Einführung in die Erzähltextanalyse

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Transkript:

~ J.B.METZLER

Silke Lahn / lan Christoph Meister Einführung in die Erzähltextanalyse unter Mitarbeit von Matthias Aumüller, Benjamin Biebuyck, Anja Burghardt, Jens Eder, Per Krogh Hansen, Peter Hühn und Felix Sprang Mit Abbildungen und Grafiken Verlag J. B. Metzler Stuttgart. Weimar

Die Autoren Silke Lahn ist Doktorandin an der Universität Hamburg. Jan Christoph Meister ist Professor für Neuere deutsche Literatur (Literaturtheorie, Textanalyse, Computerphilologie) an der Universität Hamburg. Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. ISBN 978-3-476-06-4 ISBN 978-3-476-05056-4 (ebook) DOI 10.1007/978-3-476-05056-4 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 008 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzler'sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 008 www.metzlerverlag.de info@metzlerverlag.de

...,..,,.. Vorwort Inhaltsverzeichnis Vorwort I. Was ist Erzählen?..... 3 4 5 6 11. Erscheinungsformen des Erzählens..... Formale Merkmale des Erzählens......... Funktionen des faktualen Erzählens.... Funktionen des fiktionalen Erzählens.... Literarisch-fiktionales Erzählen als Kommunikation....... Begriffssystematik.... Kurze Geschichte der Erzähltheorie................ 1 Antike... Moderne....1 Von der Romantheorie zur Erzähltheorie:..3.4.5 Der formanalytische Ansatz in Deutschland.... Russischer Formalismus......... Untersuchungen zur Erzählperspektive.... Untersuchungen zur Zeitgestaltung....... Französischer Strukturalismus und Narratologie.... 6 9 10 l3 15 19 19 4 5 8 30 111. 1 1.1 1. 3 IV. I 1.1 1. 1..1 1.. l.3 l.3.1 l.3. l.3.3 l.3.4 Drei Zugänge zum Erzähltext....... Autor und Autorkonzepte... Der reale Autor... Das Autorkonzept... Paratexte... Genres der Epik... Die drei Dimensionen des Erzähltextes... Wer erzählt die Geschichte? - Parameter des Erzählers.. Zur Darstellung des Erzählers... Erzähler und erzählte Welt - ontologische Bestimmung.... Problemfelder bei Bestimmung der ontologischen Erzählerposition... Stanzeis >Typenkreis der Erzählsituationen<... Erzähler und Erzählebenen - repräsentationslogische Bestimmung........... Rahmen- und Binnenerzählung... Funktionen von Binnenerzählungen.... Funktionen von Rahmenerzählungen... Metalepsen... 35 36 38 41 44 49 59 61 63 67 73 76 79 79 83 87 90

1.4 1.5.1.1.1.1....1....3.3.3.1.3..3.3.3.4.3.5.4.4.1.4..4.3.5.5.1.5..5.3.5.4.6.7.7.1.7..7.3 3 3.1 3. 3..1 3.. 3..3 3..4 3..5 3..6 3..7 3.3 3.3.1 3.3. Erzähler und Geschehenszeitpunkt - zeit logische Bestimmung..................................... Zur Darstellung des Adressaten.................. Wie erzählt der Erzähler? - Parameter des Diskurses..... Anlage der Erzählperspektive.................. Fokalisierung nach Genette............................ Perspektivierung nach Schmid..................... Präsentation von Rede und mentalen Prozessen........ Erzählerrede und Figurenrede.............. Drei-Stufen-Modell der Redewiedergabe................... Textinterferenz-Modell....................... Zeit relationen zwischen Diskurs und Geschichte.... Erzählte Zeit vs. Erzählzeit................. Ordnung: In welcher Reihenfolge?.................. Dauer: Wie lange?............... Frequenz: Wie oft?.............................................. Weitere Elemente der Zeitgestaltung.................. Wissensvermittlung und Informationsvergabe............ Erzählen als Mittel der Wissensbildung................. Steuerung von Leseraffekten durch Informationsvergabe.. Sympathielenkung durch Informationsvergabe.......... Erzählen über das Erzählen................... Geschehensillusion und Erzählillusion............................. Metanarration................................ Von der Erzählillusion zur Selbstreflexion des Erzählens.. Von der Selbst reflexion des Erzählens zur Metafiktion...... Zuverlässigkeit des Erzählens............... Merkmale des Stils............................. Was ist >Stil<? - Zu den verschiedenen Stilkonzepten.......... Wie kann man Stil erforschen? - Zur Stilanalyse....... Vernetzung von Stilmitteln......................... Was erzählt der Erzähler? - Parameter der Geschichte.... Aspekte der Thematik........................ Handlung............................... Was ist >Handlung<?.......................................... Geschehnis, Ereignis, Geschehen, Geschichte - und Erzählung........................................................ Handlungskonzepte.................................. Die erzählte Handlung................................... Handlungstypen...................................... Handlungslogik...................................... Erzähltechnische Handlungsanalyse in der Praxis......... Figuren........................................ Das Interesse des Lesers an den Figuren...... Figuren als fiktive, durch sprachliche Referenz erschaffene Personen................................. 9 96 101 103 105 111 116 117 10 19 133 136 138 143 148 151 156 158 161 164 166 167 170 175 178 18 188 189 191 194 199 04 10 10 1 15 17 0 9 3 3 35

lvii 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.4 3.5 V. 1.1 1..1..3.4.5.6.7 VI. 1 3 4 5 6 Figurenmodelle......................................... Charakterisierung.......... Figuren als Aktanten.................................. Aspekte des Raums.... Aspekte der zeitlichen Situierung............ Weitere Formen des Erzählens.................. Lyrik und Drama............... Lyrik...................... Drama.................................... Film............... Audiovisuelle Darstellungsmittel............... Zeitlichkeit.................................... Mehrschichtigkeit........................ Konkretheit der dargestellten Welt... Zurücktreten von Erzählinstanzen... Formen der Perspektivierung................. Pragmatik und Emotionalität... Anhang..................... Glossar erzähltheoretischer Grundbegriffe........... Über die Autoren und Beiträger... Verzeichnis der Abkürzungen....................... Literatur zur Erzähltheorie.......... Sachregister................. Personen- und Titelregister... 36 40 44 47 53 57 57 58 61 63 65 67 68 70 71 7 74 77 77 9 94 95 99 305

Vorwort Alle in diesem Buch vorgestellten Figuren, die 1. Person Singular eingeschlossen, sind gänzlich fiktiv und stehen in keiner Beziehung zu wem auch immer, lebendig oder tot. Flann O'Brien: At Swim-TIvo-Birds (1939) Dieses paradoxe Motto trifft auf den vorliegenden Band kaum zu: Mit Ausnahme der Helden in einigen aus der Erzählliteratur zitierten Passagen, die wir als Textbeispiele heranziehen, sind die von uns erwähnten Figuren (wie auch wir, die Autoren) reale Personen: Literaturwissenschaftler, Erzähltheoretiker und Narratologen_ Auch sind wir nicht beziehungslos: Uns alle - und hoffentlich auch Sie, verehrte Leser - verbindet ja das Interesse an eben jenem Phänomen, das der irische Romancier Flann O'Brien in seinem furiosen Roman At Swim-ThJo-Birds (In Schwimmen-Zwei-Vögel) vorführt. Das Buch mit dem seltsamen Titel ist ein Roman über das Schreiben eines Romans, und das Phänomen, das uns schon mit seinem selbstironischen Motto begegnet, ist genau jenes, um das es auch in unserem Buch gehen wird: die Kunst des Erzählens. Jeder Erzähltext ist das Ergebnis einer sorgfältigen Konstruktionsarbeit. Erzähltheorien wollen die Bedingungen dieser Herstellung rekonstruieren und den Konstruktionsprozess modellhaft transparent machen. Als angewandte literaturwissenschaftliehe Methode ist jede Erzähltextanalyse, die sich ihrerseits an einer Erzähltheorie orientiert, kein Selbstzweck: Sie ist vielmehr eine Heuristik, eine Methode des kontrollierten Beschreibens und Befragens, die eine verlässliche Grundlage legen will für das, was nach wie vor als Kerngeschäft aller Philologien gelten kann - die Deutung von Texten, also Hermeneutik. Der vorliegende Band zur Einführung in die Erzähltextanalyse möchte ein narratologisch fundiertes begriffliches und methodisches Instrumentarium an die Hand geben, mit dem die - größtenteils, aber nicht durchweg - vorinterpretative Erkundung und Beschreibung eines erzählenden Texts systematisch durchgeführt werden kann. Gerade der bewusste Verzicht auf eine Textdeutung lässt hervortreten, was konkrete Erzähltexte als Mitglieder der Gattung Epik verbindet: eine Vielfalt formaler und gestalterischer Techniken und Verfahren, die in dieser Kombination nur der narrativen Repräsentation zur Verfügung stehen. Welche Erzähltheorie, welche Narratologie?Die literaturwissenschaftliehe Theoriebildung zum Phänomen des Erzählens blickt heute auf eine gut einhundert jährige Geschichte zurück. Der Strukturalist Tzvetan Todorov prägte 1969 den Begriff >Narratologie< für eine Wissenschaft vom Erzählen, die sich nach seiner Auffassung ausschließlich mit der formalen Analyse von Erzähltexten befassen sollte. Die Blütezeit dieses sogenannten»harten«oder»klassischen«strukturalismus währte nicht lange, auch IX

wenn der davon ausgehende methodische Impuls noch bis heute nachwirkt. Die Narratologie, die Erzähltheorie hat es nie gegeben und gibt es auch heute nicht - wie in jeder lebendigen Wissenschaft konkurrieren verschiedene Modelle, Terminologien und methodische Philosophien. Eine homogene Theorie aus einem Guss und ohne methodische Brüche kann es für dynamische kulturelle Phänomene wie das Erzählen wohl auch kaum geben. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass die verschiedenen Literaturwissenschaften lange darauf verzichtet haben, in ihrer Auseinandersetzung mit dem Erzählen die Ansätze der anderen Nationalphilologien zur Kenntnis zu nehmen. Man beschränkte sich trotz des universalistischen Anspruchs der Erzähltheorie auf die eigene Nationalliteratur, statt auszutauschen, zu vergleichen und zusammenzuführen. Wie ungemein fruchtbar dagegen das Ausbrechen aus dem Korsett einer rigiden Systematik und einer nationalphilologischen Theorietradition sein kann, haben die Arbeiten Gerard Genettes gezeigt, der 197 mit Discours du recit und 1983 mit Nouveau discours du recit der Narratologie neue Impulse zu verleihen vermochte. Genette selbst rezipierte neben den französischen Narratologen auch die deutschen und angelsächsischen Erzähltheoretiker. In seinen Arbeiten zeigt er sich als ein ausgezeichneter Kenner dieser Traditionen. Die Vielzahl der von Genette geprägten narratologischen Fachbegriffe, die wir heute verwenden, verdeckt insofern die Tatsache, dass Genettes eigentliche Leistung darin bestand, eine Vielzahl von theoretischen Ansätzen systematisch zu integrieren, ohne dabei dem Systemzwang zu hohen Tribut zu zollen. Im Zentrum der von Genette begründeten angewandten Narratologie steht eher ein pragmatisches Anliegen: Es geht darum, unser Verständnis des Erzähltextes auf das Fundament nachvollziehbarer Textbeobachtungen zu stellen. Zur Systematik: Dem Beispiel Genettes folgend, werden im vorliegenden Band verschiedene Ansätze der Erzähltheorie und Narratologie vorgestellt und systematisch integriert, soweit dies sinnvoll und sachlich gerechtfertigt ist. Im Mittelpunkt des Buches (Kap. IV.) steht dabei die Analyse der drei Dimensionen fiktionaler Erzähltexte, die sich ihrerseits durch drei Leitfragen erschließen lassen: Wer erzählt? (Kap. IV.l) Wie wird erzählt? (Kap. IV.) Was wird erzählt? (Kap. IV.3) Auf dem Weg dorthin werden der Begriff und das Phänomen des Erzählens, die Geschichte der Erzähltheorie und die pragmatischen Formen des Zugangs zum Erzähltext behandelt (Kap. L bis IIL); ein Ausblick auf weitere Formen des Erzählens steht am Ende des Bandes (Kap. v.). Wir möchten Studienanfängern der Literaturwissenschaft damit insgesamt ein erzähltheoretisches Instrumentarium an die Hand geben, um die Anlage von Erzähltexten analysieren und beschreiben zu können, wollen diese erzähltheoretische Annäherung an den Gegenstand jedoch zugleich in einen umfassenderen Kontext rücken. Theoriegeschichtliches x

lxi Interesse tritt dabei allerdings in den Hintergrund; wir behandeln diesen Aspekt nur punktuell, um wichtige systematische Problem lagen zu verdeutlichen. Zur Benutzung des Buches: Um den Haupttext so weit wie möglich von bibliographischen Nachweisen und Fußnoten zu entlasten, erscheinen die Angaben zur Sekundärliteratur nur in Kurzform; ausführliche bibliographische Angaben stehen jeweils am Ende des Kapitels. Mit Hilfe des Glossars können Termini schnell nachgeschlagen werden; über das Register ist zu ermitteln, wo in dem Band der Begriff behandelt wird. Die für den Band erstellten Grafiken stehen im Internet zum Download bereit; sie können nach Maßgabe der Creative Commons Public Licence für den Eigengebrauch und die Verwendung in der Lehre benutzt werden (http://www. jcmeister.de/eta-grafiken bzw. http://www.metzlerverlag.de/06). Wir danken Frau Ute Hechtfischer für ihre geduldige und stets kompetente Anleitung, Herrn Henning Brockmann für umsichtige Unterstützung bei der Erstellung von Grafiken und der Umsetzung der zahlreichen Korrekturen sowie Frau Sibylle Kronenwerth für sorgfältiges Korrekturlesen des Umbruchs und Unterstützung bei der Registererstellung. Unser besonderer Dank gilt den Beiträgern zu diesem Band: den Slavisten Matthias Aumüller und Anja Burghardt, dem Germanisten Benjamin Biebuyck, dem Filmwissenschaftler Jens Eder, dem Skandinavisten Per Krogh Hansen sowie den Anglisten Peter Hühn und Felix Sprang. Anregungen, Kritik und wichtige Impulse lieferten unsere Hamburger Kollegen aus dem Kreis des Interdisziplinären Centrums für Narratologie (ICN) und unsere Hamburger Studierenden. Hamburg, im Juli 008 Silke Lahn Jan Christoph Meister