Die Akte Gorleben. Greenpeace-Dossier

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Transkript:

Greenpeace-Dossier Die Akte Gorleben Die Entscheidung für den Standort Gorleben als künftiges Endlager für Atommüll ein Abriss der Geschichte, zusammengestellt aus Artikeln von Karl-Friedrich Kassel. Spendenkonto Postbank, KTO: 2 061 206, BLZ: 200 100 20 Greenpeace ist vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt. Spenden sind steuerabsatzfähig. Text: Karl-Friedrich Kassel, V.i.S.d.P.: Mathias Edler STAND 05/2010

Im Jahr 1977 wird überraschend der Gorlebener Salzstock als mögliches Endlager für hoch radioaktive Abfälle benannt. Jahrelange Erkundungen folgten, erst seit 2000 verhinderte ein Moratorium die Arbeiten. 2010 soll nun weiter geforscht werden ergebnisoffen, wie es heißt. Wer traf 1977 die Entscheidung? War der Standort Gorleben Ergebnis eines wissenschaftlichen Auswahlverfahrens? 2009 stellt Greenpeace bei zwölf Ministerien und Behörden Antrag auf Akteneinsicht, tausende Originaldokumente werden gesichtet und ausgewertet. Karl-Friedrich Kassel war in diesen Monaten dabei und hat die Abläufe der Benennung des Atomstandortes Gorleben in einer Artikelserie geschildert. Die Artikel wurden im April 2010 in der Elbe- Jeetzel Zeitung Lüchow-Dannenberg abgedruckt, nachfolgend sind sie in diesem Dossier zusammengefasst zu lesen. Sie geben einen Überblick darüber, was in den siebziger Jahren geschah. Im Anhang finden sich zudem Ausschnitte aus den im Text erwähnten Dokumenten. Die Originaldokumente lassen sich vollständig unter http://www.greenpeace.de/gorlebenakten einsehen. Das Ergebnis hat unter den Beamten Überraschung ausgelöst Wie CDU-Ministerpräsident Albrecht gegen seinen Willen einen Atomstandort benannte Die wahre Geschichte des Atomstandortes Gorleben beginnt mit der Korrektur eines im Wendland verbreiteten Feindbildes. Im Gedächtnis der Atomkraftgegner in Lüchow-Dannenberg, vornehmlich jener, die sich noch an den Tag der Standortbenennung 22. Februar 1977 erinnern können, hat der damalige CDU- Ministerpräsident Ernst Albrecht die Rolle des Bösen, der ihnen alles eingebrockt hat. Die Wirklichkeit, wie sie in den Akten der Landesregierung aufscheint, sieht ganz anders aus. Wenn es 1976 nach Ernst Albrecht gegangen wäre, dann gäbe es heute weder einen Standort Gorleben noch einen anderen Platz in Niedersachsen oder Deutschland, an dem Anlagen zur Lagerung und Behandlung des radioaktiven Abfalls konzentriert wären. Albrecht wollte das Nukleare Entsorgungszentrum (NEZ) nicht. Immer wieder drängte er die Bundesregierung, drängte er Bundeskanzler Schmidt (SPD) oder Wirtschaftsminister Friderichs (FDP), nach einer anderen Lösung zu suchen. Am liebsten wäre es Albrecht gewesen, wenn die USA den deutschen Atomabfall zur Aufarbeitung und Endlagerung übernommen hätten. Auch nach der Standortbenennung von Gorleben forderte er von der Bundesregierung in Bonn, nach Alternativen zu suchen. Die Bundesminister reagierten genervt. In Briefen und persönlichen Konferenzen machten sie Albrecht klar, dass ein NEZ in Deutschland sein müsse. Und dass es Niedersachsen sein sollte, wo es errichtet wird. Völlig ungewöhnlich: gleich drei Bundesminister reisten miteinander nach Hannover, um die Landesregierung ins Gebet zu nehmen. Danach erst gab Albrecht auf. Welches Druckmittel die drei Bundesminister im Gepäck hatten, als sie am 11. November 1976 zu Albrecht reisten, ist nicht zu klären. Im Asse- Untersuchungsausschuss gibt es die Aussage, Albrechts Vorgänger, der SPD- Ministerpräsident Kubel, hätte dem Bund bereits eine Zusage gegeben. Aber warum musste sich sein CDU-Nachfolger Albrecht daran halten? Später wurde die Entscheidung als Vollzug der nationalen Verantwortung verkauft. Die Bundesregierung machte jedenfalls klar, dass eine Lösung mit den USA nicht in Frage kommt. Die Landesregierung wusste auch, warum: Die Industrie wollte unbedingt eine Entsorgungslösung in Deutschland. Nur die böte die Möglichkeit, ausländischen Kunden deutscher Atomkrafttechnik die Entsorgung ihrer Anlagen gleich mit anzu-

bieten. Ein Standort im Lande Niedersachsen muss her, da ließen die Bundesminister von SPD und FDP dem CDU- Landesherrn keinen Ausweg. Und der gab nach - zur großen Überraschung seiner Mitarbeiter. Die waren bisher davon ausgegangen, dass Niedersachsen unter der neuen CDU- Landesregierung nie einem niedersächsischen Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum zustimmen würde. Alles, was als Auswahlverfahren bis zu diesem 11. November 1976 passiert war, geschah nur als ob. In der Staatskanzlei in Hannover machte ein Abteilungsleiter seiner Enttäuschung und der der anderen Ministerialbeamten Luft. Das Ergebnis Ihrer Besprechung hat unter den Beamten Überraschung ausgelöst, schreibt Abteilungsleiter Naß noch am 11. November 1976 an Albrecht. Überraschung deshalb, weil die Landesregierung damit ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt hat, einen Standort - unter der Voraussetzung: Sicherheit - zur Verfügung zu stellen. Der zuständige Abteilungsleiter hielt die Entscheidung über einen Standort für verfrüht. Sein Brief blieb ohne Erfolg. Wenige Tage später erhielt eine interministerielle Arbeitsgruppe die Anweisung, innerhalb von vier Wochen eine Kabinettsvorlage für eine Standortentscheidung zu erarbeiten. Albrecht hatte nachgegeben. Der Druck, den die Bundesregierung auf die niedersächsische Landesregierung ausübte, hatte seine Ursache in der knapp bemessenen Zeit. Wenn nicht innerhalb weniger Jahre eine gesicherte Entsorgung der radioaktiven Abfälle aus der Energieproduktion nachgewiesen werden könnte, wären nicht nur Neubauten von Atomkraftwerken ausgeschlossen. Selbst der Betrieb bereits laufender AKW stünde zur Disposition. Das hatte das Bundesinnenministerium den Kraftwerksbetreibern nachdrücklich klar gemacht. Entsprechende Äußerungen finden sich wiederholt in den Akten. Spätestens 1982, nach anderen Schätzungen 1985, wäre dieser Zeitpunkt gekommen. Deshalb musste schnell ein Standort für ein NEZ her. Dann könnte der Antrag für eine Genehmigung gestellt werden. Innerhalb von drei Jahren, so die Hoffnungen, würde dieser Planfeststellungsantrag zu einer ersten Teilerrichtungsgenehmigung (1. TEG) führen. Die wäre vor Gericht der Nachweis für eine Entsorgungsvorsorge. Inzwischen ist dieser dann tatsächlich gestellte Antrag 33 Jahre alt. Anders als heute ging es bei der Suche nach einem Standort damals jedoch um den Platz für ein integriertes nukleares Entsorgungszentrum (NEZ). Das Endlager war dabei nur ein - geringer - Teil. Bei den Auswahlkriterien machte die Geologie nur einen Bruchteil aus. Viel wichtiger, auch für die Standortsuche, waren die oberirdischen Anlagen des NEZ: die Wiederaufarbeitungsanlage (WAA, mit 1.400 geplanten Tonnen die größte in Europa), das Eingangslagerbecken (als Zwischenlager), die Brennelementefertigung. Vor allem die WAA mit ihren Emissionen in Luft und Oberflächengewässer machte den vermuteten Schwerpunkt der Gefährdung aus, die mit der Wahl eines geeigneten Standortes verringert werden sollte. Das spiegeln die Bewertungen der verschiedenen damals unter die Lupe genommenen Standorte wider. Mit der Benennung eines solchen Ortes hatte nicht nur die Landesregierung Schwierigkeiten. Als es so weit war, hatte die Bundesregierung ebenfalls Einwände. Ihr passte der von Niedersachsen schließlich vorgeschlagene Standort Gorleben nicht. Zu nahe läge der an der Grenze. Die Kabinettsvorlage für den 14. Dezember 1976 listet die Vorbehalte des Bundes gegen die Grenznähe auf. Handstreichartige Aktionen von DDR-Seite aus zum Beispiel. Außerdem könnten Nato und Viermächtestatus berührt werden, die Bundesrepublik im Notfall auf grenzüberschreitende Planungen angewiesen sein. Mehrfach zwischen Dezember 1976 und Februar 1977 schreibt Bundeskanzler Helmut Schmidt an Albrecht. Am 15. Dezember 1976 erklärt er ausdrücklich: Aufgrund dieser Gespräche sind die zuständigen Bundesminister zu der Auffassung gelangt, daß ein DDR-naher Standort nicht in Betracht gezogen werden sollte. Eine ähnliche Warnung wiederholt er am 19. Februar 1977. Genau drei Tage später beschließt die Landesregierung das Gegenteil: Gorleben.

Es ist ungewöhnlich, dass sich eine Landesregierung so demonstrativ in Gegensatz setzt zur Bundesregierung. Das führt zu der Spekulation, ob Albrecht mit dieser Entscheidung vielleicht sicher gehen wollte, auf diese Weise die Verpflichtung des Landes als NEZ-Standort loszuwerden? Tatsächlich tat sich die Bundesregierung schwer. Unmittelbar nach der Ankündigung der Landesregierung über den Gorleben kündigte Bonn an, über die Physikalisch-Technische Bundesanstalt auch noch weitere Standorte prüfen zu lassen. Albrecht soll laut Akten reagiert haben: entweder Gorleben oder gar nicht. Diese Aussage von damals muss im Kopf haben, wer heute von ergebnisoffen redet. Die Bundesregierung brauchte einige Monate. Erst im Sommer 1977 akzeptierte sie die Standortbenennung. Von dem damals gültigen Konzept, für eine Standortsuche immer mehrere Alternativen zu prüfen, ging sie allerdings erst im Sommer 1983 ab: unter der neuen CDU-Führung. Geologische Untersuchungen nicht nötig für Standortvorauswahl Der Atomanlagenstandort Gorleben ist nicht das Ergebnis einer willkürlichen politischen Entscheidung - dies ist bisher die offizielle Version der Geschichte. Der Benennung ging demnach ein akribisches wissenschaftliches Auswahlverfahren voraus. Seit Jahrzehnten wird diese Lesart verteidigt. Gelegentlich wird diese Aussage gesteigert mit der Behauptung, die damals angewendeten Kriterien entsprächen noch heutigen wissenschaftlichen Anforderungen. Das niedersächsische Umweltministerium präsentierte diese Komplettversion der Gorleben-Historie im Herbst 2008 beim Endlagersymposium in Berlin. In einer Broschüre des Bundeswirtschaftsministeriums, ebenfalls von 2008, wird der politische Charakter der Standortauswahl nachdrücklich bestritten: Immer wieder taucht in der Debatte um den Salzstock Gorleben die Behauptung auf, dass der Standort Gorleben ausschließlich aus politischen Motiven ausgewählt worden sei und dass fachliche Gründe dabei keine Rolle gespielt hätten. Dies trifft jedoch nicht zu. Ein Rückblick auf die Geschichte der Auswahl des Salzstocks Gorleben macht deutlich, mit welchem hohen wissenschaftlichen und methodischen Aufwand vorgegangen wurde. Ein Blick in die Akten macht daraus eine Legende. An der stimmt so viel: es gab Auswahlverfahren, nicht nur eines, sondern sogar zwei. Eines hat der Bund gestartet, das andere die Landesregierung. Aber weder in dem einen noch in dem anderen hieß es am Ende: the winner is... Gorleben. Die sozial-liberale Bundesregierung hatte 1974 der KEWA (Kernbrennstoff- Wiederaufarbeitungsgesellschaft) den Auftrag zu einer Standortsuche erteilt. Nach der damals geltenden Auffassung, immer erst mehrere Standorte mittels Tiefbohrungen zu vergleichen, wurden nach einer bundesweiten Suche drei Orte in Niedersachsen erste Wahl: Wahn im Landkreis Aschendorf-Hümmling (Emsland), Lichtenhorst bei Nienburg, Lutterloh bei Celle. Gorleben hatte es nicht einmal in die erweiterte Auswahl der letzten acht geschafft. Da findet sich allerdings Lütau in Schleswig-Holstein. Der Ort liegt nahe der ehemaligen DDR-Grenze. So weit wie Lütau müsste es auch Gorleben gebracht haben. Jedenfalls wenn die Behauptung zuträfe, Gorleben wurde nur wegen der Grenznähe ausgemustert. Tatsächlich kommt die Grenznähe erst im zweiten, dem niedersächsischen Verfahren, ins Spiel. Anfang 1976 waren die Arbeiten an den drei KEWA-Standorten mit Bohrungen und genehmigten Bohrprogrammen weit fortgeschritten. Am 2. Februar 1976 wechselte in Niedersachsen die Regierung von SPD zu CDU. Ministerpräsident Ernst Albrecht brauchte jede Stimme. Doch an den NEZ-Standorten rumorte es. Die da protestierten, waren nicht irgendwelche Spinner, als die Atomkraftgegner damals in CDU-Kreisen galten. Es waren die eigenen Leute: Landrat, Bürgermeister, Landtags- und Bundestagsabgeordnete. Vor allem im Emsland, dem aus geologischer Sicht aussichtsreichsten Standort, schlugen die Wogen hoch. Am 19. Februar 1976 gaben die Regionalvertreter ihre Ablehnung bei einem Treffen in der Landesregierung zu Protokoll. MdL Remmers

stellte die Frage, was aus dem Hümmling wird, wenn die ganze Gegend verseucht ist. Landrat Stricker stellte fest, dass er aus strukturpolitischen Gründen ein Gegner des Vorhabens sei. MdB Rudolf Seiters drängte die Bundesregierung mit einer Anfrage, auf weitere Bohrversuche zu verzichten. Die Machtbasis der Regierung Albrecht war bedroht. Der Ministerpräsident reagierte. Im Sommer 1976 rang er Bundeskanzler Helmut Schmidt das Einverständnis ab, eine eigene niedersächsische Suche nach einem NEZ-Standort starten zu können. Die Bohrungen an den anderen Plätzen wurden erst auf Oktober 1976 verschoben, dann eingestellt. Das Auswahlverfahren des Bundes war beendet. Im August 1976 begann die Landesregierung mit den Vorbereitungen für ein eigenes Auswahlverfahren. Sie richtete eine interministerielle Arbeitsgruppe Entsorgungszentrum (IMAK) ein. Bis zum Spätherbst blieben die IMAK-Akten jedoch von konkreten Auswahlschritten frei. Noch im Oktober 1976 fallen bei einem Treffen in den Räumen der RWE keine Namen einzelner Standorte. Die Bundesregierung gab bei diesem Anlass allerdings zu Protokoll, dass sie von der Notwendigkeit ausgeht, mehrere Standorte mittels Tiefbohrungen vergleichend zu untersuchen. Insgesamt fünf Tiefbohrungen pro Standort müssten es wohl sein. Die Lage änderte sich Anfang November 1976. Aus Bonn reisten am 11. November die Bundesminister Maihofer (FDP), Friderichs (FDP) und Matthöfer (SPD) nach Hannover. Erst danach war Ministerpräsident Albrecht ernsthaft bereit, einen Standort für ein NEZ in Niedersachsen zu benennen. Sehr zur Überraschung seiner Beamten (wie berichtet). Aber nur einen einzigen, nicht mehrere. Einige Tage später erhielt die IMAK den Auftrag, für die Kabinettssitzung am 14. Dezember eine Vorlage zu erarbeiten für eine Standortentscheidung. Der Auftrag lautete: kein Vorschlag zugunsten eines Standortes, eine Gegenüberstellung der in Frage kommenden Standorte, streng vertraulich. Wieder ein paar Tage später, am 18. November 1976, traf sich die Arbeitsebene der beteiligten Ministerien. Die Beamten verabredeten, wie sie den Auftrag für die Kabinettsvorlage ausführen wollten. Eine Notiz in den Akten hält die Eckpunkte der Verabredung fest. Darstellung aller 4 Standorte mit Für und Wider, heißt es da. Es folgen die drei KEWA-Standorte. Und dann: neu: LK Lüchow-D. Aus welchen Tiefen der Erkenntnis dieser Standort plötzlich auftaucht, wird nicht aufgeschrieben. Am 9. Dezember war diese Auswahl abgeschlossen, drei Wochen nach ihrem Beginn. Der Entwurf der Vorlage ging an die Staatssekretäre. Zunächst sieben, schließlich noch vier Standorte wurden dem Kabinett zur Auswahl gestellt: Wahn, Lichtenhorst, Mariaglück und Gorleben. Bei der Erarbeitung ihrer Kabinettsvorlage stützten sich die Regierungsbeamten in Fragen des Salzlagers auf eine Stellungnahme des niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung (NLfB). Darin war der Kenntnisstand zu den jeweiligen Salzstöcken in kurzen Bemerkungen aufgeführt, etwa, ob der Bau eines Bergwerkes möglich oder die Schichtenfolge bekannt ist. Diese Stellungnahme wird gern als Beweis für die Wissenschaftlichkeit der Auswahl genommen. Die Wissenschaftler des NLfB bauten solchen Vereinnahmen selbst vor. Die Antworten auf die uns gestellten Fragen können nur mit gewissen Vorbehalten gegeben werden, da zu speziellen Voruntersuchungen keine Zeit zur Verfügung stand schrieben sie, als sie am 25. November 1976 ihre Expertise abgaben. Auch das Sozialministerium weist in seiner Stellungnahme zur Standortauswahl vom 29.11.1976 auf den Zeitdruck hin. Die Daten, die das Ministerium beisteuern könnte, hätten nur orientierenden Charakter und keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Landesregierung wollte auch gar nicht mehr wissen. In einem Entwurf auf eine große CDU-Anfrage vom 12. Januar 1977 heißt es: Die der Landesregierung zur Verfügung stehenden Unterlagen reichen aus, um eine vorläufige Standortauswahl zu treffen. Nach Auffassung der Landesregierung sind für diese vorläufige Standortauswahl geologische Untersuchungen an Ort und Stelle nicht erforderlich. Am 22. Februar 1977 enthalten die Akten als

Auszug aus dem Protokoll nur zwei Sätze: Minister Küpker referiert über den bisherigen Stand der Beratungen. Nach eingehender Erörterung beschließt das Kabinett, Gorleben als vorläufigen Standort eines möglichen Entsorgungszentrums für ausgebrannte Brennelemente zu benennen. Von einem hohen wissenschaftlichen und methodischen Aufwand bei der Standortauswahl schwärmte vor zwei Jahren das Bundeswirtschaftsministerium. Aber der Landesregierung in Hannover war schon damals klar, dass sie mit der Auswahl nur eines Standortes einen schweren methodischen Mangel schuf. Bei ihrer Auswahl bediente sich die IMAK der Bewertungsdaten für die Eigenschaften von Kernkraftwerksstandorten des Bundesinnenministeriums. Die sollten dazu dienen, rechtzeitig und unter optimaler Abwägung benötigte Standorte zur Verfügung zu stellen. Die Autoren der Bewegungsdaten waren sich klar darüber, was es bedeutete, nur einen einiger Standort zu benennen. Fehlende Alternativen bedingen Ja/Nein-Entscheidungen über einen Standort ohne die Möglichkeit, eventuell günstigere Alternativen abzuwägen schrieben sie 1975 in die Vorbemerkungen. Es war die präzise Kurzfassung dessen, was dann in Gorleben ablief. Eignungshöffigkeit ist gemindert Vor der Hacke ist es duster. Diese Bergmannsweisheit diente in den Jahren nach der Benennung von Gorleben als Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) als Begründung, warum ein Bergwerk zur Erkundung des Salzstocks errichtet werden musste. Die Erkenntnisse durch die Bohrungen von der Oberfläche aus reichten nicht. Man werde den Salzstock gründlich wissenschaftlich erkunden. Es werde ausreichend große und ungestörte Salzvolumen geben. So lauteten die Versprechungen, als nach 1983 die Arbeiten unter Tage begannen. Ein Blick in die Akten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) zeigt ein anderes Bild. Die Erkundung des Salzstocks von Gorleben wurde im Laufe von 25 Jahren grundlegend geändert. Dabei spielte nicht nur wissenschaftliches Erkenntnisinteresse eine Rolle. Die Planer haben die Gebiete, in denen das Salz untersucht werden soll, je nach juristischen oder geologischen Hindernissen angepasst. Die Umstände sollten der Öffentlichkeit und den Gerichten vorenthalten werden, um negative Einflüsse auf Gerichtsverfahren zu vermeiden. Der 1983 genehmigte Rahmenbetriebsplan, auf den sich die Fortsetzung der Arbeiten jetzt nach Ende des Moratoriums stützt, sah eine weiträumige Erkundung des Salzstocks vor. Neun Erkundungsbereiche (EB) waren eingeteilt auf einer Strecke von rund sieben Kilometern längs durch den Salzstock. Jeder EB war mindestens 500 Meter breit. Aber schon bald stieß die genehmigte Planung auf Hindernisse. Im Süden versperrten Salzrechte des Grafen Bernstorff den Zugang zum gesamten südlichen Teil des Salzstocks. Im Nordosten lagen Eigentumsrechte von Kirchengemeinden im Wege. Ein Sachstandsbericht des Bundesumweltministeriums vom 9. August 1989 beschreibt die Lage. Wenn Bernstoff und die Kirchengemeinden nicht bereit wären, ihre Rechte abzugeben, könne man südlich der Schächte in Schwierigkeiten geraten. Eine Abwandlung der Strecke nach Norden wird als nicht machbar angesehen schrieb das BMU. Eine Enteignung würde die politische Auseinandersetzung nicht beenden. In den Folgejahren war das Problem Gegenstand vieler Diskussionen. 1993 erinnerte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) daran, das man 1991 vereinbart hatte, die Beratungen nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, da Auswirkungen auf laufende Gerichtsverfahren und das Zulassungsverfahren nicht auszuschließen sind, wie das BfS in einem Protokoll über ein Gespräch mit den Geologen der BGR am 16. August 1993 vermerkte. Zu diesem Zeitpunkt waren die Sorgen größer geworden. Eine Umgehung der Grundstücke (von Bernstorff und den Kirchengemeinden, Anm. d. Red.) bedeutet ein geologisches Risiko und kann zu Verzögerungen führen protokollierte das BfS. Denn in Richtung Norden müsste man

durch den Hauptanhydrit, eine potentielle Wasserwegsamkeit im Salzstock. Das jedoch würde dem Gesichtspunkt der Risikominimierung widersprechen, räumt das Amt ein. Die Eignungshöffigkeit ist gemindert. Eine Abweichung von der einvernehmlich festgelegten Vorgehensweise bei der Erkundung wird als problematisch angesehen heißt es weiter in dem siebenseitigen Papier. Die Alternativen sähen nicht gut aus: Aus den genannten Gründen wird deutlich, dass die Beschränkung der Erkundung und Errichtung des Endlagers auf den nordöstlichen Teil des Salzstocks nur unter Aufgabe von Sicherheitskriterien mit zusätzlichem Zeit- und Finanzaufwand möglich wäre. Das Erkundungsprogramm könne zwar unproblematisch an die geringeren Erkundungsräume angepasst werden. Aber am Ende stünden nur 40 Prozent der ursprünglich geplanten Endlagerkapazität zur Verfügung. Insgesamt ergäbe sich aber eine Chancenverschlechterung für den Nachweis geeigneter Endlagerflächen im Salzstock. Das ist noch nicht alles. Auch die Gerichte könnten Schwierigkeiten machen, befürchteten die Gesprächsteilnehmer von BfS und BGR. Die bisherigen Betriebsplanverfahren und damit zusammenhängende Gerichtsverfahren gehen von der Erkundung des gesamten Salzstocks aus... Eine Beschränkung der Erkundung auf dem BfS derzeit zugängliche Bereiche würde eine Umplanung erfordern, die praktisch ein neues Vorhaben darstellt. Für ein solches Vorhaben würden die Bergbehörden einen neuen obligatorischen Rahmenbetriebsplan... fordern, für dessen Zulassung ein Planfeststellungsverfahren mit UVP (Umweltverträglichkeitsprüfung, Anm. d. Red.) erforderlich ist. Die Forderung nach einer völlig neuen Genehmigung ließe sich nur dann umgehen, wenn in Zukunft Baumaßnahmen auf einer Fläche von unter 10ha stattfinden. An der Erdoberfläche sollte allerdings weiter so getan werden, als ginge es noch immer um den ganzen Salzstock. Die Bergbehörde, so schrieb das BfS 1993, sollte die gesamte übertägige Betriebsfläche anrechnen. In der Folgezeit veränderten sich die Darstellungen der untertägigen Erkundungsbereiche. Erst wurde der EB 1 statt südlich der Schächte nördlich davon angelegt. Dann verschwand der gesamte südliche Erkundungsbereich. An Stelle von Feldern mit einer Seitenlänge von über 500 Metern messen die EB nach der Fassung des Rahmenbetriebsplanes von 2009 oft nur noch 100 Meter und weniger. Sie schlängeln sich ausschließlich in Richtung Nordosten, vorbei an den Rechtegrenzen des Grafen Bernstorff und der Kirchengemeinden, vorbei aber auch an Kaliflözen und Hauptanhydrit. Je kleiner der Bereich der Erkundung, desto größer die Aussicht, ungestört zu bleiben. Man musste den Erkenntnisbereich nur klein genug machen, um ungestört weiter behaupten zu können: nichts spricht gegen den Salzstock Gorleben.