auf die Innenstadt nur einen Ausschnitt erfassen kann, der durch entsprechende Darstellungen von den ebenfalls im Luftangriff 1944 betroffenen Außenbezirken ergänzt werden müßte, doch fehlt hierfür das entsprechende dokumentarische Material. Die Luftaufnahme von 1924 (Abb. 1) läßt deutlich die weitgehend geradlinige Führung der Kaiser-Joseph-Straße (damals "Adolf-Hitler-Straße") zwischen dem Siegesdenkmal und dem heutigen Holzmarkt erkennen. Einen leicht gewundenen Verlauf hat der Straßenzug Oberlinden Salzstraße Bertoldstraße. der die Hauptachse am Bertoldsbrunnen schneidet. Parallel zu diesem zweiten, untergeordneten Straßenzug ziehen sich mehrere Gassen hin. Nach Norden begrenzt die Friedrichstraße die Innenstadt, nach Süden ist es der gebogene Verlauf der Rempartstraße, im Westen die aufgelockerte Bebauung, die von der Hochallee über das Kollegiengebäude I und die fast in der unteren Bildmitte befindliche ehemalige Synagoge zum heutigen Fahnenbergplatz und zur ehemaligen Ringstraße zieht. Nach Osten ist der Anstieg zum Schloßberg jenseits der (nicht erkennbaren) Schloßbergstraße eine natürliche Begrenzung des Altstadtgebietes. Innerhalb dieses Innenstadtraums dominiert die kleingliedrige, durch zahlreiche schmale Häuser geprägte Struktur. Wenige der traufständigen Gebäude ragen über die üblichen zwei bis drei Geschosse auf. Größere Gebäudekom-.- plexe befinden sich fast nur am Innenstadtrand oder jenseits der umschriebenen Grenzen, so außer dem Kollegiengebäude I mit seiner markanten Kuppel das alte Rotteck-Gvmnasium und das Stadttheater. Die von vielen Einzelgebäuden geprägte mittelstädtische Struktur im gesamten Altstadtgebiet wieder herzustellen und dabei wohnliche und funktionale Mängel durch Sanierungsmaßnahmen zu beseitigen, war eines der Ziele, die der Stadtbaumeister Joseph Schlippe bereits in den dreißiger Jahren verfolgte. Die nach dem Luftangriff im November 1944 entstandene Ansicht von Süden (Abb. 2) zeigt das Ausmaß der Zerstörungen in großen Teilen der Innenstadt. Zum Aufnahmezeitpunkt waren die Straßen bereits großenteils geräumt, viele Fassaden jedoch noch nicht für den Wiederaufbau abgetragen. Entlang der Kaiser-Joseph-Straße ist zwischen Bertoldsbrunnen (links unten) und Siegesdenkmal nur das Hettlage"-Gebäude stehengeblieben, des- 9
JÖRG STADELBAUER 10 2 StadtAF M 72 B 271 sen Betondachdecke die Brandbomben abhielt. Beträchtliche Fassadenteile blieben von der Karlskaserne erhalten, ebenso die nördliche Giebelfront des Basler Hofs und die Fassade des Gebäudes der Museumsgesellschaft an der Münsterstraße. Auch die später beim Wiederaufbau einbezogene Fassade des Großherzoglichen Palais in der Salzstraße ist erkennbar. Fast völlig dem Erdboden gleichgemacht wurde der Bereich zwischen Weberstraße und
FREIBURG AUS DER VOGELPERSPEKTIVE Ring, wo ein vollständiger Neuaufbau erforderlich wurde. Dagegen sind große Teile des Altstadtbereichs zwischen Schusterstraße und Salzstraße in Richtung Oberlinden erhalten. Die Ansicht von 1963 (Abb. 3) markiert einen Zeitpunkt. zu dem die wichtigstm Maßnahmen des Wiederaufbaus bereits abgeschlossen waren, der moderne Stadtumbau jedoch noch nicht begonnen hatte. Aus dem Grüngürtel im Westen der Altstadt ist der großenteils ausgebaute Ring zwischen Werderring und Friedrichring geworden, an dem sich außer dem Kollegiengebäude I mit dem Kollegiengebäude II der Universität, dem nach Norden anschließenden Geschäfts- und Wohnhaus am Rotteckring, dem Colombi- Hotel"und dem Gebäude der Badischen Kommunalen Landesbank" am Fahnenbergplatz mehrere Bauwerke entlangziehen, die bei weitem die traditionellen Größendimensionen übersteigen. Dies gilt auch für die Überbauung zusammengefaßter Grundstücke in der Innenstadt. Völlig neu entstanden sind der Komplex des Evangelischen Stifts im Nordosten und das Umfeld des Stadtgartens. Die auf der Vorkriegsaufnahme im alten Zustand erkennbare Nordvorstadt war mit Ausnahme weniger Gebäude (darunter das Gebäude der Reichsbank", heute Landeszentralbank") vollständig zerstört worden und mußte daher ebenfalls neu gestaltet werden. Die Beschränkung der Bauhöhen und Geschoßzahlen hat aber dazu geführt, daß sich in der Innenstadt die dominante Stellung des Münsters erhielt, wenn auch die Kleingliedrigkeit der Dachlandschaft etwas zurückgegangen ist. Bild: W Pragher. Nr. 70198A vom 11. 11. 1963 (Luftbild freigegeben durch das Innenministerium Baden- Württemberg NRP 2599) 11
JÖRG STADELBAUER 4. Bild: Städt. Vermessungsamt Freiburg Nr. 56 Motiv 114330 (Luftbild freigegeben durch das Regierungspräsidium Stuttgart 9/84935) Bei der kürzlich entstandenen Ansicht (Abb. 4) hat die Zahl von größeren Baukomplexen, die weit über die ehemaligen Grundstücksgrenzen hinausgehen, weiter zugenommen. Dazu gehören insbesondere die Kaufhausbauten im zentralen Innenstadtbereich, der gegliederte, aber doch als Einheit empfundene Bau der Schwarzwald-City", die Bebauung am Ring, wo insbesondere an die Stelle des Rotleck-Gymnasiums das wuchtige Bauwerk der neuen Universitätsbibliothek getreten ist. Aber auch in anderen Teilen der Innenstadt gab es vergleichbare flächige Überbauungen. Etwas zugenommen hat die Durchgrünung, was insbesondere der Umgestaltung des Rings zu verdanken ist. Dort sind die Parkplatzstreifen, die auf der Aufnahme von 1963 deutlich hervortreten, einem bescheidenen Rückbau gewichen. Grundstrukturen, wie der geradlinige Verlauf der Kaiser-Joseph-Straße oder der gewundene Verlauf des Straßenzugs Salzstraße Bertoldstraße sind jedoch gegenüber der Aufnahme von 1924 unverändert geblieben. Mit dem Straßengrundriß wurde wenigstens eines der Grundelemente der Zähringer-Anlage bei Wiederaufbau und Stadtumbau so erhalten, daß es stadtbildprägend bleibt. Als Fremdkörper wirken dagegen die senkrecht zum Straßenverlauf stehenden Häuser zwischen Weber- und Wasserstraße im Nordwesten der Innenstadt. Hier wäre bei künftigen Umbauten die Chance gegeben, den Rhythmus des alten Stadtbildes auf zugreifen, ohne einer übertriebenen Nostalgie zu frönen. 12