Medien Abel Hoffmann Filmanalyse: Die fabelhafte Welt der Amélie Die Bedeutung des Vorspannes in "Die fabelhafte Welt der Amélie" für den Rest des Films Studienarbeit
DIE BEDEUTUNG DES VORSPANNES IN DIE FABELHAFTE WELT DER AMÉLIE FÜR DEN REST DES FILMS EINLEITUNG Gegenstand und Aufgabe der Arbeit In der vorliegenden Arbeit wird der Film Die fabelhafte Welt der Amélie (Original-Titel: Le fabuleux destin d'amélie Poulain ) des französischen Regisseurs Jean-Pierre Jeunet aus dem Jahr 2001 untersucht. Hauptaugenmerk liegt auf dem Vorspann des Films, den ersten drei Minuten (00:35-03:09), für die ich ein Filmprotokoll erstellt habe, das sich im Anhang befindet. Es ist sinnvoll, dieses parallel zur Szene zu lesen. Die Credits lasse ich darin bis auf E14 und E15, wo sie in die Handlung mit eingebunden werden, unerwähnt. Inhaltlich geht es in der Arbeit um die Frage, inwieweit Themen und Elemente, die im Film eine Rolle spielen, schon im Vorspann auftauchen, wie der typische Stil und die Stimmung des Filmes darin entwickelt werden und inwiefern der Vorspann als eine Erklärung für den Rest des Filmes verstanden werden kann. Zusätzlich möchte ich einige Hintergrund-Informationen zu den Aufnahmen geben, Jeunets Intentionen dazu erklären und auf Vorbilder und Anspielungen aus der Filmgeschichte hinweisen. Handlung des Films Der Film handelt vom Schicksal eines introvertierten, aber sehr fantasievollen Mädchens mit Namen Amélie, das in Montmartre, Paris aufwächst. Wegen eines vermeintlichen Herzfehlers wächst sie abgeschieden von anderen Kindern auf und 1/17
erfindet eine eigene Welt, wo Schallplatten wie Crêpes hergestellt werden und Wolken wie Teddybären und Hasen aussehen. Auch als sie älter wird und als 23-jährige im Café Deux Moulins arbeitet, behält sie die Freude an den kleinen Dingen des Lebens und die Neugierde für sinnlose Fragen bei. Als sie zufällig ein kleines, verrostetes Kästchen mit alten Kinderspielzeugen findet, es seinem alten Besitzer zukommen lässt und sieht, wie sehr ihn dieses unerwartete Wiedersehen berührt, beschließt sie, sich weiter in das Leben anderer einzumischen. So lässt sie einen Blinden für einen Moment die Welt um ihn herum sehen, bringt eine ihrer Kolleginnen mit einem eifersüchtigen Stammgast zusammen, bestraft einen Gemüsehändler, der seinen Gehilfen schikaniert, weckt die Reiselust in ihrem zurückgezogenen Vater und freundet sich mit ihrem Nachbarn Dyfael an, der auf Grund einer Krankheit Knochen besitzt, die brüchig wie Glas sind. Größere Schwierigkeiten hat Amélie aber dabei, einem ebenso exzentrischen jungen Mann, der weggeworfene Passfotos sammelt, ihre Liebe zu gestehen. Trotz mehrerer, kreativer Versuche, traut sie sich in den entscheidenden Augenblicken nicht, ihn anzusprechen. Bis schließlich Dyfael etwas nachhilft und die beiden doch zusammenfinden. DIE EINZELNEN SZENEN 1. Szene: Montmartre und die überfahrene Fliege (00:35) Der Erzähler Gleich am Anfang ist die Stimme des Erzählers (André Dussollier, deutsch: Peter Fricke) zu hören, die immer wieder im Film auftaucht und vor allem in den ersten Minuten eine wichtige Rolle spielt. Gleichzeitig verbindend und erklärend, führt sie in die Geschichte ein, beleuchtet die auftauchenden Charaktere, nennt allwissend Daten und Fakten, die lapidar erscheinen und ist doch sehr subjektiv am Schicksal Amélies interessiert. Insgesamt macht der Erzähler einen allgegenwärtigen, gottgleichen Eindruck, seine Erklärun- 2/17
gen scheinen aber nicht immer ganz verlässlich. 1 Der Stil reicht von witzig ( bedauerlicherweise ist der Goldfisch aufgrund des familiären Umfeld depressiv und selbstmordgefährdet [5:42]) bis sarkastisch ( die göttliche Antwort kommt drei Minuten später [8:14]) und abfällig ( er stürzt sich wie besessen auf den Bau eines Miniaturmausoleums [8:39]), immer aber ist der Erzähler auf Amélies Seite. Er nimmt sie in Schutz ( und Amélie beschließt sich zu rächen [7:25]), erklärt ihr Verhalten ( ist die Welt, die sie erfindet, ihre einzige Zuflucht [5:19]), bejaht ihre Eigenarten ( dafür hat sie einen besonderen Sinn für die kleinen Freuden des Lebens [11:46]), fühlt mit ihr mit ( die Zeit hat nichts geändert, Amélie flüchtet sich noch immer in die Einsamkeit [13:01]) und freut sich ( Amélie hat plötzlich das Gefühl, in absoluter Harmonie mit sich selbst zu sein [33:16]). Durch die vielen belanglosen, aber wissenschaftlich präzisen Angaben, verbindet der Erzähler zusammenhanglose und scheinbar zufällige Geschehnisse miteinander und schafft so einen durchgehenden roten Faden, an dem auch Amélies Leben wie in einem chaotischen Universum einen Platz findet. 2 Die Künstlichkeit der Bilder Durch die durchdachte Bildaufteilung (Horizont auf dem unteren Drittel, klare Linien und Formen) und die surrealen Farben (Goldene Sepiatöne, Grün, starke Farbsättigung), wirkt die Szene insgesamt sehr künstlich, vergleichbar mit einem Comic oder einer nostalgischen Postkarte. Diese künstliche Wirkung der Bilder zieht sich durch den ganzen Film. Der besondere Umgang mit den Hauptfarben Grün, Rot und Braun gibt dem Film eine altmodische, idyllische Anmutung und versetzt ihn von der Bildwirkung her um ein paar Jahrzehnte in die unbestimmte Welt der guten alten Zeiten zurück. Vanderschelden sieht in der Kombination Rot und Grün einen Bezug zum Thema Weihnachten und stellt fest, dass das erdige Braun nicht bloß 1 Vgl. Isabelle Vanderschelden: Amélie, Urbana u.a.: Univ. of Illinois Press 2007, S.61 2 Vgl. W. Everett, Fractal films in the architecture of Complexity, Studies in European Cinema, 2,3 (December 2005), S.159-172, Zit. nach: Vanderschelden (Anm. 1), S.61 3/17