17.6.2008 Leistungsbilanz: Eine österreichische Erfolgsstory Ewald Walterskirchen, Wirtschaftsforscher, für die "Sparkassenzeitung" Die Leistungsbilanz war über viele Jahrzehnte ein Sorgenkind der österreichischen Wirtschaftspolitik. Es wurde damals über Schilling-Abwertung, Null-Lohnrunden, mehr Exportförderung und Importrestriktionen (Luxussteuer) diskutiert, um das große Loch in der Leistungsbilanz zu stopfen. Seit der Mitte der neunziger Jahre wurde das Defizit in der Leistungsbilanz immer kleiner, und seit etwa fünf Jahren hat sich das Bild völlig gedreht: Die Exporte von Waren und Dienstleistungen übertreffen die Importe bei weitem. Die Leistungsbilanz, in der Ausfuhren und Einfuhren im weiteren Sinne gegenübergestellt werden, weist Überschüsse auf, die von Jahr zu Jahr tendenziell höher werden. Im Jahr 2000 gab es noch ein Passivum von 1,5 Mrd. in der Leistungsbilanz, im Jahr 2007 bereits einen Überschuss von 8,8 Mrd.. Besonders hoch ist das Aktivum im Reiseverkehr und bei den sonstigen Dienstleistungen. Das Ausmaß der Verbesserung ist jedoch aus statistischen Gründen überzeichnet. Grafik 1: Leistungsbilanz- und Handelsbilanzsaldo seit 1995 Tabelle 1: Komponenten der Leistungsbilanz 2000 und 2007 Überschuss im Außenhandel mit Waren Eine besondere Überraschung ist die positive Handelsbilanz. Die österreichischen Unternehmen exportierten 2007 um 1,3 Mrd. mehr Güter als sie importierten. Zum dritten Mal in diesem Jahrzehnt war die Warenbilanz nicht in den roten Zahlen noch dazu in einem Jahr, in dem die Preise für Energieimporte stark gestiegen sind. Der Überschuss in der Handelsbilanz ist deshalb besonders bemerkenswert, weil Österreich als typisches Fremdenverkehrsland viele Ressourcen im Tourismus gebunden hat, die zu hohen Überschüssen in der Dienstleistungsbilanz führen. Das in Österreich übliche Defizit in der Handelsbilanz wurde früher damit erklärt, dass nicht so viele Ressourcen für den Warenexport zur Verfügung stehen. Betrachtet man die gesamte Leistungsbilanz, dann sieht die Situation ohnehin viel günstiger aus.
2 Heute ist auch der Warenhandel aktiv, und Österreich zählt zu den Ländern mit der höchsten Außenhandelsquote in der Europäischen Union. Gemessen am Brutto-Inlandsprodukt machen die Exporte i.w.s. fast 60% aus. Die Ausfuhren sind deshalb der entscheidende Konjunkturmotor; jeder Aufschwung geht in Österreich von den Exporten aus. Was waren die Hauptursachen für die langfristige Verbesserung der Handelsbilanz in Österreich? Zwei Faktoren waren entscheidend: der Handel mit Ost-Mitteleuropa und die Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit. Erfolge in Ost-Mitteleuropa Den großen Umschwung brachte der intensivere Außenhandel mit Ost-Mitteleuropa. Den österreichischen Unternehmen gelang es nach der Ostöffnung, in den Nachbarländern Fuß zu fassen, mit denen sie traditionell eng verbunden waren. In den letzten Jahren verschob sich der Schwerpunkt der Expansion nach Südosteuropa. Gemessen an den Direktinvestitionen in diesen Ländern hat Österreich heute eine Bedeutung, die weit über die Größe des Landes hinausgeht. Gelegentlich war befürchtet worden, dass Österreich nach der Ostöffnung mit billigen Waren aus Ost-Mitteleuropa überschwemmt würde, weil dort die Löhne viel niedriger seien. Österreich könnte dadurch in eine Leistungsbilanzkrise geraten. Das Gegenteil war der Fall. Die mittel- und osteuropäischen Länder brauchten Know-how (hochqualifizierte Dienstleistungen) und Investitionsgüter, um ihren technologischen und organisatorischen Rückstand aufzuholen. Viele österreichische Unternehmen leisteten dabei wertvolle Hilfe nicht nur Industrieunternehmen, sondern auch Banken, Versicherungen und Unternehmensberatungsfirmen. Vor allem die österreichischen Banken und Sparkassen haben heute eine herausragende Stellung in Ost-Mitteleuropa. Im Außenhandel mit den neuen EU-Ländern weist Österreich hohe Überschüsse auf: Das Aktivum gegenüber Rumänien, Slowenien, Ungarn und Polen betrug im Jahr 2007 jeweils mehr als 1 Mrd.. Gegenüber Deutschland gibt es ein beträchtliches Außenhandelsdefizit, das in den letzten Jahren wegen der schwachen Inlandsnachfrage Deutschlands noch größer wurde. Die Außenhandelsposition gegenüber den USA hat sich dagegen stark verbessert.
3 Tabelle 2: Handelsbilanz mit ausgewählten Ländern 2007 (könnte aus Platzgründen auch weggelassen werden) Hohe preisliche Wettbewerbsfähigkeit Ein zweiter wichtiger Faktor für die Aktivierung der Handelsbilanz war die Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft. Gemessen an den Lohnstückkosten (Löhne/Produktivität) hat sich die Konkurrenzfähigkeit in der Sachgütererzeugung seit 1995 gegenüber dem Durchschnitt der Handelspartner um 17% verbessert. Österreich kam dabei zugute, dass es gemeinsam mit Deutschland zu den Niedrig-Inflationsländern in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zählt. Seit der Einführung des Euro konnten die typischen Hoch-Inflationsländer (z.b. Italien, Spanien) nicht mehr abwerten, ihre Wettbewerbsfähigkeit hat sich deutlich verschlechtert. In Österreich stieg überdies die Produktivität der Industrie überdurchschnittlich rasch; teilweise wurde dies allerdings durch massive Frühpensionierungen (Beschäftigungsabbau) erkauft. Grafik 2: Relative Lohnstückkostenposition Österreichs seit 1995 (ev. streichen) Traditionellerweise hat Österreich einen hohen Überschuss in der Dienstleistungsbilanz, der auf Tourismus und Know-how beruht. Nach einigen relativ mageren Jahren im Tourismus befindet sich die österreichische Fremdenverkehrswirtschaft derzeit wieder im Aufwind: Städte-, Skiund Wellness-Tourismus sind die Zugpferde. Die traditionelle "Sommerfrische" hat dagegen Schwierigkeiten, zusätzliche Gäste zu gewinnen. Im Jahr 2007 betrug der Überschuss in der Reiseverkehrsbilanz 6,3 Mrd., um etwa 1 3/4 Mrd. mehr als im Jahr 2000. Dieses Aktivum dürfte jedoch um einige Milliarden Euro überzeichnet sein, weil es Probleme bei der Erhebung der Reiseverkehrsausgaben im Ausland gibt. Noch wesentlich stärker verbesserte sich die Bilanz der sonstigen (nicht-touristischen) Dienstleistungen: Hier stieg das Aktivum von 2½ Mrd. im Jahr 2000 auf 6 Mrd. im Jahr 2007. Besonders in Ost-Mitteleuropa war das österreichische Know-how im Banken- und Sparkassensektor sowie bei Consulting-Leistungen sehr gefragt. Auch hier ist die Verbesserung seit 2000 überzeichnet, weil bisher nicht erfasste Leistungen einbezogen wurden.
4 Ein Passivum weist die Einkommensbilanz auf, vor allem weil der Saldo der Vermögenseinkommen (Zinsen etc.) negativ ist. Auch die Transferbilanz ist im Minus, hier schlagen vor allem die Zahlungen an die EU zu Buche. Aktive Leistungsbilanz nicht immer Zeichen von Stärke Ein Überschuss in der Leistungsbilanz sollte nicht in jedem Fall als Zeichen besonderer wirtschaftlicher Stärke bewertet werden. Er kann theoretisch auch auf eine sehr schwache Entwicklung der Inlandsnachfrage zurückgehen, die niedrige Importe nach sich zieht. Der Leistungsbilanzsaldo sagt nur etwas über die Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft aus, wenn die unterschiedliche Entwicklung der Inlandsnachfrage mitberücksichtigt wird. Umgekehrt heißt das: Das hohe Leistungsbilanzdefizit der USA sollte nicht als Ausdruck einer wettbewerbsschwachen Wirtschaft interpretiert werden. Es spiegelt vielmehr eine sehr hohe Konsum- und Kreditfreudigkeit (Inlandsnachfrage) wider, die zu hohen Importen führt. Weiters geht das hohe Defizit in den USA darauf zurück, dass China nicht bereit ist, den Wechselkurs der Marktentwicklung entsprechend aufzuwerten. Freier Außenhandel und willkürliche Wechselkursgestaltung führen zu Verzerrungen. Für Österreich kann die günstige außenwirtschaftliche Bilanz als Zeichen der Stärke interpretiert werden, weil der positive Leistungsbilanzsaldo mit überdurchschnittlich hohem Wirtschaftswachstum einhergeht. Nationale Leistungsbilanzen in der Wirtschafts- und Währungsunion weniger bedeutsam Im Euro-Raum haben die nationalen Leistungsbilanzsalden an Bedeutung verloren. Vor dem Beitritt zur Wirtschafts- und Währungsunion konnte ein hohes Leistungsbilanzdefizit in Österreich zu einem Verlust an Währungsreserven und Abwertungsdruck auf den Schilling führen. Damit ist es seit der Einführung des Euro vorbei. Die Leistungsbilanz des Euro-Raums ist wichtiger geworden. Sie deutete im letzten Jahrzehnt auf keine besonderen Wettbewerbsprobleme hin. Der Leistungsbilanzsaldo des Euro-Raums war in den letzten fünf Jahren positiv, selbst in Jahren mit starker Rohölverteuerung wie etwa 2007 gab ein kein Defizit. Ein großer Teil des Außenhandels spielt sich heute innerhalb des Euro-Raums ab. Die Exportquote des Euro-Raums in Drittstaaten liegt bei 17%, jene der EU-27 bei 10%. Die
5 Ausfuhrquote der EU-27 in Drittstaaten (Nicht-EU-Länder) liegt etwas höher als die Exportquote der USA (8%), aber deutlich niedriger als die Exportquote Japans (17%). Die Inlandsnachfrage nimmt also auch in der Europäischen Union eine zentrale Stellung ein.