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Transkript:

Ansprache Generalkonsulat der Russischen Föderation 8. Mai 2013, 14.00 Uhr, Waldstraße, Bonn Bad Godesberg Sehr geehrter Herr Generalkonsul Schmagin, sehr verehrte Frau Schmagin, Exzellenzen, verehrte Gäste und Freunde der Russischen Föderation! I. Der Tagesspiegel hat im Mai 2010 unter der Überschrift Ein Ende, das ein Anfang war geschrieben: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Aber wer ihn in Dur transportiert und seine Molltöne überhört, macht es sich zu leicht. Dann fährt der Artikel fort: Tiefer als dieser Tag hat wohl kein historisches Ereignis gewirkt im Erleben derer, die Zeuge dieses Moments waren, wie in seinen historischen Konsequenzen.

2 Er trägt das Zeichen historischer Zäsuren: Wer ihn erlebt hat, weiß auf immer, wo und wie ihn die Nachricht erreicht hat. Jeder in der Generation unserer Eltern, Groß- und Urgroßeltern konnte erzählen, wo er den ersten Russen oder Amerikaner sah, um welche Ecke er kam, wo er gefangen genommen wurde oder nach Hause kam. Mit diesem Zitat begrüße und grüße ich Sie alle ganz herzlich als Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen. Und ich stehe vor Ihnen im Wissen darum, dass heute für ganz viele Menschen in unserem Land ein Tag wie jeder andere ist. Denn der Zweite Weltkrieg und vor allem sein Ende sind nicht automatisch in Jedermanns Bewusstsein. In seiner vielleicht als epochal zu bezeichnenden Rede von 1985 hat der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker gesagt: Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie lässt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren. Damals hat er die Veränderung in der deutschen Wahrnehmung und im Bewusstsein beschrieben. Aber auch heute geht es genau darum, meine Damen und Herren:

3 Es geht darum, das Wissen und die Erinnerung wach und gegenwärtig zu halten. Gerade heute, wo die Urgroßeltern- und Großelterngeneration und damit die Zeitzeugen weniger werden oder schon gar nicht mehr unter uns weilen. Erinnerung und Wissen müssen aber auch wach gehalten werden in einer Zeit, in der uns der gerade begonnene NSU-Prozess ganz unübersehbar erleben lässt, wie fruchtbar der Schoß noch ist, aus dem das kroch. Sie alle wissen: das hat Berthold Brecht gesagt. II. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stehe hier vor Ihnen als Vertreterin der deutschen Generation, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geboren wurde und das große Glück und die Gnade hatte, in einem Europa ohne Krieg zu leben. Und ich stehe hier als parlamentarische Repräsentantin von 18 Millionen Menschen aus Nordrhein-Westfalen. Ich gestehe offen: Das ist für mich heute ein Tag, der mir unvergessen bleiben wird.

4 Dieser Tag wird mir deshalb unvergessen bleiben, weil mir die Ehre zuteil wurde, soeben am sowjetischen Ehrenmal für das Land Nordrhein-Westfalen einen Kranz niederzulegen und nun zu Ihnen anlässlich des Jahrestages des 8. Mai zu sprechen. Dafür danke ich Ihnen, verehrter Herr Generalkonsul Schmagin. III. 68 Jahre Kriegsende am 8. Mai gedenken viele Völker des Tages, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging. Jedes Volk hat dabei seine eigenen Gefühle. Der 8. Mai ist für uns Deutsche vor allem ein Tag der Erinnerung an das, was Menschen erleiden mussten - in einem Krieg, der von Deutschland entfesselt wurde und der mit 60 Millionen Toten endete, darunter fast die Hälfte aus der Sowjetunion. Dieser Tag hat uns alle befreit vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Für uns Deutsche gilt das in besonderem Maße: Mit dem Überfall auf die Sowjetunion begann 1941 ein Vernichtungsfeldzug, unter dem die Menschen unendlich unter Besatzung, Verfolgung und Zwangsarbeit gelitten haben. Dafür tragen wir Deutsche dauerhaft die historische Verantwortung auch diejenigen, die wie ich - erst später geboren wurden. Und unsere Aufgabe als Eltern, Politiker, Lehrer, aufrechte Demokraten ist es, diese Erinnerung gegenwärtig zu halten.

5 Das unsagbare Leid, das dieser Krieg über die Menschheit brachte und zuletzt auch über das eigene Volk, hat sich ins Gedächtnis unserer Völker eingebrannt und kommt in einem entschiedenen Ausruf zum Ausdruck. Und der lautet: Nie wieder! Wir werden die Leiden und das Sterben, den Schmerz und die Tränen nicht vergessen. Das schulden wir den Opfern. Das schulden wir aber genauso den gegenwärtigen und den nachkommenden Generationen. An die nachwachsenden Generationen müssen wir die alles entscheidende Lehre aus der Barbarei dieses Krieges weitergeben: Friede beginnt mit der Achtung der unbedingten und absoluten Würde des einzelnen Menschen in allen Bereichen seines Lebens. Diese gemeinsame Überzeugung führt uns heute zusammen - 68 Jahre nach der Befreiung der Welt und ebenso Deutschlands. Der 8. Mai 1945 war das Ende eines Irrwegs deutscher Geschichte und zugleich die Hoffnung auf eine bessere Zukunft - die Rückkehr Deutschlands zur Menschlichkeit, wie es Thomas Mann ausdrückte.

6 Was 1933 also vor achtzig Jahren - zwischen Hitlers Machtergreifung und dem Ermächtigungsgesetz in nur sieben Wochen geschah - die Zerstörung der Demokratie und die Aushebelung von Recht und Gesetz - das hatte entsetzliche Folgen: Exzesse des Hasses und Rassenwahns, des Genozids an sechs Millionen Juden und eines Vernichtungskrieges mit unzähligen traumatisierten Opfern, die bis heute darunter leiden. IV. Der 8. Mai 1945 war auch Anfang und Chance für unser Land - und wir Deutsche haben die Chance, die uns geboten wurde, auf verantwortungsvolle Art genutzt. Was Viele zunächst so nicht für möglich gehalten haben: Über die Ruinen, die Gräber und Lager hinweg sind uns Deutschen Hände der Mitmenschlichkeit gereicht worden: Den Gesten der Politiker folgte das allmähliche Zusammenfinden der Völker. Aus Hass und Misstrauen wurden zögerliche Kontakte. Es folgten erste Besuche und aus den Besuchen erwuchs gegenseitiges Verstehen und schließlich Vertrauen und Freundschaft. Wir wurden wieder aufgenommen, weil die Welt spürte, wie ernst es uns war mit dem Willen zur Versöhnung.

7 Und genau deshalb erwächst daraus die Verantwortung für ein friedliches und geeintes Europa mit guten Kontakten zu seinen Nachbarn. Wem geholfen wurde, der hat nach meiner Ansicht auch die Verpflichtung zu helfen. V. Zur Versöhnung zwischen den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und Deutschland haben Viele ihren Beitrag geleistet: die Kirchen, mutige Politikerinnen und Politiker, viele unbekannte Frauen und Männer, Soldaten, ja selbst die Opfer, wie frühere Zwangsarbeiter aus Russland, der Ukraine und Belarus - Zeitzeugen, die wir bis vor kurzem jährlich im Landtag empfangen haben, die aber leider immer weniger werden. Wir Deutsche haben nach dem Fall der Mauer die Einheit wiedererlangt, was ohne die Unterstützung der damaligen Sowjetunion mit Michael Gorbatschow an der Spitze niemals möglich gewesen wäre. Daran werden wir uns immer dankbar erinnern. Auch die Menschen in Russland haben einen Prozess mutiger Veränderungen erlebt. Durch Vertrauen und Verlässlichkeit sind letztlich die tiefen Gräben der Geschichte überwunden worden, und es wurden unübersehbare Zeichen des friedlichen Neubeginns gesetzt.

8 VI. Die deutsch-russischen Beziehungen sind heute von großer Intensivität geprägt. Unsere Länder verbindet Vieles: eine Übereinstimmung in wichtigen politischen Fragen sowie eine Vielzahl gemeinsamer kultureller und wirtschaftlicher Interessen. Und schließlich das vielleicht Wichtigste: Uns verbindet ein festgeknüpftes Netz menschlicher Beziehungen, das sicherlich auch durch die zahlreichen Partnerschaften aufgebaut werden konnte Partnerschaften von Regionen und Städten, Sport- und Kulturvereinen. Unseren Völkern, und vor allem der jüngeren Generation, bietet sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine einzigartige Chance: Gemeinsam leben wir jetzt, 68 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in einem geeinten Europa ohne Mauern, ideologische Gräben und politische Feindschaften. Wir leben in einem Europa, das sich nach so viel Krieg für den Frieden entschieden hat. Sie lässt uns an diesem Gedenktag - trotz aller Trauer um die Opfer - voller Optimismus in eine friedliche europäische Zukunft blicken, die der jungen Generation offen steht. Auch das durften wir nach dem 8. Mai 1945 so nicht erwarten. Wir sind dankbar dafür.

9 VII. Für mich war es ein bewegender Moment, als anlässlich des 60. Jahrestages des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion 20 ehemalige Zwangsarbeiter aus Russland an einer Gedenkstunde im Landtag Nordrhein-Westfalen teilnahmen und wir uns als Zeichen der Versöhnung die Hände reichten. Ein Jahr zuvor waren Kriegsveteranen aus Russland zu Gast in NRW und haben Soldatenfriedhöfe besucht. Soldatenfriedhöfe sind Stätten der stillen Trauer und des Trostes. Sie sind Mahnmale gegen Krieg, Gewalt und Zerstörung. Und sie sind schließlich auch Stätten der Begegnung und der Versöhnung. Albert Schweitzer nannte sie die stillen Prediger des Friedens. Die Veteranen haben sich davon überzeugen können, wie in Deutschland sowjetische Kriegsgräber gepflegt werden und somit den Eindruck großer Verantwortung mit nach Hause genommen. Ich hoffe: Auch Sie, verehrte anwesende Veteranen, können diesen Eindruck vom heutigen Tag mitnehmen. VIII. Meine sehr verehrten Damen und Herren, nur wenn die Erinnerung an das Leid der Kriegsjahre und an die Opfer der Gewaltherrschaft wach gehalten wird, bleibt bewusst, wie wichtig und zukunftsweisend Freiheit, Demokratie und Menschenrechte für unsere Gesellschaft sind.

10 Daran mitzuwirken, das ist für uns Nachgeborene in Deutschland eine dauerhafte Verpflichtung. Denn: Nicht der Krieg, der Frieden ist der Vater aller Dinge. So hat es uns Willy Brandt mit auf den Weg gegeben. In diesem Sinne grüße ich Sie und danke Ihnen sehr.