GMTTB-Konsensgruppe. Empfehlungen zur strukturierten medizinischen Dokumentation nach unfallbedingten HWS-Belastungen



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Transkript:

Gesellschaft für Medizinische und Technische Traumabiomechanik e.v. GMTTB-Konsensgruppe Empfehlungen zur strukturierten medizinischen Dokumentation nach unfallbedingten HWS-Belastungen 2. GMTTB-Jahrestagung, Konstanz 20.+21.April 2012 Dr. med. Hartmut Fischer Facharzt für Rechtsmedizin, Brandenburgisches Landesinstitut für Rechtsmedizin, Potsdam

a) Unfallhergang b) Beschwerdebild c) Muskuloskelettale Untersuchung d) Neurologische Untersuchung e) Bildgebende Untersuchung (fakultativ) f) Beschreibung des Befundergebnisses / Zuteilung eines Schweregrades

a) Unfallhergang Anamneseerhebung zu: Art des Fahrzeugunfalles Kollisionsort, Fahrzeugbewegungen, beteiligte Fahrzeuge Wo saß die geschädigte Person? Befand sich ein Airbag im Fahrzeug und löste dieser aus? Wie saß die geschädigte Person: War ein Gurt angelegt? Wie war die Kopfhaltung bei Kollision (in Fahrtrichtung, Rechts / Linksdrehung), Haltung des Oberkörpers (Vorneige, Seitneige). Kam es zum Anprall z.b. des Kopfes an Fahrzeuginnenteile? Auch Basisdaten dokumentieren (Größe, Gewicht sowie Berufstätigkeit)

b) Beschwerdebild Fragen zu Bewußtlosigkeit Erinnerungslücken früheren Unfällen mit HWS Beteiligung vorbestehende unfallunabhängige HWS Beschwerden und Voroperationen an der Halswirbelsäule

c) Muskuloskelettale Untersuchung Halswirbelsäule und die seitlichen Halsweichteile abtasten dokumentieren, wo Schmerzen durch manuellen Druck zu provozieren sind. Befund nach Seitenzuordnung (rechts-mittig-links) und obere mittlere untere HWS topographisch zu beschreiben Anschließend Erschütterungstest/ Stauchungstest mögliche Verletzungszeichen an Schultern, am Hals oder am Kopf dokumentieren. (z.b. Prellmarke an der Stirn usw.). Funktionsprüfung:Schmerzen und Funktionseinschränkungen bei aktiven Bewegungen in die verschiedenen Bewegungsrichtungen (Flexion, Extension, Rechts /Linksdrehung, Rechtsseit /Linksseitneigung) Dabei ist es ausreichend, z.b. die Überstreckung des Kopfes (Extension) wie folgt zu beschreiben: Extension schmerzhaft, bis xxgrad möglich (entsprechend Neutral-Null Methode).

d) Neurologische Untersuchung Prüfung und Dokumentation der Sensibilität und Parästhesien (Dermatome), der Muskelkraft (Kennmuskeln) und der Sehnenreflexe. Segmentale Pathologien weisen auf eine radikuläre Läsion oder Plexusläsion, Halbseitendefizite auf eine zerebrale oder medulläre Läsion hin. In jedem Fall von neurologischen Pathologien auch anamnestische Angaben zu Bewusstseinsstörungen und Hirnnervenstörungen -ist eine fachärztlich neurologische Untersuchung erforderlich.

e) Bildgebende Diagnostik Bei neu aufgetretenen Beschwerden im Nacken HWS Bereich oder/und wesentlichen Bewegungseinschränkungen an der HWS Basisdiagnostik: Röntgen Standardaufnahmen der Halswirbelsäule (a.p., seitlich und Dens-spezial) Der Röntgenbefund hinsichtlich Art, Ausmaßund anatomischer Lokalisation umfassend dokumentieren. Auch unfallfremde degenerative Veränderungen oder Fehlbildungen sind in analoger Weise festzuhalten. Nur bei Verdacht oder Nachweis struktureller Verletzungszeichen (Fraktur, Luxation, Instabilität, Bandscheibenläsion) sind weitergehende bildgebende Untersuchungen zu veranlassen (Spezial-oder Funktionsaufnahmen der HWS, CT, MRT). Bei klinischen Hinweisen auf eine Funktionsstörung des ZNS können weitere Untersuchungsverfahren erforderlich werden, z.b. Sonographie der Halsgefäße, MR-Angiographie, Myelographie.

f) Befundergebnis / Diagnose Befundergebnis aus allen Erhebungen aus den Abschnitten a) bis e), so kann Graduierung der Symptome bzw. Verletzungsschwere vorgenommen werden. Zum Beispiel: Keine Angabe zu Beschwerden im Nacken / HWS (QTF Grad 0) subjektiv Nackenschmerzen, Steifigkeit, Mißempfindungen, objektiv keine klinischen Befundzeichen (QTF Grad I) subjektiv Nackenbeschwerden, objektiv muskuloskelettales Defizit (QTF Grad II) subjektiv Nackenbeschwerden, objektiv neurologisches Defizit (QTF Grad III) knöcherne Verletzungen (QTF Grad IV)

II. Strukturierter Behandlungsplan Abhängig von den Beschwerden und den Befunden. Behandlungsplan soll Anmerkungen zur physikalisch therapeutischen und medikamentösen Behandlung, zur Ruhigstellung, ggf. zu weiteren Behandlungen und einer konsiliarischen Vorstellung beinhalten. Je nach Befundergebnis ist schließlich eine Wiedereinbestellung des Patienten oder eine Weiterbehandlung durch einen entsprechenden Facharzt zu tätigen. Bei Fehlen von objektiven strukturellen Schäden bietet eine möglichst schnelle Wiederaufnahme der bisherigen Tätigkeiten (Freizeit, Haushalt, Beruf) die beste Prognose.

III. Feststellung Nur eine strukturierte Befunderhebung kann anhand der Details zu Unfallhergang, Beschwerdebild, muskuloskelettaler, neurologischer und bildgebender Untersuchung eine Diagnose ergeben.

Bei Fehlen objektiver struktureller Verletzungsbefunde sollte nur eine Verdachtsdiagnoseformuliert werden.

unter www.svv.ch > Medizin > Formulare > Erstdokubogen KZBT Erstdokumentationsbogend[1].pdf AnleitungErstdokubogen[1].pdf unter www.fachklinik-enzensberg.de > Medizin > Unfallchirurgie (ganz unten auf der Seite) hws-dokumentationsbogen.pdf

Autoren (in alphabetischer Reihenfolge) GMTTB Konsensgruppe, Zürich, 29. September 2010 Dr. med. Wolfram Hell, Institut für Rechtsmedizin, LMU München Dr. med. Uwe Moorahrend, em. Fachklinik Enzensberg, Hopfen Dr. med. Roland Schelter, Allianz Versicherung, München Dr. med. Bruno Soltermann, SVV Schweizer Versicherungsverband Zürich Prof. Dr. med. Felix Walz, Arbeitsgruppe für Unfallmechanik Zürich Prof. Dr. med. Michael Kramer Universitätsklinik Ulm Prof. Dr. med. Erich Hartwig Diakonissenkrankenhaus Karlsruhe

Weiterführende Literatur Spitzer WO, Skovron ML, Salmi LR, Cassidy JD, Duranceau J, Suissa S, Zeiss E. Scientific monograph of the Quebec Task Force on Whiplash-Associated Disorders: redefining "whiplash" and its management.spine 1995;20(8 Suppl):1S-73S. Spitzer QTF Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule von Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. C. J. G. Lang aus Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie; 4. überarbeitete Auflage 2008, ISBN9783131324146; Georg Thieme Verlag Stuttgart MAA Whiplash Guidelines GP Summary, im Internet unter www.maa.nsw.gov.au > Publications & Reports > MAA Guidelines > Injury Management Guidelines > Guides for professionals > Whiplash Guidelines (zugegriffen am 4. Oktober 2010) Wyrwich, W., Heyde, C. E., Gutachterliche Probleme nach Beschleunigungsverletzungen der Halswirbelsäule, Der Orthopäde 2006 /3, 319-330 H.M. Strebel, Th. Ettlin, J.M. Annoni, M. Caravatti, S. Jan, C. Gianella, M. Keidel, U. Saner, H. Schwarz. Diagnostisches und therapeutisches Vorgehen in der Akutphase nach kranio-zervikalem Beschleunigungstrauma (sog. Schleudertrauma) Schweiz Med Forum 2002;2:1119-1125 Dokumentationsbogen für Erstkonsultation nach kranio-zervikalem Beschleunigungstrauma und dessen Anleitung, im Internet unter www.svv.ch> Medizin > Formulare > Erstdokubogen KZBT (zugegriffen am 4. Oktober 2010) Dokumentationsbogen HWS, im Internet unter www.fachklinik-enzensberg.de> Medizin > Unfallchirurgie (ganz unten auf der Seite, zugegriffen am 4. Oktober 2010)