Die Veränderung psychometrischer Maße im Behandlungsverlauf und post-release Effekte aus dem Evaluationsprojekt Sozialtherapeutische Behandlung von Sexual- und Gewaltstraftätern 14. Fachgruppentagung der Rechtspsychologie der DGPs Münster/Westf. 23.09.2011 Dr. Gunda Wößner, Dipl.-Psych. Senior Researcher Abteilung Kriminologie
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1.1 Verlegung in Sozialtherapie Ein Gefangener, der wegen eines Sexualdeliktes zu einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt wurde, ist dann gemäß 9 Abs. 1 StVollzG in eine sozialtherapeutische Abteilung zu verlegen, wenn seine Behandlung angezeigt ist. Die Verlegung ist bei Verurteilten angezeigt, [ ] bei denen gefährliche Straftaten wegen einer erheblichen Störung ihrer persönlichen und sozialen Entwicklung zu befürchten sind [...] (Egg, 2007, S. 103). Aufnahme in Sozialtherapie dient auch der Erarbeitung einer Behandlungsmotivation!
1.2 Sozialtherapie im Strafvollzug Sozialtherapie - Leitidee Dem Gefangenen sollen besondere therapeutische Mittel und soziale Hilfen gewährt werden, um seine Resozialisierung zu befördern. Training sozialer Kompetenzen Ausbildung von Empathiefähigkeit und Konfliktbewältigung Selbstsicherheitstraining Entspannungstraining Entlassungsvorbereitungen Rückfallprävention speziell für Sexualstraftäter Bearbeitung stereotyper und dysfunktionaler Denk- und Interpretationsmuster Keine gesetzlich verankerten Behandlungskriterien - Richtliniencharakter
1.3 Behandlungsprozess in der Sozialtherapie Konferenz- / Besprechungs system Milieutherapie Freizeittherapie Arbeit Sozialpädag. Maßnahmen Psychotherapie
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2. Aktuelle en A Sind Veränderungen in solchen psychometrischen Maßen zu beobachten, auf die die Behandlung abzielt (kriminogene/protektive Faktoren)? Unterschiede zwischen Sozialtherapie-Vollteilnehmern Regelvollzugsinsassen Sozialtherapie-Abbrechern? B Welche Effekte sind bislang ein Jahr nach der Entlassung zu verzeichnen? (Rückfall gemäß Dunkelfeld)
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Auswahl/ Rekrutierung 3.1 Probanden Population in der Anstalt (Sexual- und Gewaltstraftäter) Teilnehmer aktive Verweigerer Regelvollzug Sozialtherapie Deliktgruppe Stichprobenzuordnung Nicht- Angefragte Regelvollzug Nichtteilnehmer Sozialtherapie- Teilnehmer Sozialtherapie- Abbrecher Gewalt Sexual Gewalt Sexual Gewalt Sexual t₁ (N= 320) n= 65 n= 55 n= 58 n= 94 n= 20 n= 28 t₂ (N= 118) n= 23 n= 15 n= 20 n= 45 n= 6 n= 9 t₃ (N= 55) Follow-up I t₄ (n.n.b.) Follow-up II n= 10 n= 5 n= 9 n= 27 n= 0 n= 4 n= n= n= n= n= n=
3.2 Design und Durchführung Zeitpunkt t 1 Zeitpunkt t 2 Zeitpunkt t 3 Zeitpunkt t 4 Beginn der Haftphase (n*=430) Kurz vor Entlassung (n=220) biographische und tatbezogene Merkmale; klinische Merkmale; persönlichkeitsbezogene Variablen; Inhalte der Maßnahmen Aktenanalyse** Fachdienstbefragung 1 Jahr nach Entlassung (n=80) Selbstkontrolle NEO-FFI FPI-R Selbstwert Lebensumstände Dunkelfeld BZR- Auskünfte nach mind. 5 Jahren *Gesamt (Erwachsene und Jugendliche); ** Aktenanalyse wird für den gesamten Probandenpool durchgeführt
3.3 Variablen und Messinstrumente Merkmalsbereich Testinstrument(e) Ggf. einzelne Variablen/Skalen Selbstkontrolle FES-K Impulskontrolle Einfache Aufgaben Selbstbezogenheit Aggressivität FPI-R Aggressivität Empathie Selbstwert Prosozialität E-Skala MSWS NEO-FFI, FPI-R Einfühlungsbereitschaft Betroffenheit Extraversion FPI-R, EPI, NEO-FFI Extraversion Neurotizismus FPI-R, EPI, NEO-FFI Emotionaler Selbstwert Sozialer Selbstwert Leistungsbezogener Selbstwert Körperlicher Selbstwert Verträglichkeit (NEO-FFI) Soziale Orientierung (FPI-R) Neurotizismus Emotionalität Gehemmtheit FPI-R Gehemmtheit Leistungsorientierung FPI-R Leistungsorientierung
3.4 Regressionsanalyse Prädiktorvariable: Kriteriumsvariable: (1) Ausprägung zu t 1 (2) Vollzugsform Ausprägung zu t 2 t 1 t 2 Überprüft die Hypothese, dass eine potenzielle Veränderung zwischen t 1 und t 2 in einem kriminogenen bzw. protektiven Faktor durch die sozialtherapeutische Intervention erklärt werden kann.
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4.1 Deliktverteilung Standort Delikt Waldheim Bautzen Torgau Dresden Gesamt Regelvollzug RV Gewalt 12 36 1 0 49 Vergewaltigung 4 13 2 1 20 Missbrauch 7 13 6 4 30 Gesamt 23 62 9 5 99 Sozialtherapie ST Gewalt 35 0 0 0 35 Sozialtherapie- Abbrecher SA Vergewaltigung 18 5 2 0 25 Missbrauch 47 9 0 0 56 Gesamt 100 14 2 0 116 Gewalt 15 0 0 1 16 Vergewaltigung 7 1 0 0 8 Missbrauch 13 3 1 0 17 Gesamt 35 4 1 1 41 Gesamt Gewalt 62 36 1 1 100 Vergewaltigung 29 19 4 1 53 Missbrauch 67 25 7 4 103 Gesamt 158 80 12 6 256
4.2.1 Impulsivität Regressionsmodell Prädiktorvariable: Kriteriumsvariable: (1) Impulsivität zu t 1 (2) Vollzugsform Impulsivität zu t 2 t 1 t 2 Überprüft die Hypothese, dass die Ausprägung der Impulsivität zum Zeitpunkt t 2 (nach sozialtherapeutischer Intervention bzw. Kurz vor Entlassung) durch den Aufenthalt auf der Sozialtherapie erklärt werden kann.
4.2.1 Impulsivität Regressionsanalyse Prädiktor B SE p R 2 adj. Schritt 1 Impulsivität zu t1 0.47 ±0.07 <.001.28 Schritt 2 Impulsivität zu t2 0.45 ± 0.07 <.001 Sozialtherapie-Teilnehmer vgl. mit Insassen des Regelvollzugs Sozialtherapie-Abbrecher vgl. mit Insassen des Regelvollzugs -0.57 ± 0.37 n.s. 0.03 ± 0.54 n.s..29 Fragebogen zur Erfassung der Selbstkontrolle (FES-K) nach Grasmick et al. 1993
Impulsivität 4.2.1 Impulsivität Vergleich von Subgruppen 10 9 8 7 6 5 4 3 Sotha erw SST RV erw SST Sotha erw GST RV erw GST Abbr erw SST Abbr erw GST 2 1 0 1 2 Sotha = Sozialtherapie; RV = Regelvollzug erw = erwachsene SST = Sexualstraftäter; GST = Gewaltstraftäter
(3.3 Variablen und Messinstrumente) Merkmalsbereich Testinstrument(e) Ggf. einzelne Variablen/Skalen Selbstkontrolle FES-K Impulskontrolle Einfache Aufgaben Selbstbezogenheit Aggressivität FPI-R Aggressivität Empathie Selbstwert Prosozialität E-Skala MSWS NEO-FFI, FPI-R Einfühlungsbereitschaft Betroffenheit Extraversion FPI-R, EPI, NEO-FFI Extraversion Neurotizismus FPI-R, EPI, NEO-FFI Emotionaler Selbstwert Sozialer Selbstwert Leistungsbezogener Selbstwert Körperlicher Selbstwert Verträglichkeit (NEO-FFI) Soziale Orientierung (FPI-R) Neurotizismus Emotionalität Gehemmtheit FPI-R Gehemmtheit Leistungsorientierung FPI-R Leistungsorientierung
4.2.2 Empathie Regressionsanalyse I Einfühlungsbereitschaft Prädiktor B SE p R 2 adj. Schritt 1 Einfühlungsbereitschaft zu t1 0.57 ±0.07 <.001.43 Schritt 2 Einfühlungsbereitschaft zu t2 Sozialtherapie-Teilnehmer vgl. mit Insassen des Regelvollzugs -2.71 ± 1.43 n.s. (.06).46 Sozialtherapie-Abbrecher vgl. mit Insassen des Regelvollzugs -4.58 ± 2.01 <.05 Beispielitems (Leibesteder et al. 1996): Ich kann sehr leicht die Gefühle von Romanfiguren nachempfinden. Wenn ich einen guten Film ansehe, kann ich sehr leicht die Hauptdarsteller nacherleben.
4.2.2 Empathie Regressionsanalyse II Betroffenheit Prädiktor B SE p R 2 adj. Schritt 1 Betroffenheit zu t1 0.57 ±0.07 <.001.44 Schritt 2 Betroffenheit zu t2 Sozialtherapie-Teilnehmer vgl. mit Insassen des Regelvollzugs Sozialtherapie-Abbrecher vgl. mit Insassen des Regelvollzugs -3.25 ± 1.18 <.01-4.41 ± 1.66 <.01.49 Beispielitems (Leibesteder et al. 1996): Der Anblick weinender Menschen bringt mich aus der Fassung. Manchmal versuche ich, meine Freunde dadurch besser zu verstehen, indem ich mir die Dinge aus ihrer Sicht vorstelle.
4.2.3 Impulsivität bei Gewalttätern Regressionsanalyse Impulsivität bei Gewaltstraftätern Prädiktor B SE p R 2 adj. Schritt 1 Impulsivität zu t1 0.42 ±0.11 <.001.22 Schritt 2 Impulsivität zu t2 0.32 ± 0.11 <.01 Sozialtherapie-Teilnehmer vgl. mit Insassen des Regelvollzugs Sozialtherapie-Abbrecher vgl. mit Insassen des Regelvollzugs -1.54 ± 0.57 <.01-1.27 ± 0.75 n.s..32 Weitere hypothesenkonforme Veränderungen bei Gewaltstraftätern in Sozialtherapie für Neurotizismus Gewissenhaftigkeit
4.3 Post-release Effekte t 3 : nach Entlassung: Lebensumstände seit Entlassung Selbstberichtete Delinquenz Selbstkontrolle NEO-FFI FPI-R Selbstwert n = 53 Mittlerer Zeitraum nach Entlassung: 24.2 Monate (SD=9.9)
4.3.1 Dunkelfeld Anzahl genannter Deliktbereiche Häufigkeit (N=53) Häufigkeit (%) 0 25 47.2 1 12 22.6 2 6 11.3 3 2 3.8 4 3 5.7 5 1 1.9 6 1 1.9 7 1 1.9 9 2 3.8 RV: 47.6 % (10 von 21) Sotha: 56.3 % (18 von 32) n.s. Strafverfolgte Rückfälle: RV: 19 % (4 von 21) Sotha: 28.1 % (9 von 32) n.s.
4.3.1 Alle Rückfalle im Überblick Delikt Häufigkeit (N=53) Häufigkeit (%) davon strafverfolgt davon strafverfolgt (%) Straßenverkehr gefährdet 20 37.7 2 10 exkl. Missachtung der StVO a 9 17 - - Fahren ohne Führerschein 11 20.8 1 9.1 Verstoß gegen Bewährungsauflagen 15 28.3 5 33.3 Kontakt zu illegalen Drogen 12 22.6 2 16.7 exkl. Konsum a 8 15.1 - - Drohung 3 5.7 0 0 Dokument fälschen 3 5.7 0 0 Geld fälschen 1 1.9 1 100 Eigentum beschädigt 7 13.2 1 14.3 Diebstahl 6 11.3 2 33.3 Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit 2 3.8 0 0 Körperverletzung 10 18.9 2 20 Raub 4 7.5 0 0 Sexuelle Handlungen an Kindern 2 3.8 1 50 Gesamt 92 17 18.5
4.3.2 Schwerer Rückfall Schwerer Rückfall (nur Gewalt- und Sexualstraftaten) Häufigkeit Häufigkeit (%) Gesamt (N=53) 12 22.6 Regelvollzug (N=21) 4 19 Sozialtherapie (N=32) 8 25 r=.07, n.s. Sexualstraftäter (N=35) 7 20 einschlägiger Rückfall 2 5.7 Gewaltstraftäter (N=18) 5 27.7 r=-.09, n.s.
4.3.3 Lebenssituation Lebensbereich Zeitpunkt Entlassung (N=53) Zeitpunkt Interview (N=53) N % N % Arbeitsplatz 9 17 33 62.3 Wohnung 30 59 51 96.2 Schulden 44 84.6 Beziehung 35 66 Anordnungen gesamt 47 92.2 Bewährungshilfe 35 66 Führungsaufsicht 12 22.6 Suchtbehandlung 12 22.6 Psych. Betreuung 14 26.4
4.3.4 Schwerer Rückfall und Lebenssituation Schwerer Rückfall: 31 % der bei Entlassung arbeitssuchenden Pb, aber nur 6 % der nicht arbeitssuchenden Pb gaben schweren Rückfall an. (r = -.29, p <.05) Kein signifikanter Zusammenhang bzgl. Wohn- und finanzieller (Schulden-)Situation. Kein signifikanter Zusammenhang bzgl. Therapieweisungen und TE vs. Strafrestaussetzung.
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5.1 Ein Gefangener verbleibt im Regelvollzug, wenn die dort angebotenen Maßnahmen zur Behandlung der individuellen Problematik als ausreichend erachtet werden. Was bedeutet das? Die protektiven/kriminogenen Faktoren bei diesen Gefangenen müssen nicht mehr verändert werden, weil sie nicht kriminogenen Charakters sind (Anfangswert zu Sotha-Pb müssten sich unterscheiden).
5.2 Ein Gefangener, der wegen eines Sexualdeliktes zu einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt wurde, ist dann gemäß 9 Abs. 1 StVollzG in eine sozialtherapeutische Abteilung zu verlegen, wenn seine Behandlung angezeigt ist. War diese Fokussierung gerechtfertigt? In einzelnen Bereichen scheinen Gewaltstraftäter eher zu profitieren. Weiterentwicklung (zielgruppen)spezifischer Interventionen? Auf jeden Fall weitere Analysen!