10 Titelthema. KV-Blatt Foto: Schlitt

Ähnliche Dokumente
Ambulante Vergütung: Status quo, Herausforderungen, Reformoptionen

EBM Informationen. 15.Dezember 2008 Hamburg. Stellvertretender Vorsitzender Kassenärztliche Vereinigung Hamburg

RLV QZV Kooperationszuschlag:

Management von Gesundheitseinrichtungen. Aktuelle Herausforderungen für das Management im ärztlichen ambulanten Bereich

Arbeiten in Deutschland. Eine Einführung für ausländische Ärzte in das deutsche Gesundheitssystem

Fakten und Zahlen - Die Wirkung der Honorarreform in Baden-Württemberg

Weichenstellung durch die. Gesundheitsreform 2006

Arbeiten in Deutschland. Eine Einführung für ausländische Ärzte in das deutsche Gesundheitssystem

Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der GKV (GKV-VStG) RA Dr. Thomas Rompf. Die Honorarverteilung und Vergütung

Die zukünftige Honorierung vor dem Hintergrund von Qualitätsstandards und Morbidität: Was erwartet den niedergelassenen Schmerztherapeuten?

Die Wahltarife der neuen Gesundheitsversicherung

Ärzte im GKV-System. Prof. Michael Faist Sprecher des Ärztlichen Beirats der Bezirksdirektion Freiburg

Euroforum-Konferenz /

B E S C H L U S S. des Bewertungsausschusses nach 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V in seiner 386. Sitzung am 12. Dezember 2016

16. Plattform Gesundheit des IKK e.v. Notfall Notversorgung! Von Steuerungs- und Strukturdefiziten. Begrüßungsrede Hans-Jürgen Müller

Entscheidungserhebliche Gründe

Bewertungsausschuss nach 87 Absatz 1 Satz 1 SGB V in seiner 417. Sitzung (schriftliche Beschlussfassung) Geschäftsführung des Bewertungsausschusses

Düsseldorfer Symposium für Vertragsärzte Neues bei der vertragsärztlichen Vergütung - Was habe ich zu beachten?

Einführung. Einführung

Rundschreiben an alle Mitglieder der KV Hessen

Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung möge beschließen:

GKV-Honorar 2013 und neue Bedarfsplanung

MLP Gesundheitsreport November 2008, Berlin

Fakten zum deutschen Gesundheitssystem.

Perspektiven des Sicherstellungsauftrags

Niedersächsischer Landtag 17. Wahlperiode Drucksache 17/2645. Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2342 -

B E S C H L U S S. des Bewertungsausschusses nach 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V in seiner 416. Sitzung (schriftliche Beschlussfassung) Teil A

Vergütung haus- und fachärztlicher Leistungen. Anlage 1 Informationen zur Honorarreform 2009

Informationen zur Honorarreform 2009

EBM Informationen für ärztliche und psychologische Psychotherapeuten. 19.Dezember 2008 Hamburg. Vorsitzender Kassenärztliche Vereinigung Hamburg

Reform der Reform: Wie geht es weiter mit der ärztlichen Vergütung?

Unzufriedenheit mit Preis und Leistung

Die Zukunft der HIV-Schwerpunktpraxen?

BESCHLUSS. des Bewertungsausschusses nach 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V in seiner 369. Sitzung am 15. Dezember 2015

BESCHLUSS. des Bewertungsausschusses nach 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V in seiner 242. Sitzung am 24. November mit Wirkung zum 1.

Arzt- und praxisbezogenes Regelleistungsvolumen

Wohin mit den Überschüssen der GKV? - Aus Sicht der Leistungserbringer

Zwischen. der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg. und. der IKK classic. wird folgender. 20. Nachtrag. zum Gesamtvertrag vom 18.

B E S C H L U S S. des Bewertungsausschusses nach 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V in seiner 341. Sitzung am 17. Dezember 2014

Interessenvertretung der Ärzte durch die KV?

Honorarreform 2009 Euro-EBM, Regelleistungsvolumen und deren Auswirkungen auf die GKV-Vergütung

Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen. Gesundheit und Pflege

Teil C. zur Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) mit Wirkung zum 1. Januar 2015

Tagung des SchmerzNetzNRW eg, Köln,

BESCHLUSS. des Bewertungsausschusses nach 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V in seiner 369. Sitzung am 15. Dezember 2015

3. Leistungserbringer. Inhalte dieses Abschnitts 3.2 Vergütung von Ärzten Einzelleistungsvergütung Pauschalen, Budgetierung

Bewertungsausschuss nach 87 Absatz 1 Satz 1 SGB V in seiner 430. Sitzung am 12. Dezember 2018 Geschäftsführung des Bewertungsausschusses

B E S C H L U S S. mit Wirkung zum 1. Januar 2011

Entscheidungserhebliche Gründe

Strategische Kooperationen zwischen niedergelassenen Ärzten und Kliniken

Präsentation des KVSH-Versorgungsberichts, 09. Oktober 2009 in Kiel Statement von Dr. Ingeborg Kreuz, kommissarische Vorstandsvorsitzende der KVSH

23 Fragen zu Organisationen im Gesundheitswesen

I) Ziffer 1.1wird mit Wirkung ab 01. Januar 2016 geändert und lautet wie folgt:

Regionale Gebührenordnung 2009

Die ärztliche Selbstverwaltung nach dem GKV-VSG

Rahmenstrukturvertrag Versorgungsentwicklung (TK)

Wir optimieren Ihre Krankenversicherung! Egal ob allein oder familienversichert!

SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/ Wahlperiode 06. September 2016

position Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft

Faktenblatt. Thema: Ambulante Versorgung Vergütung Ärzte , Pressestelle GKV-Spitzenverband. Durchschnittlicher Reinertrag je Praxisinhaber

ebm.aktuell Neues Kapitel 37 EBM mit Kooperations- und Koordinationsleistungen Juli 2016

Einheitlicher Leistungskatalog und differenzierte Versorgungsangebote?

Die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum: Herausforderungen und Zukunftskonzepte

Einführung in das Management im Gesundheitswesen. Finanzierung I

2011 Aufhebung der Bedarfsplanung? Was kommt auf die niedergelassenen Fachärzte zu? Copyright RA Thomas Fendt, Nymphenburger Str.

Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e. V. Bundesgeschäftsstelle Im Teelbruch Essen

Mitgebrachte und interkurrente Erkrankungen während einer stationären Maßnahme der medizinischen Rehabilitation Positionen der AG MedReha SGB IX ¹ )

BESCHLUSS. des Bewertungsausschusses gemäß 87 Abs. 1 SGB V in seiner 403. Sitzung (schriftliche Beschlussfassung)

14974 Ludwigsfelde Vergütung für medizinische Leistungen. Der Deutsche Bundestag hat die Petition am abschließend beraten und beschlossen:

Ethische Bewertung einer impliziten und expliziten Ressourcenallokation

Einflussmöglichkeiten von Gemeinden bei der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung

24. Deutscher Krankenhaustag Düsseldorf November Integrierte Versorgung. Susanne Renzewitz, Deutsche Krankenhausgesellschaft

Kommunikation im Gesundheitswesen

Morbi-RSA und für Bereich Schmerz. Wer gewinnt? Workshop 4. ADHS Gipfel, Hamburg, 6.-8.Feb L.Slawik/J.Fleischmann, Neuss

Gesundheit und Pflege gerecht finanzieren

Vereinbarung zur Bereinigung des Behandlungsbedarfes

Zwischen der. Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns - Körperschaft des öffentlichen Rechts -, der AOK Bayern Die Gesundheitskasse,

des Erweiterten Bewertungsausschusses nach 87 Abs. 4 SGB V in seiner 43. Sitzung am 22. September 2015 Teil A

Die Regelung der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss

Bezirksgeschäftsstelleninformation 02/2009

» Der 64b SGB V. Entwicklung und Perspektive. Workshop Jetzt wird s praktisch. Arno Deister. Berlin-Wannsee 21. September Prof. Dr. med.

Solidarische Bürgerversicherung

Grundlagen der Honorarsystematik für Ärzte und Psychotherapeuten Praxisbörsentag Düsseldorf Olga Lykova I Linda Pawelski

Apotheker dürfen bis zu drei Filialen führen und Medikamente über Internet und im Versandhandel vertreiben.

Kopfpauschale vs. Bürgerversicherung

Gemeinsame gesundheitspolitische Forderungen

abrechnungs.letter Dezember 2014 Sehr geehrte Damen und Herren,

Ein Service der Geschäftsführung des Bewertungsausschusses Diese Lesefassung entspricht keiner amtlichen Bekanntmachung BESCHLUSS

Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KVH) die Knappschaft

Arbeiten in Deutschland. Eine Einführung für ausländische Ärzte in das deutsche Gesundheitssystem

Vereinbarung. zur. Bereinigung der Regelleistungsvolumen (RLV) nach 87b SGB V für Verträge nach 73b, 73c und 140a ff. SGB V

Information zur Budgetierung von Laboratoriumsuntersuchungen des Abschnitts

Vorgaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gemäß 87b Abs. 4 SGB V (Artikel 1, Nr. 24 GKV-VStG)

Antrag der Fraktion der SPD Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen unter Strafe stellen (BT-Drs. 17/12213)

Gemeinsame Stellungnahme von Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Bundesärztekammer

AMNOG Erstattungsbetragsvereinbarung und Wirtschaftlichkeit. Dr. Thomas Lang MSD Forum GesundheitsPARTNER 17. September 2014 Workshop 1

Scharnhorststr. 25 Tel.: Herford Fax: 50313

Transkript:

10 Titelthema Dann machen wir es Berlins Ärzteverbände protestieren wieder. Sie sehen auch nach einem Wegfall der Budgetierung kein Ende der Leistungsbegrenzung. Die mit den Krankenkassen anstelle der Budgets auszuhandelnden Regelleistungsvolumina stellen in ihren Augen eine Art Ersatzbudget dar. Für MEDI-Landeschef Wolfgang Mitlehner kommt es jetzt darauf an, öffentlichen Druck herzustellen, um bei den Verhandlungen ein Optimum für die ärztliche Vergütung herauszuholen. Gleichzeitig fordert der Moabiter Lungenfacharzt ein Vertragsarztsicherungsgesetz, das den Krankenkassen eine ausreichende Honorierung ärztlicher Leistungen verbindlich vorschreibt. Aus Anlass der Praxisschließungsaktionen Ende Juni hat das KV-Blatt mit Wolfgang Mitlehner gesprochen.

Titelthema 11 Die mussten auch erst eine bestimmte Marge überschritten haben, um die Mehrheit zum Protest bewegen zu können. wie die Milchbauern KV-Blatt: Herr Mitlehner, nächstes Jahr, so heißt es überall, fällt die Budgetierung weg und die Morbidität soll auf die Krankenkassen übergehen. Warum also Ihr Protest? Mitlehner: So, wie Sie das sagen, klingt das ja fast schon nach Himmelreich. Die Morbidität soll zwar auf die Kassen übergehen, aber sicher nicht schon im kommenden Jahr. Denn dafür gibt es noch gar keine Regelungen. Und die Budgetierung fällt auch nicht weg, denn wir kriegen eine Ersatzbudgetierung und die heißt Regelleistungsvolumen. KV-Blatt: Was heißt das für die Ärzte? Mitlehner: Wir werden die Öffentlichkeit über die Folgen der Budgetierung unterrichten. Wir werden ihr sagen: Budgets führen zur Zwei-Klassen-Medizin. Zwangsläufig. Die Patienten leiden zunehmend darunter, weil sie keine adäquate Versorgung im Rahmen der Budgetierung mehr erwarten können. KV-Blatt: Sie fordern ein Vertragsarztsicherungsgesetz, mit anderen Worten: eine gesetzlich garantierte und regelmäßige Honorarerhöhung. Es gibt wohl keinen freien Beruf, in dem solche Privilegien durchzusetzen wären. Warum dann bei den Ärzten? Mitlehner: Die Ärzte sind ohnehin nur zum Teil Freiberufler. Als Kassenärzte sind wir in einer Zwangsjacke mit beamtenähnlichen Verhältnissen, allerdings hier mit dem Unterschied des fehlenden Alimentierungszwangs. Es besteht ein Mangel in der Medizin, das ist Geld. Dieser Mangel ist errechenbar. Er hat die Hausnummer 4,5 Milliarden Euro. Und wenn diese fehlen, dann muss ein Weg gefunden werden, wie das Geld wieder rein kommt. Die Regelung muss sicherstellen, dass dieses Geld dann tatsächlich im Gesundheitswesen auftaucht. Es muss also ein Ambulantes Gesundheitswesensicherungsgesetz geschaffen werden und zwar vor 2009. KV-Blatt: Wenn aber Ihre Gesetzesforderung darauf hinausläuft, dass es nur um die gesetzliche Sicherung angemessener Honorare geht, könnten Politiker auf die Idee kommen, die Freiberuflichkeit in der ambulanten Versorgung ganz

12 Titelthema Stichwort: Vergütung ab 2009 Im Zusammenhang mit der Vergütungsreform 2009 kommt es immer wieder zu Missverständnissen bis hin zu Versprechungen, dass der Leistungsumfang künftig nach oben offen ist. Richtig ist jedoch: Auch ab 2009 wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Auch dann wird es Budgets und eine Gesamtvergütung geben. Anders als heute gibt es allerdings keine kassenunterschiedlichen Kopfpauschalen mehr und die Vergütung kann dem tatsächlichen Leistungsbedarf angepasst werden. Die künftige Honorarstruktur besteht aus mehreren Komponenten: Landespunktwert: Für alle Leistungen wird ein einheitlicher Punktwert, der so genannte Landespunktwert, errechnet. Dieser Landespunktwert leitet sich von einem Orientierungspunktwert auf Bundesebene ab und dürfte von diesem kaum bis gar nicht abweichen. Die Höhe des Landespunktwertes wird vermutlich unter dem bisherigen Individualbudgetpunktwert in Berlin liegen. Die Krankenkassen wollen zukünftig alle Leistungen, also auch Leistungen der Prävention, nur zu diesem Punktwert bezahlen. Die Ärzteseite kämpft dafür, dass jedoch gerade die Präventionsleistungen weiter zu den bisher in Berlin geltenden Punktwerten bezahlt werden. Fortsetzung von Seite 11 abzuschaffen und Sie gleich zum Angestellten machen. Mitlehner: Einen solchen Zusammenhang kann ich nicht erkennen. Bloß, weil die Kassen verpflichtet werden, jetzt mehr zu bezahlen oder der geplante Gesundheitsfonds sie verpflichtet, mehr auszuschütten an niedergelassene Ärzte...? KV-Blatt: Sie lehnen eine anonyme ambulante Klinikmedizin ab. Was macht denn die ambulante Klinikmedizin schlechter als die Arbeit der niedergelassenen Fachärzte? Pos. 18 Mitlehner: Wir halten es für völlig abwegig, eine neue Facharztschiene aufzumachen. Das ist eine politische Entscheidung, die von ganz anderen als medizinischen Interessen getragen ist. Durch diese Gesetzesänderung ( 116 b SGB V, d. Red.) entsteht jetzt die Möglichkeit, dass Krankenhäuser den ambulant tätigen Fachärzten Konkurrenz machen ungezügelt und unkontrolliert mit noch nicht festgelegten Preisen und mit staatlicher Subventionierung. Das ist nicht nur vom Wettbewerbsrecht her unzulässig, sondern auch von der Sache her völlig überflüssig. Anzeige Behandlungsbedarf: Darüber hinaus zahlt zukünftig jede Krankenkasse je Versicherten den so genannten Behandlungsbedarf. Es gibt somit weiterhin eine Gesamtvergütung und ein Budget. Allerdings wird es ab 2009 im Gegensatz zur jetzigen Situation die Möglichkeit der Anpassung des Behandlungsbedarfs an die Morbidität geben. Wie geht es weiter? Derzeit werden alle relevanten Einflussfaktoren im Bewertungsausschuss verhandelt. Beschlüsse sind bis Ende August zu erwarten. Das KV-Blatt wird rechtzeitig den weiteren Fahrplan der Verhandlungen zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Krankenkassen bzw. dem Erweiterten Bewertungsausschuss veröffentlichen. uk/red

Titelthema 13 Pos. 21 Anzeigen Fordert ein Vertragsarztsicherungsgesetz : MEDI-Landeschef Wolfgang Mitlehner im KV-Blatt-Interview KV-Blatt: Aber die Kassenärztliche Vereinigung wird bei Zulassungen nach 116 b SGB V gehört... Mitlehner:... ja, ja, sie wird gehört, aber ihr Votum muss nicht beachtet werden. Entscheidend ist offenbar, dass zwar eine Behörde, letztlich aber doch deren Senatorin nach parteipolitischen Erwägungen darüber entscheidet, welche ambulanten Leistungen eine Klinik erbringen darf. Das ist ein völlig irrsinniger Weg. Denn für solche Entscheidungen sollte ausschließlich ein fachkompetentes Gremium zuständig sein. Pos. 17 KV-Blatt: Sie fordern, versicherungsfremde Leistungen aus der GKV herauszunehmen. Was versprechen Sie sich davon? Mitlehner: Wir haben mindestens 35 Milliarden Euro versicherungsfremde Leistungen in Deutschland in der GKV. Diese Leistungen sollen nicht aus der GKV herausgenommen, sondern mit Steuermitteln finanziert werden. Mutterschaftsgeld ist keine Versicherungsleistung, sondern eine politische Leistung. Mitversicherung von Kindern ist eine politische Entscheidung, darf also nicht von der Versichertengemeinschaft bezahlt werden. Ehefrauenversicherung dasselbe Thema. Als weiteres Beispiel könnte ich die Mehrwertsteuer nehmen. Trivial-Druckerzeugnisse werden zum ermäßigten Prozentsatz versteuert, Arzneimittel hingegen mit den vollen 19 Prozent. Wir haben einen ständigen Preisanstieg bei Arzneimitteln, dennoch ist der Finanzminister nicht

14 Titelthema Fortsetzung von Seite 13 bereit, den reduzierten Steuersatz auch bei Arzneimitteln anzuwenden. Das spricht Bände. KV-Blatt: Gleichwohl sind das alles keine neuen Forderungen... Mitlehner:... aber aktuelle, denn wenn diese umgesetzt würden, dann wären bei einer Lücke von etwa 18 Milliarden Euro allein damit die Finanzierungsprobleme in der GKV gelöst. KV-Blatt: Zurück zum Protest. Was versprechen Sie sich von weiteren Aktionen? Mitlehner: Wir haben den Eindruck, dass die Misere im Gesundheitswesen wieder aus dem Blickwinkel des öffentlichen Bewusstseins verschwunden ist. Wir wollen das öffentliche Bewusstsein wieder auf diese Probleme lenken. Die Proteste der vergangenen Jahre waren erfolgreich, aber im Bewusstsein der Bevölkerung haben wir schon die neue Gebührenordnung in Euro und Cent, obwohl dieses Thema überhaupt noch nicht in trockenen Tüchern ist. Die Patienten sind jedes Mal völlig entsetzt, wenn ich ihnen sagen muss, dass mein Budget für dieses Quartal bereits erschöpft ist. Planbare Leistungen müssen wir verschieben. Das versteht niemand. Deswegen muss die Diskussion erneut angestoßen werden. Und zwar jetzt, weil in den Sommerferien der bundeseinheitliche Punktwert festgelegt wird. Wenn alle verreist sind. KV-Blatt: Was passiert, wenn es entgegen den Beteuerungen aus der Politik unterm Strich doch nicht mehr Geld gibt? Mitlehner: Ich gehe davon aus, dass die Wut der Ärzte dann wächst. Ich gehe auch davon aus, dass viele sich überlegen werden, ihre Kassenarztzulassung zurückzugeben, auch in Berlin. Mir ist aber auch klar, dass die überwiegende Mehrheit der Ärzte dieses nicht tun wird, sondern versucht, sich in kleine Fluchten zu retten. Kollegen über 50, deren Praxen abbezahlt sind, werden versuchen, nur Leistungen zu erbringen, die wirklich bezahlt werden. Sie werden keinen zusätzlichen Service mehr für die Patienten bieten. Und die Jüngeren werden sich überlegen, ob sie in irgendwelche Modelle flüchten sollten, die ihnen mehr Hoffnung geben. Es wird also zum Niedergang der ambulanten Medizin kommen, wenn dieses Versprechen nicht eingehalten wird. Das ist wie bei den Milchbauern. Die mussten auch erst eine bestimmte Marge überschritten haben, um die Mehrheit zum Protest bewegen zu können. Wenn diese Marge überschritten ist, gehen die Leute wieder auf die Straße und machen Druck. Und was wir machen, ist der Anfang, die Drohung: Schlimmeres passiert, wenn ihr nichts tut. Die Fragen stellten Reinhold Schlitt und Ina Harloff Dieses und andere Motive wurden während der Protestwoche im Berliner U-Bahn-Fernsehen gezeigt. Anzeige Pos.9